Hallo,
eine historisch doch immer wieder aufgekommene Frage, und wer wollte all denen, die das Alte Testament abgelehnt haben, nun gleich ihre Selbstdefinition absprechen.
Damit würde eine Antwort anfangen: Mit der Defintion, was ein Christ ist.
Und haben wir es hier mit Fremd- oder Selbstdefinitionen zu tun?
Nicht jeder (und das müssen ja nicht gleich schreckliche Fundis sein) ist bereit, die Grundlagen seines Glaubens historisch zu erforschen und seinen Glauben entsprechend einzuordnen. Das gilt ja nicht nur für das Christentum. Zudem wäre dann hier die grundsätzliche weitere Frage: Auch wenn ein Christ das AT nicht ablehnt, wie versteht er es - sicherlich nicht, wie ein heutiger Jude, beide zusammen verstehen es wiederum nicht so, wie es die Gläubigen vor 2000 oder mehr Jahren verstanden haben.
Im Laufe der Geschichte des Christentums gab es immer wieder Christen (!), die das AT in seiner Bedeutung als heilige Schrift abgelehnt haben, prominent sind Markion und sein „Entdecker“ A.v. Harnack. Zumindest letzterer hätte niemals die Relevanz der alttestamentlichen SChriften für die Erforschung der Person Jesu und der ntl. Schriften bestritten. Um es also etwas platt zu sagen: Die ntl Überlieferung über Jesus v. Nazareth ist nicht zu verstehen ohne Einbeziehung der griechisch-hellenistischen Zeitgeschichte, und Epiktet ist ja nun auch kein Autor einer heiligen Schrift für uns.
Deine Frage müsste also präzisiert werden: Ablehnung des ATs als Glaubensgrundlage oder Ablehnung des ATs als historische Grundlage.
Da nun mal der christliche Umgang mit dem AT (entsprechend auch dem zeitgenössischen Judentum im 1.Jh, Paulus war ja schließlich auch Jude) durchaus auch gepräg ist vom Bewusstsein einer Ablösung (was in der sog. Heidenmission und dem - durchaus umstrittenen - Verzicht auf
die Beschneidung leicht einsichtig ist) bzw. einer Andersartigkeit, einer neuen heilsgeschichtlichen Epoche - da also der christliche Umgang mit dem AT seit frühester Zeit durchaus ein - eben ntl. begründeter - eklektischer ist, empfinden vielleicht Christen ihren Umgang nicht „ablehnend“, ich möchte aber nicht ausschließen, dass Vertreter des Judentums dies tun würden.
Wir befinden uns also im überaus komplizierten Feld der Frage nach der biblischen Hermeneutik.
Grundsätzlich und vielleicht etwas konkreter zu Deiner Frage:
Nehmen wir die derzeitige christliche Mehrheitsdefinition vom Christentum, wozu das trinitarische Bekenntnis grundlegend dazugehört (wobei es ja durchaus Unitarier gibt), so ist dieses, eben das t-r-i-n-i-t-a-r-i-s-c-h-e Christentum nicht denkbar ohne Verständnis des AT als Glaubensdokument. Darauf beziehen sich mE alle Antworten, die hier Deine Frage mit „nein“ beantwortet haben.
Genau deswegen hat sich übrigens auch ein von Harnack nicht durchsetzen können mit seiner Forderung nach der ABschaffung des ATs als Glaubensdokument, weil dieser schwerwiegende theologische Denkfehler denn doch aufgefallen ist.
Ein unitarisches Christentum ist denkbar ohne Glaubensgrundlage AT - was ja eine Ignoranz desselben nicht einschließen muss.
Grüße
taju
PS: Nur mal grundsätzlich: Warum „Erstes Testament“ weniger missverständlich sein soll als „Altes Testament“ wird mir nie klar werden.
Der Begriff „AT“ stammt aus einer Zeit, in der das Alter immer den Vorrag hatte - für die Christen, die ja ständig dem Neuerungsvorwurf ausgesetzt waren, was als „AT“ und die verstandene KOntinuität des „NT“ für ihr religiöses Selbstverständnis absolut wichtig. Alt bedeutet hier also ehrwürdig, richtig, verlässlich.
Das moderne Forschrittsdenken, was jedoch im religiös-theologisch-christlichen Bereich nun nicht so Einzug gehalten hat, versteht dann jung/neu als besser:
Wenn ich mal polemisch werden darf: Wer kauft bei Software die Version 1.0, wenn die Version 2.0 auf dem Markt ist - warum also soll „erstes“ weniger diskriminierend als „altes“ sein? Das sind Modeerscheinungen, vor denen sich ein vernünftiges kulturelles und historisches Bewusstsein schützen kann - um es mit meiner Dr-Mutter zu sagen: Man muss nur wissen, wovon man redet.