Berufliche Umorientierung / Quereinstieg

Liebe Community,

ich brauche euer Schwarmwissen.

Ein Freund von mir ist totunglücklich in seinem Job und braucht dringend etwas Neues. Nach über einem Jahr coronabedingtem Homeoffice ist er ziemlich einsam und die ständige Arbeit vor dem Bildschirm schlägt auch auf die Gesundheit. Er hat ständig Rückenschmerzen und Kopfschmerzen, obwohl er einiges an Sport macht und auch zu einer Rückenschule geht.

Leider hat er nicht so wirklich eine Idee, in welchen anderen Bereich er wechseln kann. Ich möchte ihm gerne helfen, leider bin ich selbst nicht so kreativ und nicht so bewandert in dem Thema. Eine Google Recherche hat mich da leider auch nicht soviel gebracht. Deshalb dachte ich, ich wende mich mal an die Schwarmintelligenz. Vielleicht hat ja einer von euch eine Idee oder kennt einen tollen Job, der zu ihm passen könnte.

Hier ein paar Infos zu seiner Person:

Er hat Medienwissenschaften und BWL studiert und bisher in verschiedenen Online/IT-Firmen als Projektmanager und Projektleiter gearbeitet. Er kann sich aber nicht vorstellen in diesem Bereich zu bleiben. Nur die Rahmenbedingungen für den Wechsel kann er nennen: Er möchte nicht nochmal studieren, und er möchte (zumindest perspektivisch) mehr verdienen als jetzt (2.100 Euro netto pro Monat). Zuletzt wünscht er sich einen Job, der nicht ausschließlich vor dem Computer stattfindet, sondern auch einen gewissen praktischen Anteil hat. Er fände es toll, nicht mehr nur die Organisationsrolle einzunehmen sondern auch mal konzentriert an einem Thema arbeiten zu können und selber etwas zu kreieren (ob kreativer Inhalt oder konzeptuell ist erstmal offen).

Er hat viele Hobbies, ist vielseitig interessiert. Er mag Surfen, Klettern, Musik, Musikproduktion und ist immer interessiert daran neue Dinge kennenzulernen. Er verfügt über großes Organisationsgeschick, ist sehr fleißig und möchte immer sehr gute Arbeit leisten. Er hat ein gutes Auge für Schwachstellen in den Organisationsstrukturen von Firma und bringt gute Lösungsvorschläge ein. Er setzt sich für sein Team ein und versucht Strukturen zu schaffen, um die Potenziale der Teammitglieder bestmöglich zu fördern.

Ich freue mich über jede Input und Rückmeldung!

Viele Grüße

Charlotte

Nein, das Allheilmittel habe ich nicht.

Ich habe nur Fragen, die aber in sich auch hilfreich sein können (hoffe ich zumindest) - und Warnungen.

Warum ist dein Freund totunglücklich? Die Corona-bedingten Einschränkungen sich es vermutlich nicht (nur), oder? Denn diese hätte er in vielen anderen Berufen auch. Wenn ich einen Tipp geben darf, dann sollte dein Freund erst einmal nüchtern analysieren, was ihm missfällt und warum es missfällt.

Ist es die Aufgabenstellung? Ist es, wie er die Aufgabenstellung ausübt? Ist es die Firma (Chef, Kollegen, Arbeitsbedingungen etc.)? Ist es die Branche?

Natürlich muss die Antwort sehr viel tiefgehender sein als ein „Ja, die Aufgabenstellung ist es!“. Was genau daran stört? Warum stört es ihn? Stört es alle Menschen, die das machen? Warum stört es andere nicht so sehr? Er soll sich darüber Gedanken machen, warum er weg will.

Dann die nächste Frage: Wohin? Diese Frage hast du ja zum Teil schon formuliert. Aber das reicht nicht. Die Frage lautet doch eher: Was ist ihm wichtig? Möchte er etwas bewegen, möchte er mit Menschen zusammenarbeiten (oder gerade nicht), möchte er ein ausgeprägtes Freizeitpotenzial haben, möchte er auf seine Arbeitsergebnisse stolz sein können - oder lieber nur mit dem Kontoauszug zufrieden sein, …? Was sind also seine inneren Werte, was ist seine Motivation?

Dann auch die Frage: Wie flexibel ist er? Will er wirklich in einer ganz anderen Branche der blutige Anfänger sein, der auch 20-jährigen nicht das Wasser reichen kann? Ist er bereit, umzuziehen? Ist er bereit, mit Gehaltseinbußen klarzukommen (geht auch in die Richtung Werte, hier: Wert des Geldes)?

Und schließlich zwei Warnungen:

  • Wenn er grundlegende Probleme haben sollte: Seine Probleme nimmt er mit zu einem neuen Job. Es gibt Menschen, die vor diesen Problemen in eine neue Beziehung, ein neues Land oder einen neuen Beruf fliehen wollen. Diese kleinen Schweinchen tauchen dort aber leider wieder auf. Darum ist die Eigenanalyse so wichtig.
  • Vor einigen Jahren meldete sich jemand hier bei w-w-w mit einem ähnlichen Wunsch. Ich vermutete stark, dass es ein akuter Fall von Midlife-Crisis war. In dem kritischen Alter sollte man nie unbedacht große Änderungen machen. Diese Mittlebenskrise ist ein gemeingefährliches Biest, das eingesperrt gehört. Es kann Leben ruinieren.

Darum soll dein Freund die Sache überlegt und mit Bedacht angehen. Dir aber vielen Dank, dass du ihm helfen willst.

Euch alles Gute,
Bombadil

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Hi Bombadil,

vielen vielen Dank für deinen ausführlichen Beitrag. Du stellst darin viele Frage, die alle berechtigt sind. Und ich glaube das Problem meines Freundes ist, dass fast alle Fragen mit Ja beantwortet werden können. Sowohl die Fragen, wo genau seine Probleme liegen als auch die Fragen, was ihm wichtig ist. Ich habe das Gefühl, dass er alles auf einmal will, ohne aber zu wissen in welchem Bereich er tatsächlich arbeiten will.
Flexibel ist er nur bedingt: Er kann sich zwar vorstellen umzuziehen, aber will nicht nochmal studieren oder eine Ausbildung machen, sondern würde gerne seine bereits erlernten Fähigkeiten irgendwo seinem Potential entsprechend einsetzen. Und wie oben schon beschrieben will er eigentlich auch nicht weniger verdienen als vorher.
Da er selber so verloren ist gerade hofft er, dass jemand der ihn gut kennt ihm sagen kann, welcher Bereich für ihn besser passen könnte. Ich würde ihm gerne helfen, finde das aber schwierig, da er selbst keine Präferenz für einen Bereich hat. Eine Beratung bei einem Jobcoach kommt für ihn leider auch nicht in Frage.
Trotz allem lieben Dank für deinen Rat.

Viele Grüße
Charlotte