Argentinien vor dem Abgrund

Hallo,

ich habe gestern einen ausfuehrlichen Bericht und die schrecklichen Bilder aus Argentinien gesehen. Vielleicht habt ihr auch diesen Film im ARD verfolgt, wo auf die Lebensumstaende der Leute dort hingewiesen wurde.

Meine Fragen nun:

Wie konnte es ueberhaupt so weit kommen? Argentinien hat doch immense Bodenschaetze und Rohstoffvorkommen, Unmengen an Land usw.

Was ist da jahrzehntelang falsch gelaufen? Welche Rolle spielt der IWF dabei? Hat nicht eigentlich genau der auch die Unruhen ausgeloest, weil der IWF ja auf gewisse Schuldtilgungen bestanden hat, die Argentinien jetzt endgueltig bankrott gemacht haben? Welche Mitschuld traegt also der IWF? War es ueberhaupt noch zu verantworten, einem Land wie Argentinien noch Kredit zu geben? Hat die jetztige Regierung wirklich versagt oder war einfach nichts mehr zu retten, weil die Vorgaenger wirklich schon alles in den Sand gesetzt hatten?

Und welche Loesungsvorschlaege haettet ihr um
a) Land und Leute wieder zu befrieden und
b) die Wirtschaft endlich wieder anzukurbeln?

Welche Rolle spielt dabei die Bindung des arg. Pesos an den Dollar? Gut oder schlecht? Die wurde doch damals eingefuehrt, um die Hyperinflation zu stoppen, was ja auch gelang. Warum hat man danach diese Bindung nicht wieder aufgeloest?

Ich bin ein ziemlicher Laie was Volkswirtschaft angeht, aber sehr interessiert und wuerde mich freuen, wenn sich jemand um das Thema einige Gedanken machen wuerde!

Vielen Dank euch,

Jerry

Holla

Wie konnte es ueberhaupt so weit kommen? Argentinien hat doch
immense Bodenschaetze und Rohstoffvorkommen, Unmengen an Land
usw.

Hm, soo viel ist es auch wieder nicht, und vor allen Dingen haben sie keine weiterverarbeitende Industrie, also extrem vom Weltmarktpreis und grossen Abnehmern abhaengig

Was ist da jahrzehntelang falsch gelaufen? Welche Rolle spielt

[…]

Tja, ich kenne mich auch nicht besonders in diesem Gebiet aus!
Was ich vor ein paar Wochen so erlebt hab, ist folgendes:
Erst mal die hohen Abgaben auf auslaendische (Luxus-) Waren. Dadurch muessen einheimische Firmen nicht produktiv sein, weil keine Konkurenz da ist. Unglaublische Abzocke/Bestechlichkeit, speziell beim Zoll, jeder Investor ueberlegt es sich zweimal, ob er da Geld verpulvern will.

Ausserdem finde ich es komisch (illegal?), wie die offizielle Inflationsrate gedrueckt wird. Der staatliche Institutionen bezahlen z.B. ihre Angestellten mit „Schuldscheinen“, die kaufen damit ein, und die Geschaefte zahlen damit ihre Steuern. Da es offiziell kein Geld ist, scheint sich die Geldmenge in Grenzen zu halten, obwohl in Wirklichkeit immer mehr „Geldwert“ auf den Markt geschmissen wird. (Ich hoffe, meine Ueberlegungen stimmen so.)

Generell ist es wohl immer das Problem, dreht man den Geldhahn frueh ab, nimmt man Laendern die Chance, eine stabile Wirtschaft aufzubauen, blaesst man ohne Ende Geld rein, kracht es am Ende um so schlimmer…

So, nur meine Gedanken dazu, weil ich gerade mehr mit Argentinien zu tun habe…

Gruss, Lutz

Hi,

aus Zeitmangel nur erstmal eine Antwort auf einen Teil der Fragen. Den Rest gibt’s vielleicht später.

Welche Rolle spielt dabei die Bindung des arg. Pesos an den
Dollar? Gut oder schlecht? Die wurde doch damals eingefuehrt,
um die Hyperinflation zu stoppen, was ja auch gelang. Warum
hat man danach diese Bindung nicht wieder aufgeloest?

Die Bindung des Pesos an den Dollar hat dazu geführt, daß man die Inflation in den Griff bekam, richtig. Allerdings ist Bindung auch ein Grund für die derzeitige Krise. dadurch wird der Kurs des Pesos auf einem überhöhten Niveau gehalten, was arg. Waren für das Ausland verteuert und somit Exporte ausfallen.

Würde man die Dollar-Bindung jetzt wieder aufheben, würde der Kurs des Pesos einbrechen und damit käme es a) zu einer importierten Inflation und b) zu Schwierigkeiten bei der weiteren Schuldentilgung, denn logischerweise will jeder seine Dollarkredite in Dollar getilgt bekommen und nicht in Pesos. Die Dollarreserven der arg. Nationalbank liegen derzeit bei rd. 15 Mrd. USD, die Auslandsschulden bei 136 Mrd. USD. Da kann man sich ausrechnen, wie lange die Zahlungsfähigkeit gegeben bliebe. Aus diesem Grunde diskutiert man ja auch, den USD als Währung in Argentinien einzuführen. Bei einem Bargeldumlauf von knapp 10 Mrd. Pesos (derzeit gilt ja noch 1 Peso = 1 USD) würden die Reserven also ausreichen. Theorretisch. Denn praktisch müssen natürlich auch die Bankguthaben umgetauscht werden und dafür reicht der Bestand der Nationalbank dann doch nicht.

Hier noch ein paar Links zu einigen aktuellen Artikeln, die vielleicht schon mal weiterhelfen:

http://www.welt.de/daten/2001/12/20/1220au303514.htx
http://www.welt.de/daten/2001/12/19/1219au303428.htx
http://www.welt.de/daten/2001/12/19/1219wi303306.htx
http://www.welt.de/daten/2001/12/19/1219wi303303.htx
http://www.welt.de/daten/2001/12/15/1215wi302529.htx
http://www.welt.de/daten/2001/12/11/1211wi301658.htx

Gruß
Christian

Hi,

Wie konnte es ueberhaupt so weit kommen? Argentinien hat doch
immense Bodenschaetze und Rohstoffvorkommen, Unmengen an Land
usw.

was mit den Rohstoffen/Bodenschätzen ist, kann ich Dir nicht sagen. An Land ist soviel da, daß wohl keiner bereit ist, dafür einen nennenswerten Preis zu bezahlen.

Was ist da jahrzehntelang falsch gelaufen?

Das läßt sich so einfach nicht sagen. Ich habe es in einem Artikel unter „Nachrichten“ kurz zusammengefaßt: Das Spielchen geht seit rund 20 Jahren so. War Geld da (auch IWF-Geld), wurde damit rumgeaast, d.h. nicht investiert, sondern konsumiert. Gerade unter der Regierung Menem ging viel Geld durch Korruption und Verschwendung verloren. Dann mußte der IWF wieder einschreiten und das Spielchen begann von neuem. Zur Ruinierung der Exportwirtschaft siehe meinen Artikel weiter unten.

Welche Rolle spielt
der IWF dabei? Hat nicht eigentlich genau der auch die Unruhen
ausgeloest, weil der IWF ja auf gewisse Schuldtilgungen
bestanden hat, die Argentinien jetzt endgueltig bankrott
gemacht haben? Welche Mitschuld traegt also der IWF?

Der IWF hat in der Tat die Auszahlung einer weiteren Kredittranche über rd. 1,3 Mrd USD dieser Tage verweigert, weil Argentinien die vereinbarte Höchstgrenze für Neuverschuldung von 6,5 Mrd. USD weit überschritten hatte. Inzwischen hat man wieder über 130 Mrd. USD Auslandsschulden angehäuft. Jeder Kreditgeber wird sauer, wenn Vereinbarungen nicht eingehalten werden und zahlt dann keine weiteren Kredite aus. Die Unruhen wurden aber nicht dadurch ausgelöst, sondern dadurch, daß der Finanzminister (inzwischen zurückgetreten) einen drastischen Sparkurs eingeschlagen hat, um die Bedingungen wenigstens einigermaßen zu erfüllen. Außerdem hat man neulich den staatlichen Pensionsfonds geplündert um Zinsverpflichtungen erfüllen zu können. Desweiteren waren den Unternehmen Steuererleichterungen gegönnt worden, die man nun wieder zurückgenommen hat, weil das Geld dafür einfach nicht da ist. Damit sind natürlich auch von den Unternehmen keine positiven wirtschaftlichen Impulse zu erwarten.

War es
ueberhaupt noch zu verantworten, einem Land wie Argentinien
noch Kredit zu geben? Hat die jetztige Regierung wirklich
versagt oder war einfach nichts mehr zu retten, weil die
Vorgaenger wirklich schon alles in den Sand gesetzt hatten?

Eigentlich haben alle Regierungen nach der Militärdiktatur versagt (letztere natürlich auch). Finanzkrisen gab es in Argentinien in den letzten 20 Jahren immer wieder. Dann kam der IWF und hat geholfen und wurde auf gutdeutsch verar***. Warum der immer wieder eingesprungen ist, liegt wohl daran, daß man den Versprechungen immer wieder geglaubt hat. Ohne Geld von außen hat Argentinien keine Chance. Die Frage ist, ob es a) jemanden geben wird, der Kapital zuschießt (jemand sehr dummen oder leichtgläubigen also) und b) eine Regierung geben wird, die mit diesem Kapital vernünftig umgehen kann, will und wird.

Und welche Loesungsvorschlaege haettet ihr um
a) Land und Leute wieder zu befrieden und
b) die Wirtschaft endlich wieder anzukurbeln?

Es muß (wie überall) eine Regierung her, die nicht zuerst auf kurzfristige Effekte setzt, sondern auch langfristig denkt. Da das weltweit eine seltene Erscheinung ist, habe ich wenig Hoffnung, daß die Lage in absehbarer Zeit dauerhaft in den Griff bekommen wird. Geld muß investiert werden und trägt dann erst mittelfristig Früchte. Wer dem Volk und der Wirtschaft nach dem Maul redet, läutet die nächste Krise ein.

So, das war erstmal ziemlich allgemein. Wenn Du noch spezielle Fragen hast: Du weiß ja, wo Du mich finden kannst. :wink:

Gruß
Christian

Guter Artikel dazu aus der NZZ:
„Die Kultur des Anspruchsdenkens
Wie Argentinien sein Glück und seinen Reichtum verlor“

http://www.nzz.ch/2001/12/21/fe/page-article7V8FG.html

Ein schwachsinniger Artikel
Argumentiert wird mit Beispielen aus dem Jahr 1900, witzigen Anekdoten eines Kritikers seiner eigenen Landsleute (solche Kritiker findet man wohl in jedem Volk), spanischen Wortfetzen (oder gilt spanisch jetzt nur in Argentinien) und Evita Peron (gest. 1952).

Was hat das mit der aktuellen Wirtschaftskrise zu tun?

Kaum zu glauben, dass ein so tiefes Niveau in der NZZ zu finden ist. Passt eigentlich nicht zu dieser Zeitung.