Hallo,
kennt ihr das? Ich bin gerade am Anfang eines Karrierewegs. Ich habe mich irgendwann in der 10. Klasse auf dem Schulhof entschieden, eine Naturwissenschaft als Leistungskurs zu wählen. Warum weiß ich nicht mehr, wahrscheinlich auch weil ich weiblich bin und weibliche Naturwissenschaftlerinnen mir irgendwie cool erschienen. Ein anderer Grund könnte auch mein Elternhaus sein, mein Vater ist auch Wissenschaftler und ließ mit seiner Ansicht nicht viel Spielraum für Kunst- und Geisteswissenschaften.
Ich habe jedenfalls mein Abi mit einer guten Physik- und Mathe-Note gemacht, habe anschließend Physik Diplom sehr erfolgreich studiert. Nun promoviere ich in Physik. Aber ich bin sehr unzufrieden. Mein Werdegang ist nicht unbedingt das, was ich die nächsten Jahrzehnte machen möchte. Ich hasse z.Z das Leben eines Wissenschaftlers, habe ein mulmiges Gefühl zur Arbeit zu gehen und meinem Chef gegenüber zu treten. Und ich habe ständig das Gefühl einfach zu schlecht und unwissend zu sein. Dazu kommt, dass ich Familie mit Kindern habe, so dass ich ständig zerteilt werde in meine Rolle als Mutter und als Karrierefrau. Einen Mittelweg scheint es in der Branche nicht zu geben. Ich würde am liebsten etwas anderes machen, was weiß ich jedoch nicht. Meine Talente habe ich nie entdeckt. Außderdem kann ich meine Stelle nicht einfach kündigen und mal schauen was kommt, da meine Familie darauf angewiesen ist, dass ich Geld verdiene. Jetzt frage ich mich (und auch euch): Was soll ich tun? Die Krise in der ich stecke, könnte die temporäre Krise sein, die jeder Doktorand durchlaufen muss um am Ende erfolgreich ausgebildet zu sein. Dann wärs ziemlich doof von mir, aufzuhören. Es könnte allerdings auch zur Lebenskrise werden, wenn ich einen falschen Weg immer weiter gehe, ohne den Mut aufzubringen, einen neuen Weg einzuschlagen. Manche bewundern mich, dass ich trotz Familie und Stress nie aufgebe. Allerdings sieht niemand, dass Aufzugeben auch bedeutet, den Mut für einen neuen Weg aufzubringen. Mein Problem ist, dass ich nicht unterscheiden kann, ob es eine Art Prüfung innerhalb des Ausbildungsweges ist, die zu bestehen ich natürlich bereit bin, wenn das meinem Talent und meiner Berufung entspricht oder ob ich wirklich nicht dafür geschaffen bin, ein Wissenschaftler zu sein und mir schleunigst etwas neues suchen sollte. Mir läuft die Zeit davon. Ich werde nicht jünger und meine Lernfähigkeit wird nicht unbedingt besser.
Kennt jemand dieses Gefühl, hat das schon mal durch und kann mir Tipps geben?
Durchhalten
Guten Tag Franziska,
zunächst einmal freue ich mich über jede Frau in den nicht-biochemisch orientieren Naturwissenschaften (da sind sie alle an der FH gewesen und bei uns in der Elektronik - 3 Frauen von 200 Studierenden). Und dann auch noch die Creme - die Physik.
Nun promoviere ich in Physik.
Aber ich bin sehr unzufrieden.
Kann das auch einfach an den Randbedingungen liegen? Die Interviews die ich gehört habe, sagen mir dass dieses Forschungsfeld ausschließlich von den ständig kargen Töpfchen der öffenlichen Hand mehr schlecht als recht und wenig langfristig unterstützt wird. Zitat: „Wenn wir ein Event haben und die Physik-Doktoranden da sind, dann ist in kürzester Zeit das Buffet kahlgefressen, so schlecht bezahlt sind die. Das reicht noch nicht einmal zum Essen.“
Mein Werdegang ist nicht unbedingt das,
was ich die nächsten Jahrzehnte machen möchte. Ich hasse z.Z
das Leben eines Wissenschaftlers, habe ein mulmiges Gefühl zur
Arbeit zu gehen und meinem Chef gegenüber zu treten. Und ich
habe ständig das Gefühl einfach zu schlecht und unwissend zu
sein.
Hmm. Diese Selbstzweifel haben meiner Erfahrung nach alle forschenden und neugierigen Menschen. Sie fühlen sich ständig wie ein kleines Kind, dass an dem Tischtuch einer unglaublich großen Rittertafel zieht und ständig fallen neue, unbekannte Dinge runter. Jedesmal mit dem erschreckenden Seufzer „Oh, das habe ich aber noch nicht gewusst“. UND! Sie sind Kraft ihrer Methodik hochgradig selbstzweifelnd.
Dazu kommt, dass ich Familie mit Kindern habe, so dass
ich ständig zerteilt werde in meine Rolle als Mutter und als
Karrierefrau.
Oh. Extra erschwerte Bedingungen. Hmm. Mithilfe des Partners? Alle Möglichkeiten öffentlicher Unterstützung ausgeschöpft? (siehe im Folgenden)
Einen Mittelweg scheint es in der Branche nicht
zu geben.
Das ist aber auch im FH-Ingenieurwesen nicht viel anders. Vollzeit mit Überstunden oder Arbeitslos. Dazwischen gibt es nicht so viel.
Ich würde am liebsten etwas anderes machen, was weiß
ich jedoch nicht. Meine Talente habe ich nie entdeckt.
Du kennst den „Sunscreen Song“ von Baz Luhrmann? Ich bin jetzt 43 und finde so ganz langsam ein Ziel im Leben. Aber nur langsam. Ist doch OK, andere in meinem Alter zahlen immer noch 200.000 EUR an ihrer Hütte ab.
Außderdem kann ich meine Stelle nicht einfach kündigen und mal
schauen was kommt, da meine Familie darauf angewiesen ist,
dass ich Geld verdiene. Jetzt frage ich mich (und auch euch):
Was soll ich tun?
Hmm. Du bist doch noch an einer Hochschule in irgendeiner Form. Dann sollte dir doch die Beratung der PBS und des Studentenwerks zur Verfügung stehen? (PBS - Psychologische Beratung für Studierende)
Ich meine das jetzt weniger als psychologische Beratung, sondern wegen Möglichkeiten an der ein oder anderen Stelle zeitliche und finanzielle Entlastungen nutzen zu können.
Die Krise in der ich stecke, könnte die
temporäre Krise sein, die jeder Doktorand durchlaufen muss um
am Ende erfolgreich ausgebildet zu sein.
Erst einmal sehe ich das auch so, wobei ich immer wieder denke, wieviel Staatskohle an anderer Stelle verheizt wird statt sie in die Zukunft der Forschung zu investieren. Und Grundlagenforschung findet nun mal (außer bei den Bell-Labs) nur mit zu kargem öffentlichem Geld statt. Aber … und … weiterlesen …
Mein Problem ist, dass ich nicht unterscheiden
kann, ob es eine Art Prüfung innerhalb des Ausbildungsweges
ist
Nee, dafür hattest du schon die Prüfungen während des Studiums (das sog. „Ausieben“. Stressfestigkeit gehört nun mal auch zu einem Leben in der Welt jenseits des Diploms. Obwohl, danach sind die Ellenbogen gefragt, nicht mehr nur der Fleiss und die Ruhe „auf der Bühne“ der Prüfungen.
Mir läuft die Zeit davon. Ich werde nicht jünger und meine Lernfähigkeit wird nicht unbedingt besser.
Da in deiner Vika keine „Zahl“ steht (man misst das Leben nicht nach Jahren) darf ich dir mal ganz pauschal sagen, dass die meisten Nawis ihren kreativen Höhepunkt um die 35 hatten. Danach kam auch von Einstein nicht mehr viel. Und dennoch haben sie danach alle gut gelebt. Denn das was da rauskommt will ja auch vermittelt werden. Unser nächste Vortragender ist jetzt 61 und ist immer noch munter drauf.
Kennt jemand dieses Gefühl, hat das schon mal durch und kann
mir Tipps geben?
Hmm. Wenn du die Doktorarbeit endlich hinter dir hast, kümmere dich um deine geisteswissenschaftliche Bildung. Jetzt nicht. OK, wenn es sein muss, lies die Bücher von Richard Feynman über sein leben (3 Stück) und ärgere dich, dass ihm das alles so leicht fiel, aber verstehe auch, wie sehr er im Privatleben zwischendurch in die … gegriffen hat.
Etwas Böses muss ich dir sagen: Ich schätze in der Physik ist es wie in der Chemie. Entweder Dr. und Alles steht dir offen, oder „nur“ das Diplom und du kannst nur zu SAP gehen (heute auch seltener) oder Berufsschullehrer werden.
Wie lange, schätzt du, wirst du noch bis zum Dr. Phys. oder Dr. rer. nat. vor dir haben?
Was soll ich noch sagen? Von meinem Ex-Ex-Ex-Chef erzählen, der 1,5 Jahre in U-Haft war (als Kettenraucher und Alki?). Er hat es auch überlebt und sich (leider) nicht verändert.
Mit besten Wünschen & Gruß
Stefan
Hi,
Mir läuft die Zeit davon. Ich werde nicht jünger und meine Lernfähigkeit wird nicht unbedingt besser.
Kleiner Nebenaspekt: Um Deine Lernfähigkeit solltest Du Dir nicht so viele Gedanken machen, die ist auch mit über 45 noch gut. Kann ich zumindest von mir bestätigen.
Gruß S
Hallo,
ein paar Gedanken von mir.
Ein in der geodätischen Fachwelt weithin Bekannter konnte in jungen Jahren an eine Uni in die Staaten gehen. Dort musste er zusammen mit einem Kollegen zuerst recht schematisch Messwerte erfassen. Als beide nach einigen Tagen von ihrem Chef gefragt wurden, was die Arbeit mache, beklagte sich der eine Kollege, der von mir genannte zog eine kleine Abhandlung hervor, in der er seine Gedanken über das Fehlerverhalten des Verfahrens niedergeschrieben hatte. Die wurde veröffentlicht und trug zu seinem guten Ruf bei, der andere Kollege versank in der Menge der Namenlosen.
Was bringt Dir das ? Hoffentlich nicht noch tiefere Depressionen. Man muss das Talent haben, auch den unscheinbaren, gar undankbaren Aufgaben etwas abgewinnen zu können. Und zeitweise muss man einlenken, vielleicht eben bei Dir, denn der Alltagsstress ist stärker.
Weiterhin zum Trost: ich falle in die Kategorie des zweiten Kollegen.
Und trage es.
Dafür erfahre ich da, wo andere „doch nur Katzen“ sehen, meine Freude mit den Maunzlern.
Hmm … hätte ich Tierpfleger werden sollen ???
Zu spät …
*seufz*
Roland
Hallo franziska,
kennt ihr das?
irgendwie ja und irgendwie nein, wie wohl viele
Ich bin gerade am Anfang eines Karrierewegs.
Ich hab mit in vorauseilendem Realismus nach dem Studium von den Wissenschaften abgewandt und eine brotlastige Kunst erlernt. Um nach 20 Jahren nicht unzufrieden zu sein, immerhin hat das Brot meine Kinder groß und stark gemacht. Um aber jetzt doch zu merken, dass die Arbeit mir auch Freude gemacht hat, aber nicht ganz das war, was mich wirklich befriedigt.
Ob’s anders anders gekommen wäre - Spekulation.
Ich habe mich irgendwann in der 10. Klasse auf dem Schulhof
entschieden, eine Naturwissenschaft als Leistungskurs zu
wählen. Warum weiß ich nicht mehr, wahrscheinlich auch weil
ich weiblich bin und weibliche Naturwissenschaftlerinnen mir
irgendwie cool erschienen.
Besser 'ne coole Physikerin als noch 'ne Frisöse oder Arzthelferin
Ein anderer Grund könnte auch mein
Elternhaus sein, mein Vater ist auch Wissenschaftler und ließ
mit seiner Ansicht nicht viel Spielraum für Kunst- und
Geisteswissenschaften.
Auch keine Musik? Das ist die einzige Kunst, die mich wirklich anspricht.
Ich habe jedenfalls mein Abi mit einer guten Physik- und
Mathe-Note gemacht, habe anschließend Physik Diplom sehr
erfolgreich studiert. Nun promoviere ich in Physik.
Du kannst es also!
Aber ich
bin sehr unzufrieden. Mein Werdegang ist nicht unbedingt das,
was ich die nächsten Jahrzehnte machen möchte. Ich hasse z.Z
das Leben eines Wissenschaftlers, habe ein mulmiges Gefühl zur
Arbeit zu gehen und meinem Chef gegenüber zu treten.
Ab hier könnte es auch ein Beitrag fürs Thema Psychologie sein.
Und ich
habe ständig das Gefühl einfach zu schlecht und unwissend zu
sein.
Da würdest du erfahren, dass genau diese Gedanken ein Symptom sind, und zielmich unabhängig von den wirklichen Fähigkeiten bzw. Anforderungen.
Dazu kommt, dass ich Familie mit Kindern habe, so dass
ich ständig zerteilt werde in meine Rolle als Mutter und als
Karrierefrau.
Auch ein Symptom, der Überlastung evtll. - bin kein wirklicher Profi.
Einen Mittelweg scheint es in der Branche nicht zu geben.
Stichwort Rationalisierung - in dem Sinne, dass rationale Erwägungen die eigene Betroffenheit verschleiern.
Ich würde am liebsten etwas anderes machen, was weiß
ich jedoch nicht. Meine Talente habe ich nie entdeckt.
Außderdem kann ich meine Stelle nicht einfach kündigen und mal
schauen was kommt, da meine Familie darauf angewiesen ist,
dass ich Geld verdiene. Jetzt frage ich mich (und auch euch):
Was soll ich tun?
Sprich mit Menschen darüber, die dich kennen. Sie werden eher als wir entdecken, wann du echt bist und wann du vor Erkenntnissen zurückschreckst.
Die Krise in der ich stecke, könnte die
temporäre Krise sein, die jeder Doktorand durchlaufen muss um
am Ende erfolgreich ausgebildet zu sein. Dann wärs ziemlich
doof von mir, aufzuhören.
Erfolgeich ausgebildet zu sein, kann allenfalls ein Schritt sein, kein Lebensziel. Und ich möchte bezweifeln, dass viele deiner Kollegen dieses Lebensziel überhaupt entdeckt haben.
Es könnte allerdings auch zur
Lebenskrise werden, wenn ich einen falschen Weg immer weiter
gehe, ohne den Mut aufzubringen, einen neuen Weg
einzuschlagen. Manche bewundern mich, dass ich trotz Familie
und Stress nie aufgebe. Allerdings sieht niemand, dass
Aufzugeben auch bedeutet, den Mut für einen neuen Weg
aufzubringen.
Du scheinst ja schon eine Ahnung zu haben, wie dieser „neue Weg“ aussehen könnte. Und ich habe den Verdacht, dass dies auch in dir begründet ist, nicht nur in deiner Lebenssituation.
Mein Problem ist, dass ich nicht unterscheiden
kann, ob es eine Art Prüfung innerhalb des Ausbildungsweges
ist, die zu bestehen ich natürlich bereit bin, wenn das meinem
Talent und meiner Berufung entspricht oder ob ich wirklich
nicht dafür geschaffen bin, ein Wissenschaftler zu sein und
mir schleunigst etwas neues suchen sollte. Mir läuft die Zeit
davon. Ich werde nicht jünger und meine Lernfähigkeit wird
nicht unbedingt besser.
Die Lernfähigkeit hängt auch vom vorhandenen Wissen und den Erfahrungen ab. Vielleicht kann ein Jungspund eine neue Prgrammiersprache schneller lernen als ich, er ist heiß und lernt das Lernen. Auch ich weiß alle KFZ-Nummern meiner Eltern und hab Mühe, mir mein aktuelles zu merken. Aber, nach einem Jahr programmiere ich besser als er, wegen all der Zusatzfähigkeiten.
Um zu dir zurückzukehren, nicht die Zeit läuft dir davon, du nutzt eher die Zeit, um vor dir(?) zu fliehen.
Kennt jemand dieses Gefühl, hat das schon mal durch und kann
mir Tipps geben?
Ratschläge sind Schläge, heißt es, nicht ganz ohne Grund, daher nur:
Nimm dich WICHTIG
Nimm DICH wichtig
Rede mit Partner, Verwandten, Freunden, Bekannten und Kollegen
Ratschläge gibt jeder aus seiner Erfahrung, sie sind nicht richtig oder falsch - ob sie für dich richtig sind, sagt dir dein Gefühl
Behalte im Hinterkopf, dass hierzulande niemand hungern oder frieren muss
Das war jetzt ein Sammelsurium dessen, was mir einfiel.
Gruß, Zoelomat
… weil der Artikel weiter unten schon mal steht. Antworten können dort gegeben werden.
Nordlicht
MOD J & K