[Chin] Zitat aus Zhuangzi

Hallo,
ich beschäftige mich gerade mit Zhuangzi XIII.10 (die Geschichte von Herzog Huan 桓公 und dem Wagenmacher Bian 輪扁). Dabei macht mir die Phrase 有數存焉於其間 ziemliche Schwierigkeiten. Die westlichen Übersetzungen gehen in Richtung „da ist ein Trick (‚knack‘, skill’ …) dabei“ was ich beim besten Willen nicht nachvollziehen kann.

Kann mir jemand die Phrase bzw. ihre Übersetzung erklären? Am besten Schriftzeichen für Schriftzeichen, wenn das nicht zu unbescheiden ist …

Freundliche Grüße,
Ralf

Hallo Ralf,

Die Übersetzung an der Stelle ist mir auch ein Rätsel, sie ist etwas seltsam.

Der Wagenbauer erklärt dem Herzog „得之於手而應於心“ (wenn/dass er seine Arbeit nicht zu weich und nicht zu ruppig macht) (liegt daran) „dass seine Hände dem Herzen/Geist folgen“.

Damit ist das gemeint, dass einem Handwerker Dinge einfach von der Hand gehen, er nicht darüber nachdenken muss, sondern es instinktiv richtig macht.

„口不能言“ „man kann es nicht mündlich weitergeben“ (im übertragenem Sinne)

有 es gibt

數 diverse/s o. vieles

存 das man behält/woran man denken muss („woran man denkt“ und „tragen müssen“ im übertragenem Sinn findet sich als Definition im 古代汉语词典 des 商务印书馆 von 2009 auf Seite 264, Sp.1, Def. 2 und 3. „woran man denkt“ kommt zeitlich am ehesten in Frage, die Definitionszitation stammt aus dem Chunqiu). Eine Bedeutung wie „trick“ habe ich nicht gefunden, im Englischen wird aber auch immer „knack“ geschrieben,

焉 in der chinesischen Antike ist dieses Zeichen identisch mit 之 (s.o. S.1805 Sp.2, Ausnahme ist Mengzi siehe Definition 3), oder kann auch „daher/deshalb/und so“ bedeuten.

於 Lokativ

其 er/sie/es usw.

間 dazwischen/dabei/kurzer Zeitabschnitt/ als nächstes/engstes, Qualität (und noch so einiges was schwer zu bestimmen wär ohne Ton…)

Eine Bedeutung wie „trick“ habe ich nicht gefunden, im Englischen wird aber auch immer „knack“ geschrieben und DA liegt auch der Ulcus Knacktus :wink:
Wahrscheinlich wurde da fleißig abgeschrieben, knack kann im Deutschen mit „Trick“ übersetzt werden, aber eben auch mit „Gabe, Fertigkeit“.
In diesem Fall geht es eindeutig um letzteres! Das kommt davon, wenn man von Legge abschreibt…

Der Satz heißt also in Etwa:
"man kann es nicht mündlich weitergeben, es gibt so vieles, woran er (der Wagenbauer) dabei (bei der Arbeit) denken muss,

„臣不能以喻臣之子“ „daher kann euer Diener es seinem Sohn nicht beschreiben (als Metapher, Allegorie)“

„臣之子亦不能受之於臣“ „(und) des Dieners (mein) Sohn kann den Diener (mich) nicht verstehen (das Wissen erlangen)“.

Daher ist er mit 70 noch Wagenbauer und baut Räder.

Er spricht dabei von der Fertigkeit, die man erlangt, wenn man 70 Jahre lang Räder gebaut hat. Die kann er nicht weitergeben, nicht erklären, er kann es einfach, es ist seine Erfahrung.

Und auch wenn man Basiswissen lehren kann, so kann man Erfahrung/Fertigkeit auf keinen Fall lehren, der Sohn kann es nicht verstehen, er muss erst selbst 70 Jahre Räder bauen, um die Fertigkeit von jemanden zu erlangen, der 70 Jahre lang Räder gebaut hat (oder sagen wir mal 60 :wink:).

Und darum sagt uns der alte Herr:
„古之人與其不可傳也死矣,然則君之所讀者,古人之糟魄已矣“
„Die Alten Weisen können das (die Fertigkeit/Erfahrung) auch nicht weitergeben, weil sie tot sind. Daher ist das, was der Herr liest, das Verrottete, was von der Seele (po, was nach dem Tod übrig bleibt und wegfliegt) der Alten Weisen übrig geblieben ist.“

Was er damit sagen möchte ist:
Der Herrscher liest die Worte der Weisen um weise zu werden. Doch diese Menschen haben ein Leben geführt, dass sie weise machte. Der Herrscher führt dieses Leben nicht. Er macht nicht die Erfahrungen der alten Weisen. Und so wie der Radmacher sein Wissen, aber nicht die Erfahrung weitergeben kann, so können die Worte der Weisen, aber nicht ihre Weisheit weitergegeben werden.
Der Herrscher liest also umsonst, er liest nur die Überreste der Weisheit, wird aber so nie weise werden, ehe er selbst ein Alter Weiser wird.

Ich hoffe, ich konnte dir ein bisschen weiterhelfen.

lg
Kate

Hallo Kate,
herzlichen Dank, dass Du dich dieser nicht ganz einfachen Frage angenommen hast.

Die Übersetzung an der Stelle ist mir auch ein Rätsel, sie ist etwas seltsam.

Das beruhigt mich jetzt etwas … :wink:

Der Wagenbauer erklärt dem Herzog

… ich geb mal spasseshalber meine Übersetzung / Deutung:

„nicht sanft/langsam, nicht grob/hastig wird die Hand durch den Herz/Geist geführt“

Damit ist das gemeint, dass einem Handwerker Dinge einfach von der
Hand gehen, er nicht darüber nachdenken muss, sondern es instinktiv
richtig macht.

So weit, so klar …

„口不能言“ „man kann es nicht mündlich weitergeben“ (im übertragenem
Sinne)

„der Mund kann [es] nicht [aus]sprechen. Vieles gibt es“

存 das man behält/woran man denken muss

das hat mir jetzt auf jeden Fall weitergeholfen. ‚Behalten, aufbewahren, speichern‘ hätte ich bei 存 nur konkret verstanden (nicht als geistiges ‚aufbewahren‘), daher bin ich hier wieder in Richtung ‚existieren‘ gegangen …

焉 in der chinesischen Antike ist dieses Zeichen identisch mit 之
(s.o. S.1805 Sp.2, Ausnahme ist Mengzi siehe Definition 3), oder
kann auch „daher/deshalb/und so“ bedeuten.

ich hatte es eher in diesem zweiten Sinn aufgefasst und neige auch jetzt noch dazu, als Possesivpronomen kann ich es nicht so recht auf etwas beziehen …

於 Lokativ

… in, an, auf … oder davon, daraus.

其 er/sie/es usw.

間 dazwischen/dabei/kurzer Zeitabschnitt/ als nächstes/engstes,
Qualität (und noch so einiges was schwer zu bestimmen wär ohne :Ton…)

… kann (zumindest im modernen Chinesisch) wohl auch zusammen gelesen werden, ‚zwischenzeitlich‘, ‚währenddessen‘ …

Wahrscheinlich wurde da fleißig abgeschrieben, knack kann im
Deutschen mit „Trick“ übersetzt werden, aber eben auch mit „Gabe,
Fertigkeit“.
In diesem Fall geht es eindeutig um letzteres! Das kommt davon, wenn
man von Legge abschreibt…

Das hat wohl auch Richard Wilhelm: „es ist ein Kunstgriff dabei“. Das passt nun wiederum überhaupt nicht zur daoistischen Geisteshaltung, deswegen hat mich das auch so irritiert.

es gibt so vieles, woran er (der Wagenbauer) dabei (bei der Arbeit)
denken muss,

‚Denken‘ oder ‚denken müssen‘ ist allerdings auch keine daostische Lektion - wie Du selbst zunächst schreibst „Damit ist das gemeint, dass […] er nicht darüber nachdenken muss, sondern es instinktiv richtig macht“. Du hast mich immerhin so auf die Spur gesetzt, dass ich jetzt lesen würde „Es existiert Vieles bewahrt und so darin [und] dabei [bei der Arbeit]“. Als Arbeitshypothese …

„臣不能以喻臣之子“

„[euer] Gefolgsmann kann [es] dem Sohn des Gefolgsmannes nicht versinnbildlichen“

„臣之子亦不能受之於臣“

wieder dieser Lokativ …
„auch kann [es] der Sohn des Gefolgsmannes nicht aus dem Gefolgsmann heraus empfangen“

Der Rest ist dann wieder ziemlich klar. Die eigentliche Klippe war - wie erwähnt - der ‚Kunstgriff‘, der ‚Dreh‘, der ‚Kniff‘. Darum geht es offensichtlich nicht, sondern um durch Erfahrung erworbene Intuition.

Freundliche Grüße,
Ralf

Hallo Kate,
durch Hinweis eines Freundes bin ich ein Stück weitergekommen - vielleicht ist es auch für Dich von Interesse. Der Casus Knacktus ist offensichtlich

數 diverse/s o. vieles

  • hinter dem auch ich nicht mehr vermutet habe als Du. Nun gibt Charles Mullers Digital Dictionary of Buddhism für 數 tatsächlich als ‚Basic Meaning‘ an: habituation by repetition (!).

Die genaueren Spezifierungen (unter ‚Senses‘) bei Muller sind dann allerdings recht spezifisch für buddhistische Literatur - der Grund, warum ich Muller zunächst gar nicht zu Rate gezogen habe:

_# …which contributes to the special conscious functions of the six faculties. [cmuller; source(s): Nakamura, JEBD]

Often. (Skt. samudācaritatta, punnappunam) [cmuller; source(s): Soothill]

An earlier translation of ‚mental factors‘ or ‚mental functions‘ 心所. [cmuller]

Number (Skt. saṃkhyā). To count (Skt. gaṇana, gaṇanā). Countable (Skt. saṃkhyeya). In Yogâcāra, one of the 24 factors not associated with mind. Calculating the various material and mental dharmas. [cmuller]

A synonym for wisdom (智); especially analytical wisdom (Skt. pratisaṃkhyā). [cmuller]

To be counted among — thus, to be of the same type or category, like 類. [cmuller]

(Skt. gaṇaya; abhīkṣṇam, punaḥpunaḥ; abhi-gaṇaya, abhīkṣṇa, abhīkṣṇatva, asakṛt, ākhyā, ābhīkṣṇya, gaṇa, gaṇanāmadhigacchet, gaṇayitavya, gaṇita, gaṇitaṃbhavet, parigaṇyamāna, parisaṃkhyāna, paryāya, punar, prasaṃkhyā, bhūyobhūyaḥ, saṃkalana, saṃkhya, saṃkhyā-gaṇita, saṃkhyāta, samākhyāta, sāṃkhya; Tib. grangs) [cmuller]_

So (mit ‚habituation by repetition‘) wird natürlich ein Schuh draus, und das rechtfertigt ein bißchen auch James Legge’s „knack“ (trotzdem keine sehr glückliche Übersetzung). Legges Abschreiber freilich sind mit „Kunstgriff“ (R. Wilhelm), „Kniff“ (V. Mair) oder gar „irgendein besonderer Trick“ (R.L. Wing / Kobbe) dann schon kräftig daneben.

Freundliche Grüße,
Ralf

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Hi

Danke für die Info, bei shu war ich tatsächlich nachlässig und habe mich auf die Schnellübersetzung aus dem gemischten Wörterbuch verlassen. Ich habe darum nochmal nachgeschlagen, weil ein buddhistisches Wörterbuch natürlich keine gute Basisquelle für die Übersetzung eines Zhuangzi Textes ist.

Ich habe hier noch ein paar Definitionen:

Das Gudaihanyucidian gibt auf S.1464 als Definition 4 „Fähigkeit, Kunstfertigkeit“ an, was schon sehr konkret ist. Das ist zwar mit dem Houhanshu recht spät für unseren Fall (Zhuangzi war deutlich früher) aber man weiß ja nie. Trotzdem sollte man immer darauf achten das Wörter zu bestimmten Zeiten bestimmte Bedeutungen einfach nicht hatten bzw. hatten und verloren.

Definition 5 bezieht sich auf das Shangjunshu und gibt „politische Trickserei“ an 权术
Definition 6 geht auf das Guanzi http://en.wikipedia.org/wiki/Guanzi_(text) ein, dort findet sich „law, regular pattern, Rhythmus“. Das käme der Bedeutung auch nahe und der Text hat auch starke daoistische Anteile.
(BTW, das Guanzi ist ein sehr schöner Text, trotz des legalistischen Anteils)

Defintion 7 zeigt, dass shu sogar „Schicksal, Bestimmung“ heißen kann, das ist aber erst aus dem Hanshu.

Und es gibt noch bestimmt 14 weitere Definitionen die großteils aus Shiji, Mengzi und Hanshu stammen.

lg
Kate

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Herzlichen Dank für die zusätzlichen Informationen!

Gruß,
Ralf