Bedingungen für Fortpflanzung ohne Degenration?

Hallo,

ich recherchiere grade für ein Theaterstück, was in nach der Apokalypse spielt.
Eine Gruppe von Menschen ist auf einer Insel gefangen und sie erkennen, dass sie die letzten Menschen auf Erden sind.

Die Frage nun: Wieviele Menschen braucht man, damit sie sich einigermaßen degenrationsfrei vermehren können?

Im Film Matrix wird dem Protagonisten die Chance gegeben, die komplette Menschheit zu retten, indem er 23 weibliche und 7 männliche Menschen aussucht mit denen dann die Menschenheit wieder aufgebaut werden soll.

Wir befinden uns hier klar weit im Hypotetischen^^, aber einfach mal unter ideale Bedingungen betrachtet.

Danke

Was soll „Degenration“ „degenrationsfrei“ bedeuten?

Hallo,

ich glaube, das Kernproblem ist hier doch, dass durch die nahe Verwandtschaft der Kinder- und Enkelgeneration die Wahrscheinlichkeit hoch wird, dass defekte rezessive Allele zusammentreffen und die betroffenen Individuen entsprechende Erbkrankheiten haben.

Solange aber jedes Gen durch wenigstens ein intaktes Allel im Genpool vertreten ist, kann es sich durch die Selektion in der Population durchsetzen.

Das wird schon bei recht wenigen Individuen der Fall sein. Die Wiederaufzucht gelingt aber nur gut bei hoher Reproduktionsrate und der Bereitschaft, einen zunächst womöglich hohen Anteil leicht oder sogar schwer erbkranker Nachkommen zu haben, deren Reproduktionserfolg geringer sein sollte als der „gesunder“ Nachkommen (was - insbesonders in harten Zeiten ohne zivilisatorische Annehmlichkeiten - natürlicherweise ja auch der Fall ist).

Natürlich bietet ein solches „Populations-Nadelöhr“ eine Chance der schnellen Veränderung des Genpools (Gendrift und auch neu auftretende Mutationen haben hier einen größeren und direkteren Einfluß auf den ganzen Genpool), also der Evolution. Die Menschen, die aus einer kleinen isolierten Gruppe hervorgehen, werden wahrscheinlich nach einigen hundert Generationen schon stärker verändert sein als es die Menschheit mit einem großen Genpool wäre.

Auch alles spekulativ, aber wahrscheinlich.

LG
Jochen

Sry kleiner Schreibfehler es soll natürlich „Degeneration/sfrei“ bedeuten. Also frei von Schäden am Erbgut durch Inzucht.

Danke für die ausführliche Antwort.

Wenn ich mir so vorstelle, dass ein Steinzeitstamm so ca. aus 150-300 Leuten bestand müsste das ja immerhin ein Masse sein die sich auf 2-5 Generation erhalten kann oder?

Beim Matrix Beispiel wären das dann wohl zu wenige.

Hallo!

Jo… hat es doch gesagt: Es gibt keine Mindestzahl.

Das Problem von Inzucht ist nicht, dass sich der Genpool sukzessive verschlechtern würde, sondern dass einzelne Individuen mit größerer Wahrscheinlichkeit an einer Erbkrankheit leiden als ohne Inzucht.

Beispiel: In einer großen Population, in der das Allel für Bluterkrankheit sehr selten ist, wird Bluterkrankheit auch sehr selten auftreten. Befinden sich jedoch Bluter (oder Überträgerinnen) für die Bluterkrankheit in einer kleinen Gründerpopulation, so ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein Individuum Bluter ist. Aufgrund der aber deutlich verminderten Lebenserwartung der Bluterkranken (unter den beschriebenen Voraussetzungen wird kaum genügend Gerinnungsfaktor vorrätig sein), werden sich die Allele für Bluterkrankheit in der Population jedoch schlechter fortpflanzen als die gesunden Allele. Schon nach wenigen Generationen wird das Allel für Bluterkrankheit fast vollständig aus dem Genpool verschwunden sein.

Das ist jetzt zwar blöd für diejenigen, die schon in jungen Jahren verblutet sind, aber für den Genpool der Gesamtpopulation ist das kein Problem.

Michael

Hallo The-Flu,

zu diesem Thema gibt es umfangreiche wissenschaftliche Literatur. Mit abnehmender Individuenzahl nimmt das Risiko einer Population/Art zu. Inzucht ist dabei nur ein Problem. In kleinen Populationen spielt auch die sogenannte genetische Drift eine entscheidende Rolle, d. h. günstige genetische Anlagen können leichter dadurch verloren gehen, dass die Träger dieser Informationen zufällig sterben bevor sie sich vermehren können. Mathematische Modelle zeigen, dass durch Inzucht und genetische Drift die durchschnittliche Fitness in kleinen Populationen schnell abnehmen kann. Wesentlich Bedeutsamer sind wahrscheinlich aber andere Faktoren. So können kleine Individuengruppen leichter durch ungünstige Umweltbedingungen, Katastrophen oder Krankheiten ausgelöscht werden. Bei einer Gruppengröße von nur 23 Frauen und 7 Männern wäre die Wahrscheinlichkeit eines Aussterbens sehr hoch. Wie hoch die Individuenzahl sein muss, um ein Aussterben unwahrscheinlich zu machen hängt zum einen davon ab wie die Fortpflanzung ‚organisiert’ ist, d. h. wie leicht finden die einzelnen Individuen einen Fortpflanzungspartner und wie viel Nachkommen werden gezeugt, die ebenfalls wieder Nachkommen zeugen können. Menschen leben normalerweise in Gruppen und sind keine Einzelgänger, was dies erleichtert. Will man die genetische Vielfalt erhöhen und die Inzucht weitergehend reduzieren sollten die Frauen ihre Kinder möglichst von verschiedenen Vätern bekommen und sie sollten viele Kinder bekommen. Zu viele Kinder könnten allerdings die Fortpflanzungschancen in der nächsten Generation auch insgesamt verschlechtern (Ressourcenknappheit). Der andere wichtige Faktor ist die Wahrscheinlichkeit für ungünstige Umweltveränderungen. Können sich die Menschen davor gut schützen, dann erhöht das die Wahrscheinlichkeit ihres Überlebens. Die Antwort auf die Frage wie viele Menschen es mindestens sein müssten hängt also von Zahlreichen Faktoren ab. Die Zahl dürfte wahrschein so zwischen ein paar hundert bis ein paar tausend liegen.

Gruß
Grin

Hallo Grin,

Du hast die Sache sehr schön beschrieben.

Leider läßt Du Dich hinreißen, am Schluß einen Zahlenwert anzugeben. Das finde ich schade, weil Du vorher so schön erklärt hast, warum man eine solche Schätzung nicht vernünftig durchführen kann. Ich merke das an, weil sowas so oft vorkommt, dass eine interessierte Person oder Gruppe eine wissenschaftliche Basis für eine Zahl bzw. Schätzung haben möchte, die Wissenschaft dazu sagt: „Das geht nicht“ und dann trotzdem eine Zahl genannt wird.

Wir können nicht mit Wahrscheinlichkeiten argumentieren, weil a) sehr viele wichtige Einflußfaktoren unbekannt sind und b) die quantitative Wirkung der wenigen bekannten Faktoren nur sehr unzureichend - wenn überhaupt! - bestimmbar ist. Damit kann keine „wahrscheinliche Populationsgröße“ angegeben werden, sondern nur der Bereich überhaupt möglicher Größen, welche die Anforderungen erfüllen.

Im konkreten Fall ist die Untergrenze schon durch zwei Menschen gegeben (Mann + Frau). Eine Obergrenze kann man schon nicht mehr angeben: selbst sehr große Populationen können aussterben.

LG
Jochen

Das ist eine kompetente Antwort die vollkommen ausreicht. Danke