Besteuerung zur Zeit Jesu

Hallo,

eine Detailfrage zur Besteuerung zur Zeit Christi kann ich mit der mir verfügbaren Literatur nicht wirklich klären.

Zu dieser Zeit war Judäa römische Provinz und dort im wesentlichen das römische Steuersystem etabliert, wobei die Römer wohl in der Regel dieses System vorhandenen Strukturen anpassten.
Galilea stand dagegen noch unter der Herrschaft Herodes’. Dieser war aber von den Römern abhängig und ihnen Gegenüber verpflichtet. Dabei weiß ich aber nicht welche materiellen Verpflichtungen (Tribut?) er hatte.
In Judäa zahlten die Menschen also Tempelsteuer und Steuern an die Römer.
In Galilea zahlte man Tempelsteuer. Welche Steuern erhob aber Herodes? Gab es eine zusätzliche Steuer zur Deckung seiner Verpflichtungen gegenüber Rom und welche waren das überhaupt?

Mein Anliegen zusammengefasst:
Welcher „Landesteil“ wurde durch welche Steuern wie stark belastet?

Grüße
Werner

Hallo Werner,

Zu dieser Zeit war Judäa römische Provinz und dort im
wesentlichen das römische Steuersystem etabliert, wobei die
Römer wohl in der Regel dieses System vorhandenen Strukturen
anpassten.

das Steuersystem in den Provinzen war verhältnismäßig einheitlich, wenn auch immer wieder Veränderungen vorgenommen wurden - u.a. auch von Augustus, der die Einziehung der wichtigsten Steuern (Kopf- und Grundsteuer) nach dem Vorbild Cäsars den publicani (Steuerpächtern) entzog und in die Hände der Quästoren bzw. vor Ort der procuratores legte. Es blieben die indirekten Steuern (Stadtsteuer, Wassersteuer, diverse Wege- und Grenzzölle usw.) bei deren Eintreibung die publicani sich einheimischer Handlanger (der biblischen ‚Zöllner‘) bedienten.

Galilea stand dagegen noch unter der Herrschaft Herodes’.

Herodes Antipas’, um genau zu sein.

Dieser war aber von den Römern abhängig und ihnen Gegenüber
verpflichtet. Dabei weiß ich aber nicht welche materiellen
Verpflichtungen (Tribut?) er hatte.

Herodes Antipas zog seine eigenen Steuern ein, und zwar noch auf herkömmliche Art durch Steuerpächter - auch hier in Galiläa also ‚Zöllner‘, die jedoch nicht auf römische Rechnung arbeiteten, sondern auf die von von Herodes Antipas (und natürlich nicht zu knapp auf eigene).

Natürlich hatte Herodes Antipas wie praktisch alle römischen Klientelfürsten an Rom Tribut zu entrichten. Die Höhe schwankte stark und wurde von Seiten Roms offensichtlich ad hoc und nach vermuteter Leistungsfähigkeit der so Geschröpften festgesetzt. Einziges Hemmnis beim Anziehen der Schraube der Tributforderungen war die Vermeidung eines Aufstandes und in der Folge eines kostspieligen Krieges - was bekanntlich nicht immer klappte.

Von Cäsar weiss man, dass er aus dieser Region einen Tribut von 25% der Jahresernte einzog (mit Ausnahme jedes 7. Jahres). Was übrigens als überaus moderat empfunden wurde … Nach Cäsars Ermordung forderte Cassius Longinus (mit proprätorischem Imperium Statthalter Syriens) von Judäa, Samaria und Galiläa zur Finanzierung des Bürgerkriegs gegen Antonius einen enormen Tribut von 700 Talenten, wovon 100 auf Galiläa entfielen - was zeigt, dass diese spezielle Region wirtschaftlich vergleichsweise schwach entwickelt war. Dass die Höhe des Tributs stark schwankte, wird dadurch deutlich, dass Herodes der Große später es sich sogar leisten konnte, hin und wieder ein steuerfreies Jahr zu deklarieren.

Dass der einheimische Fürst - im Falle des Rabbi Jeschua also Herodes Antipas - von den eingenommenen Steuern Tribut an Rom zahlte, ist der Hintergrund von Mt 22,15-22. Bezeichnend ist, dass ihm in dieser Erzählung offensichtlich Pharisäer und Herodianer in seltener Einmütigkeit auf den Zahn fühlen wollen. Es geht hier also nur indirekt um Jeschuas politische Haltung zum römischen Imperium - es geht um seine Haltung zu Herodes Antipas, der an Rom Tribut zahlt. Geschichtlicher Background ist der Aufstand Judas des Galiläers (um 6 n.Chr., als Jeschua also etwa 12 Jahre alt war), der sich vor allem an der Besteuerung Judäas nach der Umwandlung in eine Provinz entzündet hatte - der aber interessanterweise in dem (nominell selbständigen) Galiläa seinen Ursprung hatte. Das Problem löste damals (sehr blutig und deutlich effektiver als ein anderes später) ein gewisser Quinctilius Varus.

In Judäa zahlten die Menschen also Tempelsteuer und Steuern an
die Römer.
In Galilea zahlte man Tempelsteuer. Welche Steuern erhob aber
Herodes? Gab es eine zusätzliche Steuer zur Deckung seiner
Verpflichtungen gegenüber Rom und welche waren das überhaupt?

Welche Steuern im einzelnen in Galiläa erhoben wurden, kann ich nicht beantworten. Man kann wohl davon ausgehen, dass es im wesentlichen dieselben wie im römischen Judäa waren - also vor allem Kopf- und Grund- sowie diverse indirekte Steuern, die auch lange vor den Römern schon von den Seleukiden erhoben wurden. Eine spezielle ‚Romsteuer‘ gab es sicher nicht - damit hätte sich Herodes Antipas selbst zu einem bloßen Steuereintreiber der Römer herabgewürdigt. Natürlich war der Tribut an Rom ein ganz erheblicher Teil der Staatsausgaben und man wusste sehr gut, dass bei Nachlässigkeit in dieser Frage die Römer selbst eintreiben würden, worauf sie meinten, Anspruch zu haben. Als es bei der Eintreibung der oben erwähnten von Cassius geforderten 700 Talente zu Schwierigkeiten kam, verkaufte dieser edle Republikaner und Freund der Freiheit kurzerhand die Bevölkerung von vier Städten in die Sklaverei. Hier, in diesem Ausnahmefall, war tatsächlich eine spezielle durch den Tribut veranlasste Steuererhebung notwendig geworden. Cassius’ Verbündeter Antipater (Vater von Herodes und Großvater Herodes Antipas’) bekam die Quittung - er wurde vergiftet.

Mein Anliegen zusammengefasst:
Welcher „Landesteil“ wurde durch welche Steuern wie stark
belastet?

Die Unterschiede dürften unerheblich gewesen sein. Es gab ja noch kein Staatsbürgerrecht im modernen Sinne und ein allzu großes Gefälle bei der Steuerbelastung hättte in diesem kulturell recht homogenen Raum zwangsläufig zu größeren demographischen Verschiebungen geführt, wodurch das Steueraufkommen besonders hoch besteuerter Territorien schon auf mittlere Sicht gesunken wäre.

Freundliche Grüße,
Ralf

Hallo Ralf,

vielen Dank für die sehr hilfreichen Ausführungen.

Wenn ich das nun mal frei extrapoliere, dann wurden wahrscheinlich über 25 % der Landwirtschaftlichen Erträge oder deren Gegenwert als Tribut abgeführt. Da ein Großteil der Bevölkerung von der Landwirtschaft lebte wird die durchschnittliche Belastung durch diese Abgaben nicht wesentlich darunter gelegen haben.
Dazu kam der Zehnte für den Tempel, ein Aufschlag für die Steuerpächter und das was Herodes Antipas für seinen Staatshaushalt brauchte.

Ein etwas abseitiger Vergleich mit der Gegenwart drängt sich mir da auf.
Damit dürfte die Abgabenquote etwa bei dem gelegen haben was wir auch heute zu tragen haben, eher sogar darüber. Mit dem Unterschied, dass bei den gut 40 % Abgaben heute Sozialleistungen mit finanziert werden, damals nicht. Außerdem lebten damals wahrscheinlich viele Menschen viel dichter an einem echten Existenzminimum, so dass Abgaben in dieser Höhe für Teile der Bevölkerung wohl effektiv ein Armutsrisiko waren.

Gruß
Werner

Hallo Werner,

Außerdem
lebten damals wahrscheinlich viele Menschen viel dichter an
einem echten Existenzminimum, so dass Abgaben in dieser Höhe
für Teile der Bevölkerung wohl effektiv ein Armutsrisiko
waren.

es handelte sich nicht nur um ein ‚Armutsrisko‘. Speziell die römische Steuereintreibung war berüchtigt, weil die Militärverwaltung (gegen entsprechendes Schmieren der höheren Chargen, versteht sich) in schwierigen Fällen gerne bereit war, das Inkasso mit Misshandlungen und Folter zu unterstützen. Gerne griff man auch auf einheimische Helfer (‚Zöllner‘) zurück, die nicht besser als Banditen aber dafür plötzlich respektabel waren - zumindest in römischen Augen. Dass der Rabbi Jeschua sich mit solchem Gesindel abgab, wurde ihm verständlicherweise von seinen pharisäischen Gegnern angekreidet. Das stieß auf so viel Verständnis wie Mutter Theresas Freundschaft mit dem blutigen Diktator ‚Baby Doc‘ Duvalier oder dem Milliardenbetrüger Charles Keating.

Die einheimischen Potentaten waren darauf angewiesen, den Bogen nicht zu überspannen - sie wollten die Kuh melken. Die römischen Finanziers hingegen hatten die Kuh vom Staat nur auf ein paar Jahre gepachtet - ihnen war es egal, wenn die Kuh beim Melken draufging. Im Gegenteil, dann konnte man noch ihre Haut verkaufen.

Die Steuereintreiber traten gerne zusammen mit Kredithaien auf - wenn sie nicht beides in Personalunion waren. Am Ende stand häufig die extremste Form der ‚Armut‘ - Versklavung. Der Schuldner haftete regelmäßig mit seiner persönlichen Freiheit für seine Schulden - egal ob Steuer- oder Kreditschulden. Man hat geschätzt, dass in der frühen Kaiserzeit auf Delos, der Drehscheibe des internationalen Sklavenhandels (was verdeutlicht, dass ein Großteil der Sklaven aus dem hellenisierten Osten kam), täglich etwa 1.000 Sklaven umgeschlagen wurden. Für die Antike eine enorme Menschenmenge.

Die Ausbeutung durch Finanzgesellschaften (publicani, Steuerpächter), und durch erpresserische Statthalter (die gleichzeitig militärische Oberbefehlshaber waren) war zu Zeiten der späten Republik eher noch schlimmer; die Entmachtung der publicani durch Augustus eine dringend notwendige Sanierungsmaßnahme. Das macht es verständlich, dass der 1. Mithridatische Krieg mit einem Massaker an über 80.000 (Plutarch nennt sogar 150.000) italischen Zivilisten (keine Kolonisten, sondern ‚Geschäftsleute‘) in Kleinasien begann. Die Römer saugten die unterworfenen Völker (und auch die ‚Bundesgenossen‘) aus wie Zecken und waren entsprechend beliebt.

Kaiser Tiberius sprach übrigens nicht von Zecken, sondern von Bremsen. Auf zynische Weise begründete er mit diesem Vergleich seine Politik, Statthalter nicht allzu häufig zu wechseln - es sei besser eine vollgesaugte Bremse dort zu lassen, wo sie ist, statt ständig neue und hungrige Bremsen auf das Vieh loszulassen.

Freundliche Grüße,
Ralf

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