Wenn dem so ist, gäb es keine Möglichkeit, einen solchen Satz
mit einem Verb zu konstruieren, das ein Dativobjektiv verlangt?
Du hast ja inzwischen gesehen, dass es (seltene) Fälle gibt, in denen anstelle des Akkusativs auch ein anderer Fall stehen kann – dazu gleich mehr.
Zunächst einmal zu der Frage, warum (fast) immer der Akkusativ steht. Handlungsbeschreibungen involvieren im prototypischen Fall einen Handelnden (Agens), einen Behandelten (Patiens) und eine Handlung (Aktion). ›Der Vater schlägt den Sohn‹ wäre so eine typische Handlungsbeschreibung. Der Beteiligte (Aktant), der am meisten einem Agens ähnelt, wird im Deutschen zum Subjekt der Handlung, der Beteiligte, der am meisten einem Patiens ähnelt, zum Objekt. Den Nomina in diesen zwei syntaktischen Funktionen (Subjekt und Objekt) werden quasi automatisch Kasus zugewiesen. Die Generative Grammatik – als ein Beispiel für eine Grammatiktheorie, die sich mit diesen Themen beschäftigt hat – nennt solche automatisch zugewiesenen Kasus (aus Gründen, die hier zu erläutern zu weit führen würde) ›strukturelle Kasus‹ oder Defaultkasus. Alles, was wie ein Subjekt aussieht, kriegt den Nominativ und alles, was wie ein Objekt aussieht, den Akkusativ. Andere Kasus – im Deutschen Dativ oder Genitiv – werden hingegen ›lexikalische Kasus‹ genannt. Hier muss ein anderes Wort (Lexem) hinzukommen, zum Beispiel ein Verb oder eine Präposition, um dafür zu sorgen, dass ein Nomen mit einem dieser Kasus markiert wird.
Unabhängig von der Antwort auf die Frage, ob verblose Aufforderungssätze als Verkürzung von Sätzen mit Verb verstanden werden müssen, kann man ganz oberflächlich sagen, dass in solchen Sätzen kein Verb sichtbar ist, sondern meist nur ein Nomen (und ein bisschen Zeug drumherum). Es gibt also in den meisten Fällen kein Element, das dafür sorgen könnte, dass einer der lexikalischen Kasus zugewiesen wird. Aus diesem Grund greifen die oben beschriebenen ›automatischen‹ Regeln der Kasuszuweisung: Es gilt dann nur noch festzustellen, ob das Nomen eher einem Agens (Subjekt) oder einem Patiens (Objekt) entspricht, um den Nominativ oder den Akkusativ zuzuweisen. In der Regel ist in solchen Sätzen der Angesprochene das (implizite) Subjekt und das Nomen im Satz das (explizite) Objekt, das demnach den Akkusativ erhält.
Nun gibt es ja aber offensichtlich verblose Sätze, in denen trotzdem andere Kasus als der Nominativ und der Akkusativ vorkommen. Die fallen, soweit ich sehen kann, in zwei Kategorien: 1) In Handlungen mit drei Beteiligten wird noch eine zusätzliche Markierung benötigt, meist für den Empfänger des Objekts oder den Nutznießer der Handlung. ›Der Vater gibt dem Sohn das Buch‹ wäre ein Beispiel für einen Satz, der eine Handlung mit drei Aktanten beschreibt. Der Kasus, der neben dem Nominativ und Akkusativ zugewiesen wird, ist im Deutschen typischerweise der Dativ. Ein Beispiel für diesen Typ von Dativ wäre das von Jule genannte ›Bitte jedem eins!‹, wo der Empfänger im Dativ steht (jedem) und das Empfangene im Akkusativ (eins). 2) Es ist zwar kein Verb vorhanden, aber eine Präposition, ein Adjektiv oder ein anderes Element, wodurch der Dativ zugewiesen wird, wie zum Beispiel in dem von gargas genannten Satz ›Nicht mit mir!‹ (wobei ›mit‹ den Dativ regiert). Das gilt auch für ›Ihm hinterher!‹, wobei ›hinterher‹, unabhängig vom Verb, den Dativ verlangt (›Sie waren ihm hinterher‹).
Es mag noch andere Ausnahmefälle geben, aber das erscheinen mir die wichtigsten. Beantwortet das die Frage deiner Freundin?
Viele Grüße
Christopher