Baute man im 18. Jahrhundert qualitativ minderwertig?

Ich habe schon oft in diversen Chroniken von Städten und Schlössern gelesen, dass neu errichtete Gebäude im 18. Jahrhundert bereits nach relativ kurzer Zeit baufällig waren. Ich lese dann ungefähr so was hier: „… Das Schloss wurde im Jahr 1755 von Herzog XY erbaut. Im Jahre 1770 mussten umfangreiche Renovierungsarbeiten durchgeführt werden, da sich das Schloss in einem baufälligen Zustand befand …“
Hatte man damals grundsätzlich qualitativ minderwertig gebaut, oder woran lag es sonst, dass Gebäude nach teilweise nicht mal 20 Jahren kurz vor dem Zusammenbruch standen? Mich wundert es sehr, dass besonders adelige Repräsentationsbauten unter solchen Problemen litten. Normalerweise müsste man davon ausgehen, dass man sich hier besonders viel Mühe gab, oder?

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…kostet auch besonders viel Geld. Wenn man keins hat, baut man halt lieber billig.

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Möglicherweise liegt die Ursache in der damaligen Situation der Arbeitenden: oft musste unter Zwang zu Zeiten gearbeitet werden, die den meist bäuerlichen Arbeitsverpfilichteten für die Feldarbeit wichtig gewesen wären. Dementsprechend war die Motivation für Sorgfalt wahrscheinlich endenwollend, vielleicht wurde auch viel Material beiseitegebracht, sodaß z.B. der Mörtel wegen geringem Kalkanteil schlecht haltbar ausfiel.

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Ergänzend möchte ich noch die Baustoffverfügbarkeit und deren Reinheit in den Raum werfen.

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Servus,

in der Tat war Bauen in der Periode des Rokoko nicht für die Ewigkeit gemacht: Prachtvolle Anlagen dienen in erster Linie der Erzeugung einer schönen Illusion, alle Elemente der Architektur sind dem schönen Schein einer Kulisse untergeordnet. Die Meisterwerke des süddeutschen Rokoko, die Wallfahrtskirche in Steinhausen und die Wieskirche, beide von dem Star-Architekten Dominikus Zimmermann, gehen dabei so weit, dass die offene Zentralkuppel einer tragfähigen Statik vorgezogen wurde - wenn Steinhausen nicht in den 1970er Jahren gerettet worden wäre, indem man die Zentralkuppel mit einem Stahlbetongürtel gesichert hätte, hätten Dachstuhl und Kuppel die Seitenwände auf mittlere Sicht auseinandergedrückt bis zum Einsturz. Ähnliche Sicherungsarbeiten, etwas später etwa 1990. haben die Wies erhalten.

Die Freude am Spiel mit Formen und Illusion, die das Rokoko prägt, lässt sich vielleicht damit beleuchten, dass offenbar anhand von erhaltenen Abrechnungen belegt werden kann, dass die in dieser Epoche sehr beliebten Säulen aus Kunstmarmor (u.a. mit Rotwein und Ziegenmilch eingefärbtem Gips) in der Herstellung teurer kamen als italienischer echter Marmor.

Sicherlich. Aber nicht, um ein Werk zu schaffen, das lange Zeit überdauern sollte. Sondern z.B. um an einem Ort, an dem das vorhandene Wasser mit Mühe für den Bedarf der Küche reichte wie in La Granja de San Ildefonso, einen Park mit großen, prächtigen Springbrunnen anzulegen - die immer nur ein paar Minuten mit Wasser versorgt werden können, bis das versteckte Speicherbecken leer ist und sich nach und nach ganz langsam wieder füllt.

Rokoko-Architekten sind Meister der Illusion:

Der Saal ist nach oben offen, ein großer Himmel tut sich auf, der die ganze Geschichte göttlicher und menschlicher Weisheit illustriert - aber es ist alles bloß gemalt. Und der große Bestand der Bibliothek ist sorgsam einheitlich in helles Leder gebunden - aber kein einziges Buch in den Schränken ist echt:

Schöne Grüße

MM

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Sorry, bin da gar kein Experte, nur geschichtsinteressiert. Weiterführende Fragen, die sich mir stellen, kann ich beitragen:
Welche Regionen betraf dieses Phänomen, ist das Phänomen in anderen Regionen zu anderen Zeiten zu beobachten gewesen, gab es zu der Zeit evtl. eine „Adels-Schwemme“ mit evtl. kurzfristigem Gelderwerb, hat sich eine „Adelsetikette“ sprunghaft entwickelt oder waren die vielen Neu-Adligen der Etikette einfach verpflichtet?
Ich könnte mir schon vorstellen, dass aus dem im 18. Jahrhundert erstarkten Bürgertum plötzlich viele zum Adel gelangten, die den Prunk billig imitierten. Bekannt ist uns, dass im 18. Jahrhundert das Bürgertum erstarkte, was im 19. Jh. zu den bekannten Revolutionen führte. Ob und wie die „stärksten“ Bürger im 18. Jh. zu Adelsehren gelangten, weiß ich nicht, glaube ich nur zu erinnern.

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Ein tolles Beispiel einer trompe l’œil Malerei

Die prächtigste Entfaltung haben Rokoko-Bauten in Süddeutschland, Österreich und Böhmen entwickelt; schematisch kann man die Freude an - und sei es kurzlebiger - Prachtentfaltung nicht an schnellen Reichtum knüpfen: Die wohl wichtigsten Bauherren waren Mönchsorden, die Kirche und der Deutschritterorden, also lauter Organismen, die üblicherweise in Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden planen und agieren.

„Bürgerliches Rokoko“ ist unbedeutend - es dauerte noch ungefähr hundert Jahre, bis in der bürgerlichen Architektur wieder große, repräsentative Bauten (beiläufig von öfter mal zweifelhafter Ästhetik) errichtet wurden.

Schöne Grüße

MM

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Bei Wikipedia fand ich diesen Auszug:

Bis zum 16./17. Jahrhundert war der Erwerb eines landtagsfähigen Ritterguts faktisch oft die Voraussetzung für eine Erhebung in den Adelsstand. Dem lag eine noch immer landständisch geprägte Auffassung vom Adel zugrunde. Da solche alten Adelsgüter oft nicht in ausreichender Zahl erhältlich waren, durften auch neue errichtet werden, indem der Adelsbewerber landwirtschaftlichen Grund und Boden (ein Urbar) erwarb und mit einem Festen Haus oder Herrenhaus (einem Castrum ) versah. Da in dieser Zeit von Privatleuten aber keine neuen Burgen oder Festungsanlagen mehr erbaut werden durften und für größere Schlossbauten die Mittel der Aufsteigerfamilien zumeist nicht ausreichten, waren diese Häuser bescheidener dimensioniert; da viele Neuadlige ihren neugewonnenen Status aber auch überzeugend nach außen tragen wollten, orientierten sich die Herrenhäuser und Ansitze im 16./17. Jahrhundert – ähnlich den zeitgleichen Neubauten auf Altgütern – in ihrer Formensprache an den mittelalterlichen Vorgängerbauten des Adels, etwa durch Wassergräben, Türme, Zierzinnen, dekorative Erkerchen, nachgeahmte Pechnasen, Ringmauern, Eckquader oder Quadermalereien. Die förmliche Aufwertung zum Adelssitz, insbesondere durch steuerliche Freiung, bedurfte alsdann eines landesherrlichen Rechtsakts und die Ritterschaft musste den neuen Sitz immatrikulieren. (Ende des Auszugs)

Das wäre evtl. ein Hinweis darauf, dass im 18. Jh. der Neuadel stärkeren Zuwachs als je zuvor erfuhr und welcher zugleich gezwungen war, Bauten zur Legitimation ihrer Adelsanwartschaft und zugleich zwecks Repräsentation zu errichten. Auch wenn die Hürden sehr hoch lagen, immer mehr Menschen strebten in den Adelsstand, da dies lebenslange finanzielle Absicherung bedeutete. Möglicherweise wegen zahlreicher Baupfuscherei wurde das Recht auf Gebäudeerrichtung durch Privatpersonen im 18. Jh. gesetzlich eingeschränkt. Es gibt also durchaus den Zusammenhang von „Adelsschwemme“ und billige Errichtung von Protzbauten. Inwiefern das mit den Stilrichtungen, wie von Aprilfisch erwähnt, also Rokoko etc. zutun hat, da kann ich nicht mitreden.

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aber für letztere wären doch einige Belege ganz angebracht, finde ich. Mir ist kein Gebäude aus der Zeit ca. 1750 - 1800 bekannt, das man mit dieser Bezeichnung beschreiben könnte, und im Vergleich zu den bekannten Zeugnissen der umfangreichen Bautätigkeit von Kirche, Mönchsorden, Deutschritterorden und Hochadel aus dieser Zeit stehen einzelne, eher bescheidene Bauten des niederen Adels wie z.B. das überaus hübsche „Schloss“ in Seckenheim am alten Neckar ganz am Rande.

Unmittelbar vorher, Anfang des 18. Jahrhunderts im Hochbarock, wurden von nicht wenigen Hochadligen Schlösser gebaut, deren Größe und Ausstattung in keinem Verhältnis zur Leistungsfähigkeit der jeweiligen Herrschaften standen, z.B. das Residenzschloss in Ludwigsburg oder das Schloss Karlsruhe. Auch Bauherren wie die Herren Hohenlohe-Bartenstein sind bei aller Beschränkung von Vermögen und Mitteln nicht unbedingt einer „Adelsschwemme“ zuzurechnen, sondern im Gegenteil tief dunkelblaublütig, das Haus Hohenlohe gehört zum ältesten deutschen Hochadel.

Vor dem Hintergrund des Gesagten fände ich es schon interessant, wenn Du einige konkrete Exempel für billig zusammengepfuschte Protzbauten von Neuadligen aus der Zeit 1750 - 1800 namentlich nennen wolltest.

Schöne Grüße

MM

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Ja, ich müsste die Indizienkette verschließen können durch einzelne Beweise. Das fällt mir schwer. Im Moment haben wir das Problem, dass es der Experten ermangelt. Konkret müsste die Frage geklärt werden, welchen Verlauf die Zu-und Abnahme der Adelsanträge und Bewilligungen es über die Jahrhunderte gab und welchen Einfluss die Entstehung des Bürgertums dabei hatte. Dieser Prozess gipfelte im 19. Jh. in der Herausbildung des sog. Geldadels, der so genannt wurde weil er finanziell sich als ebenso potent erwies wie der Hochadel. Dieser Geldadel schaffte es belegterweise auch sehr oft in den echten Adelsstand, wie z.B. Krupp oder Rothschild. D.h., es gab diesen Druck aus dem immer reicher werdenden Bürgertum durch den Übergang zu kapitalistischen Produktionsverhältnissen. Die wollten alle die Steuervergünstigung des Adels mitnehmen. Im 18. Jh. war dieser Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus im vollen Gang.:slightly_smiling_face:

Ich geh von dieser Adelsschwemme aus und von den Sparzwängen, die für die Erreichung dieses Renommees entstanden. Wir brauchen andere Experten als Dich, Aprilfisch, sorry, und vielleicht auch andere Laien als mich um diese Frage abschließend beantworten zu können.

Servus,

dass es zwischen der Ära der Schlotbarone mit der deutschen Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der Ära der deutschen Zaunkönigreiche im späten Absolutismus dieses oder jenes Ereignis gab, das es nützlich scheinen lässt, das 18. und das 19, Jahrhundert und die Architektur in diesen beiden Jahrhunderten nicht mal eben als kontinuierliche Entwicklung zu betrachten, hast Du aber schon auch bedacht, hoffe ich? Ich denke da an den Sturm auf die Bastille, die Enthauptung Ludwigs des XVI, die Einführung eines einheitlichen europäischen (außer Großbritannien) Zivilrechts und des metrischen Systems und die militärischen und politischen Hintergründe dieser beiden Dinge usw.

Industrialisierung ohne Dampfmaschine und ohne Eisenbahn scheint mir auch ein bissle schwierig.

Und nicht zuletzt stand am Anfang dieses Threads die Frage nach dem Bauwesen in einer eng umgrenzten Zeit des späten 18. Jahrhunderts. Diese mit dem preußischen Geldadel der Gründerzeit in Zusammenhang zu bringen, scheint mir mehr als gewagt.

Vielleicht könntest Du einfach ein paar Belege für billige, schlechte Bauwerke geben, die von frisch Geadelten in der Zeit 1750 - 1800 erstellt worden sind? Vergleichende Beobachtung von Sachverhalten steht am Anfang jeder Hypothese.

Schöne Grüße

MM

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Hi!

War dann die Sant’Ignazio in Rom quasi eine Vorstufe bzgl. Scheinkuppel und Deckengemälde oder waren die römischen Kirchenbauer nur wieder einmal ihrer Zeit vorraus?

Fragende Grüße,
Tomh

Servus,

Les deux, mon général! - Beides trifft zu.

In der Tat waren die Architekten nicht nur von Kirchen in Italien während der gesamten Zeit der Renaissance und des Barock den Nachbarn nördlich und nordwestlich der Alpen schon ein Stück voraus - so könnte das seltsam wenig bekannte Meisterstück der deutschen Renaissance, das Rathaus von Augsburg, in Italien gut fünfzig bis hundert Jahre eher gebaut worden sein. Ist aber hätte, wäre, würde und von daher nicht ganz so viel wert.

Sant’Ignazio in Rom ist insofern eine Vorstufe zu den Zentralkirchen des Rokoko, als dort, in dem typisch „jesuitisch“ gezeichneten Schuhkarton, der ganze Raum aus strengen Horizontalen und Vertikalen entwickelt ist, die in der per Illusionsmalerei oben drauf gesetzten Fortsetzung nach oben noch weiter gehen. Man ist versucht, den Zollstock anzulegen und nachzurechnen, an wie vielen Verhältnissen der einzelnen Maße zueinander der Goldene Schnitt angewendet worden ist. Diese Betonung der klaren, geometrischen Formen, die ohne erkennbaren Bruch aus der Renaissance weitergeführt ist, findet man in früheren Entwicklungsstadien des Barock auch nördlich der Alpen, z.B. in der Kirche des ehem. Klosters Hofen, heute Schlosskirche in Friedrichshafen - für deutsche Verhältnisse frühes Barock, das für französische und erst recht für italienische Augen zu seiner Bauzeit 1702 hoffnungslos altmodisch aus der Zeit gefallen gewirkt hätte:

Eine Weiterentwicklung hin zu einem phantastischen Mikro-Universum, das unter (nur scheinbarer) Aufhebung aller Regeln von Geometrie und Statik vor den Augen des Betrachters schwingt, tanzt, strahlt, bilden dann die erwähnten Kirchen Steinhausen und Wies, bei denen natürlich die Maurer auch mit Wasserwaage und Senkblei arbeiteten, aber was davon noch nicht in der Komposition der Räume aufgehoben ist, wird mit Kulissen aus Stuck und Fresken aufgelöst. Entsprechend sind dort (und z.B. auch im gezeigten Bibliothekssaal des Klosters Schussenried) in den Deckengemälden nicht mehr wie in St. Ignaz keine Elemente der Architektur des Gebäudes mehr dargestellt.

(Dafür aber versteckt im Faltenwurf eines Prämonstratenserhabits in der Kniekehle einer der dargestellten Figuren ein Bildnis der Gattin des Malers Franz Georg Hermann im Halbprofil, das man als solches nur erkennt, wenn man den Ordensmann an der Decke zufällig im passenden Winkel anschaut - aber das gehört jetzt ganz woanders hin…)

Schöne Grüße

MM

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