Anonymität - (Grundrecht) oder Wunsch

Hallo WWW’ler,
habe mich erdreistet die Gedankengänge als philosophisch einzuordnen, man schlage mich (bzw. verschiebe den Thread) falls das unangemessen war.

Welcher philosophische Gedanke spricht gegen eine „Totalüberwachung“ eines Individuums? Warum haben wir etwas dagegen wenn
-Kameras auf öffentlichen Plätzen installiert werden
-Mautstellen den Verkehr protokollieren
-Handybetreiber Wege mittels Funkzellen markieren können
-biometrische Daten im Pass gespeichert werden

Ich glaube fest daran nicht geschaffen worden zu sein, sondern mich aus Vorfahren entwickelt zu haben. Diesen Grundgedanken annehmend, meine ich über die selbe Grund(Gen)ausstattung wie ein Neandertaler zu verfügen. Es gibt ein genetisches Programm, dass mir das Verhalten gegenüber meinen Eltern (zeitlich und kausal beschränkt) vorschreibt. Bis zu einem gewissen Grad evtl. noch die Stammesmitglieder - der Rest ist Bewusstseinssache.
Der moderne Mensch muss nun mit einer Handvoll Familienmitgliedern und 6Mrd. anderen Stammesangehörigen klarkommen. Kein Wunder wird auf der Straße nicht mehr gegrüßt, in Mehrfamilienhäusern kennt man kaum einen Nachbarn, in Städten kaum jemand aus der Straße --> Wir wollen anonym bleiben.
Man stelle sich mal vor, ein Steinzeit Mensch hätte das Bedürfnis anonym von A nach B zu kommen: Dieser wäre ein Spion, ein Dieb oder ein gesuchter Verbrecher.
Wieso schreien alle Menschen schmerzerfüllt auf, wenn es um Datenspeicherung geht? Jeder ist dankbar den Dieb seiner Bankkarte mit Hilfe eines Fotos zu schnappen, aber keiner möchte monatelang (irgendwie irgendwo) in Datenhalden der Mobilfunkbetreiber landen.

Bisschen konfus, aber ich hoffe dass klar wurde, was ich nicht verstehe: Darwinistisch/Genomistisch gibts kein Grundbedürfnis nach „Anonymität“ oder „Im Geheimen werkeln wollen“ und dennoch ist jeder Deutsche lautstark dabei 1984 nicht Realität werden lassen zu wollen. Warum? Die Amis wieder etwas weniger (IQ -abhängig?)

Gruß
jartUl

Hallo, jartUl

entschuldige bitte, wenn ich, als nicht philosophisch geschulter Mensch, mich zu dem Thema „Anonymität“ in diesem Brett äussere.
Ich schreibe mal jetzt „frei Schnauze“.

Ich bin gegen absolute Anonymität, wenn es mein direktes Umfeld betrifft.
Meine Nachbarn, die mit mir unter einem Dach leben, möchte ich schon gerne einschätzen können. Ich möchte schon wissen, ob die alte Dame unter mir manchmal zur Vergesslichkeit, bzw. dazu neigt, ihre Herdplatten nicht auszuschalten, oder ob sie eine exzessive Zigarrenraucherin ist. Wenn ich Das weiss, reagiere ich anders auf Rauchgerüche, die aus ihrer Wohnung kommen.
Bei aussergewöhnlichen Rauchzeichen würde ich natürlich immer die Feuerwehr anrufen!
Die gewünschten Informationen verschaffe ich mir aber durch direkten Kontakt mit meinen Mitbewohnern.

Ich bin für Anonymität, wenn es z.B. bestimmte Bereiche des Internets betrifft.
Warum soll ich als Hobby-Webseitenbetreiber meine privaten Daten zwingend öffentlich bekannt machen müssen?
An meinem Briefkasten im realen Leben, habe ich ein Schild angebracht, das lautet in etwa:
„Werbung unerwünscht“.

Wenn ich aber gezwungen werde, meine privaten Daten:
E-Mail, Name, Anschrift, Telefon-Nr. usw.
zu veröffentlichen.
Dann kann jeder weltweit auf meine Adressdaten zurückgreifen und diese Daten missbrauchen.
Und ich kann nichts dagegen machen, ausser natürlich zu versuchen mit immer ausgefeilteren Spamfiltern dagegenzuhalten und mein Telefon nicht mehr abzuheben.

Gegen die Papier-Werbeflut ist mir aber bis jetzt noch kein wirksames Kraut bekannt.

Entschuldigung an die Philosophen, wenn mein Artikel nicht philosophisch korrekt geschrieben ist!

Gruß
karin

Hallo

Welcher philosophische Gedanke spricht gegen eine
„Totalüberwachung“ eines Individuums? Warum haben wir etwas
dagegen wenn
-Kameras auf öffentlichen Plätzen installiert werden
-Mautstellen den Verkehr protokollieren
-Handybetreiber Wege mittels Funkzellen markieren können
-biometrische Daten im Pass gespeichert werden

Gar keiner. Wenn ich es irgendwie geschafft habe in
eine sozial höhere und gesichertere Position als die
gefährlich große Masse zu kommen, bin ich gezwungen,
diese Position zu verteidigen.

Ich male mir also alle Szenarien aus, die mich ob meiner
nicht wirklich legitimierten und auch niemals wirklich
legitimierbaren sozialen Distanzhöhe gefährden könnten.

Wenn ich das ca. xx Jahre lang so mache werde ich
seelisch krank und sehe in allem eine Gefahr. Daher
tue ich, was möglich ist - und von dem ich annehme,
daß es mir einen Vorsprung gegenüber möglichen Feinden
durch totale Kontrolle verschafft.

Die Voraussetzung dafür ist eine sichere Klassifikation
meiner Sklaven und Diener durch andere, etwas besser-
gestellte Sklaven und Diener in „nützt mir“, „schaded mir“
und „bedroht mich“.

Wie G. Anders sagte: "man beherrscht Menschen nur dann,
wenn man ihre Philosophie vollständig beherrscht
" –
insofern gibt es KEINE „philosophischen Einwände“ gegen
totalitäre Überwachung, da ja „die“ Philosophie eben
„meine“ (angewandte) Philosophie ist :wink:

Nun etwas genauer zu Deiner Frage. „IHR“ (also der
potentiell gefährliche Pöbel und schlaue Pseudo-
intellektuelle jeder couleur habt etwas dagegen,
in diesem sich verschärfenden Konflikt um die Durchsetzung
des sozialen Instinkts (der „Macht“) den Kürzeren zu ziehen.

Diese „potentiell gefährlichen Elemente“ wissen nämlich -
wenn sie sich denn einmal mit den herrschenden Machtstrukturen
und ihren Erhaltungssklaven auseinandersetzen müssen -
sind ihre Startbedingungen umso schlechter, je mehr „WIR“
in unserer „weisen Voraussicht“ bereits über sie bescheid
wissen.

Oder so …

Grüße

CMБ

Addendum:

Welcher philosophische Gedanke spricht gegen eine
„Totalüberwachung“ eines Individuums?

Wichtiger (imho) Literaturtip dazu:
http://www.amazon.de/Freiheit-die-meinen-Friedrich-H…
http://www.antikbuch24.de/buchdetails_3784725.html
http://www.antiquario.de/webcgi?START=A50&AU=Hacker+…
(F. Hacker, „Freiheit, die sie meinen“)

Leseprobe:
http://griess.st1.at/gsk/hacker.htm

Grüße

CMБ

*

Ich denke, niemand hat eine angeborene Angst davor, Daten über sich preiszugeben. Die Tatsache, dass wir Menschen so sehr auf unsere Anonymität bestehen, hat den Ursprung in einer „erlernten Angst“ davor, jemand könnte die Daten, die er über uns kennt, zu seinem Vorteil oder - noch schlimmer - zu unseren Missgunsten missbrauchen.
Insofern vereinigt meine Antwort alle drei bis jetzt geschilderten Ansichten.

Lieber Jartul
Gegen das Gefühl des Beobachtet-Werdens haben wir eine generelle, vielleicht sogar biologisch-evolutionär begründbare Abneigung. Eventuell hängt das mit einem gewissen „Ur-Misstrauen“ gegenüber anderen Gruppen zusammen. In diesem Fall die Gruppe der Menschen, die auf einen starken, autoritären Staat setzen und die, die das nicht tun.
Wir sind – sehr wahrscheinlich – erst am Anfang einer Entwicklung, an deren Ende die totale Erfassung auf uns wartet. Der Staat, der sowieso nicht mehr als Summe allen öffentlichen Lebens und aller Individuen, sondern als ein obskures Gegenüber empfunden wird, wird über alle Daten verfügen, die er zur „Durchleuchtung“ eines bestimmten Individuums benötigt.
Das philosophische Dilemma ist nur, dass die Medaille natürlich zwei Seiten hat. Die BürgerInnen eines Staates haben ein Recht darauf, dass der Staat alles unternimmt, seine BürgerInnen zu schützen. Sowohl vor äußeren als auch vor inneren Feinden.
Einerseits führt alle eingesetzte Technik dazu, Straftaten aufzuklären; andererseits wirkt sie langfristig einer weiteren demokratischen Entwicklung entgegen. Je mehr die staatlichen Institutionen über das Individuum wissen, desto gefährlicher ist dies für die Handlungsfreiheit von Menschen, die sich gesellschaftlich engagieren.
Dies betrifft nun nicht den Kaninchenzuchtverein, der für mehr Tierschutz eintritt.
Dies betrifft die Menschen, die sich im legalen Raum bewegen und sich für politische Positionen von morgen und übermorgen stark machen.
Unsere Rechte, die wir bis dato haben, sind alle samt und sonders gegen Regierungen durchgesetzt worden. Für diese Weiterentwicklung ist eine Art gebündelter Protest, eine Massenbewegung, notwendig. Es gibt Menschen, die in der Lage sind, solche Bewegungen anzuführen, sie gleichsam zu leiten und zu steuern.
Was wäre, wenn die damaligen Staaten die gleiche Technik wie heute hätten, als es darum ging, Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit, Wahlrecht und das Recht auf eine Schulbildung zu erstreiten?
Jeder Staat kann seine tatsächlichen Gegner und vermeintlichen Gegner sehr viel leichter einschätzen als früher. Diese Gefahr eines allgegenwärtigen Staates besteht. Diese Allgegenwart schleicht sich in unser Bewusstsein. Da wir alles häppchenweise serviert bekommen, schlucken wir brav Bissen für Bissen hinunter.
Keine Maßnahme an sich, wie z. B. das systematische Beobachten von Verkehrsknotenpunkten, ist gefährlich. Bedenken sollten wir, über welche Macht eine Regierung verfügt, die auf Grund eines von ihr eingeführten Gesetzes alle Daten zusammenführen darf.
Dann ist Schluss mit anonymem Handeln.
Dann birgt jede offene Kritik an der Regierung immer ein ungleich höheres Risiko als das, was es heute darstellt.
Es wird kaum noch Verbrechen geben, da sie im Vorfeld verhindert werden oder der Verbrecher sofort gefasst wird. Es wird aber auch kaum noch Handlungsspielraum für Protagonisten geben.
Spätestens dann haben wir Orwell eingeholt.

Viele Grüße
Voltaire

Hallo Karin,

Gegen die Papier-Werbeflut ist mir aber bis jetzt noch kein
wirksames Kraut bekannt.

Du kannst Dich in die „Robinson-Liste“ eintragen lassen!

(Deutscher Direktmarketing Verband, „Robinson-Liste“,
Postfach 1401, 71243 Ditzingen)

dann wird die Papierflut wohl kleiner werden!

Herzliche Grüße
Helmut

Hallo, Helmut

Du kannst Dich in die „Robinson-Liste“ eintragen lassen!
(Deutscher Direktmarketing Verband, „Robinson-Liste“,
Postfach 1401, 71243 Ditzingen)
dann wird die Papierflut wohl kleiner werden!

Danke für die Tipps!

Gruß
karin

1984 vs. 2007?
In ‚‚1984‘‘ kontrollieren Hubschrauber vor Deinem Fenster, /ob der Fernseher, das ‚richtige‘ Programm auch angeschaltet ist /ob Du onanierst oder /den ‚richtigen‘ Kaffee gekauft hast.

Da hast Du wohl die Tragweite nich’ ganz verstanden.

Hier geht’s außerdem nich’ um ‚‚Anonymität‘‘, sondern um ‚‚Privatsphäre‘‘.