'Anything goes' und seine Wirkung

Hallo Experten,

neulich am Stammtisch hat einer gesagt, dieser Feyerabend sei ein ganz schlimmer Finger gewesen, der die Jugendbewegung der 68-er in den Drogensumpf gestürzt hätte und überhaupt beim Tavistock die Entwertung aller Werte weltweit erfolgreich propagiert hätte.

Ich war darob ganz erstaunt, weil ich „anything goes“ lediglich als Negierung von Poppers Falsifikationismus gesehen hatte; also, daß nichts wirklich widerlegt ist, weil man niemals nichts genaues weiß, und daß man deswegen sogar beim kontrainduktiven Rumspielen auch was lernen kann. Das stimmt ja auch, weiß ja jeder, bräuchte darum eigentlich nicht an die Große Glocke - aber daß das nun gleich das phil. Fundament der Hippies sei? War die gesellschaftliche Wirkung der sog. Erkenntnistheorie von Feyerabend nicht eher auf versprengte Häuflein von Kreationisten beschränkt?

Gruß,

Wolfgang Berger

Hallo Wolfgang,

„erstens sollte man dem Stammtisch nicht glauben, und
zweitens enthalten die Äußerungen von Stammtische gelegentlich auch einen wahren Kern“, hätte Feyerabend wohl geantwortet, um zu zeigen, dass man seine Überlegungen zwar so verstehen könnte, aber sie nicht so verstehen muss und auch nicht soll.

Die Entwertung aller Werte war nämlich gerade nicht sein Ziel, sondern wohl eher die Bewusstmachung, dass wir Werte und Wertungen immer heranziehen, auch wenn wir meinen, rein rational zu handeln.

„Anything goes“ ist auch nicht eigentlich eine „Negierung von Poppers Falsifikationismus“, sondern der Ausspruch treibt Popper sozusagen auf die Spitze, indem er selbst die zeitlich begrenzte Gültigkeit von Erfahrungssätzen in Frage stellt.

Die Wirkung der Feyerabend’schen Erkenntnistheorie ist also eher eine reinigende, quasi wie die „Katharsis pathematon“, die Reinigung von den Affekten, wie es in der Aristotelischen Poetik heißt, nur eben bei Feyerabend, dadurch, dass man diese Affekte eben gerade auch da zulässt, wo man sie eigentlich nicht für adaequat hält. Die schlagwortartige Verwendung des „Anything goes“ ist also ein Missverständnis, ähnlich wie der Spruch „Alles ist relativ“ nichts mit der wirklichen Relativitätstheorie zu tun hat.

Herzliche Grüße

Thomas Miller