Das bedrohte 'Ich'

Hallo,

nachdem ich neulich hier so gute Antworten zum Thema „Identität“ bekam, habe ich jetzt eine Folgefrage:

Grundsätzlich nehme ich jetzt mal an, dass „ich“ „ich“ bin, solange ich mich wahrnehmen kann. Aber das wäre ja ziemlich wenig. Um diesen Kern herum müssen wir uns ja irgendwie „bauen“, ich stelle mir das in Schichten vor: Es gibt Dinge, die wesentlicher für das „ich“ sind und Dinge, die weniger zentraler sind. Blödes Beispiel: Meine Haarfarbe. Wenn ich in den Spiegel blicke, erwarte ich, dass meine Haare die Farbe haben, die sie immer haben. Wenn sie nun anders aussehen würde, wäre das zwar eine Überraschung, aber ich würde mich davon nicht in meinem „Ich-Sein“ bedroht fühlen. Wenn jetzt hingegen z.B. meine Eltern mir mitteilen würden, dass sie gar nicht meine Eltern sind, wäre ich wesentlich erschütterter.
Wie aber ist das mit Dingen, die eher „Glaubensfragen“ betreffen?
Nehmen wir die Generation, die damit aufwuchs „der Jugend Soldaten“ zu sein. Da haben ja viele wirklich enorm dran geglaubt, waren auch bereit, dafür zu sterben und hielten sich einfach aufgrund ihres Blutes für überlegen. Und plötzlich war es damit vorbei. Was passiert, wenn so eine zentrale Grundannahme einfach wegfällt? Zumal es ja hier noch um Schuld geht.
Aber es gibt ja auch andere denkbare Beispiele: Den Glauben an Gott, das Gute im Menschen oder was auch immer verlieren.
Wie baut das „Ich“ so etwas ein oder um?

Vielen Dank schon einmal für Hinweise!

Hallo Karlsson,

das ist ein wirklich interessanter Gedankengang.
Um jetzt bei deinem Beispiel der „Jugend Soldaten“ zu bleiben…
Ich denke, dass bei solchen „Zusammenbrüchen des Weltbildes“ bzw. des Bildes über einen Selbst, die Persönlichkeit stark gestört wird. Dies kann sich z.B. in psychischen Traumata äußern, welche es in der Nachkriegszeit ja auch zu Genüge gab. Desweiteren könnte ich mir vorstellen, dass viele Menschen solch eine Erkenntnis, aufgrund ihrer emotionalen Last, gar nicht erst zulassen und somit verdrängen und fundamentalistisch an ihrer Meinung beharren.
Aber dies ist nur meine laienhafte Meinung dazu, die genauen psychischen Vorgänge, kann ich dir leider nicht erklären.

Gruß,
Scarface

‚Zukunft Soldaten‘, natürlich
Hallo,

ich bin mir eben gerade nicht sicher, ob diese Generation ein gutes Beispiel ist: Zum Einem war das ja eine „Massensituation“, zum Anderem so eng verknüpft mit Schuld, dass ich, laienhaft, annehme, dass hier andere Mechanismen zum Einsatz kommen. Es ist zweifellos ein sehr interessantes Themenfeld, aber eben zu sehr auf kollektiver Ebene.

Viele Grüße

Moin,

Grundsätzlich nehme ich jetzt mal an, dass „ich“ „ich“ bin,

da es hier nicht die Philosophie sondern die Psychologie ist, die sich den biologischen Erkenntnissen immer weniger entziehen kann, kann man diesen Satz so nicht stehen lassen.

„Das Ich“ gibt es nicht. Es ist keine feste Größe wie z.B. die Leber. Am ehesten kann man noch sagen es ist ein Ergebnis komplexer Vorgänge im Gehirn
‚Wahrnehmung‘ ist nur eine Voraussetzung, ein weiterer wichtiger Schritt ist Bewusstsein. Und was genau Bewusstsein ist, wo es ‚lokalisiert‘ ist und wie und warum es genau erzeugt wird ist noch nicht bekannt. Daran wird geforscht. Stichpunkt ist hier z.B. ‚Neuronale Korrelate‘

… Um diesen Kern herum müssen wir uns ja irgendwie
„bauen“,

Genau diesen ‚Kern‘ gibt es nicht.

Die meisten Menschen erleben in ihrem Leben Situationen in denen sie, ich nenne es mal ‚neu positionieren‘ müssen. Etwas, das einen Großteil der Identität ausgemacht hat fällt aus unterschiedlichen Gründen weg. Man erkennt, dass es unter falschen Voraussetzungen gehandelt und gedacht hat oder die Voraussetzungen ändern sich und man muss sich darum anders definieren. Das kann z.B. auch beim Verlust eines wichtigen Menschen passieren - die Art wie dieser Mensch einem gesehen hat fällt weg. Aber egal was der Grund ist - letztlich findet eine Art der Trauer statt. Die beinhaltet idR auch eine Suche im besten Fall endend mit einer Neupositionierung.

Wie baut das „Ich“ so etwas ein oder um?

Wie schon gesagt - da es ‚das ICH‘ nicht gibt gar nicht.
Neurologisch geht es im Prinzip um ‚verlernen‘ und ‚neu lernen‘ und vieles spricht dafür, dass es um den Ab und Aufbau von Synapsen geht. Daher braucht es Zeit und manchmal Hilfe

Interessante Lektüre dazu:
Precht: Wer bin ich und wenn ja wie viele
Metzinger: Der Egotunnel
Joseph LeDoux: Das Netz der Persönlichkeit. Wie unser Selbst entsteht
…lux

Hallo,

vielen Dank! Durch eifriges Googlen konnte ich nun ermitteln, dass ich offensichtlich eher an „Selbst-Konzept“ dachte. Mit diesem Begriff konnte ich dann gut weitersuchen.

Viele erhellte Grüße!

Habe mir beim Lesen deiner Frage auch gedacht, dass du da Begriffe durcheinander bringst. Das Ich-Empfinden/Bewusstsein und das Selbst-Konzept. „Ich bin ich“ und „wer ich bin“, also die eigene Persönlichkeit.

Auf das Ich-Bewusstsein bezogen stellt sich die Frage woher das kommt. Bei einem Kleinkind entwickelt sich das Gehirn bis es anfängt etwas auf sich selbst zu beziehen. Es benutzt dann Aussagen wie „MEIN Teddy“ oder Ähnliches. Das ist eigentlich nur eine Gehirnleistung die zulässt sich selbst als Individuum zu erkennen. Und wie bei unserer gesamten (sinnlichen) Wahrnehmung, ist auch hier anzunehmen, dass uns unser eigenes Gehirn veräppelt.

Ähnlich ist das wohl auch beim Selbst-Konzept. Menschen begehen furchtbare Fehler und scheitern oft, aber in der Regel akzeptieren sie dieses Scheitern als Teil ihrer Persönlichkeit. Sehr oft antwortet Jemand auf die Frage, „was er tun würde, wenn er in die Vergangenheit zurück reisen könnte“ mit: „Ich würde alles nochmal genauso machen.“. Das ist objektiv betrachtet eigentlich totaler Blödsinn. Es wäre unlogisch nochmal die gleichen Fehler zu machen wenn man genau weiss, welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Aber weil es natürlich nicht möglich ist die Zeit zurück zu drehen um etwas anders zu machen, sieht man sein Fehlhandeln als einzige, und daher einzig richtige Möglichkeit.

Hi!

„Das Ich“ gibt es nicht. Es ist keine feste Größe wie z.B. die
Leber. Am ehesten kann man noch sagen es ist ein Ergebnis
komplexer Vorgänge im Gehirn

Ja, wat denn nu?
Es ist nicht …
Es ist …

E.T.

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Ja, aber wäre beim Ich-Bewusstsein nicht schon mal als unterste Stufe, mich darüber zu definieren, dass ich begrenzt bin im Sinne von „nicht du“, bzw. nicht die Gabel in meiner Hand? Das scheint ja recht primitiv, aber Babys z.B. scheinen das ja noch nicht wirklich zu verstehen.
Scheitern meinte ich übrigens nicht unbedingt, weil das ja gewissermaßen voraussetzt, dass man zu irgendeinem Zeitpunkt die Handlungsmacht hatte. Wenn ich jetzt z.B. mir in den Kopf setzen würde, es wäre mein Schönstes und wahnsinnig wichtig, eine Karriere an der Oper zu starten (ich kann nicht singen) und scheitere daran, so wäre dies ja nicht geschehen, hätte ich durch mein Handeln nicht die Voraussetzungen geschaffen.
Mir ist ein Beispiel eingefallen:
Eine junge Frau wurde fälschlicherweise mit einer unbedingt tödlich verlaufenden Erbkrankheit diagnostiziert und wuchs so in dem Glauben, ihre Lebenszeit sei ausgesprochen begrenzt auf. Irgendwann kam dann raus, dass die Diagnose eben falsch war. Die junge Frau war nun, zumindest eine Zeitlang, komplett am Ende, weil sie sich ja sozusagen selber umbauen musste. Hier hatte sie ja nie Handlunsghoheit, sie musste von den vermeintlichen Voraussetzungen ausgehen und das in ihr Selbst-Konzept/Idenität/was auch immer einbauen und es wurde dann ein zentraler Bestandteil (wahrscheinlich schon rein praktisch).

Viele Grüße

Das eine ist es nicht, das andere noch eher. Was du machst ist einzelne Worte aus dem Zusammenhang reißen um meine Aussage lächerlich zu machen - vielleicht weil du sie nicht verstehen kannst oder sie mit deinem Weltbild nicht zusammenpasst.
Es ist kein logischer Widerspruch zu sagen ‚Etwas ist das nicht‘, am ehesten ist es noch das. In dem Fall: es ist kein Ding, eher ein Ergebnis eines Komplexen Vorgangs. Wobei ‚das Ergebnis‘ kein ‚Ding‘ ist.
Da fallen mir z.B. positive und negative Regelkreisläufe ein. Aber das geht hier zu weit.
Wen’s interessiert, Stichpunkte sind ‚Kybernetik, Selbstregulation, komplexe Netzwerke und neuronale Netze‘

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Hi!

Was du machst ist
einzelne Worte aus dem Zusammenhang reißen um meine Aussage
lächerlich zu machen - vielleicht weil du sie nicht verstehen
kannst oder sie mit deinem Weltbild nicht zusammenpasst.

Sag mal, hast du damit jetzt nicht extrem überreagiert?

Es ist kein logischer Widerspruch zu sagen ‚Etwas ist das
nicht‘, am ehesten ist es noch das. In dem Fall: es ist kein
Ding, eher ein Ergebnis eines Komplexen Vorgangs. Wobei ‚das
Ergebnis‘ kein ‚Ding‘ ist.

In dieser nun modifizierten Form: „Das Ich ist kein Ding, evtl. ist es ein Ereignis“ ist in der Tat kein Widerspruch mehr zu erkennen.

E.T.

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Hallo,

wieso nun Ereignis? ich dachte, Ergebnis?
Und auch wenn ein Ergebnis kein „Ding“ sein muss, so ist es doch etwas klar abgegrenztes: Es ist etwas, weil es etwas anderes nicht ist.
Und wenn es nicht IST, so WIRD es.
Vielleicht sollten wir es uns einfach machen uns das ganze einfach „Seele“ nennen.

Viele Grüße

wieso nun Ereignis? ich dachte, Ergebnis?

Oh, entschuldige, das war ein Buchstabenverdreher.