Der Fach-Artikel stammt von heute:
Versicherungsjournal
Nachricht vom 28.6.2010
Streit um Verweisung
Macht ein Versicherter gegenüber seinem Berufsunfähigkeits-Versicherer geltend, dass die von ihm neu ausgeübte Tätigkeit nicht seiner bisherigen Lebensstellung entspricht, so muss er die konkreten Umstände darlegen, aus denen sich die fehlende Vergleichbarkeit ergibt. Einzig die Tatsache, dass es sich bei der neu ausgeübten Tätigkeit um einen Beruf handelt, für den keine Lehre erforderlich ist, reicht als Indiz für eine fehlende Vergleichbarkeit nicht aus, so der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom 21. April 2010 (Az.: IV ZR 8/08).
Der Kläger hatte bei dem beklagten Versicherer im Jahr 1999 eine Lebensversicherung mit einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung abgeschlossen. Im Jahr 2001 musste er seinen erlernten Beruf als Schreiner wegen einer Atemwegserkrankung aufgeben. Er erhielt daher seit dieser Zeit die vertraglich vereinbarte Berufsunfähigkeitsrente.
Bei einer Überprüfung zum Fortbestehen seiner Berufsunfähigkeit gab der Kläger drei Jahre später zu Protokoll, dass er mittlerweile als Außendienstmitarbeiter im Garten- und Technikbereich tätig sei. Der Berufsunfähigkeits-Versicherer stellte daraufhin seine Zahlungen ein. Er verwies den Versicherten auf seinen neuen Beruf.
Mit dem Argument, dass er bei einer weiteren Tätigkeit als Schreiner die Möglichkeit gehabt hätte, Meister zu werden und so einen höheren Verdienst erzielt hätte, zog der Versicherte gegen seinen Berufsunfähigkeits-Versicherer vor Gericht.
Fehlende Aufstiegschancen
Dort trug er ergänzend vor, dass ihm sein jetziger Beruf keinerlei Aufstiegschancen böte. Die Berufstätigkeit sei außerdem mit der eines Lernberufes auch von der sozialen Gleichwertigkeit her nicht zu vergleichen. Denn er mache nichts anderes, als „Klinken putzen“. Der Kläger hielt es daher für nicht gerechtfertigt, dass ihn sein Versicherer auf seine neue Tätigkeit verweisen wollte.
Nachdem die Vorinstanzen seine Klage als unbegründet zurückgewiesen hatten, errang der Kläger vor dem Bundesgerichtshof einen Etappensieg.
Eine Verweisung des Klägers auf eine andere Tätigkeit kommt nach den seinem Vertrag zugrunde liegenden Bedingungen nur dann in Betracht, wenn die andere Tätigkeit seiner bisherigen Lebensstellung entspricht. Die wird aber vor allem durch die zuletzt ausgeübte Tätigkeit geprägt.
Was ist eine Vergleichstätigkeit?
Eine Vergleichstätigkeit ist folglich erst dann gefunden, wenn diese keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert und in ihrer Vergütung und sozialen Wertschätzung nicht spürbar unter das Niveau des vor Eintritt der Berufsunfähigkeit ausgeübten Berufs absinkt, so das Gericht.
Das aber erfordert eine konkrete Kenntnis davon, wie die bisherige Tätigkeit eines Versicherten im Einzelnen ausgeprägt war, das heißt
* welche Fähigkeiten und körperlichen Kräfte sie erforderte,
* welche Stellung der Versicherte in seinem Betrieb innehatte,
* wie die Arbeitsbedingungen waren und
* welche konkreten Entwicklungs-Möglichkeiten sich ihm boten.
Auf Anforderung der Vorinstanz hatte der Kläger jedoch nur eine Beschreibung seiner neuen Tätigkeit abgegeben. Zu seinem zuvor ausgeübten Beruf als Schreiner hatte er lediglich einen Gesellenbrief vorgelegt und auf die Möglichkeit einer Meisterprüfung verwiesen.
Sache des Versicherers aber …
Das reicht nach Ansicht des Bundesgerichtshofs zu einer abschließenden Beurteilung des Falls nicht aus. Denn die Entscheidung eines Berufsunfähigkeits-Versicherers, ob er seine Leistungen wegen Wegfalls der Berufsunfähigkeit einstellen kann, erfordert einen konkreten Vergleich der beruflichen Situation vor und nach Eintritt der Berufsunfähigkeit.
Dabei ist es zwar grundsätzlich Sache des Versicherers zu beweisen, dass die Voraussetzungen seiner Leistungspflicht nicht mehr erfüllt sind.
„Will aber der Versicherungsnehmer geltend machen, die von ihm neu ausgeübte Tätigkeit entspreche nicht seiner bisherigen Lebensstellung, so obliegt es ihm, die konkreten Umstände darzulegen, aus denen sich die fehlende Vergleichbarkeit ergeben soll“, so der BGH in seiner Urteilsbegründung.
Knackpunkt Lernberuf
Die Sache wurde vom Bundesgerichtshof an die Vorinstanz zurückverwiesen. Diese wird nun unter Berücksichtigung der vorgenannten Voraussetzungen zu klären haben, ob der Kläger tatsächlich nicht auf seine jetzige Tätigkeit verwiesen werden kann.
Für das weitere Verfahren hat der BGH ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Verweisung nicht generell deshalb ausgeschlossen ist, weil es sich bei der neuen Tätigkeit um keinen Lernberuf handelt.
Denn wird ein Gelernter auf eine Tätigkeit verwiesen, für die keine Ausbildung erforderlich ist, so ist damit nicht von vornherein ein Abstieg in der sozialen Wertschätzung des Versicherten verbunden. Es kommt vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls an.
Die Richter fügten allerdings einschränkend hinzu, dass das Erfordernis einer abgeschlossenen Berufsausbildung einen bedeutenden Faktor darstellt, der bei der vergleichenden Betrachtung zu berücksichtigen ist. Denn berufliche Tätigkeiten, die eine Ausbildung erfordern, sind in der Regel mit einer erheblichen Steigerung des sozialen Ansehens verbunden.
Wolfgang A. Leidigkeit
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