Bedeutung von 'Sentimentalität' ?

Hallo,

kann mir jemand erklären, was „sentimental“ eigentlich genau bedeutet?

Ist es einfach das Gegenteil von rational? Freie Flut von Emotionen ohne Ratio?
Oder ist es doch noch etwas anderes?

liebe Grüße

-BABSI-

Hallo Barbara,

Sentimentalität würde ich mit „Gefühligkeit“ übersetzen. Man hat eine Art Regung ohne echtes Gefühl.
Oft sind sentimentake Leute übrigens grausam.

S.I.

Moin,
das Wort kommt vom französischen le sentiment’ Gefühl, Stimmung’ und bezeichnet imo mehr eine Stimmung als ein Gefühl. Zum ‚sentimental‘ werden gehört wohl auch ein gewisses Vermögen sich in etwas hineinzusteigern, z.B. alten Zeiten nachtrauern - die bei näherer Betrachtung vielleicht gar nicht so toll waren wie die Leute es sich ausmalen.
ein völlig unsentimentaler …lux

@SI
warum meinst du, sind sentimentale Leute oft grausam?

sentimental vs. kognitiv
Hi Babsi,

in der heutigen Umsgangssprache hat „sentimental“ die Bedeutung „gefühlsbetont, empfindsam“, nahe an der Grenze zu „empfindlich, Heulsuse“. Also meist auch abwertend im Kontrast zu „kognitiv orientiert“.

Historisch taucht das Wort im Deutschen als „sentimentalisch“ in der Romantik ab Ende des 18. Jhdts auf als 1. „empfindsam“ und 2. „auf die Empfindung bezogen“ und „die Empfindung betonend“. In das Spektrum gehört vor allem „Leidenschaft“ und „Sehnsucht“.

Exponiert wurde es dann durch Schillers Schrift von 1795 „Über naive und sentimentalische Dichtung“. Darin unterscheidet er:
„Die Dichter sind die Bewahrer der Natur. Entweder ist nun der Dichter Natur oder er wird sie suchen. Jenes macht den naiven, dieses den sentimentalischen Dichter.“
Wobei er mit „naiv“ die Dichtung der Klassik bis Shakespeare meint, und mit „sentimentalisch“ die zeitgenössischen Tendenzen:
Also:
„einig mit sich selbst und glücklich im Gefühl seiner Menschheit“
versus:
„uneinig mit uns selbst und unglücklich in unsern Erfahrungen von Menschheit“

Es steht dort also noch nicht im Gegensatz zu „kognitiv, rational“. Der Mangelhaftigkeit der Rationalität (Schelling: „die eigentliche Geisteskrankheit des Menschen“) steht in dieser Epoche dann aber bald der Begriff „Gefühl“ gegenüber, der damals - in der Nähe zu „Empfindung(sfähigkeit), Begeisterung(sfähigkeit), Leidenschaftlichkeit“ ebenfalls eine ganz andere Konnotation hat als in der heutigen unreflektierten Umgangssprache. Deutlich bei Goethe, Faust, Vers 534-545:
„Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen,
Wenn es nicht aus der Seele dringt
Und mit urkräftigem Behagen
Die Herzen aller Hörer zwingt

Bewundrung von Kindern und Affen,
Wenn euch darnach der Gaumen steht -
Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,
Wenn es euch nicht von Herzen geht.“

Hier steht also das „Sentimentalische“ noch im Gegensatz zu
„Grau ist alle Theorie“

Gruß
Metapher

Hallo, Metapher,

In der heutigen Umsgangssprache hat „sentimental“ die
Bedeutung „gefühlsbetont, empfindsam“, nahe an der Grenze zu
„empfindlich, Heulsuse“. Also meist auch abwertend im Kontrast
zu „kognitiv orientiert“.

dieser Aspekt taucht bereits in älteren Wörterbüchern auf:

1837 Damen Conversations Lexikon
(„schwachherzige Empfindelei“ find ich übrigens hübsch ausgedrückt)

1841 Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon

1862 Pierer’s Universal-Lexikon

Gruß
Kreszenz

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Hallo Semperidem,

das interessiert mich jetzt ziemlich: Worin unterscheidet sich „Echtes Gefühl“ von „Sentimentalität“?

Man kennt ja den Spruch „Sei nicht immer so sentimental“ (auch: „gefühlsduselig“ und ähnliche Sachen). Was meint die Person damit???
Ich mag gar nicht nachfragen und wenn ich es tue, wissen viele nicht was es bedeutet, aber benutzen das Wort. Hmmm… ?

Was ist ein Gefühl und was ist kein Gefühl? Gibt es irgendwie eine sinnvolle vielleicht auch psycholog. Definition für das Phänomen?

Naja am besten könnte ich es mir mit einem konkreten Beispiel bei einem Menschen vorstellen.

Liebe Grüße

-BABSI-

Hallo Kreszenz,

… „empfindlich, Heulsuse“. Also meist auch abwertend im Kontrast zu „kognitiv orientiert“.

dieser Aspekt taucht bereits in älteren Wörterbüchern auf:

danke für die interessante Info.

(„schwachherzige Empfindelei“ find ich übrigens hübsch ausgedrückt)

wirklich hübsch.

1841 Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon

„eine Lüge des Geistes gegen sich selbst“ ist auch nicht von schlechten Eltern :smile:

Gruß
Metapher

Hallo Barbara,

mit „sentimental“ meint man wohl meist: leicht (an-)rührbar, ohne daß diese Gefühlsbewegung in die Tiefe geht. Es ist nur eine Bewegung auf der Oberfläche, die nicht nachhaltig ist, nicht anhaltend, nicht in die Tiefe gehend, insofern auch nichts wirklich bewegt/ ändert/ zur Folge hat.
„Ich liebe Tiere“ (und also kaufe ich mir zu Weihnachten einen Hundewelpen, den ich nach 1 Jahr ins Tierheim gebe, weil nicht mehr so süß). Rasch rührt mich Andersens „Mädchen mit den Schwefelhölzchen“ zu Tränen, der auf der Straße erfrierende Obdachlose verschafft mir nur Unbehagen und Abwehr.

So etwa. Hat etwas mit Gefühlsheuchelei zu tun, derer man sich aber nicht bewußt ist.
Ich finde das auch kompliziert. Eine richtige psychologische Definition kenne ich nicht.

S.I.

Hallo pollux,

ich kann Dir meine Meinung nicht psycho-logisch begründen, es ist eher eine Beobachtung von mir, daß Menschen, die sentimental sind, sich in der Realität oft grausam verhalten.
Vielleicht, weil sie aufgrund von unechten Gefühlen handeln und darum aus ihren gefühlsbetonten Entschlüssen keine konsequente Verantwortlichkeit entsteht.

S.I.

Das ist bestimmt richtig: Sentimentalität ist oberflächlich, ist rasch hervorgerufen und verschwindet ebenso rasch wieder. Sie ist Ersatz für das echte Gefühl.
Da hast nach einer Definition für das Gefühl, das echte und wahre gefragt. Die kann ich Dir leoider nicht bieten; ich weiß nur, dass wir uns die Gefühle abgewöhnt haben oder dass sie uns abgewöhnt worden sind. Wir nehmen sie gar nicht mehr wahr oder unterdrücken sie.
Und das heißt: Wir müssen wie erst wieder lernen.

Das aber fältt unendlich schwer, weil - gerade in der Vorweihnachstzeit - allüberall an das Sentiment, aber nicht an das Gefühl appelliert wird.
Die Weihnachts- und Adventslieder, oft bloß die Melodien, zu denen wir ganz unbewusst die Worte ergänzen, sind nichts anderes als der Appell an diese „Gefühligkeit“
Allein der Umstand, dass das Sentiment nichts verändert, weder in uns noch durch uns in der Welt, beweist, dass Sentiment Ersatz ist.
Ein echtes Gefühl nämlich ließe uns nicht unverändert zurück.

Und weil es Ersatz ist, muss es ganz schnell wieder mit etwas anderem befriedigt werden.