Corona Deutschland - Frankreich

Erstaunlich, wie sehr viel besser die Situation in Deutschland im Vergleich zu vielen europäischen Ländern, auch Frankreich ist!
Höchster Wert an täglichen Neuansteckungen letzte Woche in Deutschland bei unter 2000, in dem sehr viel bevölkerungsärmeren Frankreich über 10.000! In Deutschland zeigt die Kurve seit Wochen nicht wirklich nach oben (auch wenn es mehr Fälle sind als im Juni/ Juli, und Vorsicht absolut geboten ist!), in Frankreich geht es leider gerade ziemlich steil nach oben, und die Lage ist so ernst, dass sich dort offenbar niemand den Luxus erlaubt, gegen imaginäre stattliche Verfassungs-Brüche zu demonstrieren.
Was denkt ihr, voran die Unterschiede liegen?

Im ZDF gab es die Hypothese, die Jugend habe durch die massiven Einschränkungen (die ja viel stärker waren als bei uns) im Sommer in vollen Zügen die Freiheit genossen und damit kräftig das Virus verbreitet.

Oder liegt es daran, dass trotz der medial hochpräsenten Spinner (die der Meinung sind, totgeschwiegen zu werden…) die große Mehrheit der Deutschen sich eben doch ziemlich brav an die Regelungen hält und dies in Frankreich anders ist?

Karl

1 Like

Die Beobachtungen, die ich in den letzten 14 Tagen in mehreren französischen Städten mit hoher Covid-Inzidenz gemacht habe, u.a. in Clermont-Ferrand und St.Étienne, aber auch mehreren kleineren Städten, betätigen zumindest, dass die Jugend sich dort so verhält. Während Fußgänger auf Einkaufsbummel oder Spaziergang wegen Maskenpflicht im Freien brav ihre Masken trugen, waren die Straßencafés sowie Wein- und Bierbars rappelvoll von jungen Leuten. Auch der übliche Körperkontakt zur Begrüßung konnte vielfach beobachtet werden.

Dass das eine Art Aufbäumen nach langem Eingesperrtsein ist, bezweifle ich allerdings. Zum einen ist es jetzt doch schon drei Monate her, dass man wieder raus und ins Café und die Bars darf. Und zum anderen sah es dort vor einem Jahr nicht viel anders aus.

Da könnte was dran sein. Mir fällt auf, dass in Frankreich die Maskenpflicht überall dort sehr gut eingehalten wird, wo eine soziale Kontrolle stattfinden, d.h. in Geschäften aller Art, auf Ämtern etc. Sobald diese Kontrolle abnimmt, zum Beispiel auf offener Straße, machen viele die Nase frei oder schieben sie ganz herunter. Ich bin heute mit dem Zug gefahren. Zweimal stieg jemand zu und hat nach dem Hinsetzen die Maske abgenommen. Nach einem kurzen Blickkontakt meinerseits haben beide die Maske wieder ordentlich aufgesetzt.

Dies und die in Frankreich, ähnlich wie Italien und Spanien, weitaus mehr als in Deutschland üblichen Treffen in grösserer Runde im Familien- und Freundeskreis, bei denen dann auf alle AHA-Regeln gepfiffen wird, war für mich schon die Erklärung dafür, dass im April die hohen Fallzahlen in Italien, Spanien und Frankreich auch nach mehrwöchigem hartem Lockdown nicht wie eigentlich zu erwarten zurück gegangen sind.

Ein anderer Ansatz für eine Erklärung wäre, dass die am stärksten betroffenen Regionen gleichzeitig auch diejenigen sind, in denen die Großstädte mit den großen sozialen Brennpunkten liegen (Pariser Norden, Marseille, Straßburg, Lyon).

1 Like

Hallo Karl,

eine Rolle mag auch spielen, dass in F die Wartezeit auf einen Termin zum Test über eine Woche ausmacht - das bedeutet, dass kein Ansteckender wissen kann, dass er ansteckend ist, und dass die Versuche der Behörden, die Infektionsketten zu rekonstruieren, allenfalls fürs Archiv und die Statistik interessant sind, aber viel zu spät kommen, als dass man damit Anhaltspunkte zur Isolierung von ansteckenden Personen gewinnen könnte.

Für eine gewisse Bedeutung dieses Faktors spricht, dass man in den vergangenen 2-3 Wochen auf den veröffentlichten Karten zur Inzidenz pro Departement hübsch sehen konnte, wie die Werte > 50 sukzessiv von einigen Schwerpunkten aus flächig vorrückten.

Die Disziplin der Gallier ist besser als in D, wo und weil sie besser kontrolliert wird: Wer auf Bahnhöfen so wie in D die Maske unters Kinn schiebt, noch bevor er ganz aus dem Zug draußen ist, hat ruckzuck einen procès-verbal im Wert von (glaub ich) siebzig Euro an der Backe, in einem guten Teil der Züge (Fern- und Nahverkehr) ist Polizei unterwegs (hat auch damit zu tun, dass man von den sog. Kontrolleuren der SNCF auch unter ‚Friedensbedingungen‘ im Zug höchst selten was sieht).

In den Bahnhöfen gibt es hübsche Markierungen, um die Fußgängerströme auseinanderzuhalten. Gut gemeint, aber sowas wird in F als Aufforderung verstanden, in einer Art Slalom-Parcours durch die Menge zu hüpfen, nur um möglichst ausführlich gegen die gegebene Regel zu verstoßen. In den Straßenbahnen sind Stehplätze mit Schuhsohlen-Symbolen im Abstand von etwa 80 cm auf den Boden gemalt - um Franzosen dazu zu bringen, sich an diese Empfehlung zu halten, müsste man neben jeden so markierten Stehplatz eine Kampfratte von den CRS mit entsicherter Uzi postieren. Wenn es nicht so ernst wäre, immer wieder zum schmunzeln die Leute, die von Miene und Auftreten her in die Schublade „républicain pur et dur“ passen, und mit entschlossenem Gesicht einen Mund-Nasen-Schutz unter der Nase tragen.

Relativ bald nach dem confinement Anfang Juli waren wir ein paar Tage in Illkirch und Strasbourg. In Illkirch am Baggersee gute Disziplin betreffend Abstand und Mund-Nasen-Schutz, dito im Supermarkt Auchan direkt daneben. Anders als in D gab es in Illkirch unmittelbar nach dem Confinement einen enormen Nachholbedarf betreffend „aus Essen gehen“: Keine Chance, irgendwo in einem der vielen Lokale mit Terrassen nur ein - zwei Tage im Voraus etwas reserviert zu kriegen, außer den Touristenfallen in Strasbourg Zentrum alles pickepackevoll, auch zu unüblichen Zeiten.

Im August eine Woche zu Besuch bei einer Freundin in Dole, die Lehrerin am Collège ist - sie ist einigermaßen verzweifelt, weil die Lehrer in F mit dem Schuljahresbeginn in genauso konzeptions- und perspektivlosem Chaos alleine gelassen werden wie die in D, mit dem Unterschied, dass es den Lehrern in D erlaubt ist, in Eigenverantwortung und Eigeninitiative welche Lösungsansätze auch immer einzurichten, während ein Lehrer in F sich nicht einmal schneuzen darf, wenn er nicht vorher einen Antrag auf Genehmigung des Schneuzens gestellt hat, der über seine Schulleitung und den Präfekten Ebene für Ebene bis zum zuständigen Ministerium und danach den gesamten Instanzenweg wieder zurück gegangen ist.

Last, but not least sind in Frankreich bedeutende Zahlen von Menschen, die ein Leben ziemlich fern von irgendwelchen seuchenhygienischen Überlegungen und Maßnahmen führen und mit eher großen Familien in vergleichsweise winzigen Wohnungen leben, in viel größerem Umfang systematisch in „Cités HLM“ auf engem Raum konzentriert, Marzahn Mitte und Feldmoching-Hasenbergl sind beinahe lustig im Vergleich zu Marseille Nord - und es war präzise dort und nicht gleichmäßig über das Departement Bouches-du-Rhône verteilt, dass die Ansteckungen außerhalb von Paris außer Kontrolle geraten sind. Das Vordringen der Infektionen in den letzten Tagen über Béziers nach Perpignan zeichnet die Spur der Barres HLM nach, in denen dort im Süden Leute leben, die anders als in Paris ohne jede Perspektive sind.

Zurück zum Start: Im Zentrum der Entwicklung steht, dass die Behörden in F die Versuche, das Vordringen der Infektionen zu bremsen, so gut wie aufgegeben haben - weil ihnen in Ermangelung der dafür nötigen Mittel nichts anderes übrig blieb. Wenn es Möglichkeiten gäbe, hier was zu machen, hätte der plötzlich aus dem Zylinder geholte Jean Castex, ein politisch wendiger und farbloser, aber technisch und organisatorisch brillanter „Yaca“, sie recht zügig aufgegleist. Dass er erklärt, jetzt sei es erstmal wichtiger, wieder an die Arbeit zu gehen, bedeutet, dass die zuständigen Behörden in F die Trikolore eingeholt und die weiße Fahne gehisst haben.

Schöne Grüße

MM

  • achjaübrigens: Die Entwicklung der Inzidenz pro Departement kann man hier verfolgen:

https://geodes.santepubliquefrance.fr/#c=indicator&i=sp_ti_tp_7j.tx_pe_gliss&s=2020-09-06-2020-09-12&t=a01&view=map2

Hallo,
Ich berichte hier mal „vor Ort“: Ich lebe in Frankreich (Elsass), bin Grenzgänger. Die Berichte in der deutschen Presse hatten zu keiner Zeit etwas mit dem Leben hier zu tun. Auch zu hochzeiten von Corona hat das Bild in Strassbourg nicht dem entsprochen, wie es in deutschen Medien propagiert wurde. Wir haben dort Verwandte wohnen. wir wohnen ein gutes Stück nördlich davon. Hier halten sich alle brav an die Vorgaben und zwar genauso wie in Deutschland. Das Adressenotieren bei jeder Gelegenheit findet hier allerdings nicht statt. Ich habe auch noch nicht gehört, ,dass dies in D etwas bewirkt hätte.
Merke: Infektionsrate ist nicht gleich Mortalitätsrate. Wer mehr testet hat auch mehr treffer.
Gruß

Servus,

das hier

steht in krassem Widerspruch zu der Test-Praxis in F und in D.

Die Testkapazitäten in F sind, wie bereits ausführlich kundgetan, erschöpft. Es wird dort keineswegs sieben Mal so viel getestet wie in Deutschland, es werden aber ungefähr sieben Mal so viele Neuinfektionen festgestellt.

Deine These lässt sich übrigens ganz leicht quantitativ überprüfen: Den Prozentsatz positiver Tests in F pro Departement findest Du hier:

https://geodes.santepubliquefrance.fr/#c=indicator&f=0&i=sp_pos_quot.tx_pos_quot&s=2020-09-12&t=a01&view=map2

Für Frankreich (gesamt) liegt der Anteil positiver Tests derzeit bei 4,6 %, in Deutschland permanent unter 1 %, im Moment sind es grade 0,74 %.

Schöne Grüße

MM

2 Like

Nun sind ja sowohl Infektions- als auch Mortalitätsrate in Frankreich extrem viel höher als in Deutschland (bei deutlich geringer Bevölkerungszahl)!
Von daher weiß ich nicht, was du damit sagen willst.
Karl

2 Like