Das sieht das BVerfG anders (Beschluss vom 26.06.1991,
Aktenzeichen: 1 BvR 779/85): „Höchstrichterliche Urteile sind
kein Gesetzesrecht und erzeugen keine damit vergleichbare
Rechtsbindung. Von ihnen abzuweichen, verstößt grundsätzlich
nicht gegen Art. 20 Abs. 3 GG.“ (ebenso Beschluss vom
19.02.1975, Aktenzeichen: 1 BvR 418/71).
es ging um die abweichung des bag von seiner rspr. und es
heißt weiter:
Es bedarf deswegen nicht des Nachweises wesentlicher
Änderungen der Verhältnisse oder der allgemeinen Anschauungen,
damit ein Gericht ohne Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG von
seiner früheren Rechtsprechung abweichen kann.
der vorgänger in 1 BvR 418/71 bringt übrigens auch nichts
neues zu tage…
Ich dachte mir schon, dass Sie das anbringen. Die Antwortet lautet ganz einfach: Na und?
Das BVerfG hat einen ganz einfachen und ganz klar formulierten Rechtsgrundsatz aufgestellt, dass Rechtsprechung nicht Teil der Gesetzes- und Rechtsbindung iSd. Art. 20 Abs. 3 GG ist.
Wie ich schon zwei Beiträge vorher aufgezeigt habe, kommt es allein darauf an, welchen Rechtsgrundsatz das Gericht aufstellt, das ist der vorstehend zitierte, nicht darauf, worauf es ihn anwendet.
Sie begehen denselben Fehler, wie so viele andere, indem Sie auf den konkreten Sachverhalt, also die Subsumtion, und nicht auf den Obersatz abstellen. Genau so funktioniert es aber nicht.
Und aus eben diesem Grunde findet sich diese Entscheidung auch in der GG-Kommentar Literatur als Quelle dafür, dass die Rechtsprechung eben nicht hierunter fällt.
Erneut, der Rechtsgrundsatz des BVerfG ist eindeutig:
„Höchstrichterliche Urteile sind kein Gesetzesrecht und erzeugen keine damit vergleichbare Rechtsbindung. Von ihnen abzuweichen, verstößt grundsätzlich nicht gegen Art. 20 Abs. 3 GG.“
Wenn Sie einen anderen abstrakt-generellen Grundsatz finden, dass das nur für die eigene Rechtsprechung gilt (und nicht nur einen Fall, in dem eben dies der Anlass für die Entscheidung war), dann her damit. Die inhaltliche Auslegung eines Rechtsgrundsatzes aufgrund des konkreten Sachverhaltes, auf den er angewendet wird, ist dogmatisch nicht möglich.
wenn so der alltag eines richters aussieht, dann kann ich die
hinausgeschobenen verhandlungstermine verstehen.
Sie kennen meinen Verhandlungskalender? Interessant, dann erzählen Sie uns allen doch mal, was da konkret drin steht.
p.s. das vg frankfurt (NVwZ 1982, 143) hat es folgendermaßen
formuliert:
Eine Verläßlichkeit auf die höchstrichterliche Rechtsprechung
und die Sicherheit, daß die Untergerichte davon nicht
abweichen, kann im übrigen auch für die Entlastung der
Gerichtsbarkeit und damit für einen effektiveren Rechtsschutz
von Bedeutung sein.
Die Kammer hält sich deshalb an ein höchstrichterliches
Judikat jedenfalls dann für gebunden , wenn dieses alle
relevanten Gesichtpunkte berücksichtigt - auch dann, wenn
diese Gesichtspunkte möglicherweise anders bewertet wurden,
als die Kammer sie von sich aus bewertet hätte - und wenn
keine konträren Entscheidungen desselben oder eines anderen
obersten Bundesgerichts vorliegen oder über diese konträren
Auffassungen der Große Senat des betreffenden Bundesgerichts
oder der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes
bereits entschieden hat (vgl. VG Darmstadt…).
Die Kammer folgt mit dieser methodischen Regel gewichtigen
Stimmen aus der Literatur (vgl. Fikentscher, Methoden des
Rechts IV, 1977, S. 241 ff.; Kriele, Theorie der
Rechtsgewinnung, 1967, S. 263 ff.; Hilger, in: Festschr. f.
Larenz, 1973, S. 115). Demzufolge war das
Feststellungsinteresse der Kl. zu bejahen.
Diese Ansicht und das „sich für gebunden halten“ an die obergerichtliche Rechtsprechung aus Gründen der Rechtssicherheit und der Verfahrensökonomie teile ich völlig und praktiziere sie auch. Mit der Frage des tatsächlichen Inhalts und Anwendungsbereichs von Art. 20 Abs. 3 GG hat das freilich rein garnichts zu tun.
Sie habennämlich die Entscheidung gänzlich missverstanden und nicht erkannt, dass diese Ihre Ansicht gerade nicht wieder gibt. Denn das VG Frankfurt sieht sich fraglos gerade nicht rechtlich, bzw. sogar über Art. 20 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich an die Bundesrechtsprechung gebunden, weil es sonst nicht dargelegt hätte, dass es sich gebunden „hält“ (also auch anders entscheiden könnte) und nicht erklärt hätte, warum es dieser Ansicht ist. Vielmehr bestätigt diese Entscheidung - und insofern vielen Dank, dass Sie sie angebracht haben - genau das Gegenteil Ihrer Auffassung. Denn wäre das VG der Ansicht, dass Recht iSd. Art. 20 Abs. 3 GG auch die Rechtsprechung der Bundesgerichte sei, hätte es einfach gesagt, dass es an diese Entscheidungen verfassungsrechtlich gebunden ist. Ein Gericht, dass jedoch darlegt, sich nur für gebunden zu „halten“ und - noch entscheidender - auch noch in den Entscheidungsgründen als Gründe hierfür Rechtssicherheit und Verfahrensökonomie anführt, erklärt umgekehrt, dass es verfassungsrechtlich überhaupt nicht gebunden ist, dem Bundesgericht aber dennoch aus anderen Gründen folgt (oder meinen Sie, die Gerichte schreiben auch sonst in die Urteile, dass sie sich bei Entscheidungen über z.B. Kaufpreisklagen an § 433 Abs. 2 BGB oder bei Verkehrsunfällen an § 7 Abs. 1 StVG gebunden halten und ihre Urteile aus Gründen der Rechtssicherheit und der Verfahrensökonomie auf diese Gesetze stützen? Ich denke, spätestens jetzt wird der entscheidende Unterschied zwischen Bindung und „für gebunden halten“ deutlich).
Im Übrigen müssten Sie einmal erklären, wie die Regelung des § 543 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO in Ihre Bindungstheorie reinpasst. Denn:
„Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist die Revision immer dann zuzulassen, wenn das Berufungsgericht von einer höherrangigen Entscheidung des BGH, des GmS-OBG, des BVerfG, des EuGH oder eines anderen obersten Bundesgerichts abweicht.“ (MüKo zur ZPO § 543 Rdn. 13).
Nach Ihrer Auffassung wäre diese Vorschrift völlig sinnlos, da das Gericht ja überhaupt nicht von der höherrangigen Entscheidung abweichen dürfte, weil es gem. Art. 20 Abs. 3 GG ja an diese gebunden wäre.
Gut auch erklärt bei Musielak ZPO § 543 Rdn. 8:
„Hierher gehören zunächst die Fälle der Divergenz im strengen Sinne, die nur dann gegeben ist, wenn in der angefochtenen Entscheidung ein die Entscheidung tragender abstrakter Rechtssatz aufgestellt wird, der von einem tragenden abstrakten Rechtssatz in der Entscheidung eines höherrangigen oder gleichrangigen anderen Gerichts oder eines anderen Spruchkörpers desselben Gerichts abweicht. Eine bewusste Abweichung ist dazu nicht erforderlich; auch ein Rechtssatz, der in Unkenntnis entgegenstehender höchstrichterlicher Rechtsprechung aufgestellt wird, kann die Einheitlichkeit der Rechtsprechung gefährden.“
Das höherrangige Gericht ist hier natürlich ganz überwiegend der BGH (da die Berufungskammer des LG aufgrund der umfangreichen Alleinzuständigkeiten der AGs regelmäßig über Sachmaterien entscheiden, die nie zum OLG kommen). Das Berufungsgericht muss also die Reivision zulassen, wenn es von der Rechtsprechung des BGH abweicht. Abweichen (iSd. zitierten Kommentierung) bedeutet natürlich nicht „ein verfassungswidriges Urteil fällen, da es durch Abweichung von der Rechtsprechung des BGH gegen Art. 20 Abs. 3 GG verstößt.“ Genau das aber wäre der zwingende Schluss aus Ihrer These. Zudem steht am Ende, dass divergierende Entscheidung die Einheitlichkeit der Rechtsprechung „gefährden können“. Das meint also natürlich auch nicht, dass eine Abweichung von der BGH-Rechtsprechung verfassungswidrig wäre. Der BGH soll nur die, an sich völlig rechtmäßige, Entscheidung des Berufungsgericht vorgelegt bekommen, wenn diese von seiner bisherigen Rechtsprechung abweicht. Mit einer verfassungsrechtlichen inhaltlichen Bindung der Instanzgerichte an seine Urteile hat auch das rein garnichts zu tun.
Nochmal einfach: Jedes Gericht darf vom BGH abweichen. Handelt es sich aber um ein Berufungsgericht, muss es dann die Revision zulassen (aus der dann was auch immer wird), ein Verfassungsverstoß wegen inhaltlicher Bindung an die BGH-Rechtsprechung wird hieraus nicht. Der BGH darf dann die Entscheidung iRd. Revision aufheben und anders entscheiden oder zurück verweisen oder sie so lassen. Das aber nicht, weil das Urteil wegen Verstoßes gegen Art. 20 Abs. 3 GG rechtswidrig wäre, sondern ganz einfach, weil die ZPO ihm als höheres Instanzgericht diese Befugnis zuspricht (so wie den Berufungsgerichten gegenüber den erstinstanzlichen).
Bin mal gespannt, was Ihnen jetzt wieder einfällt. Ich hoffe wirklich, Sie kommen jetzt nicht auf die Idee, dass das Gericht die Revision nach der Vorschrift deswegen zulassen muss, weil es eine verfassungswidrige Entscheidung treffen will (also quasi eine Regelung für die Rechtsmittelzulassung für das Gericht, wenn es schon weiß, dass es eine verfassungswidrige Entscheidung trifft, da es die Revision ja nach § 543 ZPO dann schon im Urteil selbst zulassen muss).
Nein, der Hintergrund ist natürlich der, dass Gerichte nun mal einfach nicht an Bundesrechtsprechung gebunden sind und auch jedes Berufungsgericht so entscheiden darf, wie es meint, dass das Gesetz sei, was zugleich bedeutet, dass es ganz anders entscheiden darf als der BGH. Dann aber muss es zugleich die Revision zulassen, damit der BGH das ggf. abändern kann, oder aber, und auch das gibt es häufig, seine Rechtsprechung ändert.
Womit wir beim nächsten Punkt wären. Denn ohne die Möglichkeit der Instanzgerichte, von der Rechtsprechung der Bundesgerichte abzuweichen, gäbe es nie eine Rechtsprechungsänderung (§ 543 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO betrifft die Rechtsfortbildung, also die Fälle, in denen es noch gar keine BGH-Entscheidung gibt). Wenn der BGH einmal entschieden hat, dürfte nach Ihrer Theorie ein Berufungsgericht nie anders entscheiden und die Frage käme nie wieder zum BGH. Rechtsprechungsänderungen des BGH aufgrund zunächst abweichender LG und OLG Rechtsprechung sind jedoch Alltag, und das eben aus dem Grund, dass kein Gericht an Bundesrechtsprechung gebunden ist.
Jetzt mal ehrlich: Dass kein Instanzgericht über Art. 20 Abs. 3 GG an Bundesrechtsprechung gebunden ist, ist eine derartig grundlegende rechtliche Tatsache, dass ich auch nicht wirklich Lust habe, noch weiter hierüber zu diskutieren und auch noch weitere Rechtsprechung und Literatur rauszusuchen. Die übrigen Leser, die Sie hier vielleicht verwirrt haben, dürften das nun auch erkannt haben. Tun Sie sich und uns allen einen Gefallen, wenn Sie mir schon nicht glauben, dass es eine solche Bindung nicht gibt, dann fragen Sie bitte einen Rechtsanwalt, Richter oder sonstigen Juristen Ihrer Wahl, anstelle weiter Subsumtionen in Urteilen als Obersätze anzusehen oder Urteile zu zitieren, aus denen sich schon aufgrund der gerichtlichen Argumentation selbst ergibt, dass sie genau das Gegenteil aussagen, als dass, was Sie meinen (und auch das ist eine rein sprachliche und nicht juristische Verständnisfrage). Alternativ hilft auch einfaches Grundlagenlehrbuch.
Gruß
Dea