Da bin ich am Anschlag

Folgender Satz von Peter L. Oestereich bringt mich zur Verzweiflung:

" Die Platonkritik Ciceros erbrachte den Hinweis auf das grundsätzliche metakritische Retorsionsargument aus der strukturellen Rhetorikaffinität philosophischer Redetexte und die Unterscheidung zwischen den inhaltlich rhetorikpugnanten und den rhetorikaffinen Philosophemen."

Was heisst das im Klartext?

Philosophie und Rhetorik
Hallo,

Folgender Satz von Peter L. Oestereich bringt mich zur
Verzweiflung:
„Die Platonkritik Ciceros erbrachte den Hinweis
auf das grundsätzliche metakritische Retorsionsargument aus der
strukturellen Rhetorikaffinität philosophischer Redetexte
und die Unterscheidung
zwischen den inhaltlich rhetorikpugnanten
und den rhetorikaffinen Philosophemen.“
Was heisst das im Klartext?

die Unterscheidung zwischen „Philosophie als sachlicher Auseinandersetzung mit der Ziel der Wahrheit“ (Überzeugung durch richtige Argumente) und „Philosophie als Rhetorik im Sinne einer Überzeugungsargumentation im Dienste einer wahrheitsfremden Sache“ (Überzeugung durch Austricksen auch mittels falscher Behauptungen) bezieht sicht auf verschiedene Arten zu philosophieren, eine Art nahe an der Rhetorik und eine Art fern der Rhetorik. Man kann also auf zwei Weisen philosophieren: nichtrhetorisch und rhetorisch. Das hat Cicero als Erster bemerkt bzw. kann seinen Texten diese Unterscheidung entnommen werden. (Das war der zweite Teil des Zitats.)

Nun kann kritische, also nichtrhetorische Philosophie meta-kritisch betrachtet werden (also eine Kritik, die sich auf die kritische Philosophie richtet). Diese Anwendung der kritischen Philosophie auf sich selbst führt dazu, zum Nachweis, dass eigentlich jede Philosophie in einem praktischen (wahrheitsunabhängigen) Dienst steht. Damit kann man der kritischen Philosophie nachweisen, dass auch sie interessegebunden ist. Auch das hat Cicero durch seine Platonkritik entdeckt.

Fazit: Denjenigen, die kritische Philosophie meinen zu treiben, kann mit Cicero durch Anwendung von deren eigenen Waffen gezeigt werden, dass auch sie nur meinen, unabhängig zu philosophieren, tatsächlich aber ihren eigenen Interessen unterliegen, ohne es selbst zu merken. Es soll also gezeigt werden, dass Philosophie im Grunde nichts anderes als Rhetorik ist, die sich nur den Anstrich von Wahrheit gibt.

Quod erat dubitandum! Denn erstens wiederspricht die erste Entdeckung Ciceros der zweiten, und zweitens ist die These Ciceros deswegen falsch, weil man - bezieht man wie er seine Kritik auf sein Argument - nachweisen kann, dass das was er sagt, nicht unbedingt die Wahrheit ist bzw. eigentlich nicht die Wahrheit sein kann, weil es die Wahrheit gar nicht gibt.

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Rhetorisches
Schön gemacht - diese Übersetzung des rhetorischen Monsters von P. Oestereich, und auch die Darstellung über Cicero selbst.

Zuzufügen wäre vielleicht noch, daß Cicero der kritischen Philsophie gerade auch die Aufgabe und die Fähigkeit zukommen läßt, die Rhetorik (und die damit verbundenen argumentativen Techniken des Über-den-Tisch-Ziehens) als eben solche zu entlarven.

Und weiter - bezogen auf den Wahrheitsbegriff - ordnet er der kritischen Philosophie statt der (Aufgabe der) Wahrheits findung die (Aufgabe und Fähigkeit der) Wahrheits suche zu.

Der zitierte Satz ist übrigens beides zugleich: Als philosophiehistorische Reflexion eine philosophische Aussage und zugleich auch ein rein rhetorischer Trick: Sich durch abartigen Fremdwortgebrauch den distanzierten Respekt, die Aufmerksamkeit und die Anerkennung von Lesern erschleichen zu wollen. Manchen (eben dadurch populär gewordenen) Philosophen gelingt das ja offenbar sogar.

Gruß
Metapher

Jargon
Hallo Metapher,

Der zitierte Satz ist übrigens beides zugleich: Als
philosophiehistorische Reflexion eine philosophische Aussage
und zugleich auch ein rein rhetorischer Trick: Sich durch
abartigen Fremdwortgebrauch den distanzierten Respekt, die
Aufmerksamkeit und die Anerkennung von Lesern erschleichen zu
wollen. Manchen (eben dadurch populär gewordenen) Philosophen
gelingt das ja offenbar sogar.

im Studium nannten wir das „Soziologenjargon“ in Anspielung auf Habermas und Luhmann (die ich erst nach dem Studium wirklich schätzen gelernt habe - trotz der bestehen gebliebenen Kritik) und als Retourkutsche für die Bezeichnung Adornos „Jargon der Eigentlichkeit“ für die Philosophie Heideggers (die ich schon im Studium höchst interessant fand und immer noch finde).

By the way: Es gibt irgendwo einen Text von Popper, wo er einen Text von Adorno in einfache Sprache „übersetzt“ und damit zeigen will, dass dessen Sprache nur aufgebläht ist. Weiß jemand, wo der Text zu finden ist? Ich meine, ihn irgendwo im Rahmen des Positivismusstreites gelesen zu haben, weiß aber nicht mehr wo und habe die Bücher auch nicht zur Hand.

Zuzufügen wäre vielleicht noch, daß Cicero der kritischen
Philsophie gerade auch die Aufgabe und die Fähigkeit zukommen
läßt, die Rhetorik (und die damit verbundenen argumentativen
Techniken des Über-den-Tisch-Ziehens) als eben solche zu
entlarven.

Da ist doch der Jargon mit mir durchgegangen. Es liegt mir fern, Cicero des reinen Rhetorikertums zu zeihen. Je mehr ich von ihm lese, umso beeindruckter bin ich, in welcher Weise er sich (in seinen philosophischen Texten natürlich) von den (damals üblichen) rhetorischen Elementen des Denkens entfernt.

Schön gemacht - diese Übersetzung des rhetorischen Monsters
von P. Oestereich, und auch die Darstellung über Cicero
selbst.

Der Autor bedankt sich.

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Habt herzlichen Dank.Dem, was Metapher über den rhetorischen Trick schreibt, kann ich nur zustimmen. Für mich war’s ein Versuch, auf fremden Weiden zu grasen…
Grüsse
Mäni