Hallo,
zunächst zu den Äußerlichkeiten. Das Zeugnis muß…
- auf offiziellem Firmenpapier geschrieben sein
- darf nur geknickt sein wenn man es kopieren kann ohne daß die Knicke auf den Duplikaten sichtbar sind
- das Adressfeld darf nicht, wie bei einem Brief, ausgefüllt sein
- das Datum SOLLTE (ist aber nicht einklagbar) auf den Tag des Ausscheidens aus dem Unternehmen datiert sein (nicht etwa auf das Datum, an dem der Text geschrieben wurde)
- die Unterschrift muß von einem hochrangigen Vertreter der Firma (Chef, Leiter Personalabteilung, …) persönlich geleistet worden sein. „I. A. Müller, Sekretärin des Abteilungsleiters“ reicht nicht
- unter der Unterschrift müssen Name und Funktion des Unterzeichnenden nochmal in Maschinenschrift stehen.
Nun zum Inhalt.
Herr … geboren am… war vom… 1.6.2006 bis 16.10.2006 als
Vertriebsingenieur im Produktmanagement tätig.
Formulierung OK, was aber sofort negativ auffällt ist daß Du nur kurze Zeit in dem unternehmen warst und zu einem völlig atypischen Termin ausgeschieden bist.
Was dann allerdings komplett fehlt - und das ist ein grober Mangel - ist eine Aufgabenbeschreibung. Die MUSS an dieser Stelle stehen und das solltest Du auch in jedem Fall einfügen lassen.
Die… GmbH wurde 1996 gegründet und steht unter der HRB Nr… im
Handelsregister Iserlohn. Firmenzweck ist die Herstellung und
der vertrieb elektronischer Produkte für alle
Industriebereiche.
Das gehört prinzipiell nicht in ein Zeugnis, denn es geht um Deine Leistungen und nicht Werbung für das Unternehmen. In diesem Fall hat man es womöglich bewußt als Ersatz für eine Aufgaben-Auflistung verwendet, es soll wohl unterstreichen daß Du „nichts geleistet“ hast.
Auch hier gilt aber: verlange das die Werbung entfernt und eine korrekte Aufgabenbeschreibung integriert wird.
Bereits nach kurzer Einarbeitung beherrschte Herr … seinen
Aufgabenbereich umfassend.
Herr… war ein aufgeschlossener und versierter Mitarbeiter,
der seine guten praktischen Kenntnisse stets mit Erfolg in
Eigeninitiative erweiterte.
Jetzt wird’s ein bißchen haarig. Zum einen fehlt eine klare Gliederung, eigentlich sollte jetzt erst ein „Leistungsteil“ und nachfolgend der Bereich „Sozialverhalten“ folgen. Das ist in diesem Text ein wenig durcheinander gewürfelt worden. Kein Weltuntergang, im Zusammenspiel mit den anderen Auffälligkeiten, die ich ja schon umschrieben habe, legt man aber jetzt viele Formulierungen auf die Goldwaage. Manches, was man in einem Zeugnis mit insgesamt gutem Klang nicht weiter auffällig fände, führt jetzt hier dazu daß man kritisch hinterfragt. Dazu gehört z. B. das „Kenntnisse in Eigeninitiative erweiterte“; das kann man positiv sehen, in diesem Fall verursacht es aber Unsicherheit ob Du vielleicht manchmal nicht gearbeitet hast, sondern dich zu Deinen Gunsten mit Dingen beschäftigt hast…
Hier kannst Du allerdings eher wenig gegen die Beurteilung unternehmen weil die Formulierung unangreifbar ist und man solche Aussagen tatsächlich nicht nachweisbar als negativ darstellen kann.
Auch in schwierigen Situationen
zeichnete Herr … sich durch eine schnelle Auffassungsgabe aus
und fand daher stets optimale Lösungen.
OK, das ist gut - vor allem wegen des „stets“.
Er überzeugte stets
durch seine außerordentliche Belastbarkeit, die es ihm
ermöglichte, auch hohe Zielvorgaben zu erfüllen.
OK
Herr … arbeitete selbstständig nach eigener und klarer Planung
Das ist ein deutlicher Seitenhieb auf eigenmächtiges Handeln und wird man auch so interpretieren daß Du ziemlich unbeirrbar warst, trotz entsprechender Mahnungen…
und erzielte stets gute Lösungen, die von Gewissenhaftigkeit
und Systematik geprägt waren.
Prinzipienreiter?
Er identifizierte sich mit
seiner Aufgabe und zeigte eine überdurchschnittliche
Arbeitsbereitschaft. Besonderes Interesse zeigte er für die
Erstellung von 3D-Zeichnungen unserer Produkte.
Interesse ist immer gut, aber Arbeitgeber interessieren Ergebnisse, nicht das Interesse des Mitarbeiters… „Besonderes Interesse“ ist negativ, man wird hineininterpretieren daß Du für andere Gebiete weniger interessiert warst und vielleicht auch nur Interesse hattest, aber keine oder nur wenige Ergebnisse erzielen konntest.
Er arbeitete zügig und pflichtbewusst. Seine Arbeitsqualität
war gut.
Da fehlt ein „stets“. Also war die Leistung womöglich nicht kontinuierlich?
Aufgrund seiner außergewöhnlichen Leistungen
„Außergewöhnlich“ - oh je… Positiv wären „gute“ Leistungen, aber das hier verwendete „außergewöhnlich“ brandmarkt Dich als unbeirrbaren Sonderling.
waren wir mit ihm stets voll zufrieden.
Das ist schwer zu bewerten, denn diese Formulierung sagt wenig aus. „stets volle Zufriedenheit“ ist OK, in Gesamtzusammenhang dieses Zeugnisses traut man dem Braten aber nicht und legt auch das negativ aus.
Sein Verhalten gegenüber
Kollegen, Mitarbeitern und Vorgesetzten war gut.
Die übliche Reihenfolge lautet Vorgesetzte - Mitarbeiter - Kollegen. Das ist hier komplett umgedreht worden! Im Klartext: Du kamst entweder mit niemandem zurecht, oder man will nochmal unterstreichen wie sehr Du fehl am Platze warst. Da spielt es dann auch nur am Rande eine Rolle daß ein fehlendes „stets“ oder „immer“ auffällt und der eine Satz auch sehr kurz ist um Dein Sozialverhalten zu bewerten.
Auch sein Verhalten gegenüber unseren Geschäftspartnern war
einwandfrei.
„Auch“? Also „auch schlecht“… und wieder fehlt dem „einwandfrei“ das „immer“…
Unser Unternehmen wurde von ihm gut repräsentiert.
Und wieder: kein „jederzeit“, kein „immer“, kein „stets“ - also wurde das Unternehmen von Dir nicht durchgängig gut repräsentiert. Es ist auch ungewöhnlich überhaupt so eine Aussage zu benutzen, normalerweise gibt es keine Aussage darüber wie man das Unternehmen repräsentiert hat - es fällt also wieder etwas komisch auf.
Das Arbeitsverhältnis endete zum 16.10.2006.
Ohne die Angabe eines Grundes wird man immer annehmen daß es Ärger gab. Das fällt in diesem Zeugnis auch deswegen auf weil Du an einem so ungewöhnlichen Termin fristlos ausgeschieden bist. Normalerweise enden Arbeitsverhältnisse zum Monatsende, notfalls zum 15. - aber nicht am 16. des Monats.
Wir bedauern sein Ausscheiden.
Kein Dank für die geleistete Arbeit - also gibt es nichts, wofür man Dir danken kann, was Du Positives geleistet hättest.
Für die berufliche und private Zukunft wünschen wir alles Gute und weiterhin viel Erfolg.
Das ist wieder ein guter Schlußsatz.
es ging nicht in Frieden auseinander, um es mal so zu nennen.
Das merkt man…
Fazit: die formalen Mängel mußt Du korrigieren lassen, inhaltlich wirst Du nicht erreichen daß die negative Beurteilung abgeändert wird. Insofern kann man da wenig rausholen.
Für die Zukunft: überlege Dir eine gute Begründung warum Du fristlos gehen mußtest / gegangen bist. Danach wird der nächste AG fragen und dann solltest Du eine Begründung liefern können. Mein Tip: Flucht nach vorn - versuche nicht es zu beschönigen und herumzureden, sondern stehe deutlich dazu daß ihr nicht zusammen gepaßt habt. Eine Begründung für die fristlose Trennung solltest Du natürlich nebenher geben können ohne Deinem Gesprächspartner einen Schrecken einzujagen…
Vielleicht hast Du sogar eine Möglichkeit eine Lücke von 4 Monaten zu füllen ohne lügen zu müssen? Dann wäre sogar zu überlegen ob Du einem neuen AG dieses unschöne Kapitel Deines Lebens überhaupt auf die Nase binden solltest…
Gruß,
MecFleih