Bestimmung der tatsächlichen Fluggeschwindigkeit

Hallo Experten!

Ich bitte gleich vorweg um Entschuldigung, falls meine Frage „dumm“ oder trivial ist, aber ich bin halt absolut unwissend auf dem Gebiet. Auch bitte ich um Nachsicht, falls meine Frage bereits beantwortet wurde. Als Nicht-Premium-User muß ich leider ohne die Suchfunktion auskommen.

Gibt es eine Methode oder ein Gerät and Bord eines Flugzeuges, das die „tatsächliche Geschwindigkeit“ desselbigen mißt? Damit meine ich also nicht die Strömungsgeschwindigkeit der Luft rundherum, sondern die Geschwindigkeit in Bezug auf die Erdoberfläche. (etwas holprige Formulierung, ich weiß, aber wie sollte ich es sonst sagen?)

Daß man mit Hilfe von externen Systemen wie zum Beispiel Radar oder GPS die Geschwindigkeit bestimmen kann ist mir schon klar. Allerdings möchte ich ja wissen ob ein einsamer Pilot ohne Hilfe von außen seine tatsächliche Geschwindigkeit messen kann, oder ob er auf näherungsweise Berechnungen über die Luftgeschwindigkeit angewiesen ist.

Grüße,
Steve
(der hofft, sich mit seiner Frage nicht allzusehr blamiert zu haben)

Moin

Der korrekte Terminus für die Geschwindigkeit eines Objektes zum festen Grund (Erde, Seeboden) lautet „absolute Geschwindigkeit“. Dem gegenüber steht die „relative Geschwindigkeit“. Sie bezeichnet die Geschwindigkeit des Objektes (Flugzeug, Schiff) relativ zur Umgebung (Luft, Wasser).

Direkt messen lässt sich nur die relative Geschwindigkeit; zumindest wenn man GPS und Co. aussen vorlässt.
Um die absolute zu erhalten braucht man die relative Geschwindigkeit des Objektes und die Richtung bzw. Geschwindigkeit des Umgebungsmediums relativ zur Erde (Wind, Strömung).

Die relative Geschwindigkeit wird mit einem Staurohr oder Saugdüse (Venturirohr) gemessen.

Erläuterung zur Staudruckmessung
http://www.lolg.at/main_frames/513a_fahrtmesser.html

Allg. Informationen zur Gerätetechnik in Flugzeugen (oben rechts bei Aerometrische Geräte den Link „Fahrtmesser … „ klicken)
http://www.nva-flieger.de/geraete.html

Jim

True ground speed

Allerdings möchte ich ja wissen ob ein einsamer Pilot
ohne Hilfe von außen seine tatsächliche Geschwindigkeit messen
kann, oder ob er auf näherungsweise Berechnungen über die
Luftgeschwindigkeit angewiesen ist.

Nein, Stephan,
blamiert hast du dich mit dieser Frage sicher nicht.

Der von dir beispielhaft genannte Pilot kann die Geschwindigkeit über Grund (ground speed) nur rechnerisch ermitteln, da es sich um eine relative Geschwindigkeit handelt.

Was er dazu braucht ist:
Eigengeschwindigkeit (true speed)
Windgeschwindigkeit (air speed)
Kurs
Windrichtung

Daraus kann er dann zeichnerisch oder auch trigonometrisch die wahre Geschwindigkeit über Grund ermitteln bzw errechnen. Es gibt dafür eine Reihe von Hilfsmitteln, die diese Rechnung erleichtern.

Ich habe leider nur eine Seite in englisch gefunden, die das erklärt: http://www.grc.nasa.gov/WWW/K-12/airplane/move.html

De fakto kann er natürlich auch seine ground speed mit Hilfe einer Stoppuhr, einer Karte und der Beobachtung von Landmarken ermitteln.
(Landmarke auf Karte ermitteln, bei Überflug Stoppuhr drücken, zweite Landmarke auf Karte ermitteln, bei Überflug zeit ermitteln Distanz aus der Karte entnehmen und mit der Zeit verrechnen)

Gruß
Eckard

Gibt es eine Methode oder ein Gerät and Bord eines Flugzeuges,
das die „tatsächliche Geschwindigkeit“ desselbigen mißt?

Hallo Stephan,

vor der Einführung von GPS war die einzige Möglichkeit der Navigation über Ozeanen und unbewohnten Gebieten das extrem genaue Messen der Beschleunigung und deren 2 fache Integration zur Berechnung des zurückgelegten Weges, so etwas heisst glaube ich Inertialsteuerung. Diese werden meines Wissens auch heute noch als Rückfallsystem verwendet.

Da Messung und Berechnung genau genug ist, um die Position zu bestimmen, ist die nach der ersten Integration anfallende Geschwindigkeit natürlich erst recht genau genug für jeden praktischen Zweck, sie fällt sozusagen als Abfallprodukt mit an.

Gruss Reinhard

Hi,

Der von dir beispielhaft genannte Pilot kann die
Geschwindigkeit über Grund (ground speed) nur rechnerisch
ermitteln, da es sich um eine relative Geschwindigkeit
handelt.

das ist aber kein physikalisches Gesetz :wink: sondern wenn überhaupt eine technische Einschränkung.

Aber gibt es wirklich keine moderne Methode in Flugzeugen um die ground speed zu **messen>/b>? Wie wär’s mit eine Autokorrelation zweier optischer Signale (siehe optische Computermaus)?

Grüße,
J~**

Hi,

vor der Einführung von GPS war die einzige Möglichkeit der
Navigation über Ozeanen und unbewohnten Gebieten das extrem
genaue Messen der Beschleunigung und deren 2 fache Integration
zur Berechnung des zurückgelegten Weges, so etwas heisst
glaube ich Inertialsteuerung. Diese werden meines Wissens auch
heute noch als Rückfallsystem verwendet.

korrekt, das ist ein Trägheitsnavigationssystem, welches INS (inertial navigation system) bzw. IRS (inertial reference system) genannt wird.

Das Prinzip dabei ist: stell Dir vor daß eine Kiste auf der Pritsche eines LKW steht. Der LKW fährt los - und die Kiste rutscht aufgrund der Masseträgheit nach hinten. Je schneller sie rutscht um so stärker hat der LKW beschleunigt und je weiter sie rutscht um so länger dauerte die Beschleunigung an. Solange die Kiste dann an ihrem Standort stehen bleibt bewegt sich der LKW offensichtlich mit konstanter Geschwindigkeit vorwärts.
Wenn der LKW bremst rutscht die Kiste wieder nach vorne, abhängig von der Intensität und der Dauer der Bremsung.

Wenn man nun einfach die Beschleunigungswerte mißt, also Meßwerte für Dauer und Weite der rutschenden Kiste erhebt kann man daraus letztlich ermitteln wie schnell und weit sich der LKW vom ursprünglichen Standort wegbewegt haben muß. Ist der Start-Ort sowie die Fahrtrichtung des LKW bekannt (z. B. durch einen Kompaß) kann man errechnen wo sich der LKW nach dieser Fahrt befindet.

Im Flugzeug hat man keine Pritsche mit Kisten :smile: sondern Kreiselsysteme/Laser, die natürlich alle Bewegungsrichtungen im Raum erfassen. Die Systeme sind so genau daß sie eine Geschwindigkeitsveränderung von 0 auf 4 km/h innerhalb einer Stunde wahrnehmen können.

Vor dem Start gibt man den Systemen die genaue Flugzeugposition, wobei nicht nur eine Referenz-Koordinate für den Airport, sondern die genaue Position der jeweiligen Parkposition eingegeben wird. Diese steht gewöhnlich auf den Schildern, die den Piloten auch helfen das richtige Gate zu finden - siehe z. B. auf diesem Bild http://www.airliners.net/open.file/412267/L

Das INS ermittelt dann aufgrund der Beschleunigungswerte die jeweils aktuelle Position des Flugzeugs. Dabei vergleicht es beim Überfliegen von Funkfeuern, deren geographische Position ja bekannt ist, die eigenen Berechnungen mit den offiziellen Koordinaten des Funkfeuers bzw. die eigenen Berechnungen mit den am nächsten Flughafen programmierten Daten. So „lernt“ das System sozusagen und wird letztlich immer genauer weil es seine eigene Meßungenauigkeit kennen lernt und korrigiert.

In einem weiteren Entwicklungsschritt kann man dann nicht nur die aktuelle Position ermitteln, sondern gibt Koordinaten vor, zu den einen das System in Abhängigkeit vom momentanen Standort bringen soll.

Besonders praktisch ist daß INS / IRS bodenunabhängig funktionieren, also nicht auf irgendwelche externen Informationsquellen angewiesen ist.

Gruß,

MecFleih

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Hi J~,

… Wie wär’s mit eine Autokorrelation zweier
optischer Signale (siehe optische Computermaus)?

ein derartiges Verfahren war vor deiner Zeit state of the art der
Fliegerei, heute im Deutschen Museum München zu bewundern.
(Nicht mit Licht, das funktioniert leider wg. Wetter nicht, aber Radar)
Grüße,
T-Bird

Vielen Dank für eure Antworten! (owt)
.

Hi,

bedeutet das, daß auch heutzutage GPS-gestützte Systeme in der Verkehrsfliegerei
eher nicht verwendet werden?

Gruß vom T.

Hallo T,

GPS ist natürlich weit genauer als Trägheitsnavigation - die führt bei langen Flügen zum Zielflughafen, GPS dagegen ist zentimetergenau und erlaubt das vollautomatische Aufsetzen auf der Landebahn (und auch das Navigieren auf dem Rollfeld). GPS wird aber vom amerikanischen Militär kontrolliert und kann/darf ohne Vorwarnung abgeschaltet oder künstlich verfälscht werden - der Zweck ist ausdrücklich, feindliche Systeme wie Marschflugkörper ausser Gefecht zu setzen, Zivilflugzeuge sind halt mitgefangen - mitgehangen; im Rahmen militärischer Logik kann darauf keine Rücksicht genommen werden.

Aber selbst wenn das nicht so wäre, auf ein einzelnes System darf man sich sowieso nicht verlassen, es gibt immer einen Plan B, notfalls bis zurück zum instrumentenlosen Flug auf Sicht. Sonst bräuchten die Pilotenkanzeln heute ja keine Fenster mehr. Daher bleiben auch alte Systeme immer noch in Betrieb. Ausserdem sollte eine alte russische Transportmaschine aus Zentralafrika ja auch immer noch bei uns landen können.

Gruss Reinhard

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Hi,

bedeutet das, daß auch heutzutage GPS-gestützte Systeme in der
Verkehrsfliegerei
eher nicht verwendet werden?

Gruß vom T.

Hallo T,

GPS ist natürlich weit genauer als Trägheitsnavigation - die
führt bei langen Flügen zum Zielflughafen, GPS dagegen ist
zentimetergenau und erlaubt das vollautomatische Aufsetzen auf
der Landebahn (und auch das Navigieren auf dem Rollfeld).

Hallo Reinhard,

ganz so ist es leider auch nicht. Die Anflüge mit der höchsten Präzision sind immernoch Anflüge mit einem Instrumentenlandesystem, daß für Schlechtwetterflugbetrieb der Stufe CAT IIIb zugelassen ist (Landung mit aufliegenden Wolken, Sicht auf der Bahn 75m). GPS-Anflüge sind bis auf weiteres „Non-Precision“-Anflüge, da ihnen die vertikale Führung fehlt (das GPS ist hierfür nicht konzipiert und hat zu große Ungenauigkeiten). Es wird aber in naher Zukunft neue Anflugsysteme geben, die Satelliten-Signale (ob vom GPS, GLONASS (russisches equivalent) oder Gallileo) auswerten und diese mit Hilfe von lokalen Korrektursendern präzisieren werden.
Aber das ist noch Zukunftsmusik.

Schaut man sich die Navigationsanlage eines Flugzeuges an, kann man folgendes feststellen: Die IRSse sind aufgrund ihres Systemverhaltens kurzfristig hochpräzise, können aber über längere Zeit „driften“, da sich Fehler aufaddieren. Das GPS hingegen ist kurzfristig ungenau, da es jede Bewegung nur über eine Positionsänderung berechnen kann, ist aber langfristig recht konstant. Diese beiden komplementären Fehlercharakteristiken macht man sich in modernen Navigationsanlagen zu nutze, in dem man die IRSse mit Hilfe der GPS Signale (mit einer Kalman-Filterung) „stützt“.
Das „stützen“ entspricht dabei den „Position-Updates“, die das FMS vorher bei älteren Mustern mit Hilfe von Funkstationen (wenn vorhanden) gemacht hat, nur ist es sehr viel genauer und erfolgt häufiger.

Gruß,

Nabla

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