Hallo Uwe,
Auch ich muss dir in deiner Theorie widersprechen. Ich komme aus Leipzig, auch hier ist es üblich, den Artikel vor Namen zu setzen. Und ich kann dir versichern, eine „Entindividualisierung“ liegt hier gewiss nicht vor.
Für dich scheint diese Form fremd zu sein, sie kommt in deinem Mutterdialekt nicht vor, daher möchtest du einen Sinn hineininterpretieren, der semantisch etwas ausdrücken, also quasi einen Unterschied machen soll zwischen „Hans“ und „der Hans“.
Nun ist’s im Süden aber nicht nur üblich, sondern wirklich der Standard, den Artikel zu benutzen, und wenn man’s nicht tut, klingt das entweder seltsam oder ist Einfluss aus dem Hochdeutschen. Oder beides.
Ob das für Leipzig zutrifft, weiß ich nicht genau, der Einfluss des Hochdeutschen ist hier leider sehr groß, weswegen einem Namen ohne Artikel nicht sooooo seltsam vorkommen. Ein durch und durch sächsischer Satz mit artikellosem Namen „Haste Ronny heute eing’sch schonnema’ gesähn?“ klingt für mich seltsam, drückt aber nichts besonderes aus, weder von der Semantik her, noch von der Konnotation. Es klingt einfach unüblich. Für Südbayern ist das vllt. noch „schlimmer“.
Zieh doch einfach in Betracht, dass Artikel vor Namen in den/einigen süddeutschen Dialekten fester Bestandteil der Grammatik sind. Namen sind praktisch immer referentiell, nie kategoriell — d.h. man verweist mit ihnen stets auf einen bestimmten Referenten, nie auf eine Gruppe oder eine allgemeine Kategorie wie z.B. bei „Auto“ oder „Katze“ oder auch „Lehrer“. Namen können nur ganz selten mal kategoriell sein…
Deswegen ist es durchaus logisch und nachvollziehbar, dass auch Namen einen bestimmten Artikel bekommen können. Man kann das sogar als Standard ansehen (wie offenbar im Altgriechischen?) und sich fragen: Warum gibt es im Norddeutschen bzw. Hochdeutschen diese Sonderregel , vor Namen keine Artikel zu benutzen?
Die Bedeutung eines Ausdrucks erschließt sich IMMER aus seiner Verwendung, nie zwangsläufig aus der Bedeutung seiner Teile oder der Etymologie eines Wortes. Du versuchst hier mit dem Verständnis eines fremden Dialekts ein Phänomen zu erklären, aber du musst es aus der Sichtweise genau dieser Dialekte (also den süddeutschen) sehen: Und da greift deine Theorie leider gar nicht.
Gruß,