Best. Artikel vor Namen - 'Entindividualisierung'?

Hallo,

vor allem in der Mitte und im Süden Deutschlands hört man immer wieder bestimmte Artikel vor Eigennamen von Personen. Auf mich macht das immer den Eindruck von Entindividualisierung der mit dem bestimmten Artikel und dem folgenden Namen bezeichneten Person.

Im Grunde scheint es, als ob z. B. „DER Matthias“ eben nicht einfach „Matthias“, das Individuum ist, sondern das „DER“ bedeutet meines Erachtens eine „Einordnung in die Gesellschaft“ nach der Art „der Matthias, den wir kennen“. Stellt sich dann noch jemand auf diese Weise gar selbst vor: „Hallo, ich bin DER Matthias“, so bedeutet das m. E. „ich bin der, den man normalerweise in mir sieht“, bzw. „den Ihr in Euch von mir konstruiert“. So gesehen bedeutet es m. E. eine Anpassung an den Status Quo und gleichzeitig eine Absage an größere Individualitäten.

„ich bin halt der, den man kennt. Ich bin so, wie man mich kennt und nicht anders“.

Wie empfindet Ihr jene „Artikulierung“ von Eigennamen? Was bedeutet sie für Euch?

Gruß,
Uwe

Hallo!

Wie empfindet Ihr jene „Artikulierung“ von Eigennamen?

Als den Normalfall. Hier im Süden spricht man nicht anders. Eine besondere Bedeutung hat diese Varietät für mich nicht.

Es gibt in meinem Freundeskreis allerdings zwei oder drei Fälle von Personen, die mit „Der xx“ auch ihre mails unterschreiben. Hierbei handelt es tastsächlich um zwei Personen, die nicht „irgendein“ x-beliebiger Mathias, sondern tatsächlich ein „besonderer, herausragender“ Mathias sind. Dadurch empfinde ich da eher das Gegenteil von Entindividualisierung.

Gruß,
Max

Hi, Uwe!

vor allem in der Mitte und im Süden Deutschlands hört man
immer wieder bestimmte Artikel vor Eigennamen von Personen.

Das ist in der Umgangssprache üblich, ja.

Auf mich macht das immer den Eindruck von
Entindividualisierung der mit dem bestimmten Artikel und dem
folgenden Namen bezeichneten Person.

Ich höre da eher das Gegenteil heraus. Der Artikel entstand aus dem Definitpronomen, und das schwingt immer noch mit: nicht irgendein Matthias (um dein Beispiel zu verwenden), sondern eben der eine ganz bestimmte.
Ich wünsche mir, dass das auch ins Hochdeutsche Eingang findet. Dann hört es endlich auf, dass nur der Name genannt wird, wenn von Politikern die Rede ist, bei Polikerinnen aber immer von Frau Sowieso die Rede sein muss. Wo bleibt da die Gleichberechtigung?
Dann hätten wir es wie im z. B. im Italienischen: IL/DER Berlusconi, LA/DIE Cicciolina.
Hannes

Hallo…

Auch im alten Griechischen. Im Neuen Testament der Bibel heisst es meistens „ho Iesous“, der Jesus.

Grüsse,
TR

Auch im alten Griechischen. Im Neuen Testament der Bibel
heisst es meistens „ho Iesous“, der Jesus.

Also offenbar ein „alter Trick“. :wink:

„Der Jesus“ bedeutet „der, der Jesus für uns/mich ist“. Ein Hinweis auf den abstrakten Jesus, nicht auf das Individuum Jesus.

Gruß, Uwe

Leider nicht, glaube ich. Das hiesse im Neuen Testament houtos ho Iesous, dieser der Jesus, wenn ich mich nicht vollständig irre.

Es ist schlicht in einigen Sprachen und Dialekten üblich, einem Personennamen den bestimmten Artikel voranzustellen - in anderen Sprachen und Dialekten nicht.

TR

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sondern eben der eine ganz bestimmte.

Na eben! Du bestätigst mich ja! Wer „bestimmt“ es denn, „wer WER oder WAS ist“? Richtig: die Anderen.

Wenn man dem eigenen Namen einen bestimmten Artikel voranstellt, wird durch die Anwendung der dritten Person (der, die, das) eine Abstraktion vollzogen, die von sich weg und nicht auf sich hin weist.

Dadurch abstrahiert man die eigene Person von sich selbst und macht sie zum Objekt der Anderen. Also doch: Entindividualisierung!

Bei Nennung anderer Personennamen auf die gleiche Weise (mit Voranstellung des bestimmten Artikels) ist die Abstraktion schwerer nachzuweisen. Da aber dennoch immer auch die Möglichkeit einer Nennung des Namens ohne den bestimmten Artikel besteht, liegt auch hier eigentlich auf der Hand, daß Abstraktion und damit Entindividualisierung in der wenn-auch-unbewußten Intention des Sprechenden oder auch des mundartlichen Kollektivs liegt.

Die Tatsache, daß die Verwendung bestimmter Artikel als Namenspräfix in bestimmten Gegenden üblich ist, bedeutet m. E. nicht etwa, daß die bestimmten Artikel „nichts zu bedeuten“ hätten, sondern nur, daß in jenen Gegenden die beschriebene Abstraktion und Entindividualisierung gang-und-gäbe sind und schon in der Mundart zum Ausdruck kommen.

Daß der Einzelne das üblicherweise gar nicht mehr wahrnimmt, bedeutet nicht, daß es das Phänomen nicht gibt, sondern eher, daß der Mensch, ja ganze Kollektive von Menschen zu Selbstbetrug neigen.

Gruß, Uwe

in meinem persönlichen Umfeld ist der bestimmte Artikel vor dem Namen absolut unüblich (ich wohne allerdings auch nicht im Süden Deutschlands). Allgemein habe ich die Erfahrung gemacht, dass diese (Un-)Sitte vor allem bei eher gering gebildeten oder sonst einfacher strukturierten Zeitgenossen vorkommt. Und ich meine mich zu erinnern - meine Schulzeit liegt aber schon ein paar Jahre zurück - dass das Hochdeutsche einen bestimmten Artikel vor dem Namen nicht gestattet.

Hallo,

Allgemein habe ich die Erfahrung gemacht,
dass diese (Un-)Sitte vor allem bei eher gering gebildeten
oder sonst einfacher strukturierten Zeitgenossen vorkommt.

Es ist keine Un sitte, es ist Dialekt (und Umgangssprache).
Ich finde, dass die Art, wie hier über eine regionale Eigenheit gesprochen wird, sehr arrogant.
Nur weil ein einzelner Dialekt als Hochsprache definiert wurde, heißt das noch lange nicht, dass hier eine Hierarchie besteht.

Gruß
Elke

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Allgemein habe ich die Erfahrung gemacht,
dass diese (Un-)Sitte vor allem bei eher gering gebildeten
oder sonst einfacher strukturierten Zeitgenossen vorkommt.

Es ist keine Un sitte, es ist Dialekt (und
Umgangssprache).
Ich finde, dass die Art, wie hier über eine regionale
Eigenheit gesprochen wird, sehr arrogant.
Nur weil ein einzelner Dialekt als Hochsprache
definiert wurde, heißt das noch lange nicht, dass hier
eine Hierarchie besteht.

Ich habe ausschließlich über mein Lebensumfeld berichtet und in der Gegend, in der ich lebe, ist dies keine „regionale Eigenheit“. Irgendwelche regionalen Eigenheiten sind daher auch nicht Gegenstand meines Beitrags.

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Servus,

es geht hier um eine Art Tabuisierung: Ohne Artikel kann man kein Attribut zu dem Namen setzen, also auch kein böses oder despektierliches.

Im Kern steht hier wie üblich Vater und Mutter, auf die anderen Zusammenhänge ist das ausgeweitet.

Schöne Grüße

MM

Woher Du wissen?

es geht hier um eine Art Tabuisierung: Ohne Artikel kann man
kein Attribut zu dem Namen setzen, also auch kein böses oder
despektierliches.

Sehr interessanter Aspekt. Das könnte natürlich eine Erklärung sein.

Im Kern steht hier wie üblich Vater und Mutter, auf die
anderen Zusammenhänge ist das ausgeweitet.

Aha, ok.

Darf ich noch fragen, woher Du das alles weißt (Du schreibst ja nicht z. B. „m. E.“ o. Ä.)?

Schon mal vielen Dank für Deine Antwort! :smile:

Beste Grüße,
Uwe

Servus,

schade - wenn ich den Namen des Autors und die Veröffentlichung noch erinnerte oder dokumentiert hätte, hätte ich ihn benannt.

Schöne Grüße

MM

Es ist schlicht in einigen Sprachen und Dialekten üblich,
einem Personennamen den bestimmten Artikel voranzustellen - in
anderen Sprachen und Dialekten nicht.

Das mag ja sein, heißt aber nicht, daß der vorangestellte bestimmte Artikel „nichts bedeute“. Im Gegenteil: selbstverständlich bedeutet er sehr wohl etwas. Ich versuche herauszufinden, WAS er bedeutet.

Gruß, Uwe

sondern eben der eine ganz bestimmte.

Na eben! Du bestätigst mich ja!

Das kommt dir nur so vor.

Wer „bestimmt“ es denn, „wer
WER oder WAS ist“? Richtig: die Anderen.

Unfug. Wenn ich mich Leuten vorstelle, die mich nicht kennen, mit den Worten: „Ich bin der Hannes“, wieso sollte ich dabei der sein, als den die mich kennen, wenn sie mich ja gar nicht kennen, sonst bräuchte ich mich ihnen nicht vorzustellen? Das heißt doch soviel wie: Ich bin der, als der ich mich euch hier und jetzt präsentiere.
Und wenn ich von jemand anderem mit diesen Worten vorgestellt werde, dann heißt das auch nur: „Das ist der Hannes“, als der er sich uns bisher gezeigt hat, also nicht irgendeiner, sondern ein ganz bestimmter. Das halte ich doch - und das habe ich schon gesagt - für das Gegenteil einer Entindividualisierung. Aber da drehen wir uns im Kreis: Erfahrungsgemäß.

Wenn man dem eigenen Namen einen bestimmten Artikel
voranstellt, wird durch die Anwendung der dritten Person (der,
die, das) eine Abstraktion vollzogen, die von sich weg und
nicht auf sich hin weist.

Das mag bei Begriffen richtig sein, wenn man auch den unbestimmten Artikel verwenden könnte:
Das ist eine Rose, und zwar irgendeine.
Das ist die Rose, die Sie bei uns bestellt haben.
Unterschied klar.
Das ist Rose, meine Freundin. Das ist die Rose, meine Freundin.
Ich kann hier keinen Unterschied wahrnehmen, aber
du wirst sicher wieder antworten,

Daß der Einzelne das üblicherweise gar nicht mehr wahrnimmt,
bedeutet nicht, daß es das Phänomen nicht gibt, sondern eher,
daß der Mensch, ja ganze Kollektive von Menschen zu
Selbstbetrug neigen.

Darauf,

Uwe,

antworte ich dann, mich früherer Diskussionen entsinnend, nicht mehr.
Eines mag ja der Fall sein: Die Nennung des Namens ohne Artikel wirkt distanzierter, die Nennung mit Artikel irgendwie kommunikativer. Das eine mag eher zur norddeutschen Umgangsart passen, das andere eher zur süddeutschen.
Schönen Gruß!
Hannes

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Im Neuen Testament der Bibel
heisst es meistens „ho Iesous“, der Jesus.

Das ist richtig und kommt von einer Eigenheit des Altgriechischen her:
Wenn ein Name zum ersten Mal genannt wird, dann ohne Artikel. Bei jeder weiteren Nennung wird der Artikel verwendet; weil er ursprünglich (wie im Deutschen) ein Demonstrativpronomen war. Also bedeutet die Nennung des Namens mit Artikel dann eben: der schon erwähnte, uns schon bekannte NN.
Also wird man da auch eine „Entindividualisierung“ behaupten, wenn man sich diesen Schuh einmal angezogen hat.
Und alle Gesellschaften, in deren Sprache die Verwendung des Namens mit dem Artikel die Regel und ohne ihn ein Verstoß gegen die Grammatik ist - alles Entindividualisierer und Entindividualisierte, ohne dass sie es bemerken?

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sondern eben der eine ganz bestimmte.

Na eben! Du bestätigst mich ja!

Das kommt dir nur so vor.

http://respublica.re.ohost.de/chui.wav :wink:

Wer „bestimmt“ es denn, „wer
WER oder WAS ist“? Richtig: die Anderen.

Unfug. Wenn ich mich Leuten vorstelle, die mich nicht kennen,
mit den Worten: „Ich bin der Hannes“, wieso sollte ich dabei
der sein, als den die mich kennen, wenn sie mich ja gar nicht
kennen, sonst bräuchte ich mich ihnen nicht vorzustellen?

Nicht, als den, wie DIE Dich kennen, sondern als den, wie ANDERE Dich kennen! Es ist ein Bezug auf Allgemeinheit.

Das
heißt doch soviel wie: Ich bin der, als der ich mich euch hier
und jetzt präsentiere.

Nein, denn durch die Sprache, die man benutzt, verweist man ja ebenfalls implizit auf den sozialen Kontext, also die Allgemeinheit. Ich bin DER Uwe stellt mich automatisch in einen sozialen Kontext: DER Uwe ist „der Uwe, den man kennt“ und nicht ich allein ohne „herbeigerufenen“ sozialen Kontext.

Und wenn ich von jemand anderem mit diesen Worten vorgestellt
werde, dann heißt das auch nur: „Das ist der Hannes“, als der
er sich uns bisher gezeigt hat,

Auch dieses „Zeigen“ geschieht ja im gesellschaftlichen Kontext, tritt also mit seinem Streben vor diesem zurück bzw. geht sogar in diesem auf. Durch das „DER“ wird ein gesellschaftliche Kontext bewußt oder unbewußt herbeizitiert bzw. suggeriert und fügt dem folgend Benamten selbigen gesellschaftlichen (und in jedem Fall) konstruierten Kontext hinzu.

LG, Uwe

Hallo!

selbstverständlich bedeutet er sehr wohl etwas. Ich versuche
herauszufinden, WAS er bedeutet.

Also wenn ich mir die Diskussion hier so ansehe, dann versuchst du nicht, etwas „herauszufinden“. Mir kommts eher so vor als würdest du versuchen, uns von deiner „Wahrheit“ zu überzeugen – mit allen Mitteln. Aber vielleicht liegts ja auch nur an deinem bevorzugten Diskussionsstil…

Grüße
(der) Steve

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Hallo!

Ich habe ausschließlich über mein Lebensumfeld
berichtet und in der Gegend, in der ich lebe, ist dies keine
„regionale Eigenheit“. Irgendwelche regionalen Eigenheiten
sind daher auch nicht Gegenstand meines Beitrags.

Das mag für dich durchaus so sein, aber wenn bereits mehrfach erwähnt wurde, dass eben die besagte Eigenheit in manchen (eigentlich sogar recht großen) Regionen umgangssprachlich den Normalfall darstellt, dann wirkt dein Kommentar schon irgendwie… seltsam (oder gar überheblich).

Grüße
Steve

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Also wenn ich mir die Diskussion hier so ansehe, dann
versuchst du nicht, etwas „herauszufinden“. Mir kommts eher so
vor als würdest du versuchen, uns von deiner „Wahrheit“ zu
überzeugen – mit allen Mitteln. Aber vielleicht liegts ja
auch nur an deinem bevorzugten Diskussionsstil…

Mag sein. Ich lasse mich gern von besseren Argumenten überzeugen, muß allerdings ab und zu feststellen, daß man „aneinander vorbeiredet“. 'Das ist m. E. nicht allzu ungewöhnlich, trifft man hier doch schon auf die unterschiedlichsten Menschen mit ihrem jeweiligen „Sogewordensein“ (= Werdegang), wobei gewisse Übereinstimmungen auch nicht von der Hand zu weisen sind… :wink:

Bezeichnend für den zuweilen polemischen Charakter der Gegensätze ist m. E. die Art der Sternchenvergabe, die leider meist nicht für die Qualität des besternten Artikels spricht (was wohl die ursprüngliche Absicht hinter der Einführung der Sternchen war), sondern nur von einer ganz subjektiven Sympathie des Lesers als „Sternchengebers“ mit der dort geäußerten Meinung zeugt.

LG, Uwe