Angst und Freiheit bei Sartre

Guten Tag,

wer kann mir erklären was der Unterschied bei der Angst bei Sartre zu der von Heidegger und Kierkegaard ist??

Heidegger, Kierkegaard, Sartre und die Angst
Hi.

wer kann mir erklären was der Unterschied bei der Angst bei
Sartre zu der von Heidegger und Kierkegaard ist??

Heidegger sieht die Angst des Menschen vor dem Hintergrund von dessen Endlichkeit und Ausgeliefertsein an ein Sein zum Tode.

Kierkegaard erklärt Angst (im Unterschied zur Furcht) als Reaktion auf die Unendlichkeit von Handlungsmöglichkeiten, die im Falle einer falschen Entscheidung zur Schuld, also „Sünde“, führt.

Sartre führt Angst auf die Verantwortung zurück, die jeder Mensch trägt, wenn er eine Entscheidung trifft, da der Mensch jede Entscheidung nicht nur für sich, sondern exemplarisch für „Alle“ trifft. Der daraus folgende Verantwortungsdruck löst Angst aus.

Horst

Hallo,
kann nur was zu Heidegger sagen. Sartre ‚Das Sein und das Nichts‘ ist mir nicht geläufig. Sein Roman ‚Der Ekel‘ hingegen schon.
Wichtig ist der Satz aus „Sein und Zeit“: §40 In der Angst verliert der Alltag seine Selbstverständlichkeit“. Genauso geht es z.B. Roquentin in Sartres Roman ‚der Ekel‘. Er ist aus seinem Alltag heraus gefallen und findet sich nicht mehr zurecht.

‚Angst‘ darf bei Heidegger nicht wörtlich genommen werden.
Im ‚uneigentlichen Leben’ („Leben im Man“) ist der Mensch unaufhörlich auf der Flucht vor seiner Freiheit und vor der tiefen, wesentlichen Wahrheit über sein eigenes Selbst. Er entfremdet sich von sich selbst.
Jedoch kann ihm diese Flucht nie ganz gelingen. Es gibt Situationen, die den Menschen wachrütteln und ihm seine Fremdheit mit der Welt, die nur scheinbare Identität mit der Gesellschaft sowie die Einsamkeit und Absurdität seiner Existenz aufzeigen. Wenn der Mensch dies versteht, macht er den Schritt von der ‚Uneigentlichkeit’ hin zur ‚Eigentlichkeit’. Heideggers Angst ist somit die absolute Bewusstwerdung des eigenen Seins. Sie holt den Menschen aus dem ‚uneigentlichen Dasein’ in die ‚Eigentlichkeit’. Die Welt wird uns fremd und genau dieser Verlust der Vertrautheit bringt den Menschen dazu, dass er sich seiner Einsamkeit, Freiheit und Verlassenheit total bewusst wird und sich ihm das Sein offenbart.

Dasein und dessen Entfremdung aus Todesangst
Hi dybajes.

Im ‚uneigentlichen Leben’ („Leben im Man“) ist der Mensch unaufhörlich auf der Flucht vor seiner Freiheit und vor der tiefen, wesentlichen Wahrheit über sein eigenes Selbst. Er entfremdet sich von sich selbst.

Deine Darstellung Heideggers ist gut, ich will sie noch durch zwei Zitate ergänzen, von denen eines zeigt, dass die Angst vor dem Tod das Motiv ist, das den Menschen in die Uneigentlichkeit, d.h. die Entfremdung treibt:

(Bochenski, Europäische Philosophie der Gegenwart, über Heidegger, 175-176)

„Das Sein selbst des Daseins ist Sein-zum-Tode. Das Dasein übernimmt diese Weise zu sein, sobald es ist. Gerade davor ängstigt sich das Sein. Es entflieht in die Welt. Aus Angst vor dem Selbstsein, aus Furcht, der Angst zu begegnen, sucht es Zuflucht im ´Man´. Das Man ist… das uneigentliche Sein des Daseins… Die Angst vor dem Tode lässt das Dasein in dieses uneigentliche, alltägliche Sein verfallen, ein Sein, das eine faktische Unwahrheit ist.“

Heidegger selbst schreibt:

„Das Erschrecken ist das Zurückfahren aus der Geläufigkeit des Verhaltens im Vertrauten, zurück in die Offenheit des Andrangs des Sichverbergenden, in welcher Offenheit das bislang Geläufige als das Befremdliche und die Fesselung zugleich sich erweist.“

(Heidegger, „Ereignis“, in: Heidegger Lesebuch, 203)

Gruß

Hast du vielleicht beispiele für diese Situationen wenn der Mensch wachgerüttelt wird?? Mir ist das schon alles verständlich aber was wäre denn so eine Situation?

hi,

ich stimme dem, was im vorangegangenen Artikel geschrieben wurde zu. Der Mensch weiß, dass zu seinen gesamten Möglichkeiten, aus denen er sich definiert, immer auch die Möglichkeit seines Endes gehört. Heidegger nennt den Tod auch als ‚Möglichkeit der schlechthinnigen Daseinsunmöglichkeit‘ (SuZ, S.250) und weiter schreibt er ‚Die Geworfenheit in den Tod enthüllt sich ihm ursprünglicher und eindringlicher in der Befindlichkeit der Angst.‘ (SuZ, S.251)

Dennoch denke ich, dass Angst mehr ist, als Angst vor dem Tod oder der Endlichkeit des Daseins. Sie ist doch auch die Erkenntnis, dass hinter den Dingen des Alltags, die uns meist äußerst wichtig erscheinen nichts steht.
Dazu Heidegger:
Wenn sich demnach als das Wovor der Angst das Nichts, das heißt die Welt als solche herausstellt, dann besagt das: wovor die Angst sich ängstet, ist das In-der-Welt-sein selbst. (Heidegger 1993: S.187.)

Das Sein selbst ist bei Heidegger sinn-los und sinn-frei. Macht sich der Mensch von allem Sinn- und Zweckstreben frei, dann stößt er auf die Existenz. … ‚das Wovor der Angst ist das geworfene In-der-Welt-sein‘. (SuZ, 191)

Grüße,
Jessica

Das Nichts und die Angst
Hi Jessica.

Dennoch denke ich, dass Angst mehr ist, als Angst vor dem Tod oder der Endlichkeit des Daseins. Sie ist doch auch die Erkenntnis, dass hinter den Dingen des Alltags, die uns meist äußerst wichtig erscheinen nichts steht.

Ob das wirklich eine Erkenntnis ist (und nicht nur eine aus Angst geborene Illusion), „das ist hier die Frage“. Kann Angst überhaupt ein Erkenntnismedium sein? Steckt hinter den Dingen des Alltags wirklich nur Nichts?

Aber darum geht es jetzt nicht. Bleiben wir bei Heidegger.

Er stellt mich vor ein Verständnisproblem, das du mir evtl. mindern kannst. Wenn ich recht verstehe, ist das „Sein“ der nie voll erfassbare Sinnhorizont des konkret „Seienden“. Es ist das Ganze, auf das die Teile (Seiendes) sinnhaft verweisen, wobei der Mensch nur partiell den Sinn der Teile entziffern kann. Das „Nichts“ aber ist die Erfahrung der Sinnlosigkeit des konkreten Seienden, also eine Negation des sinnstiftenden Seins. Und diese Erfahrung löst Angst aus (die Angst vor der Leere, der Sinnlosigkeit, der Absurdität).

Wenn Heidegger aber schreibt (wie du zitierst)…

“Wenn sich demnach als das Wovor der Angst das Nichts, das heißt die Welt als solche herausstellt, dann besagt das: wovor die Angst sich ängstet, ist das In-der-Welt-sein selbst.“ (Heidegger 1993: S.187)

…. dann bedeutet das: die Welt ist „als solche“ das Nichts, also sinnlos.

Wo bleibt da die Kohärenz zur Bestimmung des Seins als absoluter Sinnhorizont? Ist dieser „höchste“, wenn auch unerreichbare Sinn letztlich eine Illusion und – für Heidegger – das Nichts wesentlicher als das Sein?

Oder ist das Nichts die Erfahrung, dass das Seiende nicht den banalen Sinn hat, den das Man ihm zuspricht? Wo aber bleibt dann der Verweis auf den „eigentlichen“ Sinn des Seins (insofern es den Sinnhorizont bildet)?

Kurz und gut: ich kann diesen Widerspruch nicht lösen. Vielleicht hast du eine Lösung, die zum Problem passt.

Noch ein Wort zur Angst: Heidegger bezieht die Angst vor dem Nichts auf Stimmungen reifer Subjekte. Nun entsteht Angst aber schon sehr früh im Menschen, praktisch schon spätestens bei der Geburt, oft bereits im Mutterleib, und nimmt in der kindlichen Entwicklung immer neue Formen an.

http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/EMOTION/Angs…

Zitat:

„Die verschiedenen Formen der Angst differenzieren sich im Laufe des Lebens, wobei Ängste den Menschen seit der Geburt begleiten, möglicherweise sogar schon vorgeburtliche Wurzeln bzw. Entwicklungen haben. Fünf entwicklungsbedingte Angstformen begleiten Menschen ein Leben lang: die Körperkontaktverlustangst, die Achtmonatsangst und die Trennungsangst sind die Ängste, die bis zum dritten Lebensjahr maßgeblich sind. Um das dritte Lebensjahr kommt es zur Ausbildung der Vernichtungsangst. Zwischen dem vierten und fünften Lebensjahr dann außerdem zur Entwicklung des Todesangst. Als Eltern kann man die Ausbildung dieser Ängste nicht verhindern, man kann aber das Kind bei der Angstverarbeitung unterstützen und ihm Sicherheit geben.“

Zitat Ende.

Hier kann aber nicht von einer Angst vor der Sinnleere die Rede sein, die erst ausgereiftere Menschen befällt. Ich glaube daher, dass die Heideggersche Angst vor dem Hintergrund der frühkindlich gebildeten Ängste zu verstehen sind, als deren Reaktivierung auf einer „philosophischen“ Ebene.

Gruß Horst