Hallo!
Vielleicht bringt folgendes Gedächtnisprotokoll der Gemeinderatssitzung von gestern etwas Aufhellung:
Bürgermeister (im Hauptberuf Beamter) eröffnet die Sitzung. Genehmigung des Protokolls der letzten Sitzung. Abstimmung usw. Sodann der nächste Tagesordnungspunkt. Zusammenlegung mit Nachbargemeinden. Welche sollen’s denn sein? Es gibt keinen Zwang von oben, die Gemeinden sind bei solchen Entscheidungen autark. Das Problem sind gerade mal 4500 Einwohner auf 150 qkm mit unübersehbarer Abwanderungstendenz. Man könnte Ämter zusammenlegen. Alle sind sich einig, daß es dadurch auf keinen Fall Einsparungen geben wird, denn für jedes Sachgebiet braucht man einen Leiter und 2 Stellvertreter. In der alten Amtsstruktur sei die Personaldecke zu dünn, heißt es. Außerdem stünden viele vor der Pensionierung, so daß bald Personalmangel herrschen wird, sagt der Bürgermeister (Anm: Viele der Mitarbeiter haben buchstäblich nichts zu tun und sitzen herum. Mc Pomm hat heute die bundesweit üppigste Verwaltung ).
Nächster Tagesordnungspunkt: Die Wohnungsgesellschaft, in der die Gemeinde Gesellschafter war und einen Aufsichtsrat stellte, ist pleite. Die Gemeinde hatte Kredite verbürgt und die Banken wollen nun Geld vom Dorf sehen. Wie sich herausstellt, hatte die Wohnungsgesellschaft 14 Mitarbeiter. Jeder fuhr ein Firmenfahrzeug und bezog ein Gehalt, das sehr deutlich über dem Gehalt ähnlicher Gesellschaften in Hamburg oder München lag. Außerdem wäre die Verwaltung mit 4 statt 14 Mitarbeitern schon üppig besetzt. Von den Aufsichtsräten hat keiner was bemerkt. Der Bürgermeister betont, man könne ihm keinen Vorwurf machen, weil er zwar Aufsichtsrat war, aber von solchen Sachen nun mal nichts verstehen würde. Allgemeines zustimmenden Gebrummel.
Nächster Tagesordnungpunkt: Die Gemeinde hatte in den vergangenen Jahren mit einigen hunderttausend Mark ein Baudenkmal saniert. Das Gebäude sollte als Gemeindezentrum genutzt werden. Erst später fiel auf, daß das überhaupt nicht geht, denn das Gebäude wurde stilgerecht wieder so hergestellt, wie es vor 100 Jahren gebaut wurde, also keine Isolierungen, Stahlfenster, außen aufschlagende Tore. Man kann dort vielleicht Schafe unterstellen, für den Daueraufenthalt von Menschen ist das Gebäude ungeeignet. Es gibt weder Wasser- noch Abwasseranschluß, natürlich keine Sanitäranlagen etc. Das Gebäude steht deshalb leer. Es fehlt ein Nutzungskonzept. Nun gilt es, 15.000 Euro aus einem Strukturfond auszugeben. Irgendwie war allen klar, daß das Geld in diesem Haus verbaut werden soll. Der Einwurf eines Besuchers der Sitzung, daß man erst ein Nutzungskonzept braucht, bevor man weiteres Geld verbaut, brachte diesem nicht Redeberechtigten böse Blicke ein. Immerhin wurde die Entscheidung über das Geld auf die nächste Sitzung vertagt (vielleicht in der trügerischen Hoffnung, die nächste öffentliche Sitzung wie meistens ohne Besucher abhalten zu können). Vielleicht braucht man ja doch mehr Geld für die Reparatur des Schützenhauses und das Problem würde sich dann erledigen.
So ging es weiter über alle Tagesordnungspunkte. Stundenlang verplempert ein gutwilliges, aber ahnungsloses Gremium aus Lehrern und Verwaltungsleuten das bißchen Geld der Gemeinde und achtet darauf, daß Gebiets- und Verwaltungsreformen in Aktionismus ohne Spareffekt enden.
Politik wird in Berlin, in den Land- und Kreistagen gemacht. Aber ganz wesentlich wird Politik zum Anfassen in den Gemeinden geprägt. Ob sich Gewerbe ansiedelt, die Gegend vergammelt, wo, ob und in welchem Zustand Schulen erhalten bleiben und vieles mehr wird vor Ort entschieden. Vor Ort sitzen aber in erster Linie Verwaltungsleute mit 2 linken Händen, mehrere Lehrer und noch der eine oder andere Angestellte oder Rentner. Alles Leute, die ihr Geld automatisch am Monatsende zugeteilt bekommen. Wirtschaftlicher Sachverstand und Gestaltungskraft ist nicht vorhanden. Beim Tagesordnungspunkt „Dorffest zur Einweihung der neuen Bahnunterführung“ kommt Leben in die Bude. Das wird mit allem Drum und Dran organisiert, Festausschuß, Stellvertreter - das hat man gelernt.
In den Gemeinden wird letztlich die ganze Republik geprägt, viel unmittelbarer, als dies Berlin je könnte. Die ehrenamtliche Arbeit verschlingt viel Zeit und wird überwiegend von Mitarbeitern des öD erledigt. Das ist lobenswert und verdienstvoll, aber gleichzeitig eine der größten Schwächen in diesem Land. Der selbständige Tischlermeister steht abends in der Werkstatt oder sitzt am Schreibtisch und erstellt Angebote. Der hat keine Zeit, sich ins Bürgerbüro zu setzen. Dieser Mann mit wirtschaftlichem und handwerklichem Sachverstand würde ohne Plan und Nutzungskonzept keinen Handschlag an einem Gebäude machen. Das kriegen nur Verwaltungsleute fertig. Denen ist der Unterschied zwischen einer Stall- und einer dicht schließenden Haustür nicht von alleine klar. Diese Leute können nur wenig von dem, über das sie zu befinden haben, beurteilen. Es fehlen in allen Gremien und auf allen Ebenen von der Gemeinde bis zum Bund der technische und wirtschaftliche Sachverstand. Wir lassen von Germanisten, Religionslehrern und Verwaltungsjuristen regieren. Solche Leute sind mit Sachentscheidungen überfordert und kommen nur so lange klar, so lange das sinnlos verplemperte Geld nicht auffällt.
Unser Problem ist eine weitgehend inkompetente politische Kaste. Es müssen sich viel mehr Bürger mit praktischem, technischen und wirtschaftlichem Sachverstand politisch unmittelbar betätigen. Das beginnt auf Gemeindeebene und braucht für die weitere Durchdringung viele Jahre. Bis dahin sitzen an tausenden Entscheidungsstellen und in tausenden Aufsichtsräten Leute, die nicht den Schatten einer Ahnung von dem haben, über das sie befinden oder wachen sollen.
Gruß
Wolfgang