Coronavirus: Ist die ggw. Shutdown-Politik alternativlos gewesen?

Ja, das war in D aber nicht ansatzweise gangbar.
Bewegungsprofile estellen, Datensammlungen verknüpfen usw. - undenkbar zu diesem frühen Zeitpunkt.
Dafür fehlt uns die Erfahrung z.B. der SARS-Epidemie, aus der diese asiatischen Staaten ihre Schlüsse gezogen haben.
Was aber in der Tat der Punkt ist: beide Ländern haben spezifische Maßnahme für spezifische Gruppen getroffen, nicht gießkannenartig reagiert wie wir in Europa derzeit.

Gruß
F.

So wird oft ein bisschen getan für mein Gefühl.
Bei Desperado oben etwa, wenn er vom „Mord an Alten und chronisch Kranken“ spricht.

Richtig, nur darum kann es gehen.
Das kann für mein Empfinden aber vielleicht auch eine spezifische Isolierung der Risikogruppen leisten. Ich weiß es nicht.

Richtig.
Und was geschieht, wenn der Shutdown nicht aufrecht erhalten werden kann oder im Herbst nicht erneut begonnen werden kann?
Aus meiner Sicht hat ein allgemeiner Shutdown nur Sinn a) für die ersten Wochen um das Gesundheitssystem vorbereiten zu können und/oder b) wenn er bis zur Verfügbarkeit der Impfung oder wenigstens bis zur Verfügbarkeit sehr guter Testverfahren durchgezogen werden kann.

Gruß
F.

Na ja, irgendwie kann das auch in gewisser Weise auf Mord hinauslaufen. -

Wie man hört, kriegen Corona Patienten über 75 (oder 80 oder so) in Italien teilweise - mangels Beatmungsgerät - einfach keine Behandlung, die lässt man sterben. Und wenn man in GB es drauf ankommen lässt, kann man solche Probleme doch absehen, zumal das Land mit Intensivbetten sowieso nicht gut ausgestattet ist.

Und ich glaub nicht, dass sich jeder vor Ansteckung schützen kann. Hat doch nicht jeder einen, der für ihn einkaufen geht.

Aber selbst dann wäre „Mord“ ein schwachsinniger Begriff dafür.

Eben das hätte man organisieren können für einen Bruchteil der Kosten, die man mit einem generellen Shutdown verursacht.
Man hätte (in D, in dem anders als in Italien etwa, nur noch teilweise auf dem Land mehrere Generationen unter einem Dach leben) die Alten und Kranken räumlich abgrenzen können von der potentiell infizierten „Normalbevölkerung“.
Man hätte ihnen Zeitfenster verschaffen können, in denen sie nach draußen können, vielleicht sogar selbst einkaufen, indem man der Normalbevölkerung eine stundenweise Ausgangssperre verhängt hätte.
Man hätte eigene Arztpraxen und Krankenhäuser für sie reservieren können.
Usw.
Alles natürlich auch nicht einfach, auch mit vielen dennoch-Infektionen, und auch das nicht gut von Allen eingehalten, aber das gilt für den generellen shutdown ja ganz genauso.

Und es wäre ein klarer Zeithorizont gegeben.
Wenn ich richtig informiert bin, wäre nach einigen Monaten eine beträchtliche „Herdenimmunität“ vorhanden, die dann ja auch dem Schutz der Kranken und Alten dient.

Gruß
F.

Hinzu kommt noch, dass die Todesrate ab dem Zeitpunkt, wo alle Intensivpflegeplätze belegt sind, ansteigt, auf einen Wert, der kaum vorhersehbar ist. Die absolute Zahl der Todesfälle wird jedenfalls ab diesem Zeitpunkt sprunghaft ansteigen.

Wie willst Du das machen? Alte Menschen werden von jungen Menschen betreut. Diese jungen Menschen haben Familien und müssen gelegentlich einkaufen. Und der Durchseuchungsgrad in der Bevölkerung ist schon zu hoch, als daß es die ultimative Hilfe wäre, alle Alten- und Krankenpfleger mit den Alten und Kranken unter Quarantäne zu stellen. Mal ganz davon abgesehen, daß man Eltern nicht über Tage oder gar Wochen von ihren Kindern trennen kann.

Es hilft also nur, die zwangsläufig eintretenden, großen Erkrankungszahlen über die Zeit zu strecken, damit jeder Fall vernünftig behandelt werden kann.

Ja, viele. Aber die Bemühungen werden konterkariert, wenn nun Leute anfangen, sich in neuen Gruppen zu neuen Aktivitäten zu verabreden. Ich bin gestern ungefähr zum tausendsten mal zwischen fünf und sechs Uhr an einem Werktag über die Theodor-Heuss-Brücke in Düsseldorf gefahren. Noch nie, wirklich noch nie, habe ich dort so viele Menschen joggen sehen und noch nie so viele Menschen in Dreier- und Vierergruppen. Warum macht man das?

Man wird den Zustand nicht ewig aufrecht erhalten können. Aber bis dahin haben wir mehr Betten, mehr Beatmungsgeräte, mehr medizinisches Personal und mehr Kenntnisse darüber, welche Medikamente helfen und vielleicht gibt es bis zum Sommer auch erste Impfstoffe, die bei Hochrisikopatienten eingesetzt werden dürfen.

Klar ist auch, daß wir nicht so lange mit den Maßnahmen fortfahren können, bis die Zahl der Selbstmorde aus Verzweiflung, Vereinsamung oder anderen Gründen die Zahl der potentiellen Coronatoten übersteigt.

Zumindest werden die Zahlen niedriger sein als wenn man dem Virus freien Lauf gelassen hätte.

Aber eben schneller. Schneller = gleich mehr Fälle = mehr schwere Fälle = mehr Menschen in den Krankenhäusern = mehr Tote durch fehlende Kapazitäten. Eine ganz einfache Rechnung.

Da wäre ich mir nicht so sicher. Zumindest scheint Herr Johnson ähnlich wie Herr Trump nur auf „Experten“ zu hören, die ihm erzählen, was er hören will. Wobei sich die britischen Ratgeber mit ihren Empfehlungen mittlerweile selbst doch nicht mehr so wohl zu fühlen scheinen:


Ansonsten

Offensichtlich gibt es bei dem Thema zynische Lösungen und darauf mit Zynismus zu reagieren ist mE schon irgendwie angemessen. Wenn wir die derzeitige Gesundheitskrise von neoliberalen Ideologen (und medizinisch blutigen Laien) durch eine forcierte Entsolidarisierung der Gesellschaft „lösen“ lassen, dann haben wir das entsprechende Ergebnis wahrlich verdient.

Gruß,
Ralf

Das wird unterschiedliche Gründe haben.
Ignoranz
Wurschtigkeit
infantiler Trotz
Egoismus
Wohlstandsverwahrlosung
Verleugnung der Gefahr

Der Punkt ist: Dass ein Teil der Menschen nicht mitmacht (und dieser Teil wird mit der Zeitdauer des generellen Shutdowns ansteigen) ist schlichtweg ein Bestandteil der Strategie „genereller Shutdown“, den man ins Kalkül mit einrechnen muss.
Wenns dumm läuft, hat man dann sehr hohe „Kosten“ produziert, die mögliche (ja, ist nicht sicher) Ausbildung der Gruppenimmunität verhindert, und dann irgendwann doch noch diesen exponentiellen Anstieg, den wir jetzt verhindern wollen, sobald genug Menschen den shutdown einfach nicht mehr richtig mitmachen.

Wir sind uns im Grund ja fast einig, denn eine zeitlich begrenzte Phase „genereller Shutdown“ befürworte ich auch.
Was wir im Moment machen, ist richtig, um eben die Zeit für das zu gewinnen, was du anführst.
Was ich politisch fordere ist, dass jetzt Perspektiven und Zeitschienen genannt werden, und nicht so getan wird, mit dem shutdown würde irgendwas gelöst.

Sollte ein Impfstoff tatsächlich in solcher Nähe sein, dann bin ich eindeutig für die gegenwärtige Strategie. Ich halte das aber für deutlich zu optimistisch.

Gruß
F.

Erste klinische Tests an Freiwilligen wurden vorgestern in den USA durchgeführt und auch in Deutschland ist man m.W. so weit, daß man zumindest einen Impfstoffkandidaten hat. Funktioniert er, ist alles weitere davon abhängig, wie weit man die Zulassungsverfahren lockert.

Nur nebenbei noch:
Auch die Niederländer:

„Neoliberalismus“ ist in der Diskussion ein wenig brauchbarer Reflex-Feindbild-Strohmann.
Ich denke, dass man es weit komplexer einordnen müsste.
Also ob es keine Form von Solidarität wäre, wenn fitte Menschen ihre Infizierung hinnehmen, um Gruppenimmunität zu erzeugen …

Gruß
F.

Wieso hältst Du den Begriff „Mord“ für unpassend?

Wenn Boris Johnson seine anfängliche Strategie weiter verfolgt hätte wäre es absehbar darauf hinaus gelaufen, dass viele Alte und chronisch Kranke sterben. Ein Motiv gäbe es auch: Das Pensions- und Gesundheitssystem würde langfristig entlastet und Geld wäre an Jüngere vererbt worden die eine höhere Konsumquote haben. Schon stünden die Staatsfinanzen besser da.

Das wäre so, als wenn ein mit dem Coronavirus Infizierter plötzlich täglich seine Erbtante besucht. Wenn die geplante Ansteckung beweisbar ist erfüllt es die Anforderungen für Mord.

Da Menschen keine Labormäuse sind kann man in der Praxis nicht einfach eine bestimmte Gruppe vom Rest isolieren.

Wäre überragend, wenn das bis Herbst klappt.

Auch hier übrigens wahrscheinlich ein Dilemma: Locker man die Zulassungsverfahren allzu sehr, dann gefährdet man damit den größten Teil der Bevölkerung, der von Corona selbst gar nicht groß gefährdet zu sein scheint. Ein Unding!
Lockert man sie zu wenig, wird die Impfung zu spät kommen.

Gruß
F.

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Weil er schlichtweg nicht passt.

Ein kleines Geheimnis: Es werden in D demnächst viele Alte und chronisch Kranke an Corona sterben.
Wer sind die Mörder?
Diejenigen Mörder, Zyniker oder Neoliberale zu nennen, die sich nicht für die Strategie „bestmöglicher Schutz der Alten und Kranken whatever the cost“ entscheiden, halte ich für völlig daneben. Es geht um die Abwägung von Alternativen, die letztlich alle auf unterschiedliche Art scheiße sind, um es salopp zu sagen.

Noch ein Geheimnis: Wir isolieren uns momentan in hohem Maß voneinander, um Ansteckungsketten zu unterbrechen. Wir machen es sehr unspezifisch, man kann es aber auch spezifischer machen. Alles nicht rest-, lücken- und risikolos. Völlig klar.

Gruß
F.

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Was wir aber ständig tun. Zum Beispiel käme kein vernünftiger Mensch auf die Idee, Autoverkehr komplett zu verbieten, weil es jedes Jahr 3000 Verkehrstote gibt. Was wir stattdessen tun, ist: Wir versuchen die Zahl der Toten zu minimieren und dabei gleichzeitig den Nutzen, den uns Verkehr bringt, zu erhalten. (Übrigens sehr erfolgreich, Anfang der 80er Jahre waren es 18.000 Verkehrstote.)

Das ist nichts anderes als eine Abwägung zwischen Leben und Nutzen, und sie ist gesellschaftlich vollkommen akzeptiert.

Maßnahmen zu ergreifen, mit der Corona eingedämmt wird, halte ich sehr, sehr wichtig. Die Frage, ob die negatven Konsequenzen eines Shutdowns den Nutzen nicht übersteigen, halte ich aber dennoch für legitim. Und die Konsequenzen eines Shutdowns sind ja nicht nur finanziell, sondern auch sozial.

Ich mache mir zum Beispiel gerade Sorgen um meine Mutter. Sie leidet an einer beginnenden Demenz, und die Erfahrung hat gezeigt, dass es zu deutlichen Schüben kommt, je weniger wir sie besuchen. Die Frage ist also, ob in ihrem Fall nicht der Schutz vor Corona mit einem Verlust an Gesundheit bezahlt wird.

Gruß,
Max

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Ungefähr so wie in dem von Dir verlinkten Artikel? Zitat:

Mit der Idee der Herdenimmunität will der Rechtsliberale Rutte monatelange Ausgangsbeschränkungen vermeiden, vor allem aber die wirtschaftlichen Kosten der Krise eindämmen. Das kommt gut an in einem Land, das wie Großbritannien eher utilitaristisch-pragmatisch denkt. Der Preis dafür, einige alte Menschen vor frühzeitigem Tod zu bewahren, sei außerordentlich hoch, sagte der Risiko-Experte Ira Helsloot in der Volkskrant: „In den Niederlanden gilt die Faustregel: Eine Investition von 60 000 Euro für ein gewonnenes gesundes Lebensjahr ist in Ordnung. Und wenn es teurer wird? Dann sind die Kosten größer als der Nutzen, einfach weil der Gesundheitszugewinn vergleichsweise gering ist.

Das finde ich nun wieder unterkomplex. Ich weiss ja nicht, wer außer dem „Risiko-Experten“ Helsloot in den Niederlanden diese angebliche „Faustregel“ sonst noch für gültig hält. Aber Triage nach einer Kosten- / Nutzungsrechnung zu betreiben (wer bewertet da wie den „Nutzen“ eines Menschenlebens?) hat mit Medizin nichts mehr zu tun und mit Medizinethik schon gar nichts. Das ist in der Tat Neoliberalismus pur, wenn man an Lebenszeit ein Preisschild hängt. Da ist die Zivilisationsdecke nicht nur dünn, sondern ausgesprochen fadenscheinig geworden.

Gruß,
Ralf

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Dass viele Menschen sterben ist unvermeidbar - aber wenn eine Strategie gewählt wird, die dafür sorgt, dass noch viel mehr Menschen sterben kann man das durchaus als Mord bezeichnen.

Das Virus kann für Stunden in der Luft überleben, für mehrere Tage auf bestimmten Materialien - bei den meisten Materialien weiß man vor allem noch nicht, wie lange das Virus darauf überlebt. Man weiß genau so wenig welche Faktoren dafür sorgen, dass das Virus evtl. noch länger auf bestimmten Materialien überleben kann. Wie soll sich die Gruppe der Alten und chronisch Kranken (die häufig auf Hilfe angewiesen ist) von anderen Menschen sowie Gegenständen und dazu noch möglicherweise infizierter Luft abschotten?

Wenn durch die derzeitigen Maßnahmen Zeit gewonnen werden kann gibt es gute Chancen, dass die Pandemie halbwegs glimpflich verläuft. Einen Schnelltest gibt es bereits - nur noch nicht in ausreichender Menge, Impfstoffe werden getestet, es gibt vielversprechende Experimente mit Antikörpern im Blut von ehemaligen Infizierten… Lange wird die Pandemie m.E. nicht mehr dauern - aber bis die Lösung da ist muss man die Neuinfektionen eben so stark einschränken wie möglich.

Das sehen einige Virologen anders. Oder, um präzise zu sein: Sie sehen die Wahrscheinlichkeit als äußerst gering an.

Gruß,
Max

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Es kann auch sein, dass diese Dreier- oder Vierergruppen Leute sind, die sowieso in einer Wohnung zusammenwohnen (WG oder so). Jedenfalls bei manchen kann das sein.

Grundsätzlich spricht doch nichts dagegen, draußen zu joggen?

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Das war ein SZ-Link.
Nachvollziehbar, dass die aus ihrer, grob, linksliberalen Perspektive das so betrachten.
Sie nennen in gleichem Atemzug aber auch eine andere/bessere Einordnung:

Aber ja, natürlich gehts bei diesen „Kosten“ des Shutdowns auch ganz zentral um wirtschaftlichen Kosten. Das sind aber nicht ausschließliche fehlende Gewinne für die Bonzen, sondern genauso Sorgen von irgendwelchen „kleinen“ Arbeitern, Angestellten (und Kleinunternehmern), wie sie künftig mit ihrem Kurzarbeitergeld Miete, Strom und anderen Fixkosten zahlen können.

Aus meiner Sicht gehts aber auch um enorme politische Kosten:

  • die massive Re-Nationalisierung der EU
  • schon wieder ein „Notstand“ (diesmal natürlich ein gerechtfertigter) nach dem Terror-Notstand und dem Klima-Notstand. So verreckt die Demokratie mehr und mehr.
  • krasser Ausdruck einer autoritaristischen Haltung: die Menschen verlangen (nicht ungerechtfertigt, aber es ergibt trotzdem ein bleibendes Muster) derzeit in Massen nach dem starken Staat und sogar nach Führerfiguren (der heilige Sebastian Kurz etwa derzeit), ersehnen die Beschränkung ihrer eigenen Bürgerrechte.
  • usw.

Und genauso die Kosten an individueller Lebensqualität.

Wenn du das als „neoliberal“ abtun willst, will ich dir das nicht weiter ausreden, zumal ich mich sowieso gerne als liberal sehe, meinetwegen auch mit neo-.
Ich finds aber dennoch eine falsche oder zumindest sehr verkürzte Etikettierung.

Gruß
F.

Dass das vermutlich nicht korrekt ist, wurde schon gesagt.

Wenn dein Optimismus zutrifft, dass bald gute Tests und Impfstoffe zu Verfügung stehen werden, und deshalb die Pandemie nicht lange dauern wird (nicht länger als bis zum Herbst etwa), dann bin ich sowieso ganz klar auf der Seite der „genereller shutdown“-Strategie.
Ich würde mich auf diesen Optimismus aber nicht verlassen wollen.
Was machst du denn, wenn sich zeigt, dass diese „technischen Lösungen“ (Tests und Impfstoffe) doch nicht so gut klappen wie erhofft?
Shutdown-Strategie ändern oder stur durchziehen?

Gruß
F.