Hallo!
Haupteffekte sind immer interpretierbar als durchschnittliche
Effekte über alle Stufen eines Faktors. Das ist ja der Zweck
ihrer Berechnung und stellt auch keine Verzerrung oder
Verfälschung der Daten dar.
Naja, das würde ich etwas differenziert sehen:
Als Aufgabe könnte ich einer Versuchsperson stellen, sich von einem Stuhl zu erheben und einen Gegenstand aus einer anderen Ecke eines Raumes zu holen.
Als ersten Faktor wähle ich das Auftragen einer Komponente eines 2-Komponentenklebers (K1) vs. kein Auftragen der Komponente auf den Stuhl (O1).
Als zweiten Faktor wähle ich das Auftragen der anderen Komponente auf den Stuhl (K2) vs. kein Auftragen der Komponente auf den Stuhl (O2).
Als abhängige Variable messe ich die Dauer für das Erfüllen der Aufgabe.
In den Gruppen O1-O2, K1-O2, O1-K2 stelle ich jeweils keinen Zeitverlust fest (jede VP dieser Gruppen braucht sagen wir mal 10 sec.).
In der Gruppe K1-K2 stelle ich einen Zeitverlust fest - die VPn brauchen ca. 30 min und 10 sec. (bis zum Eintreffen der Feuerwehr).
Will ich den Effekt von K1 bestimmen, dann mittel ich in der Anova über die Gruppen K1-O2 und K1-K2 - und voila, ich finde einen Effekt von +7.5 min bzw. -7.5 min. für beide Faktoren.
SPSS z.B. zeigt mir für diese Effekte ein signifikantes Ergebnis an (Haupteffekt in Bezug auf die H(A)'s: „Es gibt für mind. eine Effektstufe einen Unterschied zu 0“, bei festen Effekten).
Im Beispiel ist dieser Effekt aber nun wirklich nur auf die Interaktion zurückzuführen.
Natürlich kann man die Gruppenmittelwerte dennoch bilden und unter den entsprechenden Maßgaben interpretieren (eben: es gibt eine Interaktion und keine Haupteffekte, selbst wenn sie sich im Modell der ANOVA zeigen) - nur ob dies Sinnvoll ist oder doch eher die Verschwendung von Zeit darstellt ist eine andere Frage.
Jedoch sind Haupteffekte bei Vorliegen einer Interaktion
nicht immer in Bezug auf die einzelnen
Faktorstufen interpretierbar. Sie sind in diesem Sinne
interpretierbar, wenn es sich um eine ordinale
Interaktion handelt. Im Gegensatz dazu sind sie in diesem Sinn
nicht interpretierbar, wenn es sich um eine
disordinale Interaktion handelt. Bei einer hybriden
Interaktion läßt sich in diesem Sinne nur einer der beiden
Haupteffekte einer zweifaktoriellen ANOVA interpretieren.
Das Beispiel zeigt eine ordinale Interaktion auf, und es zeigt, dass ordinale Interaktionen geeignet sind Effekte aufzuzeigen, die es nicht gibt (Scheineffekt).
Eine Anova mit Interaktionen würde ich persönlich niemals in Bezug auf Haupteffekte interpretieren - egal bei welcher Form der Interaktion.
Ich weiß, dass unterschiedliche Autoren unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten aufzeigen - ich lehne das jedoch ppersönlich gänzlich ab. Meine Meinung ist: Bonferroni tut keinem weh und warum nicht die Gruppen direkt vergleichen, ohne mehrere Gruppen in einen Topf zu schmeißen (na gut, Power büßt man dann natürlich auch noch ein, aber man arbeitet sauberer).
Lieben Gruß
Patrick