Bismarck

… war Kriegen bekanntlich nicht abgeneigt.

Moin,

für die Einigung Deutschlands hat er drei Kriege provoziert oder „vom Zaun gebrochen“. Aber er soll in einer Rede auch mal pazifistisch aufgetreten sein. "Denken Sie nur an die trauernden Mütter, an das Elend der Soldaten, … " - so ähnlich jedenfalls.
Ich habe das vor Jahren im Radio gehört.
Hat er tatsächlich so oder so ähnlich geredet? Hat jemand eine Quelle?

Danke
Laika

Hallo Laika,
also, ich bin nun wirklich kein Fan Bismarcks, aber das hier

für die Einigung Deutschlands hat er drei Kriege provoziert
oder „vom Zaun gebrochen“.

ist - mit Verlaub - Geschichtsklitterung. Dass der Deutsche Krieg 1866 von Preußen „vom Zaun gebrochen“ wurde, will ich ja gar nicht bestreiten - aber war es nicht vielmehr so, dass der Deutsch-Dänische Krieg von 1864 von Dänemark durch die versuchte Annexion Schleswigs (unter Bruch internationaler Abkommen, insbesondere des Londoner Protokolls von 1852) „vom Zaun gebrochen“ wurde? Und der Deutsch-Französische Krieg von 1870–1871 von Frankreich mit der Kammererklärung vom 6. Juli 1870 und der Kriegserklärung vom 19. Juli - obwohl da die Kandidatur Leopolds von Hohenzollern-Sigmaringen für den spanischen Thron (btw. interne Angelegenheit Spaniens, die Frankreich gar nichts anging) gemäß Frankreichs Forderung öffentlich zurückgezogen worden war?

Freundliche Grüße,
Ralf

Und der Deutsch-Französische Krieg von
1870–1871 von Frankreich mit der Kammererklärung vom 6.
Juli 1870 und der Kriegserklärung vom 19. Juli - obwohl da die
Kandidatur Leopolds von Hohenzollern-Sigmaringen für den
spanischen Thron (btw. interne Angelegenheit Spaniens, die
Frankreich gar nichts anging) gemäß Frankreichs Forderung
öffentlich zurückgezogen worden war?

Hallo!

Naja, die Sache mit der Emser Depesche war ja weder geeignet noch dafür vorgesehen, die Franzosen zu beschwichtigen. Insofern kann man schon sagen, dass die Kriegserklärung Frankreichs durch Bismarck bewusst provoziert oder wenigstens katalysiert wurde.

Michael

Hallo Michael,
vor einigen Jahren hatten wir hier eine ausführliche Diskussion zu dem Thema. Meine Beitrage (unter einem anderen Profil veröffentlicht) finde ich leider im Archiv nicht, aber ich hatte mir damals eine Kopie auf meiner Festplatte abgespeichert. Daher also keinen Link ins Archiv, sondern ein recycelter Text.

Die Behauptung, Bismarck habe den Krieg mit Frankreich gewollt und bewusst betrieben (womöglich sogar mit dem Ziel, dadurch die deutsche ‚Einigung‘ zu erreichen), ist eine gern verbreitete, aber kaum belegte Legende. Diese Legende wird nicht dadurch richtiger, dass sie von den unterschiedlichsten Seiten gepflegt wurde. Zum einen von deutschnationalen Bismarckverehrern, die ihrem Idol im Nachhinein eine geniale politische Strategie und nahezu hellseherische Kräfte zuschreiben wollten - und zum anderen von Leuten, für die Deutsche sowieso an jedem Krieg, an dem sie jemals beteiligt waren, automatisch auch schuld sind. Nach dieser Theorie, die von Parteien vertreten wird, die ansonsten einander spinnefeind sind, hat Bismarck die dummen Franzosen schlicht und einfach reingelegt - die waren zu dämlich um zum merken, worauf Bismarck eigentlich hinauswollte … So stellt sich klein Erna die Polletick vor.

Es ist in der Geschichte eigentlich eher selten der Fall, dass jemand einen Krieg will - in dem Sinne, dass er relativ frühzeitig einen entsprechenden Entschluss fasst und konsequent darauf hinarbeitet. Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Zum Krieg kommt es, wenn die Politik versagt.

Man könnte nun in Bezug auf den Kriegsausbruch von 1870 fragen, zu welchem Zeitpunkt die Politik bzw. die Diplomatie versagte und wer für dieses Versagen die Verantwortung trug. In diesem Zusammenhang wird immer wieder die Lancierung der ‚Emser Depesche‘ durch Bismarck genannt - zu einem guten Teil aus den oben von mir genannten Gründen. Dagegen tritt die Kammererklärung der französischen Regierung vom 6. Juli deutlich in den Hintergrund - ebenfalls aus den genannten Gründen. Wenn man sich die ganze Vorgeschichte der spanischen Hohenzollernkandidatur anschaut, so wird deutlich, dass die französische Regierung in grober Fehleinschätzung ihres militärischen Potentials bewusst einen Kollisionskurs mit Preußen steuerte - mit allen (auch militärischen) Konsequenzen. Bismarck hatte lediglich eine zutreffendere Einschätzung des Kräfteverhältnisses und wenig Anlass, einer Konfrontation mit Frankreich auszuweichen. Ob da schon Fragen der Reichseinigung eine Rolle spielten, ist zumindest nicht bewiesen.

Einseitige Schuldzuweisungen bei militärischen Konflikten sind häufig (nicht immer) problematisch. Wer für den Ausbruch des Krieges die größere Verantwortung trägt - Bismarck oder seine Gegenspieler Gramont, Ollivier und Napoleon III. - ist zumindest strittig. Das Problem ist, bei der Beantwortung solcher Fragen zunächst den Ausgang des Konfliktes zu ignorieren und sich der Fragestellung wirklich ohne Parteilichkeit zu nähern.

Ein schönes Beispiel dafür, wie man mit Halbwahrheiten Geschichtsklitterung betreiben kann, ist die häufig kolportierte Geschichte, die sog. „Schutz- und Trutzbündnisse“ Preussens mit den Süddeutschen seien Geheimverträge gewesen (nach dem Motto: Bismarck hat das arglose Frankreich in eine Falle gelockt). Noch 1866 hatte Napoleon III. Preussen ein Schutz- und Trutzbündnis vorgeschlagen. Preis dafür sollte die preussische Zustimmung zur Annexion Luxemburgs durch Frankreich sein (das Vorspiel zur Luxemburgaffäre). Preussen zog es dagegen vor, Militärbündnisse mit Baden, Württemberg und Bayern zu schließen - in der Tat zunächst als Geheimverträge. Was manche ‚Quellen‘ dann gerne verschweigen ist die Tatsache, dass diese Geheimverträge bereits 1867 öffentlich gemacht wurden. Übrigens auf Wunsch Bayerns - nach dem fehlgeschlagenen Luxemburgprojekt wandte sich Napoleons Interesse nämlich der bayerischen Rheinpfalz zu. Selbst ohne formale Bündnisse hätte man in Frankreich wissen müssen, dass es sich keine süddeutsche Regierung innenpolitisch hätte erlauben können, in diesem Krieg auch nur neutral zu bleiben.

Kommen wir zur sog. ‚Emser Depesche‘ und der schönen Legende, sie sei Kriegsgrund gewesen bzw. mit ihr habe Bismarck den Krieg vom Zaun gebrochen oder doch zumindest arglistig Frankreich zu einer Kriegserklärung gezwungen. Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen war auf Grund der französischen Kammererklärung vom 6. Juli 1870 - die allgemein als mehr oder weniger offene Kriegsdrohung Frankreichs verstanden wurde - aus eigenem Entschluss von der spanischen Thronkandidatur zurückgetreten (bzw. sein Vater Anton hatte diesen Entschluss stellvertretend für ihn erklärt). Als König Wilhelm am Morgen des 13. Juli auf der Brunnenpromenade in Bad Ems, wo er zur Kur weilte, dem französischen Botschafter Benedetti (sicher nicht zufällig) begegnete, sprach er ihn an und äußerte seine Erleichterung darüber, dass die Krise mit dem von Frankreich geforderten Rücktritt von der Kandidatur überstanden sei. Daraufhin präsentierte Benedetti (von Außenminister Gramont instruiert) mündlich zwei neue Forderungen - nach den diplomatischen Usancen der Zeit ein unerhörter Vorgang. Das Vorgehen Benedettis (in aller Öffentlichkeit!) würde man heute salopp als „dumm von der Seite anquatschen“ bezeichnen. Es ist bezeichnend für die stümperhafte Diplomatie der aus aussenpolitischen Amateuren bestehenden Regierung Ollivier.

Zum einen sollte König Wilhelm öffentlich seine Zufriedenheit über den Kandidaturverzicht aussprechen (was er ohne weiteres zusagte; er sei mit dem Verzicht genau so zufrieden, wie er es vorher mit der Anmeldung der Kandidatur gewesen sei) und zum anderen sollte er öffentlich erklären, er würde eine eventuelle zukünftige erneute Kandidatur untersagen. Diese ‚Garantieerklärung‘ lehnte König Wilhelm ab - davon abgesehen sei eine solche Erklärung unnötig, seine sigmaringischen Vettern seien Ehrenmänner; wenn sie den Verzicht auf die Kandidatur versprochen hätten, würden sie auch nicht später wieder darauf zurück kommen.

Zum einen hatte König Wilhelm gar keine rechtliche Handhabe, die Kandidatur eines entfernten Verwandten für den spanischen Thron zu untersagen. Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen kandidierte als Privatmann. Bismarck war zwar frühzeitig eingeweiht und befürwortete die Kandidatur, aber es gab keine offizielle Unterstützung Preussens. König Wilhelm war als Haupt des Hauses Hohenzollern (somit ebenfalls als Privatmann, nicht als König von Preussen) um Genehmigung der Kandidatur gebeten worden und hatte diese erteilt - erforderlich war eine solche Genehmigung allerdings nicht.

Zum anderen hätte die Garantieerklärung im Nachhinein die (stets zurückgewiesene) Beschuldigung der französischen Regierung bestätigt, hinter der Kandidatur stecke ein antifranzösisches Komplott zwischen Preussen und dem spanischen Machthaber Marschall Prim. Damit würde nun der Eindruck erweckt, Preussen ziehe angesichts des entschlossenen Auftretens Frankreichs den Schwanz ein. Der Rückzug der Kandidatur allein hätte dies - das war Gramont klar - nicht glaubhaft genug gemacht.

Um genau diesen Propagandaerfolg auf Kosten einer diplomatischen Demütigung Preussens ging es Frankreich. Das sowohl national wie international durch die zeitgenössische Presse kritisierte Säbelrasseln der französischen Regierung sollte damit nachträglich (vor allem im eigenen Land) gerechtfertigt werden - wobei man bedenkenlos bereit war, einen Krieg zu riskieren.

König Wilhelm lehnte also die Garantieforderung höflich, aber strikt ab. Als Benedetti am Nachmittag selbigen Tags (diesmal offiziell) bei ihm vorsprechen wollte, wurde ihm gesagt, wenn es um die Garantieforderung ginge, werde er nicht empfangen.

Diese Vorgänge wurden am Abend Bismarck von Geheimrat Heinrich Abeken routinemäßig per Depesche mitgeteilt (die sog. ‚Emser Depesche‘) - mit der Autorisierung, den Inhalt an die Öffentlichkeit weiterzugeben. Die Depesche war nicht als Bulletin verfasst und damit auch nicht ohne weiteres zur Veröffentlichung in der Presse geeignet; sie musste redigiert werden - auch dies war üblich. Bismarck tat dies in einer Weise, die die französische Regierung bloßstellte - indem deutlich gemacht wurde, dass man sich gegenüber weiteren Zumutungen Frankreichs verwahre. Insbesondre vermittelte die redigierte Fassung den Eindruck, König Wilhelm lehne es vollständig ab, Benedetti weiterhin zu empfangen. Die Ablehnung bezog sich jedoch tatsächlich nur auf Verhandlungen über die Garantieerklärung. Dies hatte König Wilhelm noch am Abend des 13.07. gegenüber Benedetti durch seinen Adjutanten Fürst Radziwill ausdrücklich klarstellen lassen, so dass die nachmittags abgelehnte Audienz von französischer Seite nicht falsch - als Abbruch der diplomatischen Beziehungen - aufgefasst werden konnte.

Die redigierte Emser Depesche hatte ein wichtiges Anliegen Gramonts durchkreuzt - Bismarcks Schachzug nahm der französischen Regierung die Möglichkeit, den Kandidaturverzicht nun noch als einen der Einschüchterung Preussens zu verdankenden aussenpolitischen Erfolg zu verkaufen. Man wollte sich mit dem Kandidaturverzicht allein nicht zufrieden geben und hatte dann mit der Garantieforderung den Bogen überspannt. Weniger wäre mehr gewesen.

Daraufhin erklärte Frankreich den Krieg. Auch hier wird häufig behauptet, Napoleon III. sei gar nichts anderes übriggeblieben, was natürlich unhaltbar ist. Die (redigierte) Emser Depesche war sicher ein (allerdings wohlverdienter) diplomatischer Affront - aber selbst nach den Gepflogenheiten der Zeit war sie kein akzeptabler Kriegsgrund. Die französische Regierung hatte einen empfindlichen, aber selbstverschuldeten Gesichtsverlust erlitten. Das hatte Bismarck nach der französischen Kammererklärung vom 06.07. und der Rücknahme der Kandidatur auch - aber die preussische Regierung war im Gegensatz zur französischen bereit, die Kritik der Öffentlichkeit (und des Parlaments) wegen einer diplomatischen Schlappe einzustecken. Hätte Preußen den Krieg gewollt, hätte es die Kammererklärung vom 6. Juli mit der Kriegsdrohung Frankreichs ignoriert und auf der Kandidatur Leopolds bestanden. Die Kriegserklärung vom 19.07. war nicht unvermeidlich - man zog sie seitens der französischen Regierung lediglich der Übernahme der Verantwortung für ein (nicht einmal besonders schwerwiegendes) aussenpolitisches Versagen vor. Das hätte allerdings das Ende des ohnehin nicht sonderlich sattelfesten Kabinetts Ollivier bedeuten können. Es ging um verletzte persönliche Eitelkeiten (wie immer, wenn von der ‚Ehre der Nation‘ die Rede ist); nie jedoch um eine tatsächliche nationale Bedrohung.

‚Krieg‘ war spätestens seit dem Vorabend der Kammererklärung (also seit dem 05.07.) für Frankreich eine akzeptable Option. Dass der Stein des Anstoßes - die Kandidatur einer unbedeutenden Hohenzollen-Nebenlinie für den spanischen Thron - bereits weggefallen war, störte am 13.07. niemanden mehr. Es hatte ja schon nicht gestört, dass die spanische Thronfolge innere Angelegenheit eines souveränen Staates war, die Frankreich absolut nichts anging. So hatte man keine Hemmungen, nach dem nächsten sich bietenden Kriegsgrund zu greifen - ob plausibel oder nicht. Man hatte sich auf französischer Seite innenpolitisch so weit aus dem Fenster gelehnt, dass der Fall unvermeidlich wurde.

Empfohlene Literatur:

Eberhard Kolb
Der Kriegsausbruch 1870

Politische Entscheidungsprozesse und
Verantwortlichkeiten in der Julikrise 1870

Vandenhoeck&Ruprecht, Göttingen1970
(ohne ISBN)

Freundliche Grüße,
Ralf

4 Like

Hallo!

War interessant zu lesen. Offensichtlich kennst Du Dich da besser aus als ich. Trotzdem widerspricht das, was Du schreibst, in keinster Weise dem, was ich gesagt habe, nämlich dass die Sache mit der Emser Depesche nicht geeignet war, die Franzosen zu beschwichtigen.

Bismarck hat nichts unternommen, um die drohende Kriegsgefahr abzuwenden, im Gegenteil: Er hat die Franzosen noch ein wenig geärgert, als die Nerven eh schon blank lagen. Das macht ihn nicht zum unmittelbaren Kriegsauslöser, aber er vermochte dem Lauf der Geschichte in die für ihn günstige Richtung zu lenken.

Michael

Hallo Tychiades,

gut, „provoziert oder vom Zaun gebrochen“ ist sicher überspitzt, stammt auch nicht von mir.

Aber: Kannst Du was zu meiner eigentlichen Frage sagen?

Ansonsten ist Deine Antwort an Michael mal wieder die von Dir gewohnte Qualität - Danke!

Gruss
Laika

Guten Morgen Ralf,

vor einigen Jahren … Meine Beitrage (unter einem anderen
Profil veröffentlicht) …

Ich denke, das weiss ich noch, wer das war: Der Name „Ralf“ und der Stil sind so ziemlich eindeutig - tut aber nix zur Sache :wink:)

Die Behauptung, Bismarck habe den Krieg mit Frankreich gewollt
und bewusst betrieben (womöglich sogar mit dem Ziel, dadurch
die deutsche ‚Einigung‘ zu erreichen), ist eine gern
verbreitete, aber kaum belegte Legende.

H.A. Winkler („Der lange Weg nach Westen“, Bd. 1) verstehe ich durchaus so, dass Bismarck den Krieg wollte und kräftig darauf hingearbeitet hatte. Er ist aber wie Du der Meinung, dass die französische Kammer ebenfalls ein gerüttelt Maß an Schuld trägt.

… dass sie von den unterschiedlichsten
Seiten gepflegt wurde. Zum einen von deutschnationalen
Bismarckverehrern, … - und zum anderen von Leuten, für die
Deutsche sowieso an jedem Krieg, an dem sie jemals beteiligt
waren, automatisch auch schuld sind.

Winkler (und auch Golo Mann) würde ich nicht gerade zu den „deutschnationalen“ zählen.

Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.
Zum Krieg kommt es, wenn die Politik versagt.

Wobei das im 19. - und auch noch im 20. - Jhdt. noch so war, dass „Krieg das Hobby der Könige“ war. Einen Krieg anzufangen war etwas „Männliches“, „Ehrenhaftes“. Zumindest war diese Meinung in den führenden Schichten weit verbreitet!

Das Vorgehen Benedettis (in aller Öffentlichkeit!) würde man heute
salopp als „dumm von der Seite anquatschen“ bezeichnen. Es ist
bezeichnend für die stümperhafte Diplomatie der aus
aussenpolitischen Amateuren bestehenden Regierung Ollivier.

Irgendwie habe ich den Eindruck, Du willst die Hauptschuld wohl doch den Franzosen zuschieben …

Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen
kandidierte als Privatmann.

Hmm, gibt es sowas als König in spé eines großen Landes?

Die (Emser) Depesche war nicht als
Bulletin verfasst und damit auch nicht ohne weiteres zur
Veröffentlichung in der Presse geeignet; sie musste redigiert
werden - auch dies war üblich. Bismarck tat dies in einer
Weise, die die französische Regierung bloßstellte - indem
deutlich gemacht wurde, dass man sich gegenüber weiteren
Zumutungen Frankreichs verwahre.

Bismarck hätte die Depesche ja auch anders redigieren können … soll heissen, er hat zielgerichtet auf einen Krieg hingearbeitet bzw. - milder ausgedrückt - keinerlei Interesse, ihn zu vermeiden.

Man hatte sich auf
französischer Seite innenpolitisch so weit aus dem Fenster
gelehnt, dass der Fall unvermeidlich wurde.

Womit wir wieder bei den „verletzten Eitelkeiten“ sind, die damals wohl häufig identisch sind „verletztem Nationalstolz“ u.ä.

Wäre noch einiges nachzutragen:

  1. Keiner war bereit, auch nur ein Jota von seiner Posizion abzurücken, Geld und Kriegsleid spielten im Denken nicht die geringste Rolle.
  2. Warum haben die Preussen/Deutschen den Krieg weitergeführt, nachdem Napoleon III. Bismarck seinen Degen übergeben hatte und Frankreich faktisch geschlagen war? Wollte man noch ein bisschen mehr demütigen?
  3. Warum hat man, hat Bismarck zugelassen, dass die Kaiserkrönung in Versailles stattfindet? Das war für Clemenceau dann ja der Punkt, wo er zum Deutschenhasser wurde und dann den Versailler Vertrag 1918 unnachgiebig durchgesetzt hatte.

Gruss
Laika

Moin Laika,

H.A. Winkler („Der lange Weg nach Westen“, Bd. 1) verstehe ich
durchaus so, dass Bismarck den Krieg wollte und kräftig darauf
hingearbeitet hatte.

wie ich schon andeutete, wäre es dann das logische Mittel der Wahl gewesen, Leopolds spanische Kandidatur offiziell durch eine Regierungserklärung zu unterstützen.

Er ist aber wie Du der Meinung, dass die
französische Kammer ebenfalls ein gerüttelt Maß an Schuld
trägt.

Nicht die Kammer - die Regierung. Bei der sog. ‚Kammererklärung‘ handelt es sich um eine von Außenminister Gramont vorgetragene Regierungserklärung vor der Kammer (Chambre législative, also dem Parlament). Diese Erklärung war praktisch ein Ultimatum an Preußen mit einer kaum verhüllten Kriegsdrohung.

Dazu sollte man wissen, dass die Kandidatur Leopolds nicht nur von Preußen nicht offiziell unterstützt wurde, sondern nicht einmal auf Betreiben Preußens erfolgte - sondern auf Vorschlag des portugiesischen Ex-Königs Ferdinand von Sachsen-Coburg (Leopolds Schwiegervater), der die zunächst ihm angetragene Krone Spaniens ablehnte sowie auf Initiative des spanischen Regierungschefs Marschall Juan Prim. Frankreich (das unbedingt die Bourbonen in Spanien wieder einsetzen wollte) hatte schon vorher bei anderen Kandidaten für die Thronfolge interveniert - allerdings nie auf solch überzogene Weise mit einer Kriegsdrohung. Noch dazu an ein Land, dessen Herrscher mit dem Kandidaten lediglich sehr entfernt verwandt war und dessen Regierung sich ansonsten aus der Sache heraushielt. Übrigens war Leopold mit Napoleon III. näher verwandt als mit den preußischen Hohenzollern - und gegen die Besteigung des rumänischen Throns von Leopolds jüngerem Bruder Karl (1866) hatte es von französischer Seite keine Einwände gegeben. Gramonts Kammererklärung war ein diplomatischer Affront ganz anderen Kalibers als die redigierte Emser Depesche - ein Affront, auf den Preußen sehr gelassen und besonnen reagierte.

Winkler (und auch Golo Mann) würde ich nicht gerade zu den
„deutschnationalen“ zählen.

o.k. - das war auch bewusst überspitzt, ‚tounge in cheek‘.

Irgendwie habe ich den Eindruck, Du willst die Hauptschuld
wohl doch den Franzosen zuschieben …

In der Tat macht mE die Sachlage deutlich, dass vor allem die französische Regierung gezielt auf den Krieg hingearbeitet hat (ihn zumindest billigend in Kauf genommen hat), um durch Demonstration außenpolitischer und ggf. auch militärischer Dominanz ihre innenpolitische Schwäche zu kompensieren.

War schon die Kammererklärung als Reaktion auf die Thronkandidatur, die man mit deutlich größerem Recht eine Kriegsprovokation nennen kann als die Emser Depesche, nicht angemessen, so war es die Kriegserklärung als Antwort auf die Emser Depesche erst recht nicht. Auch nicht nach den Usancen der damaligen Zeit. Die internationale Presse - insbesondere die englische und die italienische - hat das weitestgehend ebenfalls so gesehen. Da stand außer Zweifel, wer für den Krieg die Hauptverantwortung trug - nämlich Frankreich. Die Legende der deutschen Kriegsschuld ist ein Produkt des 20. Jahrhunderts und hat mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts deutlich mehr zu tun als mit der des 19.

Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen
kandidierte als Privatmann.

Hmm, gibt es sowas als König in spé eines großen Landes?

„Als Privatmann“ meint, dass er nicht Kandidat einer Regierung war. Schon gar nicht der der preußischen - was die französische Regierungspropaganda ihrem Volk weiszumachen suchte, um damit eine Bedrohungskulisse aufzubauen.

Bismarck hätte die Depesche ja auch anders redigieren können
… soll heissen, er hat zielgerichtet auf einen Krieg
hingearbeitet bzw. - milder ausgedrückt - keinerlei Interesse,
ihn zu vermeiden.

Letzteres trifft es - er hatte keinen Anlass, ihn zu vermeiden. Er schätzte die militärischen Kräfteverhältnisse sehr viel realistischer ein als die französische Regierung und er schätze die Lage offensichtlich so ein, dass die französische Regierung den Krieg wollte und nur noch nach einem Vorwand suchte. Da gab es grundsätzlich zwei Möglichkeiten - der (nach dem Ultimatum der Kammererklärung) erneuten Provokation mit der Garantieforderung um des lieben Frieden Willens nachzugeben und damit der französischen Regierung zu einem Prestigeerfolg auf Kosten eines eigenen Prestigeverlustes zu verhelfen. Oder den diplomatischen Affront selbst mit einem Affront zu beantworten. Auf die Gefahr einer Kriegserklärung als Antwort - wobei Preußen in diesem Krieg eigentlich nur gewinnen konnte (wenn man humanitäre und ethische Überlegungen mal ganz beiseite lässt). Das war Handeln aus einer Position der Stärke - und zwar als Antwort auf ein entsprechendes Auftreten Frankreichs.

Wäre noch einiges nachzutragen:

  1. Keiner war bereit, auch nur ein Jota von seiner Posizion
    abzurücken,

Nun, in der Frage der Thronkandidatur hatte die preußische Regierung keine Position - bzw. die, dass die Kandidatur Privatangelegenheit Leopolds sei. Das hieß ganz konkret, dass man die Kandidatur nicht durch offizielle diplomatische Initiativen unterstützen und schon gar nicht militärisch durchsetzen wollte. So weit ging das - sicherlich vorhandene - Interesse an einem Deutschen auf dem spanischen Thron nicht. Da gab es nichts „abzurücken“. Das Problem hatte sich durch Leopolds relativ unspektakulären Rückzug - wohl nicht zuletzt auch gerade wegen der fehlenden offiziellen Unterstützung - ohnehin erledigt.

Was nun das Nachkobern Frankreichs anging: der Forderung, König Wilhelm möge erklären, er billige den Kandidaturverzicht, war er ja bereit nachzugeben. Nur eben nicht der Forderung, er solle verbindlich und öffentlich erklären, zukünftig mögliche Kandidaturen zu unterbinden. Damit hätte sich der preußische König selbst zum Erfüllungsgehilfen französischer Weisungen erkärt, zum Befehlsempfänger Napoleons III. Diese Forderung berührte die Souveränität Preußens - und das muss selbst dem außenpolitischen Amateur Gramont klar gewesen sein. Und genau darum ging es Frankreich letzlich - darum, auch nach innen zu demonstrieren, dass man europäische Hegemonialmacht war und Preußen so zu tanzen hatte, wie man in Paris in die Pfeife blies. Das war auch der entscheidende Punkt bei der spanischen Thronkandidatur - es ging ja nicht um realistische Einkreisungsängste Frankreichs oder gar eine tatsächlich greifbare militärische Bedrohung. Es ging darum, dass über die Zukunft Spaniens gefälligst in Paris zu entscheiden war.

Geld und Kriegsleid spielten im Denken nicht die
geringste Rolle.

Das ist natürlich völlig richtig.

  1. Warum haben die Preussen/Deutschen den Krieg weitergeführt,
    nachdem Napoleon III. Bismarck seinen Degen übergeben hatte
    und Frankreich faktisch geschlagen war? Wollte man noch ein
    bisschen mehr demütigen?

Preussen führte nicht Krieg gegen Napoleon III., sondern gegen Frankreich. Nach Gefangennahme Napoleons gegen die ‚Regierung der nationalen Verteidigung‘, die am am 4. September 1870 (drei Tage nach der Schlacht von Sedan) den nationalen Widerstand proklamierte und neue Truppen rekrutierte. Frankreich war eben nicht „faktisch geschlagen“ - zumindest sah das die neue Regierung in Paris anders.

  1. Warum hat man, hat Bismarck zugelassen, dass die
    Kaiserkrönung in Versailles stattfindet? Das war für
    Clemenceau dann ja der Punkt, wo er zum Deutschenhasser wurde
    und dann den Versailler Vertrag 1918 unnachgiebig durchgesetzt
    hatte.

Clemenceau halte ich - offen gesagt - für einen pathologischen Fall. Warum es für Frankreich eine besondere Demütigung gewesen sein soll, dass die Kaiserproklamation in einem Pariser Vorort stattfand, hat mir nie so recht eingeleuchtet. Clemenceau und seinesgleichen wäre kein Ort recht gewesen.

Natürlich war das ein hochsymbolischer propagandistischer Akt - die Erhebung zum Herrscher quasi auf dem „Schlachtfeld“ nach gewonnener Schlacht. Aber es ist ja nicht so, dass man beim Abzug das Versailler Schloss niedergebrannt hätte wie seinerzeit General Melac das Heidelberger Schloss. Die Verwüstung des deutschen Südwestens war ja an eben diesem Ort von Ludwig XIV. befohlen worden - auch das gehört gehört zu den symbolischen Aspekten dieser Proklamation.

Im Hinblick auf die Zukunft sicher keine glückliche Inszenierung - aber aus der Sicht der Zeitgenossen heraus vollkommen verständlich.

Freundliche Grüße,
Ralf

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Moin zurück,

Irgendwie habe ich den Eindruck, Du willst die Hauptschuld
wohl doch den Franzosen zuschieben …

In der Tat macht mE die Sachlage deutlich, dass vor allem die
französische Regierung gezielt auf den Krieg hingearbeitet hat …

Ok, habe inzwischen auch mal bei Golo Mann ("Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jhdts.) nachgelesen. Er kommt zu den gleichen Schlüssen wie Du.
Also - wieder viel gelernt, mein Bismarck-Bild doch um Einiges geändert. Leider vergesse ich die Details ziemlich schnell wieder. Sowohl bei Winkler als auch Golo Mann hatte ich die Dinge schon vor Jahrenden gelesen, waren all die dieses Thema betreffenden Stellen angestrichen …

Aber: Auf meine Ausgangsfrage habe ich immer noch keine Antwort. Vielleicht gibt es auch keine …

Gruss
Laika

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Hallo Laika,

Aber: Auf meine Ausgangsfrage habe ich immer noch keine
Antwort. Vielleicht gibt es auch keine …

die hattest Du 2007 schon einmal gestellt - habe mich dunkel daran erinnert und es im Archiv gefunden. Leider kann ich da immer noch nicht mit einer Antwort dienen … - nur mit der aufgewärmten Kriegsschuldfrage :wink:.

Freundliche Grüße,
Ralf