Beihilfe zum Mord in Sobibor

Hallo,

im Radio hört man, Demjanuk sei wegen Beihilfe zur Ermordung von 27900 Juden angeklagt.

  • Warum ist diese Zahl so niedrig? Nach herrschender Auffassung wurde in Sobibor ungefähr die zehnfache Anzahl von Personen ermordet.
  • Warum ist diese Zahl so präzise und nur auf Juden bezogen?. Hat man etwa genau diese Anzahl von aufgefundenen Todesopfern als Juden identifiziert? Wiki sagt hier eher gegenteiliges. Gab es keine nichtjüdischen Todesopfer, oder sind diese unbeachtlich, oder sollen sie in einem getrennten Gerichtsverfahren berücksichtigt werden?

Gruß

Marzeppa

Hallo Marzeppa,

  • Warum ist diese Zahl so niedrig?

Dafür, dass er nur ein halbes Jahr (März bis September 1943) in Sobibór sein Unwesen trieb, finde ich die Zahl sehr hoch.

  • Warum ist diese Zahl so präzise und nur auf Juden bezogen?.

Über Sobibór gibt es erstaunlicherweise sehr präzise Aufzeichnungen, auch über kleine Vorfälle (z. B. über die Flucht von acht Gefangenen im August 1943). Und explizit auf Juden bezieht sich die Zahl aus dem einfachen Grund, dass er ein reines Judenvernichtungslager war.

Gab es keine nichtjüdischen Todesopfer, oder sind diese
unbeachtlich, oder sollen sie in einem getrennten
Gerichtsverfahren berücksichtigt werden?

Es passierte schon mal, dass sich dorthin ein Pole oder ein russischer Kriegsgefangener „verirrte“, dies war allerdings extrem selten der Fall.

Grüße
Renee

Und explizit auf
Juden bezieht sich die Zahl aus dem einfachen Grund, dass er
ein reines Judenvernichtungslager war.

Es passierte schon mal, dass sich dorthin ein Pole oder ein
russischer Kriegsgefangener „verirrte“, dies war allerdings
extrem selten der Fall.

Ein gewisser, wahrscheinlich nicht geringer Anteil der Juden werden sicher Polen gewesen sein.

Grüße,
R.H.

Ein gewisser, wahrscheinlich nicht geringer Anteil der Juden
werden sicher Polen gewesen sein.

Ja sicher, zumal vor dem 2WK sehr viele Juden in Polen lebten und sich Sobibór zum einen aufgrund der Lage und zum anderen aufgrund des relativ geringen technischen Aufwandes den kranken braunen Hirnen geradezu anbot: von der Haupteisenbahnstrecke wurde lediglich ein Nebengleis (incl. eines kleinen Bahnhofs) gezogen - Gleis & Bahnhof lagen innerhalb des Lagers und somit mitten im Wald. Man sagte in Polen damals, dass die Deportationszüge hinter einer grünen Wand verschwanden.

Man darf aber auch nicht vergessen, dass in Sobibór neben den polnischen Juden auch sehr viele Juden aus Belgien, Frankreich, den Niederlanden, Russland und einigen anderen Ländern ermordet wurden.

Grüße
Renee

Hallo!

Und explizit auf
Juden bezieht sich die Zahl aus dem einfachen Grund, dass er
ein reines Judenvernichtungslager war.

Wurde das später geändert? Meines Wissens waren diejenigen, die die Lagermeuterei planten und durchführten zum erheblichen Teil sowjetische Kriegsgefangene.

Michael

Hallo Michael,

Wurde das später geändert? Meines Wissens waren diejenigen,
die die Lagermeuterei planten und durchführten zum erheblichen
Teil sowjetische Kriegsgefangene.

Was meinst du mit „später geändert“? Meines Wissens gab es nur eine größere - bewaffnete - Meuterei und zwar Mitte Oktober 1943. 300 jüdischen Gefangenen gelang dabei die Flucht. Ich will nicht ausschließen, dass die Autoren russischer Abstammung waren; wie ich bereits schrieb, gab es in dem Lager auch russische Kriegsgefangene, obgleich sie recht selten waren. Ich halte deine Aussage aber keineswegs für unwahrscheinlich, weil der Aufstand in einem Teil des Lagers losbrach, der durch einen Offizier der Roten Armee kommandiert und durch ukrainische „Freiwillige“ bewacht wurde. Wenn es interessant ist, kann ich gern weiter recherchieren.

Grüße
Renee

Hallo

Ein gewisser, wahrscheinlich nicht geringer Anteil der Juden
werden sicher Polen gewesen sein.

Hallo

Mit Sicherheit nicht. Wir reden hier über die rekrutierten Kriegsgefangenen und die Machenschaften der Ukrainer, die Kompromissbereit waren, den Befehlen der Deutschen folge zu leisten.

Einer unter diesen war Demjanuk, dem ein Ueberleben versprochen wurde, wenn er die Toten Vergasten untersucht auf Goldschmuck und die Goldzähne herausbricht, die Fingerringe abnimmt und sammelt.
dort wo sich ein Fingerring sich nicht löst, muss halt der Finger abgeschnitten werden oder bei Armreifen muss die Hand vom Arm getrennt werden. Danach die Leichen aufladen und zur Verbrennung transportieren.
Das war die Aufgabe Demjanuks, unter Kontrolle der SS.

Wäre er geflohen, wäre er gesucht worden und gleichzeitig durch einen anderen Ukrainer ersetzt worden.

Als die Geheimhaltung nicht mehr aufrechterhalten werden konnte, wurde das Lager Sobibor abgebaut und vergraben.

Gruss

Hallo Beat,

Einer unter diesen war Demjanuk, dem ein Ueberleben
versprochen wurde, wenn er die Toten Vergasten untersucht auf
Goldschmuck und die Goldzähne herausbricht, die Fingerringe
abnimmt und sammelt.
Danach die Leichen aufladen und zur Verbrennung transportieren.
Das war die Aufgabe Demjanuks, unter Kontrolle der SS.

Wäre er geflohen, wäre er gesucht worden und gleichzeitig
durch einen anderen Ukrainer ersetzt worden.

Das hört sich für mich mehr nach einem weiteren Opfer als nach
einem Täter an. Ich dachte, nach den Medienberichten, er wäre
SS-Angehöriger und Wächter gewesen.

Vielen Dank für diese Information!

Jake

Ein gewisser, wahrscheinlich nicht geringer Anteil der Juden
werden sicher Polen gewesen sein.

Hallo

Mit Sicherheit nicht.

Sehen wir einmal nach:

„Im Rahmen der «Aktion Reinhardt» wurden zunächst vor allem polnische Juden in den Gaskammern von Sobibor ermordet“,

(siehe http://rhein-zeitung.de/on/09/11/30/tt/t/rzo645185.html)

"Ende April oder Anfang Mai 1942

Beginn der Massenmorde in den Gaskammern des Vernichtungslager Sobibor, östlich von Lublin

Bis Ende Juli 1942 wurden dort 90.-100.000 jüdische Menschen ermordet, überwiegend aus dem Distrikt Lublin , aber auch etwa 10.000 aus dem Deutschen Reich."

(siehe http://209.85.135.132/search?q=cache:MBZcOvXZNtwJ:ww…)

„Inzwischen ist Funktion und Geschichte von Sobibor eindeutig belegt. Das Vernichtungslager nahe der Stadt Lublin war eines von dreien, die Anfang 1942 zunächst zur Ermordung der polnischen Juden im Rahmen der „Aktion Reinhardt“ errichtet wurden“

(siehe http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/so…)

Grüße,
R.H.

Hallo R.H.,

Alle deine Angaben beziehen sich auf die Zeit deutlich
bevor Demjanuk dort war. Laut Wiki war die Aktion
‚Reinhardt‘, d.h. die Vernichtung polnischer Juden, in
diesem Lager vor Frühsommer 1943 ‚praktisch abgeschlossen‘.

Nebenbei: Welchen Pass oder welche Religion die Ermordeten
hatten ist sowas von egal … es waren MENSCHEN!

Viele Grüße

Jake

Hallo R.H.,

Alle deine Angaben beziehen sich auf die Zeit deutlich
bevor Demjanuk dort war. Laut Wiki war die Aktion
‚Reinhardt‘, d.h. die Vernichtung polnischer Juden, in
diesem Lager vor Frühsommer 1943 ‚praktisch abgeschlossen‘.

Und mein Einwand bezieht sich auf nichts als die Aussage, in Sobibor sei nur selten ein Pole eingeliefert worden, weil es ein reines Judenvernichtungslager gewesen sei, ist also völlig unabhängig vom Wirken Demjanjuks oder einem bestimmten Zeitraum.

Grüße,
R.H.

vom Arm getrennt werden. Danach die Leichen aufladen und zur
Verbrennung transportieren.

Wiki sagt was anderes: die Leichen wurden in einer großen Grube verscharrt, dann wieder ausgegraben und dann erst verbrannt.

Gruß

Marzeppa

Das hört sich für mich mehr nach einem weiteren Opfer als nach
einem Täter an. Ich dachte, nach den Medienberichten, er wäre
SS-Angehöriger und Wächter gewesen.

Vielen Dank für diese Information!

Wenn dich das Thema interessiert würde ich dir folgendes Buch von Shlomo Venezia empfehlen:
Meine Arbeit im Sonderkommando Auschwitz: Das erste umfassende Zeugnis eines Überlebenden. Vorwort von Simone Veil. Dagmar Mallett Übersetzung. Blessing; München 2008. 271 Seiten. ISBN 3-89667-365-3 Buch anschauen

Jake

Mfg
Christoph

Hallo,

Dafür, dass er nur ein halbes Jahr (März bis September 1943)
in Sobibór sein Unwesen trieb, finde ich die Zahl sehr hoch.

Der Mann ist noch nicht verurteilt! J.D. ist ein tolles Beispiel dafür, wohin Vorverurteilungen führen.
Bei seinem ersten Prozess 1988 in Israel gab es Zeugen, die ihm tief in die Augen geschaut haben, und dann in ihm zweifelsfrei „Iwan den Schrecklichen“ einen Massenmörder aus Treblinka erkannt haben.

1993 wurde das Todesurteil aufgehoben, da J.D. nachweislich nicht IdS war.

Auch sollte man sich in die Situation des J.D. hineindenken!
Was hätten wir getan wenn unser Leben bedroht gewesen wäre.

Der Mann wird 90 Jahre alt, und hat „schon“ 7 Jahre „unschuldig“ im Gefängnis gesessen.

Was haben wir mit den deutschen Tätern gemacht? Da gab es für „Aufseher“ doch regelmäßig Freisprüche.

Ich bin bestimmt kein Rechter, aber auch J.D. sollte in erster Linie als Mensch beurteilt werden.

Ich meine, Deutschland hätte auf diesen Prozess besser verzichtet.

Gruß
tycoon

2 Like

Hallo,

Der Mann ist noch nicht verurteilt! J.D. ist ein tolles
Beispiel dafür, wohin Vorverurteilungen führen.

Ich gehe nicht davon aus, dass dieser Mann in Deutschland mit
einem fairen Verfahren rechnen kann. Dauernd höre und lese ich
die Argumentation, dass die Taten in Sobibor (und in anderen
Lagern) so schrecklich waren, dass er verurteilt werden muss;
egal ob er persönlich beteiligt war oder nicht.

Bei seinem ersten Prozess 1988 in Israel gab es Zeugen, die
ihm tief in die Augen geschaut haben, und dann in ihm
zweifelsfrei „Iwan den Schrecklichen“ einen Massenmörder aus
Treblinka erkannt haben.

Was sehr viel über die Zeugen und den Wert ihrer Aussagen sagt.
Jetzt leben nicht mal mehr Zeugen und die Hauptbeweise sind
zweifelhafte Unterlagen aus sovietischen Ermittlungen.

1993 wurde das Todesurteil aufgehoben, da J.D. nachweislich
nicht IdS war.

Ich bewundere Israel für die Größe dieser Tat und wünschte
mir, dass der jetzige Prozess auch dort durchgeführt würde.

Viele Grüße

Jake

1 Like

Hallo Jake,

Dauernd höre und lese ich
die Argumentation, dass die Taten in Sobibor (und in anderen
Lagern) so schrecklich waren, dass er verurteilt werden muss;
egal ob er persönlich beteiligt war oder nicht.

Wer sagt das? Wo hast Du das gelesen?

Gruß,
Andreas

P.S. Zum wissenschaftlichebn Arbeiten gehört immer eine Quellenangabe.