Brauche 'Über-Ich' Kritik

Das „Über-Ich“ ist nur ein Modell / Konstruckt etc.,

aber wer weiss so RICHTIG fundierte Kritik an Freunds Modell?

Thx, mfg…

(muss morgen den Klugscheisser spielen, da ich als Referent nat. Zielscheibe bin!)

Hallo,

nach Freuds Modell vom psychischen Apparat übernimmt das Über-Ich u.a. die Funktion dessen, was wir als Gewissen bezeichnen. Das Über-Ich stellt insofern ein Konstrukt dar, das sich auf die Moralität des Menschen bezieht. Laut Freud entwickeln sich Moralität und Gewissen zum Ende der phallischen Phase mit 5 bis 6 Jahren. Die Entstehung des Über-Ichs soll aus der Überwindung des Ödipuskomplex heraus geschehen und eng mit der Übernahme der Geschlechtsrolle (Identifizierung mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil)zusammenhängen. Danach ist nach Freud die Entwicklung des Gewissens abgeschlossen.

Freud behauptete aufgrund der von ihm angenommenen anderen Entstehung und Entwicklung des Ödipuskomplexes und seiner Bewältigung bei Mädchen, daß Frauen im allgemeinen ein schwächeres Über-Ich hätten und deshalb unmoralischer seien als Männer. Freud schreibt dazu in seiner Vorlesung „Die Weiblichkeit“ in der „Neuen Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse“:

„Die Bildung des Über-Ich [des Mädchens] muß unter diesen Verhältnissen leiden, es kann nicht die Stärke und Unabhängigkeit erreichen, die ihm seine kulturelle Bedeutung verleihen – und Feministinnen hören es nicht gerne, wenn man auf die Auswirkungen dieses Moments für den durchschnittlichen weiblichen Charakter hinweist.“

Zudem sind Frauen nach Freud neidischer als Männer, sozial weniger interessiert und weniger fähig, die sexuelle Triebenergie namens Libido in kulturell wertvolle Tätigkeiten fließen zu lassen. Dazu Freud in der oben genannten Vorlesung:

„Wir sagen auch von den Frauen aus, daß ihre sozialen Interessen schwächer und ihre Fähigkeit zur Triebsublimierung geringer sind als die der Männer. […] Ein Mann um die Dreißig erscheint als ein jugendliches, eher unfertiges Individuum, von dem wir erwarten, daß es die Möglichkeiten der Entwicklung, die ihm die Analyse eröffnet, kräftig ausnützen wird. Eine Frau um die gleiche Lebenszeit erschreckt uns häufig durch ihre psychische Starrheit und Unveränderlichkeit. Ihre Libido hat eindeutige Position eingenommen und scheint unfähig, sie gegen andere zu verlassen. Wege zu weiterer Entwicklung ergeben sich nicht; es ist … als hätte die schwierige Entwicklung zur Weiblichkeit die Möglichkeiten der Person erschöpft.“

Nach Freud sind Frauen ab dem 30. Lebensjahr also psychisch starr und unveränderlich, eine weitere Persönlichkeitsentwicklung unmöglich und der Freudianer wird die Möglichkeiten der Psychoanalyse bei Frauen als nicht besonders hocheinschätzen.

Die Kritik an dieser an das Über-Ich gekoppelten Moral- und Entwicklungstheorie Freuds kann sowohl allgemein als auch speziell ausfallen.

Allgemein kann gesagt werden, daß die Kernkonzepte der Freudschen Moraltheorie (z.B. Ödipuskomplex, Überich-Stärke) empirisch nur sehr schwer überprüfbar sind. Es gibt kaum die Theorie stützende Befunde, es sei denn, man beruft sich auf die unsystematischen Beobachtungen an erwachsenen Patienten, z.B. auf deren Träume. Die speziellere Kritik richtet sich auf die Vorstellung eines relativ starren und mit etwa sechs Jahren bereits endgültig fixierten Gewissens. Kinder sind im Gegensatz zu Freuds Meinung in diesem Alter noch nicht moralisch reif und ihre Urteilsfähigkeit entwickelt sich bis ins Erwachsenenalter hinein. Das gilt auch für Empathie und moralisches Verhalten.

Ein weiterer Schwachpunkt der Freudschen Theorie ist, daß sie nicht erklären kann, wie sich ein voll entwickeltes Gewissen aus einer seit ihrer Entstehung unbewußten Struktur wie dem Über-Ich bilden kann. Problematisch ist außerdem die Betonung der Internalisierung von elterlicher Strenge und Härte und die Vernachlässigung von Liebe, Fürsorge und Empathie, von denen man annehmen kann, daß Eltern diese ebenfalls aufweisen sollten, und die sich laut empirischen Befunden eher und allgemeiner für eine Identifikation eignen als Strenge und Härte.

Zum Schluß kann festgehalten werden, daß die von Freud angenommenen Geschlechtsunterschiede sich in empirischen Studien nicht bestätigen ließen. Das Ganze ist schlicht Nonsense.

Gruß,

Oliver Walter