Berufliche Qualifikation - bes. Informatik und BWL

Hallo allerseits,

mir ist in meiner 20jährigen beruflichen Laufbahn in der Informatik schon viel untergekommen. Dipl. Von Informatikern, die von Tuten und Blasen (ähm, Software-Entwicklung) keine Ahnung hatten, bis zu Studienabbrechern, die ihren Job wie wahre Virtousen ausgefüllt haben. Fachinformatiker, die man nur als Datentypsten einsetzen kann, aber auch welche, die fast jeden Dipl. Inf. in die Tasche stecken (der Fachinfirmatiker ist „nur“ ein Ausbildungsberuf!).

Aber auch in einer anderen Dimension: Leute, die wegen Schlechtleistung rausgeekelt wurden, und sich ERFOLGREICH als Software-Entwickler selbständig gemacht haben.

Und bei der BWL dasselbe: Dipl. Kaufleute, die mal in einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Genossenschaften geprüft haben, und nicht einmal die Grundregeln der Buchhaltung kennen. Oder andere Dipl. Kaufleute, die keinen blassen Schimmer von praktischer Unternehmensführung haben, selbst dann nicht, wenn die Themen im Studium (theoretisch) ausgiebig behandelt wurden.

Dann die Diskussion um den „Bachelor Professional“ (für z.B. Handwerks-Meister, staatl. geprüfte Informatiker und nichtakademische Betriebswirte etc.), wo sich Akademiker entrüsten, dass der „echte Bachelor“ abgewertet würde. Mir scheint eher, dass der „echt“ Bachelor damit AUFgewertet würde.

Was ist eigentlich der Grund, dass ein Akademischer Abschluss so viel höher bewertete wird, als ein praktischer, wenn es offensichtlich nicht im Geringsten ein Maßstab dafür ist, inwiefern es den Absolventen gelingt, die Theorie in die Praxis umzusetzen?

Oder ist es nur ein Gerücht, dass es so wäre - und es gilt z.B. nur in Konzernen, aber gar nicht im Mittelstand?

Oder andererseits: Bringt es einem Praktiker mit tiefer und breiter Erfahrung noch etwas, einen Abschluss nachzuholen? Eher einen akadamischen (z.B. BA) oder einen nichtakademischen (z.B. staatl. geprüfter Informatiker, Betriebswirt (IHK oder staatl. gepr.)? Oder ist das bezogen auf den Mittelstand vertane Zeit und Geld?

Alles Gute wünscht
… Michael

Hallo Michael,

so aus meiner Erfahrung ist Deutschland im Grossen und Ganzen einfach extrem papiergläubig. Wenn einer vorweisen kann (mittels entsprechndem Papierchen), daß er ganz bächtig schlau ist in einem Fachgebiet, weil er das ja jahrelang gelernt hat, dann wird ihm geglaubt. Wenn er ohne dieses Papierchen jahrelang in einer entsprechenden Position erfolgreich gearbeitet hat, wird ihm das oftmals nicht geglaubt, weil erhat ja kein Papier. Die Großindustrie ist hier sehr viel schlimmer als KMUs, die dann doch noch flexibler reagieren. Was hier nie passieren wird, ist von einem Bekannten von mir in den USA. Selbiger hat katholische Theologie als Major studiert mit Chemie als Minor und arbeitet seit Jahren (erfolgreich) in der chemischen Forschung.

Ralph der das auch nicht immer verstehen kann

Hallöchen,

ich kann nicht auf 20 Jahre Berufserfahrung zurückblicken, aber ich kann aus Personalsicht Deine Einstellung durchaus nachvollziehen.

Einige der besten Kandidaten, die wir hatten, waren leider keine „Akademiker“, d.h. haben nur „on-the-job“ gelernt. Zu dumm, dass wir Dienstleister sind und unsere Kunden auf dem blöden Diplompapier bestehen, wodurch sie sich mit teilweise deutlich weniger qualifizierten Leuten abgeben.
Ein Kollege hatte unlängst das „Glück“, einen Diplom-Informatiker einzuarbeiten, der nicht in der Lage war, eine Liste aus Zahlen zu sortieren, obwohl ein Buch mit Sortieralgorithmen neben ihm lag O.o

Als WHK durfte ich sogar Hauptstudiums-Studenten erklären, wie man das Minimumelement in einer Matrix findet und habe fast nen Anfall bekommen, daß Aufgaben a la „Was ist an dieser Zeile falsch (Java) for i==0 to 10“ nicht in die Ersti-Klausur kamen, weil 75% der Studis damit überfordert waren (da sie erst 1 Semester Java-Programmierung hatten) ^^

Andererseits, Leute die ihr Studium wirklich zum Akkumulieren von Wissen benutzt haben und sich akademische Qualifikationen angeeignet haben, kann man deutlich weitergehend einsetzen als solche, die niemals eine akademische Ausbildung genossen haben.

Ein Entwickler ist was Anderes als ein Informatiker.
Sehe ich „on the job“ immer wieder, wenn ich nem Dev erklären darf, daß O(n^3) bei ner Milliarde Datensätzen selbst dann nicht so toll kommt, wenn’s im Test mit 500 Datensätzen einwandfrei fluppt…

Komplexitätsklassen, Scheduling, Algebren etc, das sind schon so Sachen, wo man als Nicht-Diplomand schnell überfordert ist weil einfach viel zu viel dahinter steht um das „Warum“ einer Problemstellung wirklich zu kapieren. Im Gegenzug heißt das natürlich nicht im Mindesten, dass jeder Diplomand es gerallt hat.

Wer sich für einen Dipl-Inf nur den „Entwickler“ als Einsatzgebiet vorstellen kann, dem fehlt der Horizont.

Gruss,
Michael

Hi Michael,
ich denke dieses Phänomen das du beschreibst wird vor allem dadurch begünstigt, dass es möglich ist ein Studium (besonders an FHs) durch stures auswendiglernen zu bestehen, ohne verstanden zu haben worum es geht. Zumindest ist mir das während meines Studiums aufgefallen.

Besonders eindrucksvoll ist es immer, wenn die Professoren auf die Idee kommen, vom bisher bekannten „Schema F“ in Prüfungen abzuweichen und abzuprüfen ob es jemand wirklich verstanden hat.
Die wahren „Checker“ laufen meistens dann zu Höchstform auf. Die Fraktion der Auswendiglerner fallen scharenweise durch (und die größten Looser versuchen sich ihre gute Note zu erklagen…).

Was dabei rauskommt, hast du ja schön beschrieben. Auf der einen Seite Studienabbrecher, die ihr Fach zwar begriffen haben und es vollkommen ausfüllen, denen aber die Fähigkeit stupide auswendig zu lernen gefehlt hat. Und auf der anderen, oftauch noch relativ gute Diplomanden, die zu absolut gar nichts zu gebrauchen sind.

Natürlich sind das jetzt nur Extreme, es gibt genügend die es verstehen und wenns sein muss auswendig lernen können :wink:

Fachinformatiker, die man nur als Datentypsten einsetzen kann, aber
auch welche, die fast jeden Dipl. Inf. in die Tasche stecken (der
Fachinfirmatiker ist „nur“ ein Ausbildungsberuf!).

Kommt darauf an in was die Fachinformatiker den Dipl. Inf. in die Tasche gesteckt haben. Wie schon jemand geschrieben hat, ein Dipl. Inf. ist weder Entwickler noch Programmierer.

Es kommt einem ja auch nicht komisch vor, wenn ein Bäcker bessere Brötchen bäckt, als ein Diplomierter Lebensmittelchemiker, oder!? :wink:

Meiner Meinung nach, ist ein Studium ist keine Ausbildung, sondern es soll darin vermittelt werden, wie man abstrahiert und logisch denkt. Zusätzlich hat man mit der Diplomarbeit eine wissenschaftliche Arbeit verfasst und dieses logische, wissenschaftliche Denken angewand!

Das ist wesentlich mehr, als man in einer Ausbildung, die einem nur die reine Tätigkeit vermittelt, mitbekommt.

Das soll jetzt um Himmels Willen keine Abwertung der Praktiker sein, sondern vielleicht nur verdeutlichen warum ein akademischer Grad eigentlich mehr „wert“ ist als eine Ausbildung.

Das es allerdings in der Praxis oft ganz anders aussieht, steht auf einem andern Blatt.

Oder andererseits: Bringt es einem Praktiker mit tiefer und breiter
Erfahrung noch etwas, einen Abschluss nachzuholen? Eher einen
akadamischen (z.B. BA) oder einen nichtakademischen (z.B. staatl.
geprüfter Informatiker, Betriebswirt (IHK oder staatl. gepr.)? Oder
ist das bezogen auf den Mittelstand vertane Zeit und Geld?

Hm, meiner Meinung nach:
Wenn er seinen Horizont erweitern will, dann ja.
Wenn er in eine große Firma, wo nur stur nach dem was auf dem Papier steht eingruppiert wird, dann auch.
Wenn er im Mittelstand als Praktiker weiterarbeiten will, nein.

Viele Grüße
/silvl

Hallo Mike,

sehr interessanter Bericht! Genau solche Fälle meinte ich.

Ein Entwickler ist was Anderes als ein Informatiker.

Wobei zumindest sehr viele doch als Entwickler arbeiten, wenn ich das recht beobachte. So viele Steuermänner braucht man ja auch nicht, sondern vor allem Ruderer.

Sehe ich „on the job“ immer wieder, wenn ich nem Dev erklären
darf, daß O(n^3) bei ner Milliarde Datensätzen selbst dann
nicht so toll kommt, wenn’s im Test mit 500 Datensätzen
einwandfrei fluppt…

Komplexitätsklassen, Scheduling, Algebren etc, das sind schon
so Sachen, wo man als Nicht-Diplomand schnell überfordert ist

Hmm, braucht man dafür Diplom? Bei uns gab es das schon im Grundstudium - wenn ich’s mir nicht eh schon vorher selbst angelesen gehabt hätte :wink:

Wer sich für einen Dipl-Inf nur den „Entwickler“ als
Einsatzgebiet vorstellen kann, dem fehlt der Horizont.

Das ist natürlich das andere Extrem. Wie gesagt: Wir brauchen nicht nur Steuermänner - und um vom Rudern etwas wegzukommen: auch nicht nur Navigatoren, Forscher, Lotsen, Kartographen etc., sondern eben auch viele Ruderer.

Was ich allerdings in letzter Zeit beobachtet habe: Zumindest im Java-Umfeld liest man jetzt fast immer in Stellenanzeigen „Dipl. Informatiker oder vergleichbare Qualifikation/Ausbildung“ etc. Das war noch vor 1-2 Jahren anders. Da hieße es auch für reine Entwickler-Jobs teilweise sogar im Wortlaut: „Bitte nur Bewerbungen von Diplom Informatikern“.

Und dasselbe eben bei Dipl. Kaufleuten. Was ist da vergleichbar mit der Software-Entwicklung? Vielleicht die Buchhaltung? Sollte die aber nicht jeder Dipl. Kaufmann dennoch beherrschen?

Alles Gute wünscht
… Michael

Hi Silvl,

Was dabei rauskommt, hast du ja schön beschrieben. Auf der
einen Seite Studienabbrecher, die ihr Fach zwar begriffen
haben und es vollkommen ausfüllen, denen aber die Fähigkeit
stupide auswendig zu lernen gefehlt hat. Und auf der anderen,
oftauch noch relativ gute Diplomanden, die zu absolut gar
nichts zu gebrauchen sind.

mist, ich konnte noch nie gut auswendig lernen. Und wenn ich etwas nicht begriffen habe, half das schon gar nicht. Das hat mich dann wohl das Diplom gekostet (ich habe vorher aufgegeben - zu viel Theorie, GANZ OHNE deren praktische Einsatzmöglichkeiten kennenzuklernen). Wenn ich mir heutige Informatik-Curriculums ansehe, sieht das mit dem Theorie-Praxis-Verhältnis aber schon viel besser aus.

Kommt darauf an in was die Fachinformatiker den Dipl. Inf. in
die Tasche gesteckt haben. Wie schon jemand geschrieben hat,
ein Dipl. Inf. ist weder Entwickler noch Programmierer.

Das hättest du mal vor bis vor ca. 1 Jahr denjenigen sagen sollen, die bei reinen Entwickler-Jobs darauf bestanden, nur Bewerbungen von Dipl. Informatikern überhaupt anzugucken.

Es kommt einem ja auch nicht komisch vor, wenn ein Bäcker
bessere Brötchen bäckt, als ein Diplomierter
Lebensmittelchemiker, oder!? :wink:

Ich habe aber noch nie eine Stelle als Bäcker ausgeschrieben gesehen, für die ein Dipl. Chem. gesucht wurde. Du?

Meiner Meinung nach, ist ein Studium ist keine Ausbildung,
sondern es soll darin vermittelt werden, wie man abstrahiert
und logisch denkt.

7 Jahre lang? (Das war zu meiner Studienzeit der Durchschnitt bis zum Dipl. Inform.)

Danke vor allem für deine Meinung zu der Weiterbildungs-Qualifikation und den Hinweis mit dem auswendig-Lernen. Manchmal ist man (ich) so in Denkmustern verfallen, dass man (ich) gar nicht an sowas denkt. Mein Denkmuster: Akademiker sollen lernen selbst zu denken. Da lag ich dann wohl falsch.

Alles Gute wünscht
… Michael