Bass-Knödeln, wie nennt man das wissenschaftlich?

Wie nennt man Abweichungen von der normalen Stimmlage, die unbewusst oder halbbewusst eingesetzt werden, um einen bestimmten Personentypus darzustellen?

Auf die Frage gekommen bin ich bei dem Video

http://www.youtube.com/watch?v=g3wQOQH1vyE

das ich eben mit meinem Sohn angeschaut habe. Meine Frage: Die Tonhöhe, die jemand anschlägt und die andere als künstlich oder aufgesetzt empfinden, ist ja eigentlich weder eine Sache der Phonetik noch der Intonationsforschung. Wie aber wird das – und in welcher linguistischen Subdisziplin – beschrieben?

Nehmen wir also z. B. Henry Kissinger, der seine Stimme sehr künstlich in den Bass gedrückt hat, so dass man das Anschrammen der Stimmbänder förmlich ‚‚sehen‘‘ konnte, da muss es ja eine Beschreibung geben?

Entsprechend natürlich, zur Betonung der Weiblichkeit, die hohe Stimme bei Frauen oder Frauen-Imitatoren. Und der Tonverlauf, der als ‚typisch schwul‘
empfunden wird.

http://www.youtube.com/watch?v=VUeSucsrRIU
Wo wird all das beschrieben?

Gibt es über diese Stimm- und Intonationsdinge wissenschaftliche Untersuchungen?

Hallo delabarquera,

um deine Frage zu beantworten - ich weiß es nicht, ich habe noch nicht einmal von dem Wort „Bass-Knödeln“ gehört…

Ich weiß allerdings, dass es in der Musik, respektive im Gesang, die Falsettstimme gibt. Diese kann man auch als Kopfstimme bezeichnen, die von Bass- oder Tenorsängern „erzwungen“ werden kann. Die Stimmlage wird dabei um eine Oktave angehoben, wenn mich nicht alles täuscht. Ein Beispiel hierfür wäre Matthew Bellamy, der Sänger der englischen Band Muse. Meines Wissens gilt der Begriff aber nicht ausschließlich für die Musik, sondern das Falsett kann auch beim Sprechen „eingesetzt“ werden - ganz so, wie du z.B. meintest, wenn Männer Frauenstimmen imitieren.

Ich hoffe, ich liege nicht falsch, aber mehr kann ich dir dazu leider auch nicht sagen.

Viele Grüße
PlanB

Hallo

soweit ich weiß sind das keine Fragen, mit der sich die Phonetik beschäftigt. Bzw die theoretische Linguistik allgemein. Ich kann mir allerdings vorstellen, dass angewandte Sprachwissenschaften solche Fragen behandeln, etwa die Soziolinguistik. Mit Sprechsituationen allgemein beschäftigt sich die Pragmatik.

Allerings übersteigen beide Teilgebiete meine Kenntnisse, vielleicht solltest Du jemanden anderen fragen.

Beste Grüße,
elis.

Hallo!
Bass-Knödeln… ? Keine Ahnung, habe mir die Videos nicht ganz angesehen.
Zu den anderen Fragen: Kurze Fragen, aber superkomplizierte Antworten, zu denen es hunderte von Studien gibt, Zu finden oft unter dem Oberbegriff der Stimmqualität (oder Phonation oder auch Intonation, je nach Autor).
Die Abweichungen der normalen Stimmlage sind ganz genau ein Teilbereich der Phonetik. Dies bezieht sich auf die Schwingungsfrequenz der Stimmlippen während des Sprchvorgangs sowie der gesamtén Stellung des Sprachproduktionstraktes. Z.B. prototypische Schwule sprechen oft sehr aspiriert (behaucht) sowie nasaliert (auch K. in dem Video), Frauenstimmen zeichnen sich durch eine höhere Grundfrequenz als Männe aus (die Stimmlippen sind kürzer, dadurch schwingen sie öfter pro Sekunde, was zu einer höheren Hertzzahl führt, die als höhere Tonlage wahrgenommen wird.)
Wie gesagt, alles einigermaßen kompliziert im Kurzen, aber ich habe damit 5 Jahre Studium verbracht.
Stimmqualität müsste dir weiterhelfen.

Hallo!

Wie nennt man Abweichungen von der normalen
Stimmlage, die unbewusst oder halbbewusst
eingesetzt werden, um einen bestimmten
Personentypus darzustellen?

Ganz allgemein gibt es für solche Abweichungen den Begriff der Prosodie. Diese wird ganz alltäglich dazu eingesetzt, über Tonhöhenschwankungen die Bedeutung von Sprechakten zu konkretisieren. Eine Aussage zum Beispiel endet mit fallender Tonhöhe, eine Frage endet mit steigender Tonhöhe, und einzelne Wörter oder Silben können zum Zweck der Kontrastierung immer durch Anhebung der Grundfrequenz hervorgehoben werden:
„ICH besitze ein blaues Auto (und nicht meine Frau).“
„Ich besitze ein BLAUES Auto (und kein grünes).“

Die Tonhöhe, die jemand anschlägt und die
andere als künstlich oder aufgesetzt
empfinden, ist ja eigentlich weder eine Sache
der Phonetik noch der Intonationsforschung.

Das würde ich so nicht sagen - wenn wir den Satzteil „die andere als künstlich oder aufgesetzt empfinden“ mal weglassen, denn in den meisten, zumindest in vielen, Fällen soll dies ja nicht bemerkt werden, und in dem Bereich wird die Sache zum Objekt der Forensischen Phonetik, einfacher ausgedrückt: Kriminalistische Sprechererkennung.
Die messbaren Eigenschaften der menschlichen Stimme sind zwar nicht so einzigartig wie zum Beispiel die Anordnung der Blutgefäße im menschlichen Auge, aber auch unsere Vokaltrakte, der Bereich zwischen Kehlkopf und Lippen, sind einzigartig genug, um ihre Filterfunktion auf so wenige Frequenzbereiche runter zu brechen, um zwar keine eindeutigen Beweise, aber stichhaltige Indizien zur Erkennung eines Sprechers zu liefern.
Oder besser gesagt: Zur Wiedererkennung, da das Verfahren bedingt, dass man eine vergleichende Aufnahme hat, z.B. die Lösegeldforderung am Telefon einerseits kann mit der Aufnahme aus der Vernehmung des Verdächtigen verglichen werden. Oder ein Tonband von 2005 wird mit einer Videoaufnahme von 2001 verglichen, um Anhaltspunkte dafür zu erhalten, ob der Sprecher auf dem Tonband tatsächlich Osama bin Laden ist (da es Gerüchte gab, er sei längst tot).

Nehmen wir also z. B. Henry Kissinger, der
seine Stimme sehr künstlich in den Bass
gedrückt hat

Evolutionär bedingt klingen dunkle Stimmen vertrauenswürdiger. Man redet oft von der „Pastorenstimme“. Man sagt etwas solches auch so mancher Fußballkommentatorin nach, sie würde dunkler sprechen, um als Frau in dem Männergeschäft eher für voll genommen zu werden (als ob Frauen grundsätzlich weniger Ahnung von Fußball haben müssten).
Hier wiederum könnte man eine Überschneidung in den Bereich der Logopädie sehen, der Sprechausbildung. Man korrigiert damit Fehler wie Stottern oder Lispeln, perfektioniert den Redefluss von Nachrichten- und Synchronsprechern, aber man kann auch, siehe Kissinger, den Sprecher an ein populäres Ideal heranführen (was eigentlich als arglistige Täuschung gelten sollte).

Entsprechend natürlich, zur Betonung der
Weiblichkeit, die hohe Stimme bei Frauen
oder Frauen-Imitatoren. Und der
Tonverlauf, der als ‚typisch schwul‘
empfunden wird.

Ein Mensch kann grundsätzlich alle menschlich gemachten Laute imitieren. Für die Unterhaltungsbranche gelten natürlich ganz andere Maßstäbe, da auch eine „schlechte“ Imitation wiederum einen eigenen Unterhaltungswert haben kann.
Grundsätzlich haben Männer eine tiefere Stimme als Frauen und diese wiederum tiefere Stimmen als Kinder. Dies hängt zum einen mit der Länge und Masse der Stimmlippen zusammen, zum anderen mit der Länge und dem Volumen des Vokaltrakts. Je größer die Stimmlippen sind, desto tiefer ist die Grundfrequenz, ein größerer Hohlraum verstärkt tiefere Frequenzen als ein kleiner. Längere Klavierseiten klingen tiefer als kurze, eine Tuba kommt ganz anders rüber als eine kleine Jazztrompete.

Es tut mir leid, dass ich keine große Hilfe sein kann.
Beim Thema Forensik kann ich sie an Prof. Dr. Angelika Braun verweisen, die an der Uni Trier lehrt. Sie ist in dem Bereich das, was man eine Koryphäe nennt.

Ich selbst habe für September eine kleine Studienreihe initiiert, um mich mit dem Thema der verstellten Stimme eingehender zu befassen, weil ich zuwenig darüber weiß, wobei es mir allerdings um die Synchronsprecherei geht, mit der Frage, ob die verschiedenen Personendarstellungen nur durch oberflächliche Grundfrequenz- und Formantenänderungen zu Stande kommen, oder ob die SprecherInnen in der Lage sind, ihre Stimmen so anzupassen, dass man sie auch durch eingehende Analysen nicht mehr der selben Quelle zuordnen kann.

Mit besten Grüßen,

Dominik Schwarz

Hallo delabarquera,
Ich finde, das ist eine ideale Frage, um sie im Brett „Fremdsprachen“ zu stellen, genauso wie sie ist (mit 'ner Begrüßung am Anfang und 'nem Gruß am Ende). Ich hätte da eine Idee, wo darüber etwas stehen könnte, da muss ich mal nachschlagen… aber vielleicht kennen sich dort andere auch damit aus oder kennen diese „Phonationstypen“ (wenn man diese so nennen kann).

Daher schlag ich vor: stell die Frage mal öffentlich im Forum, dann können mehr Leute antworten, die darüber vielleicht etwas wissen. Ich werde dann auch auf jeden Fall antworten.

Viele Grüße,

  • André

Liebe/r delabarquera,

hatte ein bisschen viel zu tun, werde Deine Anfrage aber morgen hoffentlich beantworten können.

Viele Grüße,
Cordula

Hallo, André!

Dank für den Hinweis. Man sieht, ich war schon seit einiger Zeit nicht mehr bei Wer-W-W. Es hat sich da ja so einiges geändert.

Was die Anrede angeht – so bin ich von der alten Sache ausgegangen: dass Wer-Weiss-Was immer automatisch so schöne Formeln drüber und drunter setzt. War jedenfalls nicht unhöflich gemeint.

Viele Grüße! Delabarquera.

Hi,

der Sprecher in dem von Dir verlinkten Video knödelt keineswegs im Bass. Ganz im Gegenteil: er benutzt seine Stimme sehr korrekt auf eine entspannte Weise mit gut geschlossenen Stimmbändern und bewusst tief stehender Kehle. So wie es unter anderem auch von guten Sängern im Klassischen Gesang in den Tiefen Lagen verlangt wird.
Denn dadurch vergrößert/verlängert sich der Bereich oberhalb der Tongebenden Glottis (Stimmritze) erheblich und es kann mehr Resonanz entstehen.

Die dadurch entstehenden Partialtöne geben der Stimme eine höhere klangliche Dichte, und die Stimme kann sich allgemein besser entspannen. Somit steigt auch die Tragfähigkeit. Auch das anheben der Lautstärke wird bei dieser Stimme nicht zu einer Verspannung führen sondern nur zu einem „größer werden“ des Tones.

Diese Art die Stimme zu führen wird von den meisten Menschen als sehr „sonor“ und angenehm empfunden, so das ich mich wundere, das Du das Wort Bass-Knödel dafür verwendest.

In der Stimmphysiologie unterscheidet man zwischen Funktionsregistern und phänomenologischen Stimmregistern. Zu letzteren gehört auch das sogenannte Strobass- oder auch Schnarregister genannte, dass eher einem Geräusch als einem Ton ähnelt und in der tiefsten (meist) männlichen Stimme angesiedelt ist.

Wenn Dir der Sound etwas ungewöhnlich vorkommt, dann vielleicht deshalb, weil er diesem eben genannten Register klanglich sehr nahe kommt. Es handelt sich aber in dem hier benutzten Bereich immer noch um einen- wenn auch sehr tiefen, guten obertonreichen und damit legitimen Sound, der keineswegs aufgesetzt ist, sondern der besonderen momentanen Verfassung und der Persönlichkeit des Sprechenden durchaus entspricht. Jedenfalls klingt er in meinen Ohren nicht maniriert.

Hierbei möchte ich noch erwähnen, das es sich bei der „Falsettstimme“ und der „Kopfstimme“ um zwei unterschiedliche Einstellungen der Stimme handelt (Registrierung)die Ihre Ursachen in einer jeweils anderen Stimmbandkonfiguration finden.
Dies wird leider oft auch von vermeindlichen Kennern fallsch interpretiert.
Die Kopfstimme umfasst den gesamten Umfang der Stimme, während das Falsett immer in den hohen Lagen (idealerweise auch noch im oberen Bereich der Mittellage) angesiedelt ist.

Der von Dir weiterhin noch angesprochene Hohe Ton, der die Frauenstimme imitieren soll entsteht meist durch Überbetonung und/oder Vermischung von Falsett und Kopstimme - vorwiegend im oberen Bereich der stimmlichen Mittellage und darüber hinaus. Oft auch benutzt von versierten Soulsängern (zB. Stevie Wonder u.w.) und u.u. auch sehr lyrischen Tenören.

Knödeln ist übrigens ein fester Begriff und beschreibt eine unangenehme Form der Stimmgebung, bei der der hintere abfallende Bereich der Zunge wie bei eine Schluckbewegung in den Rachenraum zurückgezogen wird (meist noch verbunden mit übermässigem Druck), um der Stimme eine falsch verstandene kopfige Resonanz zu geben. Neben dem Näseln ist Knödeln eine der unangenehmsten Angewohnheiten schlechter Sänger.

Im übrigen schließe ich mich meinen Vorrednern an: Es ist ein weites Feld und es gäbe viel dazu zu sagen. Wahrscheinlich mehr, als Du eigentlich wissen wolltest. :wink:

Liebe Grüße
Bernard

www.AbenteuerSingen.de