Hallo, Kundige,
eine Bekannte soll eine Facharbeit über „Berufsausbildung in Frankreich“ schreiben. Es sollen auch geschichtliche und politische Aspekte berücksichtigt werden.
Leider habe ich weniger als keine Ahnung und auch eifriges Googeln brachte mich nicht recht weiter.
Vielleicht hat hier jemand eine Kenntnisse oder wenigstens eine Idee, wo man den Hebel ansetzen muß um an Informationen zu kommen?
Wäre sehr nett!
Gruß Eckard.
Hallo Eckard,
hier nichts Systematisches, aber ein paar Splitter, die ich nach sieben Jahren Berufstätigkeit für und mit Franzosen aus subjektiver Perspektive gebe:
Im Vergleich zur Berufsausbildung in Deutschland ist die Berufsausbildung in Frankreich durch zwei Merkmale gekennzeichnet: Theorielastigkeit und extreme Differenzierung bereits auf der Ebene der Ausbildung.
Es gibt zwar eine Berufsausbildung, die dual in Betrieb und Berufsschule stattfindet - apprentissage -, aber die ist im Vergleich zu einer je nach Fach teilweise nur an der Schule - lycée professionnel - stattfindenden Ausbildung von geringerer Bedeutung als in Deutschland. (lt. „Quid“ ca. 170.000 Lehrlinge pro Jahr in Frankreich)
Such-Schlagworte zu diesem Komplex sind CFA (centre de formation d’apprentis), CPA (classe préparatoire à l’apprentissage), CAP (certificat d’aptidude professionelle), Brevet de Compagnon (Gesellenbrief, amüsanterweise wird dieser nur in den Departements Haut-Rhin, Bas-Rhin und Moselle ausgefertigt - warum denn bloß?).
Ebenfalls lt. Quid wandern (2000) in Frankreich noch 2.800 „aspirants“ organisiert bei der „Association ouvrière des compagnons du Devoir du Tour de France“, eine nicht genannte Anzahl bei der „Fédération nationale compagnonnique des métiers du bâtiment“ und 1.100 bei der „Union compagnonnique des compagnons du Tour de France des devoirs unis“ (1830 = 200.000, 1930 = 5.000). Die scheinbar hohen Zahlen ergeben sich aus einem Parcours, der mindestens ganz Frankreich umfassen soll und 5-7 Jahre dauert.
Der im Vergleich zu CFA und CPA bedeutendere Weg ist das Lycée Professionnel (LP), welches ebenfalls zum CAP führt, darüber hinaus auch das Baccalauréat Professionnel (eine Art Fachabitur) und das BEP (Brevet d’Etudes Professionnelles) liefert. Charakteristisch für das LP ist, dass es von der beruflichen Spezialisierung abhängt, ob während der Ausbildung überhaupt Berufspraxis gefordert wird. Soweit berufspraktische Abschnitte obligatorisch sind, sind die entsprechenden Praktika „stages“ sehr stark formalisiert und kontrolliert, der Praktikant zum Fotokopieren und Kaffeemachen existiert zumindest auf dem Papier nicht, und entsprechend groß ist oft die Enttäuschung bei französischen stagiaires in Deutschland.
Learning by doing ist in Frankreich wenig populär. Mit einem entsprechenden Brevet ist die Berufstätigkeit weitgehend festgelegt, ich hatte eine Kollegin, die ein Diplom in „Rechnungswesen des Film- und Kinowesens“ hat…
Brevets und Diplome begleiten den Absolventen ein Leben lang. Es gab die Situation, dass eine Kollegin am französischen Mutterhaus sich nach einigen Knatschereien weigerte, mit mir weiterhin zu reden. Als ich ihr über Treppenhaus-Rohrpost die Info zukommen ließ, dass ich ein Universitätsdiplom habe (welches ich berufspraktisch quasi überhaupt nicht nutze), war Kommunikation wieder möglich. Eine französische Bewerbung enthält keine Arbeitgeberzeugnisse, das CV ist durch Diplome, Brevets und sonstige Papierchen hinreichend definiert.
Zum historischen Aspekt:
Die heutige Struktur ist in ihren Grundzügen durch das décret Fouchet (8-8-1963) definiert.
Nach Einschätzung von französischen Freunden (die ich nicht an Quellen verifiziert habe) geht die heutige Theorielastigkeit der französischen Berufsausbildung auf die verheerende Niederlage am Anfang des Siebzigerkrieges bei Woerth (nach deutscher Bezeichnung) bzw. Reichshoffen (nach französischer Bezeichnung) zurück, die tatsächlich bei Froeschwiller stattgefunden hat. Es war angeblich so, dass die preussische Artillerie die geringfügig, aber entscheidend größere Reichweite hatte – was im Zuge der Revanche-Diskussionen 1871-1914 zu der These führte, der Krieg sei verloren gegangen, weil Frankreich zu wenige Spezialisten habe…
In der Tat ist der kostenlose (Grund)schulunterricht erst mit Gesetz vom 16-6-1881 geregelt, und seit Gesetz vom 28-3-1882 (loi Jules Ferry) für sieben- bis dreizehnjährige obligatorisch.
Für eigene Recherchen folgende Ansatzpunkte für eventuellen Zugang zu persönlichen Informanten:
Die deutsch-französische IHK:
http://www.francoallemand.com
Eine Linkliste zur deutsch-französischen Zusammenarbeit:
http://www.info-europe.fr/europe.web/sec.dir/sec04.d…
Das Institut Francais in Köln:
http://www.ifcologne.de
Und natürlich Google mit den Schlagworten Lycée-Professionnel und Historique
Frohes Schaffen wünscht
MM
Herzlichen Dank, Martin,
das hilft zusätzlich zu dem, was ich mir selbst schon zusammengesucht hatte doch sehr gut weiter.
Besten Gruß
Eckard
Hallo nochmal,
die Zahl zum Umfang der apprentissage, die ich gegeben habe, ist falsch, weil ich 1999-2000 als „1999 bis 2000“ gelesen und diesen „Zweijahreswert“ halbiert hatte. Richtig ist, dass in diesem Ausbildungszyklus 331 600 apprentis eingeschult wurden, also jedes Jahr so viele neu abgehen und dazukommen.
Ach, und einen könnwer noch, betreffend „Ausbildungsabgabe“ und die aktuelle Diskussion: Taxe d’apprentissage als Finanzierungsbeitrag für die Berufsschulen ist 0,5 v.H. der Lohnsumme, dazu kommen 1,5 v.H der Lohnsumme, die von den Unternehmen für berufliche und Erwachsenenfortbildung abgeführt werden müssen. Soviel zum Thema Lohnnebenkosten.
Schöne Grüße
MM
Ich kenne noch einen Link, der mir damals gut geholfen hat, als ich eine ähnliche Arbeit abliefern musste…
Es ist ein zweisprachiges Portal rund um Leben, Arbeiten und Lernen in Frankreich und Deutschland:
Gruß, Kris
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