Bürgergeld oder die nächste Sau am Dorfeingang

Neues aus der Reihe: Wie manipuliere ich durch ein Studiendesign die öffentliche Meinung. Beispiel mal wieder “Bürgergeld”.

Die Bertelsmann Stiftung macht eine Studie zur Arbeitsmoral von Bürgergeldempfängern. Gefragt wird u.a., wer aktiv nach einem Job sucht und was die Gründe dafür sind, zu suchen oder nicht zu suchen. Auch wird nach Unterstützung des JC gefragt. Eigentlich im Ansatz erst einmal nicht verkehrt. Trotzdem kann man die Ergebnisse eigenltich in die Tonne treten. Noch schlimmer aber wird sein, dass sehr wahrscheinlich auf Basis dieser Ergebnisse die nächste Sau durchs Dorf gejagt wird, um aktiv am Bild des faulen, schmarotzenden Bürgergeldempfängers zu basteln. Was ist das Problem?

Man hat nur Bürgergeldempfänger gefragt, die länger als 1 Jahr Bürgergeld beziehen. Damit ist ausgerechnet das Drittel, was kürzer bezogen hat und jetzt wieder im Job ist, ausgenommen worden. Das verzerrt die Ergebnisse drastisch. Dann sind Faktoren wie Krankheit, Pflege von Angehörigen, kleine Kinder nicht berücksichtigt worden. So kommt, was kommen muss: Die Welt titelt: Mehrheit der Bürgergeldempfänger sucht keinen Job. Dabei ist knapp die Hälfte der Befragten krank.

Es ist perfide. Ein kleines Schmankerl ist natürlich, dass man diese Studie ausgerechnet zu einer Zeit veröffentlicht, in der sich das christliche Abendland auf die Ankunft des Herrn vorbereitet.

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Jetzt mal nicht demagogisch zu werden. Aber: Ich habe einen guten Bekannten, der einen Hausmeisterdienst betreibt. Er ist ständig auf der Suche nach Arbeitskräfte (Vorgärten pflegen, Treppenhäuser säubern, im Winter Scheeräumen, etc.) . Es sieht so aus, dass vom freien Markt niemand kommt, er ist deshlab auf das Arbeitsamt angewiesen.Seine Erfahrungen sind katastrophal. Die Arbeitszeit vom 6 Uhr an ist für die meisten Vermittelnten nicht akzeptabel. Die Ausnahme ist, wenn eine(r) 1-2 Tage durchhält. Oft kommt es vor, dass manche schon nach Mittag die Segel streichen und am nächsten Tag eine Krankmeldung kommt. Nach ablauf von 8-10 Tage dann bleiben sie einfach weg.

Das Problem ist, dass die meisten mit dem Bürgelgeld zu frieden sind, um dafür irgendeine Leistung zu erbringen (natürlich gibt es Kranke, Alleinstehende mit Kindern und andere, sie sind nicht gemeint) Wenn man dann liest, dass in manchen Familien schon die dritte Generation vom Bürgelgeld lebt, ohne Sanktionen, dann erübrigt sich alle Diskussion.

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An welcher Stelle siehst du Demagogie? Die Studie ist objektiv unseriös designed. Es ist vorhersehbar gewesen, dass das passiert, was jetzt passiert ist. Dass man nur eine Gruppe gezielt so selektiert hat, die bei den gestellten Werten hohe Fragen liefert, und dass daraufhin die Schlagzeilen entstehen, wie Sie sofort entstanden sind, ist Tatsache. Dass von dieser selektierten Gruppe eine sachfalsche Aussage über alle Bürgergeldempfänger getroffen wurde, ist Tatsache.

Das Problem ist, dass solche Aussagen unwahr und Demagogie sind!

Objektiv ist das die Mehrheit! Sagt sogar diese Studie im Kleingedruckten.

Wo loest du das denn? Und wie viele sind das? Belege doch mal konkrete mit Zahlen und seriöser Quelle.

Ansonsten finde ich „gute Bekannte“ immer super. Die sind zuverlässig zur Stelle mit Empirie, wenn man sie braucht.

Betrachten wir mal, welche Auslese da getroffen wird:

  • Nachgefragt wird einfache körperliche, für die keine Ausbildung gebraucht wird und für die wahrscheinlich der Mindestlohn gezahlt wird.
  • Es wird bei einer Stelle nachgefragt, die nicht dafür bekannt ist, qualifizierte Personen in adäquate Positionen zu vermitteln.
  • Dort werden vor allem arbeitsfähige Personen vermittelt, die schon länger arbeitssuchend gemeldet sind.

Eine vielleicht voreilige Schlussfolgerung auf Basis unvollständiger Information: das ist die typische Klientel für Schwarzarbeit. Niemand lebt gern dauerhaft von Bürgergeld - da können Merz, Lindner & Co. behaupten, was sie wollen. Wer längere Zeit von Bürgergeld lebt, macht das entweder, weil er keine bessere Alternative hat oder sich anderweitig „etwas hinzuverdient“.

Ich habe in den letzten 20 Jahren keinen einzigen Handwerker erlebt, der für einfache handwerkliche Arbeiten (also Hecke schneiden, Zaun setzen usw.) nicht von sich aus angeboten hätte, das „ohne Rechnung“ zu machen und gerade hier im „Neubauviertel“ waren anfänglich ganze Hundertschaften von Handwerkern an Wochenenden und spätabends in Gärten, Einfahrten und auf Stellplätzen tätig, die in der Nähe zuvor für die Stadt oder für Bauunternehmen tätig waren und so sich so - außerhalb ihrer eigentlichen Arbeitszeiten - schwarz „etwas hinzuverdienten“.

Kurz gesagt: ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die vom Handwerkerkumpel angefragten Leute keinen Bock hatten, unregelmäßig und früh morgens zum Mindestlohn aufzulaufen, wenn sie die gleiche (oder mehr) Kohle schwarz planbar und zu angenehmeren Zeiten verdienen können. Zumindest noch, nachdem sie der AA ihre kurzfristige Willigkeit nachgewiesen hatten.

Die Mär vom faulen Arbeitslosen, der lieber zu Hause rumhängt und vom Bürgergeld in Saus und Braus, anstatt für Geld aufzustehen und zu arbeiten, glaube ich schon lange nicht mehr. Gegen diese Legende spricht auch die niedrige fünfstellige Zahl der Sanktionen, die bei Verstößen ja zwingend zu verhängen sind.

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Nachtrag in eigener Sache:

Sogar die Tagesschau berichtet falsch! Man versäumt, mitzuteilen, dass die Umfrage sich nur auf Bürgergeldempfänger bezieht, die länger als 1 Jahr beziehen. Das wird nur in einer Randnotiz bemerkt als Statement des Paritätischen, wobei man sich davon “anständig” distanziert und das in den Konjunktiv setzt.

Das ist der Unterschied. Wenn das jetzt irgendetwas wäre, was unsere Rechtspopulisten kritisch finde, würde der Shitstorm shitstormen, dass die Bude wackelt.

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