Baugruppe aus China und ISO9000

Guten Abend!

Ein gemäß ISO9000 arbeitender Hersteller möchte in seinem Produkt eine Baugruppe aus China einsetzen. Über die Baugruppe gibt es nur rudimentäre technische Daten, aber z. B. kein Schaltbild, keine Zulassungen, nichts. Einblick in die Produktion gibt es ebenfalls nicht, wobei nicht einmal so ganz sicher ist, wo die Baugruppe wirklich hergestellt wird.

Der deutsche Hersteller will die Baugruppe aber unbedingt verwenden. Wie ist dabei vorzugehen? Reicht es, die vom Hersteller nicht gelieferten Prüfprotokolle/Zertifikate durch eigene Messungen selbst zu erstellen?

Gruß
Wolfgang

Hallo Wolfgang,

Ein gemäß ISO9000 arbeitender Hersteller möchte in seinem Produkt eine Baugruppe …
einsetzen … über die gibt es … kein Schaltbild, keine Zulassungen, nichts. Einblick in die
Produktion gibt es ebenfalls nicht, wobei nicht einmal so ganz sicher ist, wo die Baugruppe
wirklich hergestellt wird.

also falls der Hersteller tatsächlich nach 9000er Reihe arbeitet, dann frage ich mich, wie der Zulieferant die Freigabe erlangt hat. Die geschilderte Unkenntnis paßt nicht mit der Arbeitsweise der 9000er Reihe zusammen. Da müßte schon längst die Lieferanten-Sperre verhängt worden sein.

Gruß Steff

Hallo Steff!

also falls der Hersteller tatsächlich nach 9000er Reihe
arbeitet, dann frage ich mich, wie der Zulieferant die
Freigabe erlangt hat.

Das Problem ist die Alleinstellung des Lieferanten. Die Erzeugnisse müssen nur speziell genug sein, dann tauchen ähnliche Probleme an allen Ecken und Enden auf. Beispiel: Ein Glasfaserhersteller bietet eine Faser aus einer speziellen Glassorte an. Ich kann zwar mechanische Maße, Schmelzpunkt und Brechungsindex messen, aber um welche Glassorte es sich handelt und woraus das Coating besteht, verrät der Hersteller nicht. Seine Vorlieferanten gibt er nicht preis und Zweitlieferanten für ein vergleichbares Produkt gibt es nicht. Die eigene Lieferfähigkeit kann man nur sichern, indem man sich mit ausreichender Menge eindeckt. Da heißt es friss oder stirb. Wenn man ausgerechnet diese spezielle Faser für ein nicht minder spezielles Produkt braucht, möchte man ungern sterben. Dieses Beispiel betrifft einen US-amerikanischen Faserhersteller.

Weiteres Beispiel, den aktuellen Fall betreffend: Ein chinesischer Hersteller bietet Baugruppen an. Bekannt ist nur, was die Baugruppe am Ausgang liefert. Ich weiß nicht einmal genau, wer der Hersteller ist, habe kein Schaltbild, keinen unabhängigen Zweitlieferanten und eine Typenbezeichnung, mit der man via Internet vergeblich sucht. Natürlich kann man die Baugruppe selbst entwickeln. Das wird auch irgendwann so enden, enden müssen. Aber bis die Eigenentwicklung auf einem reproduzierbaren Stand ist, vergehen mindestens Monate, realistisch ist eher ein Jahr. Ist für den Vertrieb aber nicht darstellbar. Es gibt Kunden und Lieferverpflichtungen, daß einem schwindelig werden kann. Wir können doch nicht … wir dürfen doch nicht … unsere Regeln … wenn man vor teuren, seeehr teuren Sachzwängen steht, kommt man damit nicht weiter. Man braucht keine Bedenkenträger, man braucht eine praktikable Lösung. Jetzt.

Natürlich, irgendein chiesischer Zwischenhändler veranstaltet gerne Wünsch-dir-was und liefert auf Anfrage jedes, aber wirklich jedes gewünschte Zertifikat. Da geht’s zu wie beim Handel mit Mondgrundstücken. Man muß sich verkohlt vorkommen, dafür Geld auszugeben,

Deshalb wollte ich die chinesische Baugruppe als Black Box betrachten und allen für die Anwendung relevanten Prüfungen unterziehen. Eine erschöpfende Prüfung jedes Einzelstücks (es sind Abertausende) ist nicht möglich, weil der Aufwand zu groß wäre und außerdem sind auch zerstörende Prüfungen dabei. Die Stückprüfung ist nur als Funktionsprüfung aus wenigen einfachen Messungen vorgesehen. Bei augenfällig bemerkbaren Veränderungen einer Charge wird eben die erschöpfende Prüfung an Einzelexemplaren der Charge wiederholt. Natürlich werden alle Prüfergebnisse dokumentiert. Parallel dazu wird die Eigenentwicklung nach allen Regeln der Kunst und der Qualitätssicherung durchgeführt, aber mit naturgemäß unsicherem Zeithorizont. Kann man so ISO9000-konform vorgehen?

Die geschilderte Unkenntnis paßt nicht mit der Arbeitsweise der 9000er Reihe zusammen.

Dessen bin ich mir bewußt, Deshalb soll für Abhilfe gesorgt werden. Aber zunächst einmal wird eine Lösung gebraucht. Von reiner Lehre kann keiner leben, sondern nur davon, daß man Ware auf die Rampe stellt, deren sicherer Betrieb gewährleistet ist, für die man keine unvertretbaren Haftungsrisiken eingeht, mit der man Termine einhält und Kunden zufrieden stellt.

Gruß
Wolfgang

Hallo Wolfgang,

um es gleich vorweg zu nehmen, ja man kann mit der 9000er konform gehen, nämlich mit der Argumentation der Übergangslösung bis ein Zweitlieferant gefunden ist. Bis dahin muß man einen erhöhten Aufwand in der WE-Prüfung treiben (Stichwort AOL), und ein ausgeklügeltes System der Rückverfolgbarkeit haben, so daß im Falle einer Fehlerfindung sofort alle evtl betroffenen Teile gefunden, eingegrenzt und vor der weiteren Verwendung ausgeschlossen werden können. Eventuell ist Nacharbeit möglich. Kosten für Nacharbeit und für Ausschuß/Verschrottung sollten erfaßt werden, damit man einen Überblick hat.

Dies aber wie gesagt nur als Übergangslösung, jeder Auditor wird im Audit nachschauen, welche Aktivitäten bei der Suche des Zweitlieferanten laufen, ob Spezifikationen erstellt werden und ob potentielle Zweitlieferanten zur Vorstellung von Mustern aufgefordert werden und ähnliches. Im Klartext heißt das also, daß jeder Auditor erkennen können will, daß das Problem erkannt wurde und an der Lösung gearbeitet wird. Sonst wird er es im Zertifizierungsaudit als Abweichung bewerten.

Dies ist jedoch nicht der Fall, Du suchst ja nach Lösungen, sonst würdest Du Dir hier keine Diskussonspartner suchen. Schon mal ein großer Pluspunkt für Dich.

Die Problematik, die Du schilderst ist übrigens keineswegs unbekannt, mit ähnlichen Problemen kämpft die Automobilindustrie ebenfalls.

Also als Übergangslösung einen erhöhten Aufwand im Waren-Eingang treiben, richtige statistische Eingangs-Prüfung aufbauen und ein funktionierendes System zur Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit erstellen, damit keine schadhaften Teile zum Kunden gelangen können. Und selbst wenn mal eine Charge zum Kunden durch rutscht, dann müssen Rückrufaktionen möglich sein. Ebenfalls ein Thema der Rückverfolgbarkeit.

Mit dieser Vorgehensweise bleibst du auch normkonform.

Gruß, Steff

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Guten Abend!

… sonst würdest Du Dir hier keine Diskussonspartner suchen.

Genau das isses. Obwohl ich nur eine praktikable Möglichkeit sehe, nämlich unter verschärfter WE-Kontrolle mit dem aktuellen Zustand zu leben, bis eine Eigenentwicklung fertig ist, braucht man einen Gesprächspartner. Gibt es den im Umfeld nicht - wie so oft - trifft man ziemlich einsame Entscheidungen.

Danke für Deine Beiträge.

Gruß.
Wolfgang