Asperger-Diagnose im Erwachsenenalter

Wie sinnvoll ist es, sich als Erwachsener bei Verdacht auf Asperger um eine offizielle Diagnose zu bemühen?

Gibt es im Falle des Vorliegens einer offiziellen Diagnose auch für Erwachsene irgendwelche Hilfen oder irgendeine Form von Unterstützung? Wäre Asperger etwas, das der Arbeitgeber z.B. bei der Gestaltung des Arbeitsplatzes berücksichtigen müsste?

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Hallo,

da die Diagnose eines echten bzw. vollständigen Asperger-Autismus auch im Erwachsenenalter nahezu zwangsläufig aufgrund der sozialen Anpassungsstörungen zu einem GdB von mindestens 50 führt, hat dies natürlich auch Auswirkungen auf die Rechte am Arbeitsplatz, falls ein Beschäftigungsverhältnis besteht.
Bezüglich der Gestaltung des Arbeitsplatzes wäre hier vor allem § 164 Abs. 4 und 5 SGB IX einschlägig:
http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9_2018/__164.html

&Tschüß
Wolfgang

Hallo,
eigentlich gibt Google schon viele Infos zu Thema.
Aber hier war doch mal ein „Aspie“ unterwegs ?!
Wenn es den noch gibt, dann könnte der bestimmt gut helfen.
Ich kenne persönlich nur Minderjährige. Und die haben einen Schwerbehindertengrad.
Mao

Gilt das auch dann, wenn die erwachsene Person sich bislang irgendwie durchs Leben durchgewurstelt hat, ohne durch stärkere soziale Seltsamkeiten aufzufallen?

Nehmen wir einmal beispielsweise an, dass es sich um eine heute 40-jährige Frau handelt, die sich allen schwierigen Situationen dadurch entziehen konnte, dass sie während der Oberstufe ohne Prüfung , aber mit automatischem Realschulabschlus von der Schule abging, eine Ausbildung in dem Betrieb, in dem auch ihre Tante arbeitete, machte, und - von einem kurzen und wenig erquicklichen Zwischenspiel in einem anderen Betrieb abgesehen - auch heute noch in ihrem Ausbildungsbetrieb tätig ist. Nehmen wir weiter an, dass diese Frau bislang nur von sich dachte, sie sei übermäßig schüchtern und allgemein etwas verschroben, und ihr erst vor kurzem angeraten wurde, eine Diagnose anzustreben, weil ihr Sohn gerade entsprechend diagnostiziert wurde und im Rahmen seiner derzeitigen Behandlung in einer psychiatrischen Klinik bei Mutter und Sohn diverse Verhaltensähnlichkeiten festgestellt wurden.

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Hallo,
eigentlich ist Asperger nicht vererbar.
Jetzt hat meine Tochter wirklich ein aussergewöhnliche Syndrom.
Geholfen hat eine Humangenetikerin.
Von ratlosen Ärzten zur Seite gezogen.
Zwar ist das Krankheitsbild extraordinär, aber es es hat auch gezeigt, dass die Eltern schuldlos sind! Wäre vielleicht ein Weg.
Mao

Hallo,

Die Diagnose im Erwachsenenalter ist schwierig. Viele Aspies haben gelernt, mit ihren Defiziten umzugehen, sie haben sich so weit wie möglich angepasst. Sie wirken auf Außenstehende oft nur ein wenig „komisch“. Wie stark sie das Kaschieren der Symptome belastet, welche tägliche Erschöpfung das Ausgleichen des Mangels an Empathie durch intellektuelle Fähigkeiten bedeutet, dass ist für neurotypische Menschen nicht oder nur schwer zu erkennen.

Je höher die intellektuellen Fähigkeiten um so schwieriger wird auch für einen Psychologen die Diagnose - bei Frauen ists nochmal schwieriger als bei Männern. Und so kann es sein, dass der Arzt die Belastung nicht erkennt, dass er nicht gewahr wird, dass der Patient in jahrelanger Arbeit gelernt hat, die Defizite zu überspielen. Dadurch kann es recht lange dauern, bis man seine Diagnose in den Händen hält.

Es gibt Aspies, denen reicht es selbst zu wissen, dass sie Asperger haben. Die brauchen keine Diagnose vom Arzt, nur damit sie bestätigt bekommen, was sie selbst schon wissen. Andere wiederum brauchen die Bestätigung, sie sind unsicher und verzweifelt. Was im Einzelfall richtig ist, muss der (vermutliche) Aspie selbst für sich entscheiden.

ich las von einer (nicht erwiesenen) Vermutung, dass ein großer Teil der Burnout-Diagnostizierten eine Störung im Asperger-Spektrum haben. Das wiederum kann dazu führen, dass ein Psychologe eher an Burnout oder gar an Depressionen leidet. (Wobei wohl viele Aspies depressive Schübe haben. Ich für meinen Teil nenne es Melancholie.)

Das kommt auf die schwere der Behinderung an, mit den normalen Anforderungen im Leben klar zu kommen. Die einen Aspies fliegen aus jeden Job raus, weil man mit ihrer offenen Art nicht klar kommt oder weil sie dauernd mit Emotionen überfordert werden. Die anderen finden den Job, der gut zu ihnen passt, in dem sie völlig aufgehen können und werden durch ihre Andersartigkeit nicht behindert. Der ersten Gruppe wird man einen Grad der Behinderung zusprechen, mit allen Konsequenzen wie Gleichstellung. Der anderen Gruppe wird man sicher keinen oder nur einen kleinen GdB bescheinigen. Aber die Beantragung des GdB ist auch noch mal ein Hürdenlauf, den der Aspie meistern muss - nicht für jeden rosige Aussichten.

Das wäre schön. Ein Job, der auf die vorhandenen Inselinteressen ausgerichtet ist, der den Kontakt zu anderen Menschen so weit wie möglich nicht erfordert und ein Kollegium, denen man das erklären kann und die dafür Verständnis haben. Ich fürchte, die Aspies, die so einen Job finden, sind die, die keinen GdB brauchen.

Grüße
Pierre

Ummh, doch. Die Ursachen sind zwar noch nicht restlos geklärt, aber Asperger tritt durchaus familiär gehäuft auf, und es wurde auch bereits mindestens ein Gen gefunden, das mit Asperger in Zusammenhang steht.

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PS:
Ich bin bei dem Thema nicht ganz unbeleckt, da ich selbst einen Sohn mit leichtem Asperger habe (der im Alltag bislang gut zurecht kommt, solange ich darauf achte, dass er nicht mit verkehrt herum angezogenen Kleidern aus dem Haus geht, und deshalb bis jetzt keine weiteren Hilfen gebraucht hat klopfaufholz). Und die Informationen über wie auch immer geartete Hilfen in Deutschland (und nicht beispielsweise in den USA) für erst im Erwachsenenalter Diagnostizierte sind eben nicht ganz so üppig.

Nachtrag:

Selbst wenn sich der Asperger-Betroffene entschließt, keine professionelle Diagnose durchführen zu lassen, so kann man ihm raten, sich durch populärwissenschaftliche Literatur durchzuarbeiten, Blogs von anderen Betroffenen zu lesen und vielleicht eine Selbsthilfegruppe zu suchen. Das kann helfen, die eigene Andersartigkeit zu erkennen, und das manchmal überraschende, befremdliche Verhalten zu verstehen.

Das Erkennen und Verstehen kann dabei helfen, seine Gefühle zu verstehen und, auch wenn man es bisher nicht gewohnt ist, zu formulieren. Und das wiederum kann aus meiner Sicht hilfreich sein, um sich den Menschen zu erklären, die einem wichtig sind.

Grüße

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Noch ein Nachtrag:

Hier gibt es eine informative Zusammenstellung über die Anerkennung von Asperger als Behinderung. Und die Einteilung in die verschiedenen Behinderungsgrade. Es wird auch erklärt, wo die Vor- und Nachteile der Anerkennung liegen.

Grüße

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Hallo,

genau dieses „Durchwursteln“ - ggfs. mit Hilfe von sozialen Netzwerken - sind die „sozialen Schwierigkeiten“. Denn dieses „Durchwursteln“ bedeutet, daß man nur sehr eingeschränkt am beruflichen und sozialen Leben teilnimmt und für viele Situationen „Vermeidungsstrategien“ entwickelt.
Darüber hinaus wird auch die Berufswahl eingeengt, weil natürlich die Betroffenen sich idR auf einige wenige, ihren wahrgenommenen Begabungen entsprechende Berufe wählen oder aber früh im Berufsleben scheitern.
Das hat zuerst einmal nichts mit „sozialen Seltsamkeiten“ zu tun, weil idR Asperger-Patienten sich oft, wenn sich bestimmte unangenehme/bedrohliche/angsteinflößende Situationen eben nicht durch Vermeidungsstrategie vermeiden lassen, sich sehr oft möglichst unauffällig und überangepasst verhalten.
Insoweit passt Deine Beschreibung sehr wohl zu einem „Vollbild“ von Asperger-Autismus, der wie geschrieben zu einem GdB von mindestens 50 führt.

Deswegen wird Asperger-Autismus generell recht spät diagnostiziert, sofern es nicht mit (relativ seltenen) frühkindlichen motorischen Störungen einhergeht…
Untersuchungen zeigen, daß ein Asperger-Autismus durchschnittlich um das 35. Lj herum diagnostiziert wird und 75 - 85% der Betroffenen ihre Diagnose nach dem 18. Lj bekommen.

Und das es zumindest sehr auffällige statistische Korrelationen gibt, die eine Vererbbarkeit zumindest nahlegen, ist in der mir bekannten Literatur unumstritten.

&Tschüß
Wolfgang

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Hallo nochmal,

eben gerade fand ich bei einer Bloggerin einen Artikel über ihre Erfahrungen bei der Asperger-Diagnose im Erwachsenenalter:

https://schreinerma111.wordpress.com/2018/06/18/wenn-diagnoseverfahren-krank-machen/

Link-Adresse kopieren und im Browser einsetzen, ich habe mit Absicht keinen klickbaren Link gesetzt

Grüße
Pierre

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https://kobinet-nachrichten.org/2018/01/31/autistische-frauen-beraten/

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Hallo Pierre,

Sie sprechen mir aus der Seele. Ich als Bauj. `60 war ein „schwieriges“ Kind. Meine Eltern haben mich zu den Seelenklempnern geschickt bis zum Umfallen.

"Je höher die intellektuellen Fähigkeiten um so schwieriger wird auch für einen Psychologen die Diagnose "

Ich hatte schon sehr früh sog. Inselbegabungen und konnte mich da so vertiefen, daß es schon eine Atomexplosion benötigt hätte um mich da herauszunehmen.

Auch in der Schulzeit hieß es oft - frag den „Verrückten“, der aber viel weiss.

Das war damals eine richtige Belastung, weil ich auch eine Empathiedefizit habe. Damals Mädels kennenzulernen war ein echtes Problem. Ich konnte die Annäherungsversuche so gut wie nicht richtig interpretieren.

Deswegen habe ich mich in Drogen geflüchtet, weil diese anscheinend in meinem Kopf eine Milderung verursacht haben.

Bundeswehr, der Alptraum. Bis ich dann im Hochgebirgszug und Einzelkämpfer war. Akribie, helfen der Kameraden in kritischen Situationen aber mit viel Abstand und viel persönlicher Distanz. Als Einzelkämpfer war ich wirklich sehr gut.

Bis ich in meinem ersten Studiengang ein Mädel kennengelernt habe, die mich sehr fasziniert hat. Deren Eltern waren Psychologen und haben mich bei den vielen Besuchen/Aufenthalten auf eine gute Tour mit meinem Problem konfrontiert, aufgeklärt und Strategien erarbeitet. Mein Asperger grenzt schon nahe zum Autismus.

Diese Mädel ist meine Frau, wir haben 4 Kinder und 7 Enkel.

Es gab und gibt viele schwierige Zeiten und ich kann mich noch an so viele Fragen von unseren Kindern erinnern - Mama, warum ist Papa wieder so komisch? Mir hat das Herz geblutet, aber ich konnte nicht anders.
Dennoch hat unsere gegenseitige Liebe und die unserer Kinder und Enkel mir einen Pol gegeben, weil diese damit umgehen können.

Die älteste Tochter geht immer mit auf die Jagd und vor ein paar Jahren sagte Sie mal zu mir - Wenn wir auf der Jagd sind und Du in deinem Element bist und ich dir in die Augen sehe, erkenne ich den herzensguten Menschen und Vater, der oft von Zwängen gesteuert wird und uns und unsere Mutter liebt und alles ermöglicht hat.

In unserem Dorf mit 500 Menschen kennt jeder das und dennoch bin ich integriert.

Gruß
Trianon

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