Hallo, Jocki!
Ein paar Worte zu deiner Kernfrage:
Kann man überhaupt ohne jede Autorität erziehen? Wäre es die
richtige Vorbereitung auf das Leben unserer heutigen
Gesellschaft?
Zur Erziehung lässt sich eines ganz grundsätzlich sagen, das alle Stile betrifft: Instruktive Erziehung ist nicht möglich.
Das bedeutet: Man kann keine Verhaltensänderung oder Wissen in jemanden hineingießen. Jeder kann nur aus sich selbst heraus Verhalten ändern bzw. Wissen aufbauen.
Was von außen geschehen kann ist, jemandem etwas zu zeigen, ihn etwas erfahren zu lassen, sie etws tun lassen. Dadurch dass dies jemand dann wahrnimmt, etwas fühlt/erfährt, es tut, bekommt er von der Welt Feedback, das ihn verändert.
Dazu kommt: Verhalten/Wissen kann nur begrenzt „abstrakt“, d.h. unabhängig von der konkreten, relevanten physischen/geistigen (Um)Welt sein. Verhalten/Wissen passt eigentlich immer nur zur Umwelt - nicht mehr, nicht weniger.
Was bedeutet das für die Erziehung? Menschen (und vor allem Kinder) sind immer so, wie es für sie passt. Ganz subjektiv und für andere oft nicht nachvollziehbar. Ein trotziges Kind verhält sich in der Trotzphase optimal im Hinblick auf seine bisherige Lebensgesamterfahrung. Ein rebellierender Teenager genauso. Auch ein hilfsbereites Kind.
Abgesehen von gewissen genetischen Dispositionen und somatischen Problemen, spiegeln gerade Kinder also ihre Umwelt wider. Das ist umso verwunderlicher, je weiter ihr Verhalten von dem durch ihre Umwelt erwünschten entfernt ist. Aber es ist deshalb nicht minder wahr. Angesichts der Unmöglichkeit zur Instruktion (d.h. direkten Einflussnahme), kann deshalb nur der Schluss gezogen werden, dass offensichtlich das Problem größer ist als das Kind. Nicht das Kind allein ist also „schuld“. Der Kreis der „Schuldigen“ ist größer: Familie, Schule, Freunde usw.
Was bedeutet das für Autorität? Wie soll ein Kind auf Autorität reagieren, auf Machtausübung? Die Autorität kommt ja nicht direkt ins Kinderhirn rein (keine Instruktion ist möglich!), sondern das Kind nimmt ein autoritäres Verhalten wahr und entscheidet sich für ein aus seiner Sicht passendes Verhalten. Dabei bewegt es sich immer im Kräfteverhältnis von Zugehörigkeitswunsch und Eigenständigkeitswunsch.
Wenn ein Kind unausgesetzt Autorität wahrnimmt, passt es sein Verhalten dem an. Wenn ein Kind unausgesetzt Antiautorität wahrnimmt, passt es sich dem auch an.
Wie diese Anpassung dann aussieht, ist recht offen und individuell verschieden - aber immer noch passend im Gesamtzusammenhang. Rebellion kann in beiden Fällen die Reaktion sein. Aber auch Unterdrückung der eigenen Wünsche (z.B. Wunsch nach Sicherheit bei antiautoritärer Erziehung).
Salopp gesprochen ist nun aber weder das eine noch das andere per se schlecht oder gut. Die Frage ist vielmehr, inwiefern entspricht die eine oder andere Grundhaltung in der Erziehung, d.h. beim Kind die häufige Wahrnehmung von Elternverhalten dem späteren Leben? (Ich lasse Fragen der Ethik hier mal aus dem Spiel.)
Ein Kind, das vor allem Autorität kennenlernt und dann in einer pluralistischen Gesellschaft ohne Autorität aufwächst… das muss komplett umlernen. Das ist schwierig.
Ein Kind, das vor allem antiautoritär erzogen wird und dann in eine Gesellschaft entlassen wird, wo die Freiheit des einen bei Beschränkung der Freiheit des anderen enden muss… das muss wohl auch umlernen. Das ist schwierig.
Erziehung sollte daher berücksichtigen:
-Kinder müssen ein Umfeld bekommen, das der späteren Gesellschaft ähnelt, um sie auf das Leben vorzubereiten.
-Kinder können nicht instruiert werden, sondern sie lernen durch Beispiel (abgucken/nachmachen/kopieren) und Erfahrung.
-Kinder können nicht „besser“ als ihr Umfeld sein. Sie sind Spiegel ihres Umfeldes und wenn es mit ihnen nicht klappt, dann ist zu fragen, was im Umfeld daneben geht. Kinderprobleme sind insofern immer Symptome für Erwachsenenprobleme.
Und wem das alles zuviel intellektuelles Gerede ist:
-Kinder brauchen liebevolle Zuwendung
-Kinder brauchen Freiraum für eigene Entwicklung - auch mal gegen die Ansichten der Eltern
-Kinder und Eltern brauchen Mut
-Kinder brauchen Grenzen
-Kinder brauchen Akzeptanz ihrer wachsenden Persönlichkeiten
-Kinder sind anders als Erwachsene - vor allem viel weniger intellektuell
-Eltern brauchen Grenzen
-Eltern brauchen Verantwortungsgefühl
Gruß von Calvin und Hobbes