Berufliche Wiedereingliederung wird durch Chef verweigert, Ämter nicht zuständig

Stellen wir uns folgendes Szenario vor:

Arbeitnehmer M ist seit über 20 Jahren als gelernter Elektriker in einer Firma tätig und wird dann - auch auf Grund von Arbeitsstress - psychich schwer krank (Depressionen mit mittlerweile überwundener Sucht) und daher arbeitsunfähig geschrieben.

Zunächst zahlt der Arbeitgeber regulär die Lohnfortzahlung, nach den ersten 6 Wochen springt die Krankenkasse mit der Zahlung des Krankengeldes ein.

M hält regelmäßigen Kontakt zur Firma und infomiert darüber, dass sich sein gesundheitlicher Zustand trotz medikamentöser Behandlung, stationärem Psychiatrie-Aufenthalt und darauf folgender ambulanter Gesprächtherapie nicht ausreichend gebessert hat, um wieder arbeiten zu können. Lediglich die Sucht ist in den Griff bekommen worden.

Der Chef schickt M zum Arbeitsmedizinischen Dienst (AMD), um dort begutachten zu lassen, ob M wieder arbeitstauglich ist oder nicht. Der AMD attestiert, dass M nicht stark belastungsfähig ist und daher nicht weiter auf Auswärtsmontage mit Übernachtungen eingesetzt werden kann und nicht selbstständig als Kundendienstmonteur allein mit einem Fahrzeug ausgeschickt werden kann. Da die Sucht überwunden ist, sei er aber unbedenklich als Elektriker einsatzfähig.
Der AMD schlägt vor, dass M nur noch in der betriebseigenen Werkstatt eingesetzt werden soll, um dort heimatnah bei festen Arbeitszeiten eine sichere Arbeitsstruktur zu erleben.
Des weiteren empfiehlt der AMD eine Wiedereingliederung von jeweils einer Woche mit 2, 4, 6 und 8 Arbeitsstunden täglich. Diesen Vorschlag bestätigt auch der Psychiater, woraufhin dem Chef der Wiedereingliederungsplan vorgelegt wird.

Der Chef lehnt den Plan ab mit der Begründung, er könne einen Arbeiter nicht nur 2 Stunden täglich einsetzen und die Wiedereingleiderung zöge sich überhaupt zu lange und stellt die Bedingung, M solle 1 Woche 4 Stunden sowei eine Woche 8 Stunden täglich als Wiedereingliederung arbeiten und teilt ihm direkt mit, dass er gegen die Empfehlung des AMD danach auch wieder auf Auswärts-Montage mit Aufenthalten von meist 4 Werktagen geschickt würde. Eine Unterbringung in der Werkstatt schließt er komplett aus.

In der Zwischenzeit verstreicht so viel Zeit, dass das Krankengeld ausläuft und M ausgesteurt wird und Arbeitslosengeld I empfängt.

Die Arge teilt M mit, er solle abwarten, zu was der Chef sich bereiterklärt und sieht keinen weiteren Haldung- uns Beratungsbedarf.

M sucht nochmals den AMD auf, schildert die problematische Einstellung des Chefs, woraufhin der AMD seine Sicht nochmals attestiert und M empfiehlt, einen Antrag auf Behinderungs-Anerkennung zu stellen.
Das Versorgungsamt erkennt einen Grad der Behinderung von 30 an und die Arge gesteht eine Gleichstellung auf 50 zu.

Dies wird dem Chef wieder mit einem wie bereits beschriebenen Wiedereingleiderungsplan vorgelegt, worauf der Chef mitteilt, er könne M so nicht beschäfitgen, aber M stünde ja frei, zu kündigen. Hiervon raten ihm selbstverständlich alle Anderen ab.

Die Arge teilt M mit, sie seie vorerst nur für die Zahlung des Alg I zuständig, aber die Rentenversicherung könne ihn in einer Maßnahme zur beruflichen Reha unterbringen, in der ermittelt werden soll, inwiefern er noch beruflich einsatzfähig ist.
Die Rentenversicherung lädt M ein und vertröstet ihn auf den Beginn der Maßnahmennach mehreren Monaten. Statt der Einladung zur Maßnahme erfolgt jedoch nur eine Einladung zu einem weiteren Gespräch, in dem mitgeteilt wird, er würde in einer Maßnahme untergebracht, sobald es eine gäbe. Allein hierduch verstreicht ein weiteres halbes Jahr.

Insgesamt vergeht soviel Zeit, dass die Einstufung auf Alg II kurz bevorsteht.

M wäre arbeitswillig, aber nicht mehr in der alten Firma zu alten Anforderungen fähig. Eine Teilzeitstelle oder einen Minijob kann er nicht annehmen, da er noch im Arbeitsverhältnis mit seiner alten Firma steht. Zu einer Umschulung wäre er auch bereit, aber auch so etwas wurde ihm nicht angeboten.
Frührente kann er nicht beantragen, da die Rentenversicherung ihm eine Maßnahme in Aussicht stellt.
Rechtsberatung durch die Arge erfolgt nicht, da diese sich gar nicht mehr für ihn zuständig sieht, da bereits die Rentenversicherung angesprochen wurde.
Eine Rechtsschutz-Versicherung besteht nicht und sowohl der AMD, als auch der ursprünglich zuständige Mitarbeiter der Arge haben vom örtlichen Vdk abgeraten.

Welche Möglichkeiten hat M nun?
Kann er eine Unterbringung in der Firma zu den Bedingungen des AMD erzwingen? Das würde natürlich ein mehr als unangenehmes Arbeitsklima schaffen.
Hat er eine Möglichkeit aus dem bestehenden Arbeitsvertrag rauszukommen, ohne finanziellen Schaden zu erleiden, da der Chef ihn ja nicht mehr einsetzen kann / will? Er hofft hier eigentlich auf eine Abpfindung auf Grund der langen Betriebszugehörigkeit.
Gibt es eine Möglichkeit zur Rechtsberatung außerhalb von Arge bzw. Rentenkasse ohne die hohe Beratungsgebühr eines Rechtsanwalts zahlen zu müssen zB auf Basis, dass er Alg II-Empänger sein wird?

Vielen Dank für jegliche Antwort!

Hallo,

Das Versorgungsamt erkennt einen Grad der Behinderung von 30
an und die Arge gesteht eine Gleichstellung auf 50 zu.

Daraus resultieren für M erhebliche einklagbare Rechte ggü. seinem AG.

Eine Rechtsschutz-Versicherung besteht nicht und sowohl der
AMD, als auch der ursprünglich zuständige Mitarbeiter der Arge
haben vom örtlichen Vdk abgeraten.

Da hat M bisher am falschen Platz gespart. Er sollte schleunigst über einen Gewerkschaftseintritt nachdenken. Im Beitrag wäre nicht nur Rechtsschutz im Arbeitsrecht, sondern auch im Sozialrecht eingeschlossen - etwas, was man als chronisch kranker Mensch auch immer wieder benötigen könnte.

Welche Möglichkeiten hat M nun?

M hat als gleichgestellter Mensch aufgrund der Rechtsprechung zu § 81 Abs. 5 SGB IX
http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9/__81.html
einen einklagbaren Rechtsanspruch auf Durchführung der Wiedereingliederung gem. der betriebsärztlichen Empfehlung.

Mit Bekanntgabe der Gleichstellung an den AG hat dieser die Pflicht, bei derartigen Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis gem. § 84 Abs. 1 SGB IX
http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9/__84.html
das örtlich zuständige Integrationsamt einzuschalten
https://www.integrationsaemter.de/Leistungen/498c214…
Das IA klärt auch evtl. bestehenden beruflichen Reha-Bedarf und zuständigen Kostenträger.
Kommt der AG dieser Verpflichtung nicht nach, kann M selbst an das IA herantreten und um Unterstützung durch den örtlich zuständigen Integrationsfachdienst
https://www.integrationsaemter.de/Integrationsfachdi…
bitten.

Gem. § 81 Abs. 4 SGB IX (s.o.) hat M ggü. seinem AG Ansprüche auf leidensgerechte Beschäftigung im Rahmen seiner „Restleistungsfähigkeit“.

Sollte der AG durch die notwendigen Umorganisationen zugunsten M wirklich erheblich belastet sein, kann er beim IA gem. § 102 Abs. 3 Nr. 2 „Nachteilsausgleiche“ geltend machen - ggfs. auch als dauernden Lohnkostenzuschuß.

Bleibt zu fragen, an was für eine Pfeife M bei der AA geraten ist, daß die AA nicht schon selbst das ganze Programm angeleiert hat. Schließlich soll es dort Gerüchten zufolge „Fachberater“ für schwerbehinderte/gleichgestellte „Kunden“ geben.

Vielen Dank für jegliche Antwort!

Bitte sehr !

Wow!
Was für eine ausführliche und aufschlussreiche Antwort!
Danke sehr! :smile:

Hallo,

Schließlich soll es dort Gerüchten zufolge
„Fachberater“ für schwerbehinderte/gleichgestellte „Kunden“
geben.

Wenn man sich hier schlau macht, braucht man nicht Gerüchte verbreiten. http://www.arbeitsagentur.de/web/content/DE/Buergeri…

Gruß
Otto

Hallo,

Der AMD attestiert, dass M nicht stark
belastungsfähig ist und daher nicht weiter auf Auswärtsmontage
mit Übernachtungen eingesetzt werden kann und nicht
selbstständig als Kundendienstmonteur allein mit einem
Fahrzeug ausgeschickt werden kann. Da die Sucht überwunden
ist, sei er aber unbedenklich als Elektriker einsatzfähig.

Welcher Fachmann/frau hat das Gutachten erstellt? Arzt, Psychologe oder?
Keiner von beiden kann so weitgehende berufskundliche Kenntnisse über tausende Berufe haben, um sich konkret zu Elektriker, eine Berufsbezeichnung, die so nicht in deinem Gesellenbrief steht, zu äußern. Wie soll so jemand die vielfältigsten Arbeitsmöglichkeiten eines „Elektrikers“ kennen?

Die Arge teilt M mit, er solle abwarten, zu was der Chef sich
bereiterklärt und sieht keinen weiteren Haldung- uns
Beratungsbedarf.

Aber du und den kannst einfordern.

Die Arge teilt M mit, sie seie vorerst nur für die Zahlung des
Alg I zuständig, aber die Rentenversicherung könne ihn in
einer Maßnahme zur beruflichen Reha unterbringen, in der
ermittelt werden soll, inwiefern er noch beruflich
einsatzfähig ist.

Die AA ist aber verpflichtet, dich zu beraten, Stw. Rehaberater

Zu einer
Umschulung wäre er auch bereit, aber auch so etwas wurde ihm
nicht angeboten.

Man wartet nicht bis der zu Zahlende etwas anbietet, sondern man stellt einen schriftlichen Antrag auf Förderung der Weiterbildung bei der AA oder der DRV. Gleichzeitig macht man sich schlau, welche berufichen Ziele man für sich sieht. Man kann sich über die Angebote der Berufsförderungswerke informieren. Die sind spezialisiert auf berufliche Rehabilitation. Dort sind auch Berufsfindungsmaßnahmen zur Entscheidungsfindung möglich. Die Aussagen des AMD zum „Elektriker“ muß man nicht ernst nehmen.

Gruß
Otto

In unserem Szenario war M diese Woche bei einem Termin bei der Arge / Jobcenter, die aktuell für ihn zuständig ist und gat explizit nach dieser Beratung gefragt.
Der Mitarbeiter meinte darauf, dass es solch eine Beratung nicht gäbe und sich kein Mitarbeiter beratend in diese Richtung äußern dürfe. Wenn Enpfehlungen durch Mitarbeiter ausgesprochen würden, können man diese nur als „privaten Ratschlag“ sehen und hätte keinsfalls Rechtssicherheit.

Dementsprechend konnte/wollte er auch keinen Termin bei der zuständigen Abteilung vereinbaren.

Hallo Otto,
danke für Deine ausführliche Antwort!
Leider finde ich die Funktion zum Zitieren nicht, weshalb ich etwas unübersichtlich antworten muss.

In unserem Szenario hat M eine abgeschlossene Lehre als Elektroinstallateur. Die Formulierung Elektriker ist meine fälschlicherweise genutzte umgangssprachliche Kurzform.

Der zuständige AMD wurde durch den Chef ausgewählt. Auf Basis welcher Grundlage gerade dieser AMD gewählt wurde, ist M nicht bekannt. Vielleicht liegt es daran, dass dieser AMD die nahegelegenste Einrichtung in Distanz zur Firma ist. Der zuständige Gutachter ist „Facharzt für Arbeitsmedizin“.
Dem Gutachter ist die Firma und der Tätigkeitsbereich der Mitarbeiter bekannt, da er häufiger Mitarbeiter aus dieser Firma begutachtet.
Ms genaue Aufgaben hat er sich von M in den Gesprächen beschreiben lassen und sich auf Basis von Arztbriefen und Entlassungsschreiben des Krankenhauses sowie der subjektiven Einschätzung von M und seiner Partnerin von Ms aktuellem Zustand ein Bild gemacht.
Daraufhin wurden seine Gutachten erstellt, die ausschließlich psychische Aspekte berücksichtigen.

M hat der Firma mehrere Wiedereingliederungspläne vorgelegt und mehrfach schriftlich Vorschläge eingefordert, wie er weiter in der Firma beschäftigt werden soll. Ms Chef verweigert aber jegliche schriftliche Stellungnahme zu Ms Situation. Entweder gab es kurze Anrufe, in denen nur abgewimmelt wurde oder persönliche Gespräche, in denen der Chef die Wiedereingliederung abgelehnt hat und M zur Kündigung geraten hat.
Dementsprechend wüsste M nicht, wie er ohne anwaltliche Unterstützung noch mehr einfordern können sollte.

Wie bereits in dem anderen Kommentar geschrieben, hat die Arge mitgeteilt, es gäbe keine zuständigen Berater, was offensichtlich nicht stimmt, aber wenn man an der Anmeldung und beim Sachbearbeiter dementsprechend abgewimmelt wird, bekommt man gar nicht erst die Möglichkeit, einen Beratungstermin mit der zuständigen Stelle zu vereinbaren.
M hat seinem Berater gegenüber angesprochen, dass er eine Umschulung machen wollen würde etc. Dafür sieht die Arge keine Veranlassing, da 1. ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis besteht und 2. die Rentenversicherung für ihn zuständig ist, weil er schon mehr als 10 Jahre (wenn ich die Frist richtig im Kopf habe) versicherungspflichtig berufstätig ist und somit die Zuständigkeit dorthin fällt.
Bei der Rentenversicherung gab es bisher 2 Termine, in denen M klar dargelegt hat, wozu er bereit ist und was er möchte. Bei der Rentenversicherung ist der zuständige Betreuer langfristig krank, weshalb beide Gespräche mit unterschiedlichen Vertretern stattfanden.
Beide sagten M, er seie für eine Maßnahme vorgemerkt und er müsse nun darauf warten, dass hierfür ein Termin festgesetzt würde und er dazu eingeladen wird.
Insofern sieht M auch hier nicht, wie er weitergehend selber aktiv werden könne.

Gruß
Frau Schmitz

Gestern wieder ein Termin beim Jobcenter, diesmal ein anderer Mitarbeiter.
Wieder gezielt nach der Beratung gefragt, ihm sogar die oben verlinkte Webseite vor die Nase gehalten.
Reaktion: „Suchen Sie sich mal nen Anwalt, wir beraten hier nicht!“