Artikel 'Im Staub des Rabbi laufen' von Rob Bell

Hallo allerseits.
Ich bin Christ und habe vor einiger Zeit einen Artikel (https://fuenf.scm-digital.net/show.sxp/staubdesrabbi…) zu lesen bekommen, den ich sehr bemerkenswert fand. Für einmal wird über die Figur und das Handeln von Jesus nicht nur aus der Sicht der „geschlossenen Bibel“ her geschrieben, sondern unter Einbezug der damaligen Umstände. Es wird vielmehr auch einiges herangezogen, das sich aus der Tatsache her ableitet, dass Jesus von seinen Jüngern auch als „Rabbi“ bezeichnet wurde.
Im Artikel finden sich verschiedene Behauptungen, die nicht mit Quellen belegt sind (gut, kann man von einem so kurzen Artikel auch nicht unbedingt verglangen…). Vielleicht kann mir jemand von Euch mit dem entsprechenden Hintergrundwissen weiterhelfen? Es geht mir darum festzustellen, ob die Behauptungen (insbesondere bzg. „binden und lösen“, „Joch“, „Vollmacht“, „Remices“ etc.) so wahr sind, oder schlicht nicht stimmen.

Es würde mich sehr freuen, wenn ihr schreiben könnten, was des Beschriebenen aus Eurer Sicht vom „Rabbi-Verständnis“ der damaligen Zeit abweicht und was wirklich so stehengelassen werden kann.

Ich fand den Artikel sehr spannend, weil ich noch nie etwas Vergleichbares gelesen hatte.

Liebe Grüsse, Jonas.

BS"D

Hallo Jonas,

ich mache ein paar Anmerkungen zum Text, welchen ich hier wie gewohnt zitiere.

Die Tora sind die ersten fünf Bücher der jüdischen Heiligen Schrift.

Die Tora ist hier auch damals schon die mündliche Lehre gewesen, welche schon immer fast den gleichen Status wie die schriftliche Lehre hatte.

aber für einen Juden war die Tora viel mehr als nur ein Gesetzbuch.

Ist, ist und nicht war!

In der Zeit, in der Jesus lebte, betrachtete man Gott als liebenden Gott.

Auch in der Zeit davor und in der Zeit danach, haben Juden G´tt immer so gesehen.

[…] trug deshalb einen sogenannten Gebetsschal.

Mh, ich würde hier davon ausgehen, dass damals auch das normale Gewand, vier Ecken und damit Zizit (Schaufäden) pflichtig war. Somit haben die Juden damals sicherlich noch keinen Tallis katan gekannt, welcher heute getragen wird, um in Mangel von viereckigen Kleidern diese Mitzwe (Gebot) dennoch ständig ausführen zu können. Ein grosser Tallis (hier Gebetsschal genannt) wurde hingegen auch damals nur zum Morgengebet getragen.

Wenn Jesus davon spricht, dass man zum Beten in seine Kammer gehen soll […]

Damals wer Eretz Jisroel nocht gross, aber das jeder Jude zum Beten in den Tempel nach Jeruschalajim gehen soll, ist ein weiterer Irrtum in dem Text. Auch damals gab es hier über das ganze Land verteilte Synagogen, welche aber keine Prachtbauten waren, sondern oft nur kleine Kammern, wie man das noch heute von chassidischen Stibln kennt.

Die Pharisäer liebten lange Quasten. Sie versuchten sogar, sich mit
ihren Quasten gegenseitig zu übertreffen.

Mir ist keine jüdische Quelle bekannt, welche dieses bestätigen würde. Im Talmud hingegen sind einige Diskussionen darüber festgehalten worden, welche aber eben genau dieses verwerfen und verurteilen. Und diese Verurteilungen kam von Pharisäern.

Wenn man die Anweisungen der Tora nicht befolgen kann, ist man so gut wie tot.

LOL, die Annekdote mit Davon haMelech ist schon sehr amüsant und befremdlich.

Diese Ausbildungsstufe begann mit ungefähr sechs Jahren.

Nicht ungefähr und nicht mit sechs, sondern mit drei Jahren.

Dann sagte er: „Mein Kind, mein Schüler, lecke den Honig auf […]

Auf der Tafel stand das Alefbeit und der erste und letzte Buchstabe wird dabei mit Hönig überstrichen. Dann lernt der Rebbe (muss kein Rabbiner sein!) mit dem Kind das Alefbeit und anschliessend leckt es den Honig ab. Hierdurch kommt dann auch der Bezug zur Schrift, zur Tora.

Mit zehn Jahren kannte ein jüdisches Kind die Tora auswendig.

Und wegen der ständigen Vergangenheitsform im Text - das ist auch heute noch so bei frommen jüdischen Kindern welche noch im Cheider lernen. Zur Beschreibung des Lernens und es Inhalts kann ich nur sagen, dass fast auch vorbei ist :wink:

Weil sie, wenn sie dreizehn war, in Bet Talmud war. Weil sie diese
Worte auswendig gelernt hatte.

Nein, nein, das Bildungssystem für Frauen war seit jeher anders und Beten ist hierbei ein ganz anderer Punkt als Tora lernen. Das Gebet lernen Kinder schon früher auswendig und dazu gehören auch Tehilim (Psalmen). Somit könne alle Kinder von daher diese Teile auswendig. Tehilim werden zu allen möglichen Gelegenheiten gesagt und von Frauen u. a. auch beim Kochen.

Die allerbesten Schüler wurden dazu ausgebildet, selbst Rabbiner zu
werden. Die Rabbiner waren so etwas wie heute eine Eliteuniversität.

Mh. Es ist eigentlich verboten hier einen Schüler abzuweisen oder rauszuschmeissnen. Somit handelt sich hierbei um eine normale Lehranstalt und mit Elite hat dieses nichts zu tun, da fast alle Juden, welche dazu die Möglichkeiten haben hier weiter lernen.

Somit war es der höchste Traum jedes jungen Menschen, Rabbi zu werden.

Ich habe immer mehr das Gefühl, dass der Text nicht auf Quellen beruht, sondern auf der Fantasie des Autors. Sicherlich ist es ein Traum und ein Ziel ein Talmid Chacham zu werden, aber ein Rabbiner ist wieder etwas anderes und es gibt auch andere Ziele, welche ebenso angesehen sind.

Jeder Rabbi hatte seine eigene Auslegung der Tora.

Bevor Missverständnisse aufkommen: Alle diese Auslegungen sind gültig und die Schüler haben nicht nur die ihres Lehrers sondern alle bekannten gelernt.

Wie zum Beispiel das Sabbatgebot. Was ist an einem Sabbat erlaubt,
und was ist an einem Sabbat nicht erlaubt?

Auch hier wieder um Missverständnissen vorzubeugen: Für die Antworten gab es genau festgelegte Regeln in denen sich diese bewegen können. So sind alle Rabbiner damals sich darin einig gewesen, was allgemein am Schabbat erlaubt oder verboten ist. Die unterschiedlichen Antworten kommen erst im Detail zustande und das ist auch heute noch so.

Er sagte damit: „Ich gebe dir die Vollmacht zu entscheiden, was zu
erlauben ist, und was nicht.“

Genau dieses darf hingegen nur ein Rabbiner. Genau das bedeutet sein Titel. Dieses nun auf andere zu übertragen, welche nicht die entsprechende Ausbildung und Prüfungen abgelegt haben, ist schon eine Abweichung von der Lehre.

Ein Rabbi konnte also daherkommen und eine Liste haben mit Dingen,
die er zur Schrift hinzufügen wollte.

Nein, chus veSchulom, niemand auch kein Rabbiner darf der Schrift etwas hinzufügen oder wegnehmen.

„Und die Pharisäer trachteten danach, ihn umzubringen.“

Jeder der sich realistisch mit dieser Zeit beschäftigt hat, kann eine solche Aussage nicht lehr stehen lassen, da kein Pharisäer je eine solche Aussage gemacht hätte.

Der Rabbi will sein Joch weitergeben.

Nein, der Rabbi will, dass die mündliche Lehre, welcher er gelernt hat, weiter gegeben wird. Darum geht es und nicht darum, eine Lehre dieses Rabbiners zu lernen. Das Problem ist vielleicht, dass in den jüdischen Quellen oft im Namen eines Rabbiners zitiert werden. Es ist aber ein Irrtum deshalb anzunehmen, es wäre seine Lehre. Und auch die Diskussionen sind oft nicht das, was sie scheinen, keine Streitgespräche wie der Autor annimmt, sondern nur Klärungen der Lehre, damit es später zu keinen Missdeutungen kommt. Hierzu werden genau diese schon vorweggegriffen. Das wiederum muss dann eben nicht die Lehre dieses Rabbis sein.

Man verließ alles und setzte sein ganzes Leben dafür ein, so zu sein wie der Rabbi.

Nein, nein. Zum einen waren die Talmidim u. U. auch alte Männer und zum anderen haben die meisten Talmidim und Rabbonim nebenei auch eine Familie gehabt und gearbeitet. Auch seine Familie musste man hierzu NICHT aufgeben, sondern nur für die Zeit verlassen, wo man an einem fernen Lehrhaus war.

Alles, was der Rabbi machte, machte man auch.

Die jüdische Lehre macht sich über die Haltung eigentlich eher lustig und warnt davor. Der Rabbi ist eben der Rabbi und nicht alles was er tut, sollen andere nachmachen.

Wenn sie ein neues Hemd bekommen, beten sie: „Wir preisen dich, oh
Gott des Universums, für dieses neue Hemd.“

Unsinn, wir sagen dann Schechejuni: „… der uns Leben und Bestand gegeben und uns diese Zeit hat erreichen lassen“ und manche zusätzlich: „… der die Nackten bekleidet.“

Das war auch zu der Zeit von Jesus schon nicht anders, da diese Brachot (die Segen) vorher verbindlich festgelegt wurden.

Wenn also der Rabbi auf die Toilette ging, ging auch der Talmid auf die Toilette.

Nein, nein, denn auf der Toilette wäre dieses verboten. Die Broche (Segen) Ascher Juzar sagt man NACH der Toilette.

Wenn ein Wanderlehrer, der Talmidin bei sich hatte, in eine Synagoge
kam, nahm der Synagogenvorsteher die Schriftrolle und reichte sie
diesem Rabbi. Der Rabbi tanzte dann mit der Schriftrolle in den
Händen durch die Synagoge. Die Leute kamen zu ihm und küssten die
Schriftrolle

Wie kann man nur so wenig über jüdisches Leben und Lehre wissen und dann meinen einen solchen Artikel schreiben zu können? Wie dem auch sei, obiges ist eine normale Toralesung, welche zweimal in der Woche erfolgt. Und Gästen (hier der Wanderrabbiner) kommt dabei oft die Ehre zu teil, die Tora zu Bima (Vorlesepult) zu tragen. Dabei wird immer etwas getanzt, gesungen und jeder küsst dabei die Tora.

erwartet, dass Jesus mit der Schriftrolle vortanzen würde.

Nur, wenn er dazu vom Synagogenführer aufgefordert wurde. Hierbei handelt es sich aber nicht um ein Teil einer Lesung, sondern um den Morgeng´ttesdienst. Lesungen sind dann anschliessend - auch heute noch.

Es gab Rabbiner, die auch arbeiteten

Zur Zeit Jesus war das die Normalität.

„Ein Rabbi hat deine Jungen aufgenommen?“

Mir ist kein Fall bekannt, wo ein Rabbiner seine Schüler sucht, ja die jüdische Lehre sagt sogar deutlich, dass die Schüler kommen müssen. Alles andere wäre auch keine Ehre für den Rabbiner. Wer also solches getan hätte, muss einen sehr schlechten Ruf gehabt haben. Darum würde ich davon ausgehen, dass auch die Schreiber dieser Stellen sowenig Ahnung hatten wie der Autor und einiges verdreht und verstellt haben. Immerhin war es schon die Zeit der Missionierung, wo eben ja auch die Lehrer ihre Schüler suchen.

Wenn ein Rabbi Vollmacht hatte und ein neues Joch predigte, sagte er
Sätze wie: „Ihr habt gehört, dass gesagt wurde…, ich aber sage
euch…“

Die Fantasie des Autors ist schon bemerkenswert. Nein, so etwas gibt es nicht. Vor allem sind die Aussagen, wo Jesus genau dieses macht, reine jüdische Lehre. Er sagt also am Ende eben nichts neues. Was er hier machte, war sich nur gegen den Volks(un-)glauben zu stellen, in dem er erst eine irrige Auslegung sagte und dann die jüdische Lehre.

Wenn ein Rabbi Vollmacht hatte, mussten zwei andere Rabbiner, zwei
Personen, die Vollmacht hatten, diesem Rabbi die Hände auflegen.

Rabbi sein und Vollmacht haben, ist ein und das selbe :wink:))

Können Sie, wenn Sie das lesen, verstehen, warum Juden, die Jesus als
Messias ablehnen, ihn trotzdem für einen ausgezeichneten Rabbi
halten?

Mh, welcher Jude hält Jesus für einen ausgezeichneten Rabbi? Ich muss hier ganz ehrlich sagen, dass er das im Vergleich bei weitem nicht war.

Zur Zeit Jesu wurde jede Art von stehendem Gewässer als Abgrund
angesehen.

Köstlich :smile:))

Das ist auch der Grund, warum man, wenn man heute an den See :Genezareth kommt, niemanden darauf Wasserschi fahren sieht.

LOL. Ich höre jetzt einmal auf und es hat sich wohl gezeigt, dass hier oft mehr Wunsch als Wissen der Hintergrund war.

Eli

Hallo Jonas,

der Artikel ist gut gemeint, aber der Verfasser hat vielleicht einige
Bruchstücke über Judentum mitbekommen, die er nach seiner eigenen Phantasie verwurstet.
Wenn ich diese Art von Artikeln lese, dann wird mir klar, woher Nichtjuden ihre Fehlwahrnehmungen über das Judentum haben.

Auf einige Punkte ist Elimelech bereits eingegangen. Hier noch einige Anmerkungen:

Im traditionellen Judentum fängt das Torah-Lernen auch nicht mit sechs Jahren an, sondern wesentlich früher: Mit drei Jahren. Was es mit dem Honig und der Tafel auf sich hat, kannst Du hier nachlesen:
http://www.judentum.net/religion/lag-baomer.htm

Dieser Brauch ist seit dem Mittelalter sicher bekannt. Was an diesem Artikel insgesamt schwierig ist, zeigt dieses Beispiel. Der Autor projiziert Bräuche / Sachverhalte späterer Zeiten auf die biblischen Zeiten zurück.

Übrigens sah die Unterweisung für Mädchen anders aus als für Jungen, und sie fand auch nicht im Bet Midrasch statt, sondern bei der Mutter und weiblichen Familienmitgliedern.

Lernen ist im Judentum übrigens ein lebenslanger Prozeß. Auch wer einen handwerklichen oder anderen Beruf ausübt, wird zu bestimmten Zeiten als frommer Jude lernen.

Diese Trennung, daß ein bestimmtes frommes Personal für das Lernen zuständig ist, gibt es im Judentum nicht…

Wenn Dich das Thema, wie Jesus von der jüdischen Tradition her verstanden werden kann, wirklich interessiert,
dann empfehle ich Dir das folgende Buch:

Rabbi Jakob Neusner: Ein Rabbi spricht mit Jesus, Claudius Verlag, 1997

oder auch diverse Bücher von Pinchas Lapide, die als Taschenbücher erhältich
sind, wie z.B.
„Er lehrte in ihren Synagogen“ oder: „Jesus, ein gekreuzigter Parisäer“.

Außerdem hier ein Artikel über das jüdische Verständnis von Torah:
http://www.judentum.org/judenmission/judenmission/bi…

Als allgemeine Einführung zum Judentum empfehle ich Dir:
Dieter Krabbe: Freue Dich mit Jerusalem, Claudius Verlag

Viele Grüße

Iris

Hallo Iris,

ich bin zwar nicht Jonas, aber ich danke dir trotzdem für die Buchtipps. :wink:

Kati