Tja, lieber Dr. Brandes,
da haben Sie einfach zu früh aufgehört und die Chancen nicht genutzt, die im Briefmarkensammeln stecken.
Ich habe auch in „zarten Alter“ angefangen, allerdings nicht nach 3 Jahren aufgehört. Ich habe zuerst natürlich auch gedacht, wenn ich mir immer die neuen Marken bei der Post hole - später habe ich sie einige Zeit abonniert - dann habe ich einmal eine komplette und wertvolle Sammlung. Nach kurzer Zeit aber war mir klar, daß das sicher zu nichts führt: Wenn alle das Gleiche sammeln, hat doch jeder dann schon alles, genau so komplett wie ich. Wer also sollte dann noch Interesse an meiner Sammlung haben?
Also muß der Reiz ganz woanders liegen: Man könnte sich ein interessantes Gebietz aussuchen, das nicht so viele andere auch sammeln, und die Marken vielleicht im Tausch mit einem Partner in diesem Land erwerben.
Gesagt, getan. Ich gab eine Anzeige auf: „Tauschpartner in der Türkei und Iran gesucht“. Diese Länder hatte ich nämlich mit 19 Jahren das erste Mal auf eigene Faust per Bahn und anderen örtlichen Verkehrsmitteln (Bus, Schiff, Dolmusch und auch Taxi) erkundet (6 Wochen hatten zwei Freunde und ich dafür Zeit, und wir brauchten pro Kopf jeder insgesamt 650 Mark dafür). Das war damals, 1964, noch eine „Expedition“, lange vor der Zeit, als die Türkei ein bevorzugtes Reiseland war, als in Istanbul das "Goldene Horn noch eine stinkende Kloake und Side, Alanya und Kars noch echte „Fischerdörfer“ waren…
Ich fand dann tatsächlich einen Tauschpartner in Istanbul auf meine Anzeige hin, den ich in den folgenden Jahren auch, jeweils am Anfang und Ende weiterer Rundreisen in der Gegend, mehrfach besuchte, und von ihm konnte ich nach und nach nicht nur die jeweils neuesten türkischen Marken, sondern auch die wirklich interessanten Briefmarken aus der Zeit des Osmanischen Reiches erwerben, so daß ich heute, bis auf wenige Ausnahmen, eine weitestgehend vollständige Türkei-Sammlung habe. In Iran hat’s nicht so gut geklappt mit Briefmarken; da habe ich mich dann ein bißchen mit Teppichen befaßt…
Das Wichtigst: Die „Aktie“, also der Wert steckt nicht im Geldwert, den die Sammlung heute hat, sondern darin, was ich durch das Sammeln bis heute alles dazugelernt habe: Freundschaft, Verständnis für Probleme von Leuten in anderen Ländern. Ich weiß zum Beispiel auf Grund eigener Erfahrungen (und natürlich der Lektüre des Koran), daß „der Islam“ nicht das Problem ist, sondern die Fanatiker aller Couleur (haben Sie schon mal mit einem katholischen „Fundi“ diskutiert? Das ist die absolut gleiche Wolle, aus der man da gestrickt ist)! Stellen Sie sich vor, der Papst hätte bei uns die Macht und den Einfluß, den die Ayatollahs in Iran derzeit ausüben! Halbgebildete Ayatollahs sind nicht besser oder schlechter als christliche Fanatiker gleicher Qualität, die am liebsten wieder einen Kreuzzug anzetteln würden (wobei sie dann wegen der Schätze des Vatikans heute vielleicht Rom erobern würden, so wie es die Kreuzritter seinerzeit mit der nachgewiesenermaßen christlichen Stadt Konstantinopel gemacht haben). Seid’s mir nicht böse, aber so war’s halt.
Entschuldigen Sie die Abschweifung. Ich will nur sagen, daß ich durch das Sammeln von Briefmarken einiges gelernt habe, insbesondere, daß Deutschland nicht der Nabel der Welt ist, und daß auf dem Schild, das einer vor sich her trägt, oft was ganz anderes steht als das, was er wirklich im Schilde führt.
Wenn man mit Briefmarken wirklich Geld verdienen will, muß man sich - wie in allen anderen Hobbies und Spotarten auch - erst einmal kundig machen, üben, trainieren, informieren.
Regel Nummer eins: Ich darf nicht das sammeln, was alle sammeln; wenn ich nur die Neuheiten von der Post schicken lasse oder am Postamt kaufe und die ins Album stecke, kann ich gar nicht so alt werden, daß ich eine Preissteigerung erlebe.
Regel Nummer zwei: Ich muß mich auf ein Gebiet beschränken und mir darüber ein fundiertes Wissen aneignen. Das kann ein Land sein, besser ein begrenzter Abschnitt (z.B. 1860 bis 1920, oder, um bei Deutschland zu bleiben, Inflationszeit, oder etwas „Exotisches“ wie
„Ostrumelien“ oder von mir aus „Indische Vertragsstaaten“. Deutsche Sammelgebiete eignen sich natürlich auch; DDR-Freimarken, Bund-Automatenmarken, Bund-„Sehenswürdigkeiten“ in allen möglichen Ausgabeformen (Rollenmarken, Selbstkleber, Papierunterschiede). Man muß gar nicht im „höheren“ bis „höchsten Rang“ mitmischen wollen: Erste Ausgaben Mauritius, British Guiana oder so (das ist ja auch längst nicht mehr die „Kleine-Mann-Liga“). Das Wichtigste ist, sich zu informieren: Was ist selten, interessant und außergewöhnlich? Man muß etwas tun, nämlich: sich kundig machen.
Und ebenso wichtig: Der Gewinn liegt im Einkauf, das weiß jeder Kaufmann. Das heißt aber nicht „billig“. Billig allein ist dämlich und oft auch minderwertig. Das Wesentlichste ist die Qualität, also die fehlerfreie Erhaltung der Marken, auch hier möglichst mit ein paar werterhöhenden Besonderheiten: Eckrandstück, Bogenrand mit Nummer, Farbbalken, Reihenzähler etc… Das darf dann auch im Einkauf etwas mehr kosten. Allerdings, wie gesagt, sollte man darauf achten, wo man kauft und was der verlangt. Da soote man dann ruhig auf günstigere Anbieter zurückgreifen, die dieselbe Qualität zu vorteilhafteren Preisen verkaufen…
Meine besten Erfahrungen habe ich in meiner inzwischen 50jährigen Sammeltätigkeit mit erfahrenen Sammlern im jeweiligen Land gemacht, aber auch mit Tauschpartnern in Vereinen und mit einigen wirklich seriösen Händlern. Das hat allerdings auch meine Reisetätigkeit angefacht: In der Türkei war ich in den vergangenen 40 Jahren wohl schon 20mal, in Iran - mit politisch bedingten Pausen - immerhin auch schon 8mal. Das Allerwichtigst: Ich habe dort inzwischen echte Freunde, mit denen ich auch privat korrespondiere und die mich bei jedem neuen Besuch auch als Freunde begrüßen. In Ürgüp in Kappadokien wurde meine Ankunft schon mal über den Stadtlautsprecher verkündet…
Stubenhocker? Paßt das in Ihr Bild?
Zusammenfassend: Was ich von der Türkei an Briefmarken erworben habe, hat im Schnitt um 200% nicht nur an Katalogwert zugelegt, wobei manche der schon immer etwas teureren Werte noch weitaus stärker angezogen haben. Es gibt ja inzwischen deutlich mehr Türkei-Sammler und dadurch ist die Nachfrage gestiegen - und auf Grund der knappen Angebote im Handel ebenauch der Preis. Als ich angefangen habe, hat man mir die Türkei-Marken auch im Briefmarkenhandel praktisch „nachgeschmissen“: Wer wollte schon sowas sammeln, als der deutsche „Posthornsatz“ in schwindelnde Höhen geklettert war (und danach in den Keller gefallen ist). Wie gesagt: Pure Spekulation ohne Hintergrundwissen führt zu nichts.
Um aber nochmals auf das Thema: „Aktien des kleinen Mannes“ zurückzukommen: Dieses Motto war schon immer Unfug, wie die meisten Wertsteigerungs-Versprechungen (die man inzwischen sogar von der Deutschen Post AG aufgetischt bekommt. Wer keine Ahnung hat und nicht selber aktiv wird und sich schlau macht, sollte die Finger von der Philatelie lassen. Man sollte die Philatelisten - und es gibt inzwischen auch wieder eine achtbare „junge Riege“, nicht bloß so alte Dackel wie Sie und mich, die sich für das Thema interessieren -
mit dem Beispiel „Darf ich dir meine Briefmarkensammlung zeigen?“ in eine Deppenschublade stecken, in die sie beileibe nicht gehören.
Es gibt ja auch durchaus interessante Angebote inzwischen, die beim Aufbau einer „ausgefallenen“ Sammlung helfen können. Ich denke dabei an den MICHEL-Online-Katalog (www.michel.de), wo man für ein paar Euro monatlich in dem gesamten Weltkatalog nach Briefmarken zu jedem beliebigen Thema stöbern kann. Thematik-Sammler haben das inzwischen zu Zig-Tausend aufgegriffen und nutzen es, zum Beispiel zu „Eisenbahn“ oder auch zu irgendeinem beliebigen Begriff wie „Trachten“ oder von mir aus auch „Aids“ oder „Steinpilz“ weltweit alle Marken zum Thema zu finden. Macht doch Spaß, oder? Und ist bestimmt nix ausschließlich für Stubenhocker.
„Aktie des kleinen Mannes“ ist nicht etwas, das man so eng sehen sollte, eher als „Talent“ auch für den Mann mit wenig Geld, der das (selbst wenn man das Sammeln von Briefmarken ausschließlich auf diesen finanziellen Aspekt reduziert, was eigentlich aber Blödsinn ist) mit Hilfe seines intelligenten Umgangs mit Briefmarken durchaus auch vermehren kann. Ohne den Einsatz von Intelligenz sehe ich allerdings auch schwarz. Aber das ist bei „richtigen“ Aktien wohl auch nicht anders…
Erich H. Slaby
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