Hallo Sebastian,
wie soll ich sagen: Was ist schon normal? Je nach dem, wie man das Wort versteht, oder welche Erfahrungen man zugrunde legt, finde ich es gar nicht normal bzw. total normal. Weil ich es mir anders vorstelle, es in der Wirklichkeit aber oft genau so läuft.
Wir werden ja heute so von den Medien usw. erzogen, dass uns eigentlich ein Partner, ein Leben zu wenig ist. Wir wissen zwar, dass GZSZ und James Bond Fiktion sind, aber trotzdem sind sie unsere heimlichen Vorbilder, alles andere wirkt zu „normal“, „langweilig“ oder „spießig“. Und James Bond hat so viele Partner und erlebt so viel, reist so viel, hat so tolle Spielsachen, kann alles und kann sich alles erlauben und lebt immer wieder neu und überlebt sowieso alles… Unser Leben dagegen. Und dann ein Besuch in New York! Ein Kulturschock! Ohne den Freund! Warum eigentlich, möchte ich fragen…
Klar, jeder braucht seine Freiräume, jeder soll auf den anderen eingehen - aber 1, 2 mal die Woche sehen und generelles „Zickverbot“ - also, unter Beziehung und Liebe stelle ich mir schon noch etwas anderes vor. Ja, etwas langweiligeres und spießigeres. Ständig Höhepunkte - dafür muss man sich schon einen Actionfilm nach dem anderen reinziehen. Oder dauernd Partys. Interessanterweise sieht man viele Paare, wenn sie sich gefunden haben, ja viele weniger auf Partys. Party und Disko, das ist oft eben auch Partnersuche oder Ersatzbeschäftigung, weil man zu Hause alleine wäre, oder sogar die gezielte Suche nach One-Night-Stands.
Es klingt schon so, dass sie Dir in New York durchaus untreu gewesen sein könnte. Deswegen konnte sie auch nicht mehr richtig mit Dir sprechen. Urlaubsflirts sind ja ein alter Hut, und New York ist ja so pulsierend und alles, schläft nie, da gehört Sex wahrscheinlich auch zum Medien-Klischee…
Dann weiß sie jetzt gar nicht mehr, was sie denken soll, aber sie erinnert sich daran, dass sie schon mal Schluss gemacht hat, und andererseits schämt sie sich, sie denkt aber bestimmt, dass jetzt alles dafür spricht, dass ihr nicht mehr zusammen sein solltet, eigentlich auch nicht seid. Dafür habt ihr ja auch ein bisschen viel Distanz gelebt.
Wirklich zurückgewonnen hättest Du sie meiner Meinung nach, wenn ihr Dinge hättet klären können, euch darüber geeinigt hättet, wie ihr mit Partys umgehen könnt und wie jeder auch Zeit für sich haben kann. Aber Zusammenkommen nur mit einem Bedingungskatalog - das passt für mich nur, wenn einer den anderen geschlagen hat und das nicht mehr machen soll, untreu war oder nur säuft. Und auch dann müsste man reden über die Probleme, wenn man sich noch eine Chance geben will.
Partnerschaften, die auf Distanz scheinbar funktionieren, gibt es in unseren gezwungener Maßen mobilen Zeiten ja immer mehr. Aber solche Wochenendpartnerschaften können eigentlich keine Dauerlösung sein und erleben die Feuerprobe - die oft scheitert - wenn man zusammenzieht. Da erlebt man eben viel mehr „Normalität“ und „Langeweile“ und auch nervige Seiten am anderen mit. Da freut man sich nicht dauernd, sich wiederzusehen und will auch mal was anderes machen. Wenn man pausenlos Party und Prickeln erwartet, ist man im Grunde sowieso beziehungsunfähig. Zur Liebe gehört, den anderen ganz normal zu akzeptieren. Und zwar einfach, weil man es sich vornimmt, weil man nach diesem Vorbild leben will und nicht nach einem, das immer Hochstimmung verspricht. Deswegen beweist es meiner Meinung nach gar nichts, wenn es mit euch besser funktioniert hat, wenn ihr euch selten gesehen habt.
Ich denke auch, dass es sehr schwierig ist, mit ihr nochmal zu reden. Ich denke ja, sie ist einerseits von eurer Partnerschaft enttäuscht und andererseits schämt sie sich. Und Deine SMS hat dieses Gefühl nochmal verstärkt. Deine SMS war nun wirklich normal und zu erwarten, aber sie wusste schon vorher, dass diese SMS kommen würde und dass die rhetorische Frage darin wahr ist. Ist eigentlich auch zu unpersönlich, das Du das gesimst hat, aber wenn Du sie getroffen hättest, hätte sie bestimmt auch nicht geantwortet. Oder ein paar Fetzen von dem, was man sich denken kann und was ich geschrieben habe.
Wenn ich mich sehr irren sollte, und es noch eine Chance gibt, dann müsst ihr in Zukunft mehr reden - und euch als Paar mehr sehen und der andere muss trotzdem auch Zeit für sich haben. Wenn man zusammen bleibt, dann finde ich ein Jahr nicht zu früh zum Zusammenziehen. Das Problem ist nur, dass heutzutage viele denken, dass es so wäre und das auch aussprechen und euch so vielleicht verunsichert haben. Man will jugendlich bis 70 sein und erst kurz vor dem Grab heiraten. Alles ein bisschen verrückt. Nein, ich halte viel von Treue, und glaube nicht, dass die viele Abwechslung wirklich glücklich macht.
Beste Wünsche,
Marco