Hallo Mathias,
„Aus den Augen aus dem Sinn“ führt dazu, dass alle Menschen
die meiste Zeit unethisch handeln, in Bezug auf das, was sie
selbst als ethisch empfinden würden, wenn die Auswirkungen
ihrer Handlungen direkt bewußt wären.
das ist möglicherweise richtig, dennoch muss man auf jeden Fall zumindest drei Aspekte anfügen:
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in vielen Fällen könnten die Auswirkungen durchaus bewusst sein; sie sind aber so vielfältig, dass ein Widerspruch innerhalb der ethischen Grundsätze einer und derselben Person entsteht.
Z.B. kann man ja problemlos gleichzeitig für Tierschutz und für medizinischen Fortschritt sein; wie verhält man sich im Falle der Tierversuche? (das war nur ein sehr einfaches Beispiel, in vielen Dingen sind die Auswirkungen weit komplexer)
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in vielen Bereichen ist es so, dass man gerne bestimmte ethische Haltungen in die Praxis umsetzen würde, dies aber aus ökonomischen (im weiteren Sinne, also etwa auch die Zeit einschließend, verstanden) Gründen nicht kann;
Beispiel: eine Person kann für Umweltschutz sein, benötigt aber ein Auto um zur Arbeit zu kommen; diese Person würde gerne eine Auto mit neuester Schadstoffvermeidungstechnologie fahren, kann sich aber nur nen alten Golf mit U-Kat leisten…
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in ganz vielen Bereichen hängt die Auswirkung von Verhalten nicht davon ab was einzelne Personen denken und tun, sondern vom Verhalten eines Kollektivs;
nochmal zum Beispiel eben: die Umweltschutz-Person würde gerne gar nicht Auto, sondern Bahn fahren; kann dies aber nicht, weil die Bahnstrecke stillgelegt wurde, da sie zu wenig genutzt worden ist…
Die Mehrzahl der Menschen sind Fleischesser. Die Mehrzahl von
diesen Menschen, so meine Meinung, würde sich jedoch gegen das
Töten z.B. des Rinds entscheiden, das direkt vor ihnen steht,
wenn sie alternativ ein Brot backen könnten.
Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, den Du hier ansprichst.
In vielen Bereichen gilt der ethische Grundsatz nur dann, wenn man das „Objekt“ auf das dieser Grundsatz zielt, als gegenwärtig empfindet.
Z.B. würde hier in Deutschland kaum jemand sagen, man solle Arbeitslose verhungern lassen, weil diese halt irgendwie die falsche Ausbildung, etc. hätten, damit doch selber schuld seien;
dieselben Personen sind aber der Ansicht, dass die Entwicklungshilfe für Afrika nicht erhöht werden soll, weil die doch selbst schuld seien, wenn sie ihre Wirtschaft nicht selbst hochbrächten,…
Hier spielen noch andere Dimensionen mit hinein, v.a. die Frage, wen man zu seiner Gruppe zählt, als ein Wir betrachtet (hier: die Deutschen), und das Prinzip der Verantwortungsdiffusion (hier z.B.: „Sollen doch erst mal die Amis ihre Entwicklungshilfe erhöhen, dann machens wirs auch“).
Vor diesem Hintergrund ist es fast müßig zu diskutieren was
ethisch richtiges Verhalten wäre, weil sich sowieso so gut wie
niemand daran hält.
Das halte ich für viel zu vorschnell; ich habe versucht zu zeigen, wie schwierig das mit der Ethik ist; aber Schwierigkeit ist noch lange keine Müßigkeit.
Auf der anderen Seite hast Du natürlich auch Recht; gegen das von Dir angesprochene Standby hilft eine technische Lösung (kein Standbyknopf) bzw. eine politische Lösung besser (Gesetz gegen die Verwendung von Standbygeräten).
Für das Beispiel Standby klingt das ein bißchen absurd, aber für die oben angesprochenen „Afrikaner“ sicher nicht.
Mache ich einen groben Denkfehler?
Aus meiner Sicht machst Du keinen groben Denkfehler;
Du simplifizierst die Problematik lediglich etwas über Gebühr und kommst deshalb mit zu wenig Bedenken und zu wenig Selbstkritik zu einem Fazit, das durchaus akzeptabel ist in der Philosophie: dass man auf Ethik nicht bauen kann.
(By the way: In der Philosophie des 20. Jahrhunderts ist zweifelsfrei eine „Krise der Ethik“ festzustellen)
Bzw. welche
philosophische Richtung entspricht mein Gedankengang? Ich
würde gern mehr in dieser Richtung lesen
Da müsstest Du erst mal Deinen Gedankengang feiner nuancieren, dann könnte ich wahrscheinlich Empfehlungen abgeben; im Moment ist das Raster noch viel zu grob.
Viele Grüße
franz