Hi.
Ich möchte die Frage zur Diskussion stellen, ob es so etwas wie eine Symbiose zwischen dem „reinen orthodoxen Buddhismus“ und dem westlichen gestylten „Pop-Buddhismus“ gibt, deren Dynamik für eine Ausbreitung des (orthodoxen) Buddhismus im Westen grundlegend war, ist und vielleicht auch immer sein wird. Bekanntlich ist eine Symbiose eine „Gemeinschaft“ von Lebewesen, die aus ihrer Verflochtenheit einen wechselseitigen Nutzen ziehen.
Als orthodoxen Buddhismus (OB) bezeichne ich die Lehren, die ursprünglich im asiatischen Raum entstanden und auf jahrhunderte- bzw. jahrtausendealte kanonisierte Anschauungen zurückgehen.
Als Pop-Buddhismus (PB) bezeichne ich die westlichen Adaptionen der orthodoxen Lehren. Der Ausdruck Pop (populär) ist hier wertfrei gebraucht. Er hat seinen Sinn darin, anzudeuten, dass es den Vertretern des PB um die Verbreitung des Buddhismus bei jenen überwiegenden Bevölkerungsanteilen geht, die – ohne den PB – von sich aus nicht oder nur unwahrscheinlicherweise mit den Lehren des OB in näheren Kontakt kommen würden. Eigentlich ist dieser Ausdruck deckungsgleich mit „New Age“. Einzig weil dieser aus der Mode gekommen ist, spreche ich hier von Pop-Buddhismus.
Ich behaupte, die Leistungen des PB liegen darin, den Wirkungskreis des OB im Westen um ein (sehr) Vielfaches dessen ausgedehnt zu haben, was dem OB aus eigener Kraft möglich gewesen wäre.
Die Symbionten ständen also in folgendem Verhältnis zueinander: die Vertreter des PB schöpfen aus den Lehren des OB Inspiration und Wissen, das sie persönlich und auch beruflich voranbringt, im Gegenzug leisten sie Publicity-Arbeit für den OB, der ohne den PB im Westen vermutlich als exotische und zahlenmäßig bescheidene „Sekte“ dastände, für die sich nur besonders Mutige und Überzeugte interessierten.
Ein gewisses Problem besteht dabei: es gab und gibt Reibungen innerhalb dieser symbiotischen Dynamik. Einerseits werfen Vertreter des OB dem PB vor, die reinen Lehren misszuverstehen, zu verdrehen, zu vereinfachen, gar zu verfälschen. Andererseits argwöhnen Vertreter des PB bei jenen des OB eine gewisse Traditionsverhaftetheit und mangelnde Bereitschaft, sich für Perspektiven auf buddhistische Fragen zu öffnen, die von westlichen Wissenschaften und Traditionen aufgezeigt werden können. Die Vertreter des PB sagen: die alten Rezepte sind gut, sehr gut sogar, aber es kann nicht schaden, sich ein paar neue auszudenken, die das Spektrum der geistigen Speisekarte erweitern.
Ken Wilber ist hier das herausragende Beispiel: für seine Anhänger ein Genie, der den Buddhismus auf den neuesten Stand gebracht hat, für orthodoxe Kritiker ein Scharlatan, der sich aus den religiösen Gemüsegärten der Welt alles zusammensucht, was ihm in seinen integrationswütigen Kram passt.
Wer sonst gehört in die Liste der Pop-Buddhisten? Alles begann mit Arthur Schopenhauer – bereits ihm wurde vorgeworfen, die asiatischen Lehren nicht richtig verstanden zu haben (freilich hatte er noch unzureichende Literatur zur Verfügung). Sein Einfluss auf die Geistesgeschichte war enorm – Wagner, Nietzsche, Mann, Hesse – sie alle und viele mehr wurden auf diese Weise buddhistisch inspiriert. Dann die Theosophen um Helena Blavatsky, die ein System schufen, in dem buddhistische Anschauungen einen fundamentalen Stellenwert hatten. Sogar Daisetz Suzuki, der erste große original-buddhistische Propagandist im Westen, war Mitglied der Theosophischen Gesellschaft. Hermann Hesse schrieb den Kultroman „Siddhartha“ - ein mentaler Sprengsatz, der in den 60ern eine ganze Generation mit dem Buddhismus in Kontakt brachte. Aldous Huxley übernahm buddhistisches Gedankengut durch seine philosopische Ausbildung und widmete fortan sein Werk und seine Vorträge überwiegend der Verbreitung dieses Gedankenguts. Zusammen mit dem Chemiker Albert Hofmann und dem Psychologiedozenten Timothy Leary (beide buddhistisch inspiriert) wurde er so einer der Gründerväter der 60s-Revolution. Learys Exfrau wiederum heiratete den Gelehrten Robert Thurman, den z.Zt. bekanntesten buddhistischen Autor der USA und Vater von Uma Thurman. Damit wären wir in Hollywood gelandet, wo der Buddhismus seit den frühen 60ern (vor allem durch die Propaganda jener drei „Gründerväter“) Einzug hielt: Stanley Kubrick, Oliver Stone, Harrison Ford, Martin Scorsese, Richard Gere, Leonardo DiCaprio, Brad Pitt, Sharon Stone, Don Johnson, Willem Dafoe, Tina Turner, Steven Seagal, Goldie Hawn, Woody Harrelson usw. usf. - sie alle sind Pop-Buddhisten, die in der Öffentlichkeit auf die eine oder andere Weise Publicity für den Buddhismus machen. Weitere Namen, die einen Multiplationsfaktor bildeten: Beatles, Fritjof Capra, Maturana/Varela, Erich Fromm, Alan Ginsberg – die Liste ist bunt und endlos.
All diesen Pop-Buddhisten könnten die Vertreter des OB vorwerfen (und das geschah ja auch immer), die „reine Lehre“ nicht oder zu wenig verstanden zu haben. Fakt bleibt, dass die Pop-Buddhisten neue Pfade für die Verbreitung der reinen Lehre öffnen. Und zwar in zumindest quantitativer Hinsicht in ganz entscheidender Weise.
Der bekannte und einflussreiche Biologe Francisco Varela war Schüler des Scharlatans Chögyam Trungpa – eines genialen tibetischen Buddhismuslehrers in den USA, der komplett gegen die Lehren des OB lebte – er missbrauchte Frauen sexuell und soff sich zu Tode. Dennoch war er der geistige Lehrer eines bedeutenden Wissenschaftlers (Varela), dessen Theorie (Autopoietische Systeme) unser Weltbild geprägt hat.
Ich will mit diesem Beispiel andeuten, dass die Verflechtungen innerhalb des symbiotischen Systems OB-PB sehr komplex sind. Man muss immer das Ganze sehen, partikularistische Perspektiven bieten keinen zureichenden Überblick.
Ich wiederhole nochmal das Kernproblem der inneren Reibung des Symbiosesystems:
Einerseits werfen Vertreter des OB dem PB vor, die reinen Lehren misszuverstehen, zu verdrehen, zu vereinfachen, gar zu verfälschen. Andererseits argwöhnen Vertreter des PB bei jenen des OB eine gewisse Traditionsverhaftetheit und mangelnde Bereitschaft, sich für Perspektiven auf buddhistische Fragen zu öffnen, die von westlichen Wissenschaften und Traditionen aufgezeigt werden können. Die Vertreter des PB sagen: die alten Rezepte sind gut, sehr gut sogar, aber es kann nicht schaden, sich ein paar neue auszudenken, die das Spektrum der geistigen Speisekarte erweitern.
Gruß
Horst