Hallo Alex,
das zeigt, dass auch jemand, der von der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste einen Toleranzpreis erhält und zufällig in derselben Akademie auch Dekan der Klasse VII (Weltreligionen) ist, nicht notwendig von anderen Religionen viel Ahnung hat. Biser spricht nicht aus der Position vergleichender Religionswissenschaft , sondern als Theologe , dessen eigentliches Anliegen (in Anknüpfung an Harnack und Guardini) eine Neudefinition des Wesens des Christentums ist - u.a. mit dem Mittel einer „klärenden Selbstunterscheidung“ gegenüber Buddhismus (demgegenüber er meint, eine Annäherung des Christentums feststellen zu können) und gegenüber Islam (wo er etwas nachvollziehbarer eine „Konfrontation“ wahrnimmt).
Biser postuliert nicht nur inhaltliche Unterschiede dieser drei Religionen, sondern sieht sie in unterschiedlichen Kategorien: Buddhismus asketisch, Islam nomothetisch und Christentum therapeutisch und mystisch. Wie schon gesagt, ist sein Anliegen die (apologetische, nicht wissenschaftlich-neutrale) Abgrenzung des Christentums gegen Buddhismus und Islam - und die ist, jedenfalls wenn man solch grobschlächtige Schemata bemüht, nur zum Preis konsequenten Ignorierens von Fakten zu haben. Es sei hier nicht verschwiegen, dass Biser durchaus auch Überschneidungen und Annäherungen sieht - auf der Ebene der Mystik (was allerdings auch nicht sonderlich originell ist).
Asketische Aspekte sind Bestandteil jeder der sog. Hochreligionen - gerade und unleugbar auch im Christentum. Das reicht vom Fasten an bestimmten Tagen über die Enthaltsamkeitsgelübde christlicher Orden bis hin zu den Selbstgeisselungspraktiken und dem Bußgürtel des ‚Opus Dei‘. Möglicherweise hält das Herr Biser ja nicht für ‚asketisch‘, sondern für ‚mystisch‘ und ‚therapeutisch‘ …
Der Buddhismus lehnt in der Tat extreme religiöse Praktiken ab - insbesondere extreme Askese (die Gründe dafür lassen wir hier einmal außer acht). Man muss dies natürlich im Kontext indischer Religiosität sehen, wo der Maßstab für Askese ein deutlich anderer ist als der im Westen. Ein Jaina, dessen Ideal religiöser Praxis u.a. den freiwilligen Hungertod als Krönung beinhaltet, wird wohl kaum von Askese sprechen, wenn ein Christ am Freitag zugunsten von Fisch auf Fleisch verzichtet. Manches, was buddhistischen Mönchen vom vinaya als Verhaltenskodex vorgeschrieben wird, erscheint in europäischer Sicht als asketisch, während es nach indischer Auffassung diese Bezeichnung kaum verdienen würde. Erinnert sei hier z.B. an die Vorschrift, nach dem Mittag keine Nahrung mehr zu sich zu nehmen oder nicht mehr als drei Gewänder zu besitzen. Grundsätzlich - bei allen Unterschieden - ließe sich wohl kaum behaupten, dass ein buddhistischer Bhikshu bzw. eine Bhikshuni strengere Askese üben als christliche Mönche und Nonnen. Genausowenig wie umgekehrt (wenn man von den schon angesprochenen masochistischen Kasteiungspraktiken absieht). Auch bei den jeweiligen nicht-monastischen Religionsangehörigen sind wohl kaum signifikante Unterschiede in Hinsicht auf asketische Praktiken feststellbar.
Auf der anderen Seite sind die (psycho-)therapeutischen Aspekte buddhistischer Praxis nicht zu übersehen, die zunehmend auch in nicht-religiösen settings genutzt werden - beispielhaft sei hier auf MBSR (Mindfulness Based Stress Reduction nach Kabat-Zinn) und die Morita-Therapie verwiesen. Vergleichbares hat das Christentum nach meiner Kenntnis nicht aufzuweisen. Erinnern wir uns: der Ausgangspunkt von Gautama Buddhas Lehre (die ‚vier edlen Wahrheiten‘, aryasatya) ist Leiden, seine Ursache, seine Auflösung und der zur Auflösung führende praktische Ansatz. Das ist eine durch und durch therapeutische Konzeption und unter diesem Gesichtspunkt fällt die sog. buddhistische ‚Askese‘ in den Rahmen heilsamer (kusala) verhaltenstherapeutischer, diätetischer usw. Maßnahmen - und nicht unter Selbstkasteiung.
Berücksichtigt man dies, stellt sich natürlich die Frage, was denn Eugen Biser eigentlich unter „therapeutisch“ bzw. unter „asketisch“ verstanden haben will. Lassen wir, um von der Ausgangsfrage nicht allzusehr abzuschweifen, den Begriff „therapeutisch“ einmal außer Betracht und betrachten den Begriff „asketisch“. Dann wird klarer, worauf Biser hinauswill, insbesondere wenn man den oben erwähnten, von Biser postulierten kategorialen Unterschied berücksichtigt: den Kern der buddhistischen Lehre sieht Biser in der „Unterdrückung des Lebenswillens“. Das ist es, was Biser unter „Askese“ versteht. Nur, dass das mit Buddhismus nun erst recht nichts zu tun hat. Da verwechselt wohl Biser die christliche „Abtötung des Fleisches“ mit buddhistischer Praxis …
Da fragt man sich wirklich, woher Herr Biser seine profunden Kenntnisse des Buddhismus bezieht - und wie so jemand an einer Europäischen Akademie zum Posten eines Dekans im Fachbereich Weltreligion kommt.
Freundliche Grüße,
Ralf
(Zitate aus Eugen Biser: ‚Kann Glaube heilen? Zur Frage nach Sinn und Wesen einer therapeutischen Theologie‘ in: Der Deutsche Apotheker, Doppelausgabe November/Dezember 1993)