Servus,
entweder bin ich unsensibel oder blind.
vielleicht bist Du vor allem als Naturwissenschaftler nicht besonders empfänglich für das Bild.
Ich hab immer Mühe, sowas verbal zu formulieren oder gar zu „analysieren“. Ich glaube, dass das Bild eine recht gute Darstellung von psychotischem Erleben ist: Es hat keine greifbare Mitte, dem Betrachter entgleitet alles: Zwei etwa gleichwertige Fluchtpunkte sind durchgeführt - etwa durch den Weg nach hinten links und den in der Mitte markiert. Dazu kommt noch ein weiterer, schräg oben hinten halbrechts, in dessen Richtung sich die Vogelschar verliert, und ein nur angedeuteter, der ganz haltlos mit dem dritten Weg nach rechts im Vordergrund wegrutscht.
Auf diese Weise flieht die ganze Welt vor dem Betrachter, sie wird nur zusammengehalten durch das umgedrehte Licht am Himmel, der dadurch (es sind keine Gewitterwolken da) zu einer unwirklichen bleiernen Glocke wird.
Zu diesem gänzlichen und grauenvollen Alleinsein kommt, dass die Szenerie eigentlich einen schönen Sommertag meinen könnte: Man hört die Stimmen der anderen „Was hast du denn plötzlich, es ist doch so ein schöner Tag heute“ - und aus jeder der vielen fliehenden Richtungen hallt ein Echo darauf: „Was hast du denn plötzlich, es ist doch so ein schöner Tag heute - so ein schöner Tag heute - so ein schöner Tag heute…“
Zu den Krähen, die in der Komposition einen möglichen Fluchtpunkt andeuten, der nicht wegrutscht, aber ins Ferne verschwindet, hier ein anderer:
http://www.dinlilleavis.dk/tndr_net/main/DLA/poesi/n…
Und es fällt auf, wie genau das Motiv von van Gogh ins wogende sommerliche Ährenfeld verpflanzt ist.
Die Sache mit den Fluchtpunkten kennst Du aus dem Auto, wenn man große Felder (besonders gut bei Lavendel und sowas zu sehen) entlang fährt: Wie sich da aus den Längs- und Querachsen der Reihe nach wandernde und überspringende Fluchtpunkte, immer zwei, halblinkshinten und halbrechtshinten, bilden. Diese Optik mag sogar der Anlass für van Goghs Landschaft gewesen sein. Nur dass es eben in seiner Umsetzung kein Halten mehr gibt, sondern nur noch Gleiten und Fliehen.
Wieauchimmer: Es kann gut sein, dass all das gar nicht in dem Bild drin ist, und dass es nur, sozusagen als Spiegel, auf andere Rasierklingenwanderer wirkt. Aber mach doch mal die Gegenprobe, dämpfe die Ratio ein bissel, z.B. mit einem geeigneten Pfeiflein: Lass sehen was dann davon wird…
Schöne Grüße
MM