Antihelden

Hallo Lesende!

Ich bin gerade auf der Suche nach Romanen mit Helden, die (zunächst) versagen, scheitern, vielleicht aber auch nach einem gewissen Weg wieder irgend wo ankommen. Das passt nämlich gerade sehr gut zu mir. Ich lese allerdings nur Bücher von Schriftstellern, die wirklich mit Sprache umgehen können.

Hat jemand Tipps für mich?
Gruß!
Karl

Moin,

Hat jemand Tipps für mich?

Rincewind in diversen Discworld-Romanen von Terry Pratchett,.

Gandalf

Servus, Karl,

als typische Antihelden der Literatur gelten Büchners Woyzeck und sein Leonce (aus Leonce und Lena), wobei das natürlich keine Romane,sie aber dennoch lesenswert sind:smile:)
Holden Caulfield aus D.J. Salingers „Der Fänger im Roggen“ ist einer, ebenso
der Schweijk und auch der Hauptmann von Köpenick, auch den Don Quixote würde ich als Antihelden bezeichnen.
In Martin Walsers Novelle „Ein fliehendes Pferd“ ist Helmut der Antiheld, während Klaus der „Held“ ist oder sein will.
Casanova in Schnitzlers „Casanovas Heimfahrt“ ist plötzlich im Alter ein Antiheld, wenn er das nicht schon immer war:smile:
Thomas Bernhards Konrad aus „Das Kalkwerk“ könnte man einen (negetiven) Antihelden nennen, ebenso der Wertheimer aus seinem Roman „Der Untergeher“.
Auch Heinrich Manns „Professor Unrat“ würde ich als Antihelden bezeichnen, ebenso Thomas Manns Hanno Buddenbrook Franz Biberkopf aus Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“.
Bei Hemingway finden sich jede Menge solcher Antihelden (z.B. Jake aus „Fiesta“ und „Der alte Mann und das Meer“)
Die Typen aus John Irvings Romanen sind fast alle Antihelden (Z.B.Garp, Owen Meany, Homer)
Forrest Gump von Winston Groom ist einer, der Harry „Rabbit“ Angstrom aus John Updikes Romanserie sicher auch.

Interessantes Thema, es fallen mir sicher noch welche ein.
Gruß, Maresa

Anton Gorodetzki, Hauptprotagonist von Sergej Lukianenko´s „Wächterserie“ stellt wohl ebenfalls einen „Antihelden“ dar.
Oder Simon Brenner, aus Wolf Haas´ s „Brennerromanen“ (vielleicht bekannt aus den Filmen „Silentium“, „Komm, süßer Tod“ oder „Der Knochenmann“).
Auch Arthur Dent, der bei Douglas Adams „Per Anhalter durch die Galaxis“ reist, läßt sich als Antiheld einordnen…

Gruß
nicolai

Servus,

du hast mich erst draufgebracht:smile:
Der Philip Marlowe von Raymond Chandler ist wohl der Prototyp des antiheldnischen private eye…Oder?
Gruß, Maresa

Hallo Karl,

‚Antihelden‘ sind gewissermaßen ein durchgängiges Merkmal der literarischen Moderne, einige der bedeutendsten Romane bedienen sich dieses Typus. Thomas Manns ‚Buddenbrooks‘ wurde schon genannt (und völlig zu Recht Alfred Döblins Alexanderplatz), in ganz besonderem Maße trifft dies jedoch auf Manns Alterswerk Doktor Faustus zu. Unbedingt zu nennen wären hier noch Robert Musils ‚Mann ohne Eigenschaften‘ und natürlich Franz Kafkas drei Romanfragmente (Der Verschollene, Der Process, Das Schloß). Außerdem Robert Walsers leider immer noch mE unterschätzte Romane (Geschwister Tanner, Der Gehülfe und Jakob von Gunten).

An etwas jüngerer Literatur fallen mir spontan Max Frischs ‚Homo faber‘ und Heinrich Bölls ‚Ansichten eines Clowns‘ ein. An älterer insbesondere Gottfried Kellers ‚Der grüne Heinrich‘ (wie Manns ‚Dr. Faustus‘ ein Künstlerroman) und - um nicht nur deutschsprachigen Literatur anzuführen - Iwan Gontscharows Oblomow und Fjodor Dostojewskis Romane (Schuld und Sühne, Der Spieler, der Idiot).

Freundliche Grüße,
Ralf

Würde ich nicht so sehen, da Marlowe doch viele Züge des „weißen Ritters“ hat, insbesondere seine moralische Integrität, auch wenn er keine heroische Figur darstellt.

Servus,

zu den schon aufgezählten Antihelden gebe ich Dir noch diejenigen von Martin Walser von Anselm Christlein bis Helmut Halm an die Hand; bei diesen ist allerdings das „am Schluss irgendwo ankommen“ wenig bis gar nicht ausgeprägt - am ehesten vielleicht im „Fliehenden Pferd“, wohl am wenigsten in „Jenseits der Liebe“.

Schöne Grüße

Dä Blumepeder

Servus, Armin,

ich werfe mal - nicht als Widerspruch zu deiner Meinung - in die illustre Runde, ob nicht vielleicht, unbedingt abseits von den literaturwissenschaftlichen Bezeichnungen (Held, Antiheld seit dem 18. Jahrhundert bis heute, tragischer Held, Held als Heros, etc.) auch der Blickwinkel des „Konsumenten“ von Interesse ist.

In die Runde gefragt: glaubt ihr, sieht eine Frau Helden und Antihelden anders, als ein Mann und wenn ja, warum?

und konkret auf deine Ansicht:

insbesondere seine moralische
Integrität,

war nicht gerade Marlowe einer der Ersten, wenn nicht überhaupt der Erste, der die Gesetze nicht immer so richtig wild beachtete und nach seiner eigenen Moral lebte und handelte? Auch seine Sentimentalität, die ihn ab und an übermannt und die er „überdrüberhart“ kompensiert, hat für mich eher was vom Außenseiter/Antihelden, als vom „weißen Ritter“. Welchen meinst du eigentlich? Ist der als literarische Figur außer der von E.von Nassau ein Begrifft? Oder hab’ ich da irgendwas verschwitzt? Shame on me?

Lieben Gruß aus dem Waldviertel, J.

Du hast mir jetzt einige weggeschnappt, die mir im Laufe des Vormittags noch so „beifielen“:smile:) Das ist nicht lieb, lieber Ralf:smile:)

Sei herzlich gegrüßt, J.

noch nicht genannt:
Aus dem Leben eines Taugenichts - Joseph von Eichendorff
Der Siggi Jepsen aus Siegfried Lenz’ Deutschstunde

Und weil es ja nicht so viele Frauen gibt, auf die das Thema passte: zur Diskussion, ob ihr „die da“ auch als Antiheldinnen empfinden würdet:

Die Becky Sharp aus dem Jahrmarkt der Eitelkeiten von William Makepeace Thackeray
die Madame Bovary von Gustave Flaubert
Moll Flanders von Danie Defoe
Die Marquise der Merteuil in Laclos’ „Liaisons dangereuses“

Und sind Nora und Anna Karenina Heldinnen oder Antiheldinnen?

Und was ist Pippi Langstrumpf??

Liebe Grüße, J.

Anton Gorodetzki, Hauptprotagonist von Sergej Lukianenko´s
„Wächterserie“ stellt wohl ebenfalls einen „Antihelden“ dar.

Hi!

Da hatte ich auch gleich dran gedacht, leider finde ich beim Lesen (bin gerade bei „Wächter des Tags“), dass man deutlich merkt, dass das Ganze aus dem Russischen übersetzt wurde und manchmal etwas „hölzern“ wirkt. Aber lesenswert sind sie allemal :smile:

Gruß
finnie

und konkret auf deine Ansicht:

insbesondere seine moralische
Integrität,

war nicht gerade Marlowe einer der Ersten, wenn nicht
überhaupt der Erste, der die Gesetze nicht immer so richtig
wild beachtete und nach seiner eigenen Moral lebte und
handelte? Auch seine Sentimentalität, die ihn ab und an
übermannt und die er „überdrüberhart“ kompensiert, hat für
mich eher was vom Außenseiter/Antihelden, als vom „weißen
Ritter“. Welchen meinst du eigentlich? Ist der als
literarische Figur außer der von E.von Nassau ein Begrifft?
Oder hab’ ich da irgendwas verschwitzt? Shame on me?

Lieben Gruß aus dem Waldviertel, J.

Nun, Marlowe hat sich seine eigenen moralischen Prinzipien gesetzt und handelt ihnen entsprechend. Diese müssen nicht unbedingt mit den Positionen des Gesetzes und der Gesetzeshüter übereinstimmen, die (zumindest in seinen Augen) nicht selten durch die Korruption der Machthaber geschaffen wurden und die Funktion haben sollen, deren Macht zu stützen. In seiner Haltung der Welt gegenüber hat er schon so manche Züge von Lanzelot (ab und an auch ein wenig Don Quijote dabei…)

Hallo Maria!
Vielen Dank für die ausführlichen Angaben!

In Martin Walsers Novelle „Ein fliehendes Pferd“ ist Helmut
der Antiheld, während Klaus der „Held“ ist oder sein will.

Aber wirklich nur sein will und zunächst so scheint. Am Ende stellt sich heraus, dass er eigentlich noch viel „heruntergekommener“ und verlorener ist als Helmut!

Gruß!
Karl

Vielen Dank an alle für die Ideen!
Wahrscheinlich ist es viel schwerer, in der qualitativen Literatur einen ungebrochenen, positiven Held zu finden, der ist offenbar zu langweilig!
Karl

Helden in der Literatur
Hallo Karl2,

zum Thema „Heldentum“ ganz generell gibt es noch ein wunderschönes Büchelchen von James Krüss, eigentlich ein „Jugendbuch“, aber für Jugendliche von 10 bis 120 geeignet.

Obwohl eigentlich ein Folgeband, kann man „Mein Urgroßvater, die Helden und ich“ auch ganz gut ohne die Basis „Mein Urgroßvater und ich“ lesen.

In dem Buch erforschen ein alter Helgoländer Hummerfischer und sein Urenkel in einer Art „Literaturworkshop“ den Begriff des Heldentums. Am Ende steht ein Gedichtlein, das der verstorbene Urgroßvater („der alte Boy“) seinem Urenkel („der Boy“) hinterlassen hat. Die letzten Zeilen heißen:

_Ich war nie ein Held, doch ich blieb mir stets treu.
Bleib Du es Dir auch!

Dein alter Boy._

Mehr verrat ich nicht.

Schöne Grüße

Dä Blumepeder

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Servus

„heruntergekommener“ und verlorener ist als Helmut!

fast gebe ich dir aus Prinzip Recht, aber ich denke, das könnte nochmal genauer und ganz individuell betrachtet werden.

Lieben Gruß aus dem Waldviertel. Maresa

Hallo Theresa, die meisten der von dir aufgezählten Antihelden sind traurige Verlierergestalten - dazu in einem viel zu anspruchsvollen Rahmen. Ich denke, es geht hier eher um um eine Art Phönix, dem es gelingt, sich aus der trüben Asche zu den Sternen zu erheben. Sowas findet sich in fast jedem Roman der „etwas einfacheren“ Unterhaltungsliteratur - und damit ist dem Fragesteller, der höchstwahrscheinlich davon träumt, Clark Kent oder Bruce Wayne zu sein, am ehesten geholfen. Meine Empfehlung an ihn lautet „Pin up“ von Stephen King. „Der Graf von Monte Christo“ (A, Dumas) ist vielleicht nicht mehr ganz zeitgemäß, würde aber sicher genauso gut passen. Gruß Tom

Hallo Tom!

Meine
Empfehlung an ihn lautet „Pin up“ von Stephen King. „Der Graf
von Monte Christo“ (A, Dumas) ist vielleicht nicht mehr ganz
zeitgemäß, würde aber sicher genauso gut passen.

Danke für deine Tipps, aber so primitive Sachen lese ich nicht, da schlafe ich schon nach einer Seite ein! Ich lese - wie ich ja schrieb - nur Schriftsteller, die mit Sprache umgehen können, und zusätzlich muss ein Roman auch psychologisch intelligent sein (ich weiß, ich bin ziemlich anspruchsvoll).

Falls es dir was sagt: Mich faszinieren z. B. Einiges von Nobokov, Tolstoi, Grass, Heine, Kleist, Kafka, manches von McEwan!

Karl

Willst du damit andeuten, dass Stephen King nichts vom Schreiben versteht? Die Inhalte seiner Geschichten und Romane mögen z. T. trivial sein, aber er ist unbestritten ein Meister der Sprache. Du erinnerst mich übrigens an meinen kleinen Bruder. Der quälte sich mit Nietzsche - ohne auch nur einen einzigen Satz zu begreifen - weil er meinte, er sei das seinem (nicht vorhandenen) Intellekt schuldig.

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