Hallo,
da gibt es Einiges zu zu sagen, was die Dinge in beiden Richtungen relativiert. Eine vollständige Analyse würde aber den Rahmen sprengen, deswegen nur ein paar Kernpunkte (das wird lang genug):
a.) Truppenstärken
a1.) auf englischer Seite
Die Angaben schwanken etwa zwischen 5000 und 8000. Die Untersuchung der Stammrollen im Original hinkt daran, dass diese zu Beginn des Feldzuges erstellt wurden, also die Verluste von Harfleur, die Verluste durch Krankheit und den immer wieder von Plänklern bedrohten Marsch nicht wiedergeben. Andererseits ist die Zahl von 8000 in der neueren Forschung durch reines Zählen verschiedener Namen entstanden wobei die Organisation des englischne Heeres selbst mehr als nebulös ist. Daraus ergibt sich eine Dunkelziffer, dass gemäß der damaligen Namenstradition, die ja nur bedingt Nachnamen kannte, eine erhebliche Anzahl von Namen doppelt auftaucht und tatsächlich verschiedene Dinge gemeint sind. Das ist bis zu einem gewissen Grad so, wie wenn man die Wehrmacht von 1939 untersucht und alle Hans Meier als einen zählt.
Meiner persönlichen Ansicht nach ist das englische Heer also zu Beginn des Feldzuges größer gewesen als die 5000 der Legende und auch größer als die 8000, die derzeit propagiert werden. Diese Vorstellung wird auch durch den zur Verfügung stehenden Transportraum, sprich Schiffe, unterstützt. Ich würde eher von 10000, möglicherweise 11000 inklusive des relativ moderaten Troß, ausgehen. Wobei diese Truppenstärke nach Harfleur und dem langen Marsch entlang der Somme dann durchaus 6000-7000 Mann glegen haben kann, die allerdings alle geschwächt und erschöpft waren.
a2.) auf französischer Seite
Hier schnwanken die Angaben zwischen 12000 und 25000, also in einen viel höheren Maße als bei den Engländern. Der Grund liegt hier zum Teil darin, dass weniger Dokumente erhalten sind, zum Teil aber auch darin, dass es sich im Grunde um so etwas wie 2 1/2 beinahe unabhägige Armeen handelte. Denn die Herzöge von Burgunf und von Orleans hatten ja jeder ein eigenes Heer aufgestellt. Das halbe zusätzlich waren lokale Adlige, die mehr oder weniger Plänkleraufgaben leisteten. D.h. hier ist eine genaue Aussage schwierig und alles mehr oder weniger Schätzung. Man darf sogar bezweifeln, dass die Franzosen am Abend des 24.Oktober selbst genaue Zahlen hatten.
Trotzdem gibt es Eckpunkte. Die Anzahl der gefallenen französischen Ritter Ritter soll bei angeblich um die 5000 gelegen haben, was mehr oder weniger der Gesamtbestand der Art vor Ort gewesen sein soll. Offensichtlich stammt die Zahl 5000 aus beiden Heeren, also dem des Burgunders und dem von Orleans zusammen. Da die beiden Herren ja in anderer Hinsicht in übelster Konkurrenz zueinander standen hatte ein jeder mehr oder weniger ein Heer aufgestellt um die Engländer ohne Mithilfe des anderen zu schlagen. Das hätte jeweils so ungefähr 10000 bis 12000 Mann bedeutet. Wir wissen aber, dass Charles d’Albret dann den Oberbefehl übernahm um zu verhindern, dass die beiden Herzöge sich in Kämpfe untereinander verwickelten. Das vom Herzog von Burgund aufgestellte Heer blieb zurück. Daraus resultiert die Zahl von 12000 bei Agincourt, die in der neueren Forschung kursiert. Wobei es hier allerdings auch ein paar Probleme gibt.
Erstens, wenn das Heer des Burgunders zurückblieb, bedeutete das nicht automatisch, das alle Truppen zurückblieben. Was ein beleidigter Burgunder zurückhalten konnte, waren seine eigenen Lehenstruppen, nicht jedoch die der anderen Lehensherren, und sicher nicht die Lehensherren selber, die Kronvasallen waren. Dass er es nicht konnte, belegt das statistische Ungleichgewicht in den Zahlen. Die Franzosen hätten mit beiden Heeren zusammen und lokalen Adligen rund 25000 Mann zusammengebracht, davon 5000 Ritter. Das hätte ja ungefähr den Verhältnissen von Crecy entsprochen, soweit es Reitereit zu Fußtruppen entsprach. Da nun die Zahl von 5000 Rittern auch mehr oder weniger in den Zahlen der Gefallenen auftaucht können wir davon ausgehen, dass die Franzosen wirklich annähernd diese Zahl hatten. Was also weniger war, war die Anzahl der Fußtruppen. Die aber wären ja auch angeworbene Truppen gewesen aus der Mobilmachung nach Harfleur, d.h. etwa hälftig die Truppenteile, die der Herzog von Burgund hätte zurückhalten können. Bei einer Gleichverteilung würde das bedeuten, dass er dort rund 8000 Mann an Fußtruppen hätte zurückhalten können, aber nicht 2000 Mann Reiterei. Das Gesamtheer, dass d’Albret zum Schluß nach Agincourt führte sollte also rein rechnerisch bestanden haben aus 2000-3000 Reiterei des Herzogs von Orleans, 2000-3000 Mann Reiterei des Herzogs von Burgund, 7000-8000 Mann Fußtruppen des Herzogs von Orleans und einer unbekannten Anzahl kleiner Trupps der lokalen Adligen soweit diese zwsichen dem 20. und 24. Oktober noch Anschluß an das Hauptheer gewinnen konnten. Macht also ein Minimum von 11000+x (x=lokale Truppen) und 14000+x. Das x, die lokalen Truppen können durchaus noch einmal in der Größenordnung von 5000 Mann gelegen haben. Damit würde man auf rund 16000 bis 19000 Mann kommen.
b.) Truppenqualitäten
Die Hauptunterschiede lagen sicherlich weniger in den Zahlen, die hier ein etwas falsches Bild wiedergeben.
b.1.) auf englischer Seite
Das Heer hatte bereits die Belagerung von Harfleur hinter sich, die lange gedauert hatte und entsprechend verlustreich gewesen war. Heinrich hatte Verletzte und Beute zurück nach England geschickt, hatte aber offensichtlich nicht mehr die Transportkapazitäten für einen Rückzug über See. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als auf Calais zu marschieren mit dem Ziel dort zu überwintern. Dazu musste er die Somme überqueren, was nicht gelang, da die Brücken besetzt waren. Sicher ist, dass auch die Ruhr im Heer grassierte.
Die Knappheit an englischer Reiterei (und 1415 bedeutete Reiterei auch nicht mehr zwangsläufig Ritter) ist bezeichnend. Denn sie zeugt davon, dass das englische Heer nicht mehr in der Lage war, die Pferde zu versorgen bze. diese bereits gegessen hatte. Man mag ja zu Shakespeare stehen wie man will, aber seine unterschwelligen Anspielungen auf Disziplinprobleme sind sicher nicht ungerechtfertigt. Was wir hier sehen ist das Bild eines Heeres auf der Flucht. Wesentlicher als die Anzahl der Soldaten war der allgemeine schlechte Zustand und die Versorgungslage, die sich dann auch in der Knappheit an Reiterei niederschlug während die Bogenschützen, die zu Beginn des Feldzuges sicher noch nicht den Hauptteil des Heeres gestellt hatten, von den Verlusten weniger betroffen waren (einerseits weil Bogenschützen bei Belagerungen weniger Schaden nehmen, andererseits weil sei im Gegensatz zu anderen Truppen besser in der Lage sind, sich aus dem Land zu ernähren). Das Übergewicht der Bogenschützen im englischen Heer war also ziemlich sicher keine Planung oder Tradition, es handelte sich lediglich um die verbliebenen intakten Truppenteile.
b.2.) auf französischer Seite
Für die Franzosen war die Lage auch nicht so rosig, wie die reinen Zahlen uns weismachen wollen. Die französische Reiterei bestand hauptsächlich aus Rittern, die wir gewissermaßen als Berufssoldaten ansprechen können. Aber die Fußtruppen von 7000-8000 Mann im Hauptheer waren im Grunde ja gepresste Bauern, die mangels Zeit nicht einmal in Form gedrillt worden waren. Bezeichnend hier ist hier die hohe Anzahl von Armbrustschützen im Verhältnis zu Bogenschützen. Bogenschützen benötigten jahrelange Ausbildung und Training. Armbrustschütze konnte jeder werden, der nicht gerade blind war. Natürlich war die Durchschlagskraft und Reichweite einer Armbruist, vor allem aber die Feuergeschwindigkeit gegenüber einem Bogen begrenzt.
Zudem war das Heer ja in Eilmärschen herangeführt worden, d.h. alles andere als frisch, auch wenn der Zustand sicher besser war als der des englischen Heeres.
1.Zwischenbilanz
An diesem Punkt ziehen wir das mal zu einer ersten Bilanz zusammen.
Was sich bei Agincourt gegenüberstand waren auf dem Papier zwei Heere, die nach Größe und Truppen kaum unterschiedlicher sein konnten.
16000-19000 Mann relativ frisch gegen etwa 6000-7000 schwer angeschlagen. Aber dahinter verbarg sich ein anderes Verhältnis, denn die Franzosen hatten nur etwa 5000 Berufssoldaten während die Engländer beinahe ausschließlich Berufssoldaten waren. Und damit haben wir einen der Pnukte, die uns Agincourt erklären können.
c.) Waffen und Ausrüstung
c.1.) Auf englischer Seite.
Die Langbogenschützen haben wir ja schon erwähnt, auf die Wirksamkeit komme ich später nochmal zurück. Aber was hatten die Engländer sonst noch? Zunächst einmal einen definitiven Mangel: Beinahe keine intakten speertragenden Einheiten. D.h. Heinrich verfügte eigentlich nicht über die Hauptabwehr gegen Reiterei. Das war ein Zufallseffekt, denn die klassischen Speerträger waren ja eigentlich gepresste Bauern mit langen Speißen, Rabenschnäbeln oder ähnlichen Waffen während die teureren Söldner meistens bereits Schwerter oder Äxte und Schilde trugen. Denn nur die Berufssoldaten hatten das Training für diese Art von Waffen während man einen langen Spieß jedem Bauern in die Hand drücken konnte.
Aus den gleichen Gründen gab es bei den Engländern auch kaum einen Armbrustschützen. Das war allerdings durch die Langbogenschützen, die den größten Teil der verbliebenen intakten Truppen ausmachten obsolet.
Die Engländer hatten fernhin zwar etwas schwere Reiterei (also gepanzerte Ritter) aber keine mittlere oder leichte Reiterei, die zu dieser Zeit begann, sich oftmals als schlachtfeldbeherrschend gegen Infanterieformationen zu erweisen.
c.2.) auf französischer Seite
Schwere Reiterei ohne Ende. Wenig erwähnt, aber vorhanden war auch mittlere Reiterei deren Hauptwaffe nicht die Lanze sondern eher Axt bzw. Morgenstern war.
Bogenschützen wenige, Armbrustschützen in relativ schnell zusammengewürfelten Einheiten, Dazu die breite Masser der Infanterie, die so gut wir ungeschützt war und sich mehr oder weniger als Hauptwaffe auf Speere verlassen musste, d.h. auch keine Schilde hatte. In Formation und Ausrüstung wäre das französische Heer somit jedem klassischen Heer seiner Zeit gleichwertig oder überlegen gewesen. Nur hatten die Engländer kein klassisches Heer mehr aufzubieten.
d.) Anführer und Motivation
d.1.) auf englischer Seite
Heinrich V, dann sehr lange nichts, dann noch mehr nichts, dann eine Anzahl Unteranführer, die mehr oder weniger keinen Einfluß auf Strategien hatten. Das englische Heer stand und fiel mit Heinrich. Nicht, weil er so ein netter Kerl war, was er wahrscheinlich nicht war, sondern einfach deshalb, weil er den Respekt seiner Männer durch persönlichen Einsatz und ein gewisses Maß an taktischem Genie errungen hatte.
Wesentlich bei dieser Betrachtung ist, dass hier drei Effekte zusamenkamen. Der Respekt gegenüber dem Anführer, die ohnehin höhere disziplin der Berufssoldaten und ein gewisses Maß an Verzweiflung. Die meisten Soldaten konnten kaum auf einen Austausch oder Freikauf durch Lösegled hoffen, sollte es schief gehen. Selbst wenn sie also die Schlacht überleben sollten, konnten sie bestenfalls irgendwo in einem Kerker vermodern. Das machte die Engländer zu einem grauenvoll harten Gegner, weil ein Aufgeben gar nicht in Frage kam.
d.2.) auf französischer Seite
Bei den Franzosen hatte Charles d’Albret den Oberbefehl. Aber er hatte natürlich sehr viele Ritter unter sich und insbesondere der Herzog von Alencon (keine Ahnung, wie ich die franz. Sonderzeichen hier rein kriege)tat sich mit taktischen Ansichten hervor, die im krassen Gegensatz zu d’Albret standen. D.h. schon an der Spitze gab es Uneinigkeiten. Die Situation war vor allem dadurch geprägt, dass sich d’Abret der Unzuläglichkeiten seines Heeres durchaus bewusst war. Nicht umsonst versuchte er, die direkte Konfrontation zu vermeiden und die Engländer mehr oder weniger „abzunutzen“. Alencon im Gegenzug vertrat die Meinung der Ritter. Diese sahen in erster Linie die bekannte Schwäche der Engländer bei der Reiterei. Verbunden mit einer gewissen Arroganz drängten die Ritter darauf, eine schnelle entscheidende Konfrontation herbeizuführen.
Im Heer selber war die Disziplin nicht besonders ausgeprägt. Die Masse waren kurzfristig gepresste Bauern und die stolzen Rittersleut zeichneten sich ebenfalls weniger durch Disziplin als mehr durch Arroganz und Fehden untereinander aus. Ein Problem, dass man bei französischen Heeren ja den gesamten 100jährigen Krieg hindurch beobachten kann.
Zum Zeitpunkt von Agincourt war es weder d’Albret noch Alencon gelungen, sich wirklich den Respekt der breiten Masse ihres Heeres zu verdienen. Gleichzeitig gab es für die Franzosen keinen Grund, wirklich bis zum bitteren Ende zu kämpfen, denn bisher hatte Heinrich sich ja gegenüber Gefangenen (ausgenommen Adel) als relativ großzügig gezeigt.
2.Zwischenbilanz
Soweit es Motivation und Führerschaft anging, standen die Zeichen ganz klar zu Gunsten der Engländer. Für die Engländer war klar, dass sie siegen mussten. Nicht in einem abstrakten Sinne weil sonst irgendein Reich verloren gegangen wäre. Sondern in einem ganz konkreten Sinn bei dem jeder einzelne Soldat wusste, dass sein Leben vom Sieg abhing. In der Anfangsphase der Schlacht sollte sich auch zeigen, dass Disziplin und Respekt unnötige Rückfragen und eigenständiges Zurückweichen verhütete. Die englischen Soldaten, gleich ob Bogenschützen oder Infanterie taten, was befohlen war, ohne zu zögern, ohne zurückzuweichen und mit vollem Einsatz.
Auf französischer Seite hätte d’Albret, der ein heller Kopf war, vielleicht so etwas wie eine gleichwertige Führung aufbauen können. Aber es fehlte die Zeit und das ständige Störfeuer seiner Ritter half auch nicht gerade. Hätte d’Albret sich durchgesetzt, wäre es vielleicht gar nicht zur Schlacht von Agincourt gekommen sondern er hätte versucht das englische Heer abzunutzen. Eine Taktik gegenüber der auch ein Heinrich machtlos gewesen wäre. Aber er kam ja nicht durch.
e.) Waffenwirkung
e.1.) Der Langbogen
Ich habe ja schon auf die Unterschiede in Ausrüstung und Einheitenqualität hingewiesen. Die entscheidende Waffe war der Langbogen. Er zeigte seine Wirkung aber auch sozusagen als Soft Fact. Ich greife einfach mal ein paar Punkte heraus.
e.1.1) Das Durchschlagen von Rüstungen
Dieser Punkt ist nicht ganz einfach zu beantworten. Wenn ich einen Bodkin, der aus relativ weichem Material ist, auf 200 Yards auf eine Brustplatte einer damals üblichen Rüstung schieße, wird er nicht durchkommen. Er wird entweder je nach Modell der Rüstung abgelenkt oder einfach eine Delle schlagen. Dabei findet jedoch durchaus eine Druckübertragung statt, so, dass der Ritter trotzdem Schaden davonträgt bzw. durch die pure Einschlagwucht aus dem Sattel befördert werden kann.
Wenn der gleiche Pfeil in einem blallistischen Bogen auf eine Beinschine trifft, zumal um 1415, als Kette unter der Platte eher unüblich war, dann würde er durchschlagen, da die Beinplatten natürgemäß dünner waren. Das Beispiel, einen Ritter aufs Pferd zu nageln ist ja sprichwörtlich geworden.
Wenn wiederum der gleiche Pfeil den Helm trifft, können verschiedene Dinge passieren. Der Pfeil kann das Visier treffen, dann ist Feierabend. Oder er kann die Kalotte treffen. In diesem Fall hängt wiederum viel vom Helmtypus ab. Die relativ veralteten Topfhelme, die es aber 1415 noch gab, würden wahrscheinlich standhalten und den Druck auf die Schulterplatten übertragen. Der getroffene Ritter würde also wahrscheinlich aus dem Sattel geworfen werden, weil das Hebelgesetzt gegen ihn ist. Ein Kugelhelm, wie er gerade bei den für damalige Verhältnisse sehr modern ausgestatteten Franzosen vielfach getragen wurde, würde den Pfeil ableiten, gleichzeitig aber auch viel Druck aufs Genick leiten. Selbst ohne durchzuschlagen, was wegen der Rundform beinahe ausgeschlossen ist, würde der Pfeil indirekt per Genickbruch töten.
e.1.2.) Wirkung gegen Pferde.
Ich bin von der Wirksamkeit der Langbogenschützen hauptsächlich gegne Pferde, nicht ganz überzeugt. Erstens war der Pferdepanzer üblicherweise gerade im vorderen Bereich stärker als der der Ritter. Schließlich hatten sich speertragende Infanterieformationen zum Hauptproblem entwickelt und die konnten nur durch Gewicht und Pferdepanzer eingebrochen werden. Zweitens handelte es sich bei den Pferden um die wir hier reden um speziell gezüchtete und trainierte Schlachtrösser. Es gab dazu, aber im Zusammenhang mit Crecy, ja auch pathologische Untersuchungen, bei denen englische Pfeile auf entsprechendes organisches Material geschossen wurden. Selbst ungepanzert ist eine Pferdebrust, und das dürfen wir als Haupttrefferzone annehmen, kaum soweit zu durchschlagen, dass lebenswichtige Organe erreicht wurden. So ein Gaul hat halt ein paar Muskeln und die Bodkins waren weich um eine Wiederverwendung zu verhindern. Die Einschlagwirkung ähnelte vergleichsweise also eher einem Blei- als einem Stahlmantelgeschoss, wenn auch mit geringerer kinetischer Energie.
Rein waffentechnisch sehe ich also eher die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich den Ritter zu erwischen statt des Pferdes als größer an. Das schließt aber nicht aus, dass das Pferd in Panik gerät. Vor allem, wenn der Ritter plötzlich fehlt. Und selbst wenn ein Pfeil nicht tötet, weh tun tut er sicher. D.h. zu einem gewissen Grad ist etwas dran an der These, dass Infanterie von durchgehenden Pferden niedergetrampelt wurde.
e.1.3.) Wirkung gegen Infanterie
Die die französische Infanterie keine Schilde trug und sicher auch nicht die notwendige Disziplin für Schutzformationswechsel gehabt hätte wenn sie welche gehabt hätte: Verheerend. Was denn sonst, wenn die nicht mal Rüstung trugen?
e.1.4.) Psychologische Wirkung
Hier haben wir einen Punkt, der von den Mediavelisten gerne vergessen wird. Die englischen Langbogenschützen konnten bis zu zehn Pfeile pro Minute schießen. Schwere Armbrustschützen, die außerdem an Reichweite immer noch unterlegen waren, etwa zwei.
Wie lange wird sich eine Armee, deren größter Teil aus unausgebildeten Bauernbuben besteht, halten, wenn ein derartiger Dauerregen auf sie niedergeht? Und wenn ja jeder sehen kann, dass die eigenen Schützen dem Feind nicht einmal richtig weh tun können?
Das Endergebnis war ziemlich absehbar. Zu dem Teil, als die zahlenmäßgi unterlegene englische Infanterie (und nur die, so gut wie keine Reiterei!) auf die Franzosen traf, waren die Formationen bereits unter dem Dauerfeuer am Einbrechen. Beschleunigt wurde das sicherlich durch durchgehende Pferde, vor allem aber auch dadurch, dass die Reiterei, die ja gewissermaßen die Panzerwaffe der Zeit darstellte, mehr oder weniger bereits ausgeschaltet war. Nur so ist auch zu erklären, dass die Ritter, die es bereits im Angalopp erwischt hatte, überhaupt von der englischen Infanterie erreicht werden konnten. Hätten die Infanterieformationen gehlaten, hätten sich ja die meisten verletzten Ritter noch dahinter befunden und Verluste in der Höhe wie dokumentiert, wären überhaupt nicht möglich gewesen.
e.1.5.) Kreuzfeuer
Bogenschützen, vor allem Langbogenschützen sind sehr verletzlich sowie eine Infanterieformation nahe genug kommt um sie im Nahkampf zu nehmen. Noch schlimmer kommt es aber, wenn sie von schwerer Reiterei ausflankiert werden können. Das war also die echte Achillesferse der Engländer. Nur konnten die Franzosen die nicht nutzen, weil der Weg zu weit war, der Grund nicht fest genug und die Flanken der Bogenschützen durch Wälder geschützt. Stattdessen konnten die Bogenschützen praktisch bis die Franzosen jegliche Formation verloren einfach ein Kreuzfeuer auf jede Gruppe Franzosen aufrecht erhalten, die gerade nicht von der eigenen Infanterie attackiert wurde. Kreuzfeuer ist aber deswegen besonders häßlich, weil selbst Schildträger nicht zwei Seiten abdecken können um sich zu schützen.
e.2.) Speere
Die so oft vergessene Waffe, die aber mehr Schlachten entschieden hat als Langbogen und Schwert zusammen. Speere, oder im weiteren Sinne Stangenwaffen aller Art, waren die Waffe der leichten Infanterie, im Prinzip eine Bauernwaffe. Trotzdem nicht zu unterschätzen, denn der Anprall auch schwerer Reiterei gegen eine mit Speeren bewaffnete Infanterieformation ging meistens schlecht für die Reiterei aus.
Trotzdem waren solche Speerformationen in erster Linie defensiv. Im Angriff konnten sie zwar manches Mal einen Stich machen wenn sie stürmen konnte, aber wenn es darum ging, eine andere Infanterieformation Schritt für Schritt einzudrücken, dann war die Waffenlänge eher hinderlich. Der zweite Nachteil war, dass man beide Hände brauchte, d.h. keinen Schild mit sich führen konnte. Das wiederum machte derartige Formationen sehr verletzlich gegenüber Armbrust- und Bogenschützen.
Bei Agincourt haben wir jedoch zwei ziemlich unwahrscheinliche Effekte in der Zusammenstellung der Heere. Das Heer, das auch die Reiterei hat, ist gut gegen Reiterei geschützt, das Heer, das sowieso keine Reiterei hat, ist so gut wie gar nicht gegen Reiterei geschützt. Im Endeffekt musste sich also die speertragende Infanterie der Franzosen nicht mit der englischen Reiterei sondern mit den Schwerten und Äxten von Heinrichs Berufssoldaten messen. Spätestens als diese Formationen unter dem Feuer der Langbogenschützen einbrachen war die Sache vorbei, egal, wie viele Ritter zu diesem Zeitpunkt noch lebten.
e.3.) Äxte
e.3.1.) Als Infanteriewaffe
Schwerter waren teuer, Äxte überall zu haben. Im Gegensatz zum Morgenstern, der 1415 beinahe eine reine Reiterwaffe geworden war, waren Äxte also auf den Schlachtfeldern sehr gebräuchlich. Streitkolben wiederum wurden von der Infanterie kaum noch verwendet, einfach weil Äxte als allgemein verfügbares Werkzeug leichter zu beschaffen und zu ersetzen waren. Daraus ergibt sich, dass die meisten Äxte nicht große Kriegsäxte waren, wie wir sie in dem 100.Barbarenfilm im Fernsehen sehen. Es handelte sich meistenteils entweder um Handäxte oder um Holzfälleräxte. Eine Handaxt konnte aber zusammen mit Schild geführt werden. Das war gegenüber speertragender Infanterie tödlich, weil mit dem Schild einfach eine Lücke zwischen zwei Speere gedrückt werden konnte und man dann relativ bequem beiden den Schädel einschlagen konnte. Der Nachteil lag allerdings auf Seiten der Handaxt, wenn man sich gepanzerter Reiterei erwehren musste. Die Reichweite war zu klein.
Umgekehrt sah es mit Holzfälleräxten aus, als den langen, die zwangsweise zweihändig geführt wurden. Die konnten zwar eine Pferderüstung durchdringen, aber sie hatten, eben weil ein Schild fehlte, Probleme, gegen Speerformationen.
Nur kam bei Agincourt wieder eine Beosnderheit zum Tragen (jede Schlacht hat eine Reihe von Besonderheiten, also nicht wundern). Die Engländer hatten Berufssoldaten und ihre Infanterie war ja eigentlich der zusammengewürfelte Rest aus dem bereits langen Feldzug. D.h. es gab keine eigenen Blöcke mit kurzer Axt und Schild und andere mit langer Axt. Die müssen wild durcheinander gewürfelt gewesen sein. D.h. eine lange Axt konnte einem Schildträger durch die Speere folgen während die Träger langer Äxte durchaus fähig waren, für den gelegentlich doch durchgebrochenen französischen Ritter zu sorgen. Das Standardverfahren war, tief zu schlagen, den Pferd die Vorderläufe zu brechen und den Ritter am Boden niederzumachen.
e.3.2.) Als Waffe in der Reiterei
Streitäxte waren meistens entweder Doppelblattäxte oder Einblatt mit einem Rabenschnabel. Seltener auch mit zusätzlicher Stoßspitze. Es handelte sich also prinzipiell trotz gleichen Namens um eine andere Waffe als die normalen in der Infanterie gebräuchlichen Äxte, die ja eher aus dem Werkzeugsektor stammten. Äxte hatten sich zusammen mit dem Morgenstern zur hauptsächlichen Zweitwaffe der Reiterei entwickelt. Nach Verlust der Lanze, durch Bruch oder dadurch, dass sie einfach noch im letzten Opfer steckte, bot sie die notwendige Wucht um auch Rüstungen und die eher seltenen Metallschilde zu durchdringen. Selbst wenn ein Schildträger eine Axt blockte, gab es immer noch eine hohe Wahrscheinlichkeit dass er sich dabei den Arm brach und beim zweiten Angriff erledigt werden konnte. Gleichzeitig hatte eine Streitaxt den unbestreitabren Vorteil gegenüber Schwertern, dass sich Geschwindigkeit des Pferdes und Schlagwucht besser aufaddierten, d.h. gerade von einm Pferd herunter die Wucht ungleich höher war (wegen der eigentlich kleineren Aufschlagfläche).
e.4.) Schwerter
Zu guter Letzt die Waffe des Rittertums schlechthin. Aber wie viel ist da wirklich dran? Das Schwert, insbesondere das um 1415 bei den Adligen übliche Langschwert, hatte ja eher Symbolcharakter. Ein Ritter, der innerhalb einer geschlossenen Formation anritt, verwendete ja zunächst einmal eine Lanze und kein Schwert. Selbst als Zweitwaffe innerhalb einer Schlacht war das Schwert nicht erste Wahl. Der Morgenstern bot vom Pferd herunter mehr Wucht und am Boden die Möglichkeit um einen Schild herumzuschlagen. Zur Zeit von Agincourt waren die Rüstungen auch bereits stark genug, um einem Schwerthieb so gut wie keine Chance mehr zu geben. Die Entwicklung hin zu Stichwaffen hatte ja bereits begonnen, aber noch nicht wirklich zu bruachbaren Resultaten geführt. Somit war das Schwert eigentlich gerade für Agincourt nebensächlich und die meisten Ritter wurden ohnehin von Pfeilen getroffen bevor das relevant wurde.
Endergebnis (meiner persönlichen Ansicht nach, es mag andere Meinungen geben):
Das reine Zahlenverhältnis ist gerade für Agincourt so gut wie nicht aussagekräftig. Die Truppenqualität sowie die französischen Schwierigkeiten in der Truppenführung und Kommandoeinheitlichkeit waren m.E. sehr viel relevanter.
Erschwerend kommt hinzu, dass die sich gegenüberstehenden Truppen in der Ausrüstung sehr ungleich waren. Die voerhergehenden Ereignisse hatten Heinrich als intakte Truppen praktisch eine unbenutzbare Armee übrig gelassen, die ihn in einer Verzweiflungssituation in die einzige Taktik zwang, die von den Franzosen nicht beherrschbar war. Nicht, dass er das wirklich hätte sehen können. Man könnte Agincourt also aus französischer Sicht als eine Kombination unglücklicher Umstände interpretieren, muss aber auch erwähnen, dass die Franzosen viele dieser Umstände selbst erzeugten (interne Kämpfe, uneinheitliches Kommando, Arroganz bzw. Selbstüberschätzung). Es war also nicht der Langbogen, der das Urteil sprach. Der Langbogen hatte nur die Rolle des Henkerschwertes als bereits genügend andere Faktoren beinahe schon systematisch auf französischer Seite verbockt worden waren. Insofern ist zwar sicherleich ein gewisser englischer Anspruch auf Kriegsruhm gerechtfertigt, aber mehr noch müssen die Franzosen sich für die Geschichte in die Top Ten der taktisch unfähigen einordnen lassen.
Gruß
Peter B.
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