Ok dann gern ausführlicher
Louise Leiter (L), Landrätin des sächsischen Landkreises Hoyerswerdaer Seenlandschaft (H), hat am 25. Februar 2017 im Namen des H bei Kaufmann Heinrich Schliemann (S), der mit Kunstgegenständen handelt, zur Verschönerung des Foyers des Kreishauses für 4.000 € die Bronzeplastik „Der Grübler“ gekauft. Der Kaufvertrag über die Plastik wurde schriftlich geschlossen und von L und S handschriftlich am 25. Februar 2017 unterzeichnet.
Als die Plastik nicht, wie vereinbart, am 15. März 2017 an H geliefert wird, weist L am 22. März 2017 den Verwaltungsangestellten Willem van Voorde (V) an, S anzuschreiben und ihn nach den Gründen für die Verspätung zu fragen. V verfasst daraufhin an S eine E-Mail, in der er S auffordert, seinen Verpflichtungen aus dem mit H geschlossenen Kaufvertrag nachzukommen und darzulegen, warum er bis heute nicht geliefert habe. Die E-Mail erreicht S am 23. März 2017. S antwortet mit E-Mail vom 24. März 2017:
„Sehr geehrter Herr van Voorde,
ich bin, wie sie eigentlich wissen müssten, am 13. März 2017 per E-Mail vom Kaufvertrag zurückgetreten. Die Gründe habe ich dargelegt. Ich bin dem Kreis daher aus dem Vertrag zu nichts mehr verpflichtet.
Mit freundlichen Grüßen S“
Nach der Lektüre dieser E-Mail mit der Absendeadresse „[email protected]“ forscht V nach der von S erwähnten E-Mail. Am 24. März 2017 findet er im Spam-Ordner der kreiseigenen E-Mail-Adresse eine am 13. März 2017 um 10:15 Uhr empfangene E-Mail von Paul Paulsen §. Dieser schreibt unter der Absenderadresse „[email protected]“:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit treten wir von dem mit Ihnen am 25. Januar 2017 geschlossenen Kaufvertrag zurück. Die Plastik möchte ein Kunstverein in Ratzeburg erwerben. In Ratzeburg liegt der Bildhauer der Plastik begraben. Bitte haben Sie Verständnis für unsere Entscheidung; sie ist uns nicht leichtgefallen.
Freundliche Grüße ppa. P“
V legt am 24. März 2017 L einen Ausdruck der E-Mail vor. L berät sich daraufhin mit dem Beigeordneten Benno Berat (B). B ist der Meinung, man solle nach Lage der Dinge auf einer Lieferung der Plastik bestehen. Die in der E-Mail enthaltene Erklärung sei zum einen fehlerhaft, weil sie auf einen am „25. Januar 2017“ geschlossenen Vertrag Bezug nehme, den es tatsächlich nicht gebe. Zum anderen sei die Erklärung des P nicht formgerecht, da für eine Rücktrittserklärung Schriftform vorgeschrieben sei, die E-Mail aber nur reinen Text und keine handschriftliche Unterschrift enthalte. Ferner habe die E-Mail den Landkreis auch verspätet, nämlich erst am 24. März 2017 erreicht, da es nicht üblich sei, den Spam-Ordner täglich auf wichtige E-Mails durchzusehen. Selbst wenn man von einem Zugang am 13. März 2017 ausginge, sei der Rücktritt verspätet erklärt, da auch dann die 14-Tages-Frist nicht eingehalten sei. Darüber hinaus sei ein Rücktritt vom Vertrag mit der von P vorgetragenen Begründung sowieso nicht möglich. Und schließlich habe P den Kunsthändler gar nicht wirksam vertreten, da die Prokura des P im Zeitpunkt des Kaufs nicht in das Handelsregister eingetragen gewesen sei und P darüber hinaus weder im Namen noch unter Nennung der Firma des S gehandelt habe.
L überzeugen die Überlegungen des Beigeordneten und telefoniert sofort mit S. S macht im Telefonat deutlich, dass er den Vertrag nicht erfüllen werde. Er weist L darauf hin, dass der Vertrag im Übrigen unabhängig von seinem Rücktritt schon deshalb keine Wirkung haben dürfte, weil dieser, wie er Anfang März 2017 erfahren habe, weder vom Kreistag noch vom Kreisauschuss beschlossen worden sei. Ein solcher Beschluss sei immer notwendig; das wisse er von seinem Sohn, der im Jahre 1998 Teile seines Referendariats am Bayerischen Obersten Landesgerichts absolviert habe. Das Telefonat wird beendet, ohne dass die beiden zu einem einvernehmlichen Ergebnis gekommen sind.
L bittet nach dem Gespräch die Kreisinspektoranwärterin Katja Klug (K) zu sich ins Büro und informiert sie umfassend über den Kauf der Plastik sowie die anschließenden Ereignisse. Sie weist sie an, unter besonderer Berücksichtigung der von B und S vorgetragenen Argumente ein schriftliches Gutachten zu der Frage zu fertigen, ob H von S Übereignung und Übergabe der Bronzeplastik „Der Grübler“ Zug um Zug gegen Zahlung von 4.000 € verlangen kann.
Ergänzende Informationen zum Sachverhalt:
- In § 3 des zwischen H und S geschlossenen Kaufvertrages heißt es:
„Der Verkäufer kann innerhalb von 14 Tagen von diesem Vertrag schriftlich zurücktreten.“
- S ist seit dem Jahr 2014 im Handelsregister mit der Firma „Kunsthandel Heinrich Schliemann e.K.“ eingetragen.
- Die Prokura des P ist seit dem 10. März 2017 in das Handelsregister eingetragen.