Ich möchte hier gegen das nicht seltene Mißverständnis angehen, es gäbe Berührungspunkte oder gar die eine oder andere nennenswerte Entsprechung zwischen der buddhistischen Lehre und christlichen Vorstellungen. Der „Ton“ meines Textes ist provokativ gestaltet und mag nicht wenige verstören. Nur: warum nicht hier einen Ton anschlagen, den Karlheinz Deschner seit Jahrzehnten öffentlich anschlägt, ohne dafür gekreuzigt worden zu sein? Nun denn.
Das Christentum in seiner heutigen Erscheinung hat mit dem eigentlichen Christentum so viel zu tun wie wie eine Parklandschaft mit einem hochgefährlichen Urwald. All die modernen Humanitätsansprüche des heutigen Klerus wurden von außen in das Christentum importiert während seines Rückzugsgefechts gegen die aufklärerische Säkularisierung des Abendlandes. Daher muß hinter der kosmetisch erzeugten, altruistisch lächelnden Theatermaske des heutigen das sehr grimmige Naturgesicht des früheren und wahren Christentums in den Blick genommen werden, und zwar ohne in es die völlig christentumfremden Aspekte von Menschenrecht und Toleranz hineinzuprojizieren. Dieses Christentum konnte bis ins Mittelalter hinein ungehemmt zeigen, was wirklich in ihm steckt.
Ich klammere deshalb auch nicht, wie Wilber oder sogar der von mir gleichfalls hochgeschätzte Karlheinz Deschner verfahren, den Urchristen Jesus aus der Kritik aus. Mir erscheinen seine Person und seine Statements, sofern man von der Quellenlage ausgeht, nicht geeignet dafür, in ihm die glorreiche Ausnahme von der weniger glorreichen Regel zu sehen. Dafür ist seine Rhetorik an nicht wenigen Bibelstellen einfach viel zu brutal und menschenverachtend, eben ganz im Stile der Antike, deren Sohn er war (und nicht der Sohn eines fiktiven Gottes). Auch wirkt der biblische Jesus in hohem Maße wie eine künstlich zusammengefügte Propagandafigur, wie ein religiöses Propaganda-Patchwork, das aus lauter Widersprüchen zusammengeklebt wurde. Gleichviel: dieses Patchwork hat, wie ein gigantisches Placebo, faktisch Wirkung gemacht, hat durch seine Statements posthum zum Tod und zur Mißhandlung von Millionen Menschen beigetragen und muß daher wie eine faktische Person auch kritisiert werden. Die Statements des ersten Christen erbeben oft vor Zorn und aggressivem, ja destruktivem Rachedurst, und keiner droht in der Bibel so oft mit den Strafen der Hölle wie Jesus. Ich sehe da keine Diskontinuität zu den sadistischen Exzessen des Mittelalters außer jener zwischen geistiger und physischer Brandstiftung. Ist es also übertrieben, hier von geistiger Brandstiftung zu sprechen?
Einen weiteren hochbrisanten Placeboeffekt hat im Zusammenspiel mit dem Christusphantasma das Phantasma des christlichen Weltschöpfers bewirkt. Immer noch behaupten viele, es gäbe diesen Gott, aber wer kennt ihn wirklich? Gemäß der christlichen Mainstreamlehre ist der Christengott nicht erkennbar, d.h. konsequenterweise: nicht wißbar. In Joh. 1, 18 gilt einzig Jesus als Garant der Glaubenswahrheit: „Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht.“
Nun besteht ein seltsamer Widerspruch zwischen zahlreichen offensichtlich erkennbaren Merkmalen, die ´Gott zugesprochen werden – wie Güte, Weisheit, Allmacht und so fort -, und dem Merkmal der Unerkennbarkeit, Unfaßbarkeit, Unbegreiflichkeit und wie sonst noch der Christengott in der theologischen Tradition charakterisiert wird, wenn begründet werden soll, daß Gott ‘ist’ und zugleich jedem wissenden Zugriff unzugänglich bleibt. In der Tat eine rechtfertigungsbedürftige Behauptung: da ist das Wichtigste von der Welt, für jeden und auch für dich, doch leider kann es nicht gewußt werden; du mußt dich damit begnügen, daran zu glauben. Das Wissen darum ist Sache von Christus und ein paar wenigen Auserwählten gewesen, und denen redest du bitteschön nach dem Mund. Hätte sich ohne Feuer und Schwert als zusätzliche Argumente ein solches Dogma europa- und weltweit durchsetzen lassen? Sicherlich nicht, auch nicht in jenen Zeiten, als der Mensch ohnehin von allen möglichen magischen Obskuritäten den Kopf schon voll hatte. Die tauschte er dann meist unter hohen Blutverlusten gegen die christliche Obskurität ein – siehe die furchtbaren Kriege Karl d. Gr. gegen nichtchristliche Völker wie die Sachsen. Es hat gewiß Versuche gegeben, das sehr paradoxe Erkenntnisdilemma erträglicher zu machen – durch Rahner z.B. -, aber am Kern des Dogmas läßt sich nicht rütteln, will man nicht vollständig ausscheren aus der Traditionslinie der Lehre von der Unerkennbarkeit ´Gottes – vertreten durch Johannes, Augustin, Thomas von Aquin und Kardinal Ratzinger, um einige Beispiele zu nennen. Der Grund dafür liegt einfach darin, daß dieser Gott gar nicht existiert, sondern eine Fiktion ist, und daß infolgedessen seine Fiktionalität kaschiert werden muß durch ein theatralisch aufgeplustertes (und in früheren Zeiten bis an die Zähne bewaffnetes) Universum von selbstwidersprüchlichen Dogmen und Mythen.
Wie äußerlich und oberflächlich, wie dünn und fadenscheinig wirkt all dies gegenüber den vollblütigen Lehren der westlichen und vor allem östlichen Mystik! Hier ist Glaube ein pejorativer Begriff, gilt als bloße doxa oder unkritisches Fürwahrhalten von Gehörtem; hier zählt nur eines: Wissen, wirkliches Wissen, nicht bloß rhetorisch heraufbeschworenes; hier denkt man nicht so negativ und herabwürdigend von der Wahrnehmungskapazität des Menschen; hier weiß man, daß der Geist des Individuums ohne Grenze in Zeit und Raum ist; hier ist die Freiheit unmittelbares Faktum, von der das Christentum nur mit tausend Windungen und Vorbehalten sich zu reden traut; hier gibt es keine Kluft zwischen Gott und Mensch, denn hier gibt es keinen Gott; hier ist die absolute Freiheit eine Wirklichkeit, die dem menschlichen Geist uneingeschränkt immanent ist als dessen wahres Wesen. Und das Wissen darum ist potentiell jedem Subjekt zugänglich an allen Orten und zu allen Zeiten. Um dieses Wissen zu erlangen, bedarf es keiner von außen, von oben gewährten Gnade: es genügt, wenn der Mensch abläßt vom Innen-Außen-Dualismus und sich öffnet für das, was ist.