Bedeutung von "Frieden" in christlichen Formeln

Liebe Theologoi,

eben hab ich im Gespräch mit dem Spatzl eines im Juli 2019 mit noch nicht 58 Jahren verstorbenen Gitarristen und Mediziners gedacht, dem Spatzl in ihrer Mainzer Zeit freundschaftlich verbunden war. Wir waren uns einig darin, dass es einigermaßen deplaziert ist, wenn einem zwar aufgeschlossenen, aber doch fest im Moselaner Katholizismus verwurzelten Menschen aus der Pop-Szene „rest in peace“ gewunschen wird, in völliger Unkenntnis darüber, dass es sich dabei um eine lateinische Segensformel für Tote handelt, die nur zufällig im Englischen mit den selben Buchstaben anfängt und seriös im Deutschen nur „Requiescat in Pace“, „Friede seiner Seele“ oder „Er ruhe in Frieden“ heißen sollte.

An dieser Stelle waren wir dann aber selber mit unserem Latein bald am Ende und fragten uns, was ich jetzt hier weiter frage:

Welche Bedeutung hat das Wort „Frieden“ in dieser Formel und anderen christlichen Formeln, in denen es vorkommt, und die wohl allesamt aus ganz frühem Christentum stammen, wie man u.a. am Gruß der abgespaltenen Arianer, die später ihre eigene Religion aufmachten, sehen kann?

Es wird heute vor allem evangelischerseits recht frei interpretiert, in den 1980er Jahren u.a. auch auf Cruise Missiles, Pershings und SS 20 bezogen - aber das ist sicherlich nicht das, was die zentrale Stellung dieses Begriffs ausmacht.

Hat das die Pharisäersekte um Isa Ibn Maryam schlicht vom gewohnten Gruß ‚Schalom Alechem‘ ausgebaut? Und wenn das der Ursprung ist, was bedeutet dieser? Heißt das schlicht „Ich habe nicht vor, Dich zu erschlagen“? Wurde das in der Zeit der römischen Gottkaiser besonders wichtig, als die Monotheisten, die den Kaiser nicht so gerne als Gott anerkannten, nicht gut angesehen und tendeziell gefährdet waren?

Über erhellende Hinweise freut sich

MM

Die Wortbedeutung ist
„Mir geht es gut“.
Im Deutschen bedeutet „Frieden“ eigentlich „Schonung“.

Hallo,

schon paulinisch: „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus“ als Gruß in den Briefen, später ähnlich in den Evangelien (u.a. als Gruß des Auferstandenen) und in der Offenbarung.

Auch alttestamentlich ist ein üblicher Gruß: „Friede sei mit dir!“. Über „Shalom“ kann man lange Abhandlungen schreiben - es ist ein Heilszustand, kann ganz banal einen politischen Friedensvertrag nennen, umfasst aber weit mehr. Dazu hier der Artikel von Rüdiger Liwak.

Ich denke, sowohl alttestamentlich wie auch zur Zeit des frühen Christentums schillert der Friedensbegriff zwischen alltäglicher Gruß- und Segensformel, politischer Beschreibung, gesamtgesellschaftlichem Zustand und umfassender (teils eschatologischer) Segensvorstellung.

Für die Details muss Metapher ran.

Viele Grüße (und Frieden!),

Jule

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Hi kever,

egal ob Du ein Bot bist oder ein Mensch, nur mal ne neugieriche Frage: Hast Du auch was zu meiner Frage zu sagen, oder wolltest Du bloß mal was rumtippen?

Schöne Grüße

MM

Gam su letovo!

MM

Als Gruß und Wunschformel hat „eirēnē“ keineswegs Ursprung erst im Frühchristentum, sondern bereits vielfach im NT und das wiederum in der atl. Literatur. In dieser Hinsicht liegt die Begriffsextension zunächst im umgangssprachlichen (und btw. im politischen) Kontext „Wohlergehen“ bzw. „Gewaltlosigkeit“ bzw. „Gerechtigkeit“. Und in theologischen heutigen Interpretationen bezieht man sich erstaunlicherweise fast explizit auf Kontexte in der paulinischen Literatur des NT… Siehe z.B. hier.

Ganz anders aber die Konnotation im Joh.-Ev.: Hier zitiert der Autor Jesus im Dialog mit den Schülern so: (Joh. 14.27): Εἰρήνην ἀφίημι ὑμῖν, εἰρήνην τὴν ἐμὴν δίδωμι ὑμῖν· οὐ καθὼς ὁ κόσμος δίδωσιν ἐγὼ δίδωμι ὑμῖν. (analog auch (16.33). Hier wird ein ganz anderer, darüberhinausgehender Begriff von eirēnē deutlich: Der eschatologische, der auch mit der - ebenso spezifisch johanneischen - Rede vom „aionischen Leben“ (ζωη αιωνιος) koinzidiert (z.B. prononciert in Joh. 7.3 „αὕτη δέ ἐστιν ἡ αἰώνιος ζωὴ ἵνα γινώσκωσιν …“).

Dazu hier der Kommentar von Bultmann („Das Evangelium des Johannes“, 1959) zu Joh.-Ev. 14,27 (als Photo aus dem Buch):
Bultmann eirene 1 Bultmann eirene 2

Daß es in den jüdischen theologischen Traditionen einen über den „profanen“ Begriff des שלם ( šālôm) hinausgehenden Kontext gibt, darauf wird ja → hier (Kap. 2.2) auch hingewiesen: Der Name der Stadt Jerusalem, der ja ursprünglich šālem lautete und einen Zusammenhang mit dem ugaritischen Gott šlm der Abenddämmerung hatte. Die eschatologische Rede in der Apk. vom „Neuem Jerusalem“, das vom Himmel herabkommt, hat wohl darin seine Wurzel. Und dieser Gedanke ist bereits bei Philon (dem Alexandriner) vorbereitet, der erklärte, eine solche „Stadt des Friedens“ (ορασις ειρηνης) könne es auf der Erde nicht geben, sie sei alleine dem Göttlichen vorbehalten: „De somniis“ Buch 2, XXXVIII. = 2.250, nachzulesen → hier.

Gruß
Metapher

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