Hallo Kate,
die beiden Lexika, deren einschlägige Einträge Du sinngemäß durchaus korrekt wiedergibst, haben ihre Vor- und Nachteile. Nachteil beider ist, dass sie zu solch einem komplexen Thema kaum ausreichend Aufschluss geben können - dazu muss man in die Quellen einsteigen. Nachteil speziell des ‚Notz‘ ist die uneinheitliche Qualität der Beiträge, die von acht verschiedenen Autoren stammen. Die Beiträge Prof. Dr. Bochingers, dessen Artikel ‚Frau‘ Du paraphrasierst, gehören nun mE gerade nicht zu den besseren und dieser spezielle schon gar nicht. Ich weiss nicht, ob dem Religionswissenschaftler da gelegentlich der evangelische Theologe im Weg steht; seiner Kenntnis des Palikanon jedenfalls stellt gerade dieser Artikel - mit Verlaub - ein Armutszeugnis aus.
Prof. Dr. Bochinger behauptet, laut Palikanon könne eine Frau nicht die ‚Buddhaschaft‘ erlangen und führt als Beleg dafür Anguttara Nikaya I.25 an. Tatsächlich steht dort:
„Unmöglich ist es, und es kann nicht sein, daß ein Weib
ein Heiliger und Vollkommen Erwachter wird“
Entgangen ist ihm da freilich anscheinend, dass sich unmittelbar vor dieser Stelle folgende Passage findet:
„Unmöglich ist es, und es kann nicht sein, daß im selben Weltsystem, zur gleichen Zeit zwei Heilige und Vollkommen Erwachte (d.i. zwei Buddhas) - zwei Weltherrscher (cakkavatti) erstehen sollten.“
Müssen wir nun daraus folgern, dass auch Männer nicht „im selben Weltsystem“ wie Gautama Buddha - sprich in diesem, unserem - 'Buddhaschaft erlangen können? Offensichtlich ja. Was bedeutet also hier ‚Buddhaschaft‘? Dazu muss man wissen, dass der Ehrentitel ‚Buddha‘ im Kontext des Palikanon nur dem zukommt, der aus eigener Kraft und Erkenntnis des Weg zur Befreiung gefunden hat und ihn lehrt. Dies geschieht in einem ‚Kalpa‘ (Weltenzyklus, Weltsystem - dem Zeitraum zwischen Big Bang und Big Crush) nur einmal. Folglich kennt der Palikanon auch nur einen Buddha dieses Kalpas - und er nennt gelegentlich 7 ‚Vorzeitbuddhas‘ vergangener Kalpas. Nicht dass diese eine besondere Rolle spielten - sie dienen vorwiegend dazu, die Überzeitlichkeit des Dharma (der buddhistischen Lehre) als eines ‚Naturgesetzes‘ zu veranschaulichen, das immer wieder neu entdeckt werden kann. Dass der Palikanon nun (btw. an einer einzigen Stelle in einem Schriftenkorpus deutlich umfangreicher als die Bibel) behauptet, eine Frau könne ein solch exaltiertes Wesen nicht werden - sei’s drum. Das kann man glauben oder nicht - praktisch ist es ohne Bedeutung.
Wer dem von einem Buddha gewiesenen Weg folgt und zum Erwachen (ich ziehe diesen Ausdruck dem Begriff ‚Erleuchtung‘ vor) gelangt, ist im Kontext des Palikanon ein ‚Arhat‘, ein Heiliger. Der Unterschied zum Buddha besteht nicht im ‚Ergebnis‘, sondern lediglich darin, dass er der Belehrung eines Buddha bedarf, um diesen Weg zu finden. Man muss nun die Stelle A.I.25 schon sehr voreingenommen und selektiv lesen, um zu dem Schluss zu gelangen, sie schlösse Frauen auch von der Arhatschaft aus:
„Unmöglich ist es, und es kann nicht sein, daß ein Weib
ein Heiliger [Arhat] und Vollkommen Erwachter [Samyak Sambuddha] wird“
Die Betonung liegt hier auf " und" - beides, ‚Arhat und Samyak Sambuddha‘ sind gemeinsam eine Bezeichnung Buddhas - was eindeutig auch aus der zweiten von mir zitierten Passage erhellt. Sonst gäbe es nämlich außer Buddha selbst auch keine männlichen Arhats und der ganze Dharma einschließlich des Palikanon wäre für die Katz. Die Bedeutung ist hier also eine andere, als wenn da stünde:
„Unmöglich ist es, und es kann nicht sein, daß ein Weib
ein Heiliger [Arhat] wird“
Deine Behauptung
ursprünglich konnten nur die Mönche Arhat werden
ist schlicht und einfach falsch. Punktum. Beispiele - namentlich genannte - für weibliche Arhats bietet der Palikanon hingegen zu hauf. Auf die Therigatha, die im Palikanon überlieferten Verse dieser erleuchteten Frauen, hat Marion ja schon hingewiesen. So etwas zu übersehen, ist für den Verfasser eines Lexikonartikels ‚Frau‘ in einem ‚Lexikon des Buddhismus‘ schon von geradezu unterirdischem Niveau. Beispielhaft möchte ich hier noch eine Stelle aus dem Samyutta Nikaya des Palikanon herausgreifen, und zwar natürlich das Bhikkhuni Samyutta (S.5), das in 10 Abschnitten schildert, wie ein jeweils namentlich genannter weiblicher Arhat Mara besiegt - ganz nach dem Muster von Buddhas Erwachenserfahrung. Zitieren möchte ich S.5.2. - den Abschnitt über die Theri Soma:
_1. Sāvatthī ist der Schauplatz.
Da nun kleidete sich die Bhikkhunī Somā zur Vormittagszeit an, nahm Almosenschale und Obergewand und ging, Almosen zu sammeln, nach Sāvatthī.
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Nachdem sie in Sāvatthī ihren Almosengang beendigt hatte, begab sie sich nach der Mahlzeit, vom Almosengang zurückgekehrt, dorthin, wo sich der Andhawald befand, den Tag (dort) zu verbringen. Nachdem sie tief in den Andhawald hinein gegangen, setzte sie sich am Fuße eines Baumes nieder, den Tag (dort) zu verbringen.
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Da nun begab sich Māra, der Böse, in dem Wunsche, bei der Bhikkhunī Somā Angst, Zittern, Hautschaudern hervorzurufen und sie von der geistigen Sammlung abzubringen, dorthin, wo sich die Bhikkhunī Somā befand. Nachdem er sich dorthin begeben hatte, redete er die Bhikkhunī Somā mit der Strophe an:
„Die da von den Weisen erreicht werden kann, die schwer zu erlangende Stätte,
Sie kann nimmer von einem Weib mit seinem Zweifingerverstand erreicht werden.“
[Zweifingerverstand: dvangulapaññāya. Was man mit Daumen und Zeigefinger zu fassen vermag, gilt als das kleinste Maß.]
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Da nun kam der Bhikkhunī Somā dieser Gedanke: „Was für ein Mensch oder Nichtmensch spricht denn da die Strophe?“
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Da nun kam der Bhikkhunī Somā dieser Gedanke: „Māra, der Böse ist es, der in dem Wunsche, bei mir Angst, Zittern, Hautschaudern hervorzurufen und mich von der geistigen Sammlung abzubringen, die Strophe spricht.“
-
Da nun wußte die Bhikkhunī Somā, daß das Māra, der Böse, sei, und redete Māra, den Bösen, mit den Strophen an:
„Was sollte das Weibsein bedeuten, wenn das Denken gut gesammelt ist,
Wenn das Wissen vorhanden ist bei einem, der die höchste Wahrheit schaut?
Wer daran denkt: bin ich eine Frau oder bin ich ein Mann,
Oder bin ich überhaupt etwas? - zu dem darf Māra sprechen.“
[Aber nicht zu dem Erlösten, für den alle Fragen der Leiblichkeit aufgehoben sind]
- Da merkte Māra, der Böse: es kennt mich die Bhikkhunī Somā, und verschwand auf der Stelle leidvoll und betrübt._
Weitere korrekturbedüftige Thesen von Dir:
Das Dharma hält kürzer, wenn Frauen im sam.gha sind,
Der Dharma ist ein überweltliches und überzeitliches Gesetz ohne Verfallsdatum. Worauf Du Dich mit dieser Aussage beziehst, das ist, dass Buddha gezögert hat, bevor er dem Drängen Anandas und seiner Tante / Stiefmutter Gotami nachgab und einen Orden für Frauen zuließ. Seine Besorgnis war, dass dies die Lebensdauer des Sangha - d.h. der Gemeinschaft, die den Dharma praktiziert und überliefert - verkürzen würde. Leider nennt der Palikanon keine nähere Begründung für diese Auffassung und es gibt unterschiedliche Thesen dazu - nicht notwendig frauenfeindliche. Um meine eigene kurz zu umreissen: aus der Schilderung (es lohnt immer, den Kontext zu beachten) ergibt sich, dass eines der Hauptmotive Anandas und Gotamis, für die Errichtung eines Bhikkuni-Ordens zu plädieren, war, dass viele Frauen dadurch, dass ihre Männer oder Söhne in den Orden eingetreten waren, schutzlos geworden und in wirtschaftliche Not geraten waren. Meines Erachtens liegt es nahe, Buddhas Zögern und seine pessimistische Prognose darauf zurückzuführen, dass so Motive für die Ordination ins Spiel kammen, die nicht rein spiritueller Natur waren. Gewissermaßen eine ‚Verwässerung‘ der Motivation des Sangha, die ihren Niedergang beschleunigen würde. Dass Buddha dem Drängen Anandas und Gotamis dann doch nachgab zeigt, dass sein Mitgefühl mit der Notlage der Frauen soteriologische Erwägungen überwog.
sie wird als Versucherin und Ursache allen Leidens benannt
Entschuldige - aber so eine Interpretation kann nun wirklich nur aus einer christlichen Ecke kommen und zeigt, dass der derjenige, der sie äußert, in keiner Weise mit den Grundlagen buddhistischer Erlösungslehre vertraut ist. Der Schlüsselbegriff hier sind die Nivarana, die ‚Hemmungen‘, die die klare Erkenntnis behindern und die folglich überwunden werden müssen. Die erste und wichtigste der fünf Nivarana ist kāmacchanda - ‚Sinnenlust‘ i.e. das Verlangen nach den Sinnesobjekten visuelle Form, Klang, Geruch, Geschmack und Berührung. Seinen stärksten Ausdruck findet kāmacchanda in der Sexualität. Folgerichtig gehört zu den Übungswegen, die männliche und weibliche Ordinierte auf sich nehmen, strikte sexuelle Askese.
Diese Askese hat eine definierte Funktion - sie dient der Einübung in Loslassen, dem Auflösen von Anhaftungen an sinnliche Begierden. Sie ist nicht Ausdruck einer frauenfeindlichen Sexualmoral - nicht die Sexualität oder gar ‚die Frau‘ ist schlecht bzw. unheilsam, die Gier nach Sinneserfahrungen ist es. Zu enger Umgang mit dem anderen Geschlecht stellt zweifellos für Ordinierte eine Versuchung dar, ihre Gelübde zu brechen, so lange diese Gier nicht erloschen ist. Das gilt für Frauen wie für Männer. Wenn die Frau ‚Versucherin‘ des Bhikkus ist , dann ist der Mann der ‚Versucher‘ der Bhikkuni. Deine Behauptung ist völlig abwegig - die ‚Frau als Versucherin‘ ist ein Topos aus einem ganz anderen religiösen Umfeld.
Die Frau als „Ursache allen Leidens“ - das ist, entschuldige, der Gipfel des Unsinns. Die „Ursache allen Leidens“ wird im Dharma klar und eindeutig benannt: es ist Avidya, Unwissen und daraus resultierend Zu- und Abneigung / Gier und Hass / Lust und Unlust (Lobha und Dosa). Das ist Samudaya, die zweite der vier edlen Wahrheiten (das Leiden - die Ursache des Leidens - die Aufhebung des Leidens - die zur Aufhebung führende Methode). Von Frauen ist bei der zweiten edlen Wahrheit nun wirklich nicht die Rede. Die ‚vier edlen Wahrheiten‘, liebe Kate, ist Grundwissen, was den Buddhismus angeht. Wenn du die nicht theoretisch verstanden hast, dann hast Du vom Buddhismus gar nichts verstanden.
Freundliche Grüße,
Ralf