Das Maß des Menschen

Gibt es für den Menschen ein Maß? Oder für jeden ein eigenes? Welche Menschenmaße sind gesellschaftlich gängig? Wie verhält sich das Menschenmaß zum Menschenrecht, zum Menschenbild, zur Bestimmung des Menschen?

Wird es eines Tages nur noch „Maß-Menschen“ geben (Menschen nach einem gewünschten Maß)?

Kommt der Mensch seinem Maß am nächsten, wo er sich mäßigt? Was heißt das: sich mäßigen?

Wie geht man das Thema „Maß des Menschen“ philosophisch am besten an?

Hallo,

wenn’s weiter nichts ist … Aber einen guten Anfang hast du ja gemacht.

Wie geht man das Thema „Maß des Menschen“ philosophisch am
besten an?

Man liest darüber.

Literatur:

  • Koch, H.-A.: Homo mensura. Studien zu Protagoras und Gorgias;
    Diss. Tübingen 1970

als Einstieg vielleicht:

  • Neumann, A.: Die Problematik des Homo-mensura-Satzes (Aufsatz von 1938); in: Classen: Sophistik (70er Jahre, genaue Angaben habe ich im Moment nicht)

Gruß

Thomas Miller

‚Maß des Menschen‘
Hallo, Thomas Miller!

Ich frage nicht nach dem „Maß aller Dinge“, sondern eben nach dem „Maß des Menschen“. Mich interessiert nicht „der Mensch als Maß“, sondern „der Mensch als Gemessenes“. Was ist für den Menschen, für das Menschsein maßgebend? Dazu mag dann auch der Gesichtspunkt gehören, wie der Mensch dazu kommt, sich als Maß aller Dinge zu verstehen - was möglicherweise eine Vermessenheit darstellt. Immerhin stellte Platon die Gegenthese auf: „Der Gott ist das Maß aller Dinge.“

Leo Allmann

Gibt es für den Menschen ein Maß? Oder für jeden ein eigenes?

Starke Frage, Leo, gratuliere! Der Mensch als „Maß(stab) aller Dinge“, das ist ja ein alter Topos. Aber welcher Maßstab belehrt uns über uns selbst? sagt uns, was/wieviel wir brauchen, um unser Maß zu erfüllen, es nicht zu unter- oder überschreiten?

Unter seinen Möglichkeiten bleiben, nichts zu nehmen und zu genießen wagen einerseits, - nichts auslassen wollen, immer Neues mitnehmen und möglichst niemals sich durch Wahl definieren auf der anderen Seite: zwischen diesen Abgründen gratwandern wir durchs Leben…

Damit ist deine Frage natürlich nicht beantwortet. Ich unterstreiche nur ihre Dringlichkeit.

A.

Hallo,

ich versuch’s gern noch einmal.

Gibt es für den Menschen ein Maß? Oder für jeden ein eigenes?

Wenn es für den Menschen ein Maß geben soll, dann gibt es nicht für jeden ein eigenes. Wenn es für jeden ein eigenes gibt (Relativismus), dann gibt es für den Menschen keines.

Die Gottesfrage bei Platon lasse ich hier erst einmal außer acht. Darüber müsste man gesondert diskutieren. Aber gerade von Platon leiten sich doch die Kardinaltugenden ab, unter anderem Besonnenheit, die Selbstbeherrschung und Maßhalten umfasst und von der Gerechtigkeit als Gesamttugend umgriffen wird.

Welche Menschenmaße sind gesellschaftlich gängig?

Diese Frage ist für die Frage nach dem Prinzip des Maßes eigentlich irrelevant, weil die Gesellschaft eben nicht das Maß sein kann, da sie variiert. Das Maß des Menschen kann - auch nach Platon - nur die Vernunft sein. Innerhalb dieser Vernunft gibt es einen Spielraum, den man Angemessenheit nennt. Dieser richtet sich nach der Ausformung der Vernunft in den einzelnen Menschen (Literatur: Klaus Günther, Der Sinn für Angemessenheit, 1988). Das Maß ist also die Anmessung eines gegebenen Maßes, des Ideals, an die Gegebenheiten.

Wie verhält sich das Menschenmaß zum Menschenrecht,

Menschenrecht ist es, das Menschenmaß an sich anwenden zu dürfen.

zum Menschenbild, zur Bestimmung des Menschen?

Eine Antwort auf die Frage, wie sich das Menschenmaß zum Menschenbild und zur Bestimmung des Menschen verhält, wäre ziemlich umfangreich, weil sie einen Großteil der Disziplin „Anthropologie“ beansprucht.

Wird es eines Tages nur noch „Maß-Menschen“ geben (Menschen
nach einem gewünschten Maß)?

Das ist die Gefahr (Stichwort Gentechnik), wenn sich die Philosophie die Bestimmung des Maßes (in der Vernunft) von Medizinern oder anderen aus der Hand nehmen lässt.

Kommt der Mensch seinem Maß am nächsten, wo er sich mäßigt?

Nicht seinem Maß, sondern dem Maß!

Was heißt das: sich mäßigen?

„Jeder Sachkundige meidet das Übermaß und das Zuwenig und sucht nach dem Mittleren, das er wählt, allerdings nicht das rein quantitativ Mittlere, sonder das Mittlere in Beziehung auf uns.“
(Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1106b)

„Unter dem Mittleren eines Dinges verstehe ich dasjenige, was von beiden Ende aus betrachtet denselben Abstand hat und für alle Menschen eins und dasselbe ist. Mittleres in Beziehung auf uns ist hingegen das, was weder zu viel ist noch zu wenig: dies jedoch ist nicht eins und dasselbe für alle.“
(Ebd.)

Ich habe gelesen, dass du VHS-Kurse in Philosophie gibst. Ich habe gerade die Bücher 1-3 der NE für meinen laufenden Kurs über Freiheit zugrunde gelegt.

Gruß

Thomas Miller

Hallo,

ja aber legt den nicht jeder Mensch letztlich sein Maß selber fest? Ich messe mich an meinen eigenen Ansprüchen und moralischen Wertvorstellungen, woran sonst?
Das die zum großen Teil anerzogen oder auch einfach übernommen sind, ist eine andere Sache. Denn im Endeffekt baue ich mir im Kopf doch aus den verschiedenen Bruchstücken mein eigenes Bild, an dem ich mich messe.
Inwieweit das Ganze dann von der Gesellschaft anerkannt oder toleriert wird, ist eine andere Frage.

Und letztlich: Natürlich spielt da die mich umgebende Gesellschaft eine Rolle, und die verändert sich ja ständig. Auch die allgemeinen grunsätze der alten Griechen mußten ja erst einmal aufgestellt werden und sie müssen gesellschaftlich auch erst einmal akzeptiert werden.
Nach meiner Meinung braucht ein Maß einen Festpunkt, sonst geht es nicht. Aber dieser Punkt kann nur durch gesellschaftliche Übereinkunft entstehen und wenn sich die Gesellschaft ändert… dann verrutscht eben auch der Punkt.

Gernot Geyer

Hallo Gernot,

ja aber legt den nicht jeder Mensch letztlich sein Maß selber
fest? Ich messe mich an meinen eigenen Ansprüchen und
moralischen Wertvorstellungen, woran sonst?

doch, doch, da hast du natürlich Recht. Die Frage ist ja nur, ob er das berechtigt tut, also ob es irgendeinen Maßstab gibt, der nicht ignoriert werden darf bei dieser Einschätzung.

Es gibt solche Maße schon, die immer gültig sind, zum Beispiel die logischen Gesetze, der Satz vom Widerspruch oder der Satz vom ausgeschlossenen Dritten.

Warum verurteilen wir z. B. diejenigen, die in der Zeit zwischen 1933 und 1945 Dinge getan haben, von denen sie heute nichts mehr wissen wollen? Weil sie sich selbst widersprechen, indem sie ihre Taten relativieren. Jemanden, der diese Taten zugibt, aber sagt, dass es ihm Leid tut, ist für uns in der Regel glaubwürdiger als jemand, der sich an nichts erinnern kann oder will.

Das die zum großen Teil anerzogen oder auch einfach übernommen
sind, ist eine andere Sache. Denn im Endeffekt baue ich mir im
Kopf doch aus den verschiedenen Bruchstücken mein eigenes
Bild, an dem ich mich messe.

Auch hier sind die extremen Beispiele des 3. Reiches vielleicht hilfreich. Jemand der heute behauptet, was damals Recht war, könne heute kein Unrecht sein (z. B. Filbinger), zeigt, dass er den eigenen Maßstab zu sehr in den subjektiven Bereich verlegt hat. Denn selbstverständlich war das, was damals getan wurde, nicht etwa rechtens, sondern es entsprach nur den zu dieser Zeit bestehenden Gesetzen (und auch das nicht immer). Um die damaligen Taten zu rechtfertigen (mit seinem eigenen Maßstab) müsste man schon einen sehr extremen Rechtspositivismus einnehmen, der davon ausgeht, dass es Unsinn ist, von einem Naturrecht oder etwas Ähnlichem auszugehen.

Und letztlich: Natürlich spielt da die mich umgebende
Gesellschaft eine Rolle, und die verändert sich ja ständig.
Auch die allgemeinen grunsätze der alten Griechen mußten ja
erst einmal aufgestellt werden und sie müssen gesellschaftlich
auch erst einmal akzeptiert werden.

Was du hier ansprichst ist ganz richtig, es ist das Problem der Unterscheidung von „Genesis und Geltung“, von Entstehung und Bedeutung von Gesetzen. Es gibt aber - wie gesagt - Dinge, die gelten unabhängig von ihrer Entstehung. Banales Beispiel: 1+1=2, egal auch welche Weise ich diesen Satz gelernt habe.

Nach meiner Meinung braucht ein Maß einen Festpunkt, sonst
geht es nicht. Aber dieser Punkt kann nur durch
gesellschaftliche Übereinkunft entstehen und wenn sich die
Gesellschaft ändert… dann verrutscht eben auch der Punkt.

Das ist wieder das Problem, ob man die Handlungen vor 1945 mit den Maßstäben danach messen darf oder nicht. Oder ob man die Verhältnisse in der DDR mit den Gesetzen der BRD bestrafen darf.

Der Festpunkt ist - meiner Ansicht nach - zwar ein Festpunkt, den man aber nur innerhalb einer gewissen Spanne festlegen darf. Über diese Spanne hinaus ist der Festpunkt verwerflich.

Mir fällt gerade noch ein Beispiel aus der modernen Philosophie ein: die Transzendentalpragmatik von Karl-Otto Apel. Apel behauptet, dass man innerhalb einer Diskussion logisch-pragmatisch gezwungen ist, den anderen als gleichwertigen Diskussionspartner Ernst zu nehmen („neue deutsche Rechtschreibung“, sorry). Wenn man dies nicht mehr tut, verlässt man die Basis der Diskussion und verliert selbst den Anspruch darauf, Ernst genommen zu werden. Das wäre zum Beispiel so ein objektiver - oder wenn man will: intersubjektiver - Maßstab, den man nicht leugnen kann, ohne unglaubwürdig zu werden.

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Mehrdimensionales
Hallo Thomas Miller!

Danke für die Hinweise und Statements! In Deinem „nochmaligen Versuch“ schreibst Du zu Beginn - und darauf will ich mich erst einmal beschränken:

„Wenn es für DEN Menschen ein Maß geben soll, dann gibt es NICHT für jeden ein eigenes. Wenn es für jeden ein eigenes gibt (Relativismus), dann gibt es für DEN Menschen keines.“

Das klingt logisch, will mir aber nicht einleuchten. Was spricht dagegen, dass es ein allgemeines Maß für DEN Menschen UND AUSSERDEM für JEDEN ein besonderes gibt? Wie heißt es doch so schön: „Keine Regel ohne Ausnahme“! Könnte es nicht sein, dass gerade im Falle des Menschen sowohl dem Allgemeinen als auch dem Besonderen (der „Regel“ wie der „Ausnahme“) Rechnung zu tragen ist?

Das Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen, um das es hier doch wohl geht - oder denkst Du an ein anderes? - muss nach meinem Verständnis weder ein strikt einschließendes noch ausschließendes, sondern kann durchaus auch ein ergänzendes - sozusagen föderatives - sein.

Gewiss gilt einerseits: Für alle Menschen gibt es ein Maß - und damit auch für Dich und mich. Aber gilt nicht zugleich auch, dass dieses allgemeine Maß in Deinem wie in meinem Sonder-Fall die eine oder andere zusätzliche Dimension erhält?

Das Wort „Dimension“ hängt ja auch mit „Maß“ zusammen, und Deinen Literaturtipps möchte ich deshalb gern den folgenden hinzugesellen: „Der eindimensionale Mensch“ von Herbert Marcuse.

Schöne Grüße von

Leo

Hallo Leo,

schönen Dank. Aufgrund deiner Antwort auf meinen ersten Versuch hatte ich schon Sorge, ich könnte dich beleidigt haben.

Ich hatte deine Frage so verstanden, dass du nach dem Allgemeinen suchst (wie Marcuse), der ja die Totalisierung selbst auch wieder an einem (allgemeinen) Maß messen möchte.
Er hält - aus meiner Sicht - ja nur die Richtung der Totalisierung für falsch, nicht aber sie selbst. Das Besondere der Intellektuellen dient bei ihm dazu, wieder ein Allgemeines zu formulieren (indem sie es gemeinsam tun).

Wenn ich - mit Kant - bei den Urteilsformen in Bezug auf die Quantität die Dreiteilung „Allgemeine - Besondere - Einzelne“ voraussetze, dann besteht allerdings - aus meiner Sicht - eine unüberwindbare Differenz zwischen „allgemein“ und „besonders“, allerdings nicht in jeder Hinsicht zwischen „allgemein“ und „einzeln“, wie Kant in der ersten Anmerkung zur Urteilstafel belegt (KrV, B96/A70). Ein einzelnes Urteil ist aber im Unterschied zum allgemeinen - wie ebenda zu lesen ist - in seiner Gültigkeit vom allgemeinen getrennt.

Ich meine das in deinem Zusammenhang so:
Allgemeine Urteile sind maßgebende Urteile, besondere nicht. Einzelne Urteile sind Urteile, die - aufgrund von situativen Einschätzungen - dazu führen können, dass ein allgemeines Urteil für eine einzelne Situation aufgehoben wird. Stichwort Tyrannenmord: Er ist eigentlich, d. h. allgemein falsch, kann aber unter gewissen Umständen trotzdem gerechtfertigt werden. Er ist dann zwar immer noch falsch, aber entschuldigt.

Maßgebend ist also - aus meiner Sicht - nur das Allgemeine, obwohl es - unter Umständen - auch aufgehoben werden kann.

Soweit erstmal.

Gruß

Thomas Miller

Protagoras außen vor lassen
Hallo „Adrian“!

Danke für Deine auch per Email gut bei mir angekommenen Worte, die mich in dem Anliegen bestärken, uns Menschen als besonders „fragwürdige“ Wesen zu betrachten: egal ob wir alltäglich dahinleben oder uns angestrengt engagieren.

Ich halte unser So-oder-so-Sein nicht für die höchste Instanz, wenn es um unser Maß geht, und deshalb fällt für mich der sophistische homo-mensura-Satz des Protagoras aus dieser ernsten philosophischen Fragestellung heraus.

Ganz wörtlich hat das Thema der Ethiker Otto Friedrich Bollnow aufgenommen; der entsprechende Aufsatz trägt den Titel „Maß und Vermessenheit des Menschen“.

Einen zweiten wesentlichen Blickwinkel finde ich von Karl Jaspers eingenommen. In seinem Buch „Die großen Philosophen“ ist ein Hauptteil überschrieben mit „Die maßgebenden Menschen“. Zu diesen zählt er Sokrates, Buddha, Konfuzius und Jesus.

So weit für jetzt. Ich hoffe, wir bleiben im Gespräch.

Ausgehen vom Gängigen
Hallo Thomas Miller & andere Leser!

Ein Maß für alle Menschen mag zwar jedem besonderen Maß (für eine bestimmte Gruppe oder für einen Einzelnen) übergeordnet sein, fällt aber entsprechend formal aus. Was ist schon damit gewonnen, wenn man zu dem Befund gelangt, das Maß des Menschen sei die Vernunft oder Gott oder die Natur? Die Frage stellt sich dann nur umso schärfer: Was ist vernünftig, was gottgefällig, was naturgemäß? Und derartige Fragen führen leicht in Aporien, so dass man am Ende „so klug“ ist „als wie zuvor“.

Bietet sich da als Behelf nicht die schlichte Bestandsaufnahme an? Was treibt uns denn, die Frage normativ aufzufassen? „Nur BESCHREIBEN kann man hier und sagen: so ist das menschliche Leben“ (Wittgenstein).

So, wie die Menschen leben, richten sie sich ja unentwegt nach diesem und jenem - eben nach dem, was sie für richtig oder angemessen halten. Mag sein, dass sich diese Vielfalt von „Richtungen“ und „Messlatten“ auf ein gemeinsames Maß, einen größten gemeinsamen Nenner bringen lässt.

Viel spannender finde ich es jedoch, meinen Spürsinn zu betätigen und dem nachzugehen, welches der zahlreichen Maß-Angebote mir besonders vorbildlich erscheint. Das Vorbildliche stellt meines Erachtens eine Vereinigung von Allgemeinem und Besonderem dar, eine konkret gelebte Maßgabe.

Nur damit ist doch wohl dem das Menschen-Maß Suchenden wirklich gedient und nicht mit einem Formalismus à la Kant, der sich viel zu sehr von naturwissenschaftlichen Modellen hat leiten lassen, um über einen bestimmten Horizont hinaus den Sinn des Menschseins aufhellen zu können.

Ich denke, dass sich mit dem Zur-Welt-kommen jedes einzelnen Menschen die Frage „Was ist der Mensch?“ neu erhebt und dass es eine Sache der Menschenwürde ist, den einzelnen nicht als bloßes Exemplar anzusehen. Von daher empfinde ich es fast als Anmaßung, dass sich in Anbetracht der offenen Frage Mensch eine sich allzu wissend gebende „Anthropologie“ etabliert hat.

Leo

Hallo Leo

Ein Maß für alle Menschen mag zwar jedem besonderen Maß (für
eine bestimmte Gruppe oder für einen Einzelnen) übergeordnet
sein, fällt aber entsprechend formal aus. Was ist schon damit
gewonnen, wenn man zu dem Befund gelangt, das Maß des Menschen
sei die Vernunft oder Gott oder die Natur? Die Frage stellt
sich dann nur umso schärfer: Was ist vernünftig, was
gottgefällig, was naturgemäß? Und derartige Fragen führen
leicht in Aporien, so dass man am Ende „so klug“ ist „als wie
zuvor“.

daß diese Fragen leicht zu Aporien führen, ist kein Argument gegen die Fragen, sondern eher ein Ansporn, es besser zu machen oder zumindest zu versuchen, es besser zu machen.

Bietet sich da als Behelf nicht die schlichte Bestandsaufnahme
an? Was treibt uns denn, die Frage normativ aufzufassen? „Nur
BESCHREIBEN kann man hier und sagen: so ist das menschliche
Leben“ (Wittgenstein).

Den Ansatz, der Ethik die Normativität abzuerkennen, hat Wittgensein von Schopenhauer übernommen (Wittgenstein ist für eine argumentative Auseinandersetzung manchmal einfach zu aphoristisch.). In der Preisschrift über die Freiheit des menschlichen Willens kann man die Argumente, die Schopenhauer zugrunde liegt, nachvollziehen. Bei genauer Lektüre ist zu bemerken, dass er keines seiner Argumente wirklich untermauert, sondern immer nur postuliert. Er macht hier den Fehler, den er anderen gerne als „proton pseudos“ vorwirft: die Erschleichung des Beweisgrundes. Ich nehme an, du kennst die Schrift.

Viel spannender finde ich es jedoch, meinen Spürsinn zu
betätigen und dem nachzugehen, welches der zahlreichen
Maß-Angebote mir besonders vorbildlich erscheint. Das
Vorbildliche stellt meines Erachtens eine Vereinigung von
Allgemeinem und Besonderem dar, eine konkret gelebte Maßgabe.

Ich gebe zu bedenken, dass es zwar gut sein kann , Vorbilder zu haben, aber dass auch eine Gefahr darin steckt, wenn man die falschen Vorbilder hat (das kann man besonders gut in Politik und Geschichte sehen).

Nur damit ist doch wohl dem das Menschen-Maß Suchenden
wirklich gedient und nicht mit einem Formalismus à la Kant,
der sich viel zu sehr von naturwissenschaftlichen Modellen hat
leiten lassen, um über einen bestimmten Horizont hinaus den
Sinn des Menschseins aufhellen zu können.

Den „Formalismus à la Kant“ möchte ich gern verteidigen, zumindest insofern als er sich auf die Denkformen bezieht (nicht unbedingt auf die Ethik). Dieser Formalismus kann jedenfalls vor unbegründetem Denken schützen. Das kann zwar nicht für alle, aber zumindest für einige Menschen eine Hilfe sein.

Ich denke, dass sich mit dem Zur-Welt-kommen jedes einzelnen
Menschen die Frage „Was ist der Mensch?“ neu erhebt und dass
es eine Sache der Menschenwürde ist, den einzelnen nicht als
bloßes Exemplar anzusehen. Von daher empfinde ich es fast als
Anmaßung, dass sich in Anbetracht der offenen Frage Mensch
eine sich allzu wissend gebende „Anthropologie“ etabliert hat.

Diese Anmaßung nun möchte ich mir eigentlich nicht überstülpen lassen, sondern - wenn es sich um einen Vorwurf in meine Richtung handeln sollte - zurückgeben. Wenn man versucht, durch Normativität das Zusammenleben der Menschen zu regeln, sehe ich darin keine Anmaßung, solange man nicht diktatorisch damit auftritt. Eher scheint es mir unbescheiden zu sein, mit dem ziemlich unbescheidenen Anliegen, die in der gesamten Tradition vertretene Normativität der Ethik anzugreifen und sie auf Faktizität zu reduzieren (trotz Schopenhauer und Wittgenstein, denen man ja alles nachsagen kann, bloß keine Bescheidenheit).

Im Übrigen ging es ja bei deiner ersten Frage nach dem Maß ja gerade darum zu messen, also zu vergleichen (was auch immer). Das Wort „Maß“ allein legt meines Erachtens schon fest, dass es sich um ein normatives Problem handeln muss.

Liebe Grüße

Thomas Miller

Überleitung
An Thomas - und alle Mitdenkenden

Die „Maß“-Diskussion fesselt mich nach wie vor, auch wenn inzwischen 10 Tage seit Deinem letzten Statement vergangen sind. Dazu noch einiges nun hier:

dass diese Fragen leicht zu Aporien führen, ist kein
Argument gegen die Fragen, sondern eher ein Ansporn, es besser
zu machen oder zumindest zu versuchen, es besser zu machen.

Nichts gegen philosophische Essayistik. Nichts zum Beispiel gegen die großen Versuche Kants, denen er doch den berühmten Satz von den so „unabweisbaren“ wie „unbeantwortbaren“ Fragen vorausschickt. Aber zu wissen, dass wir in „metaphysischer“ Hinsicht „nichts wissen können“, dass die menschliche Vernunft hier also geradezu schicksalhaft in Aporien läuft, in solcher
„docta ignorantia“ sehe ich die Philosophie auf ihrer Höhe.

Den Ansatz, der Ethik die Normativität abzuerkennen, hat
Wittgensein von Schopenhauer übernommen (Wittgenstein ist für
eine argumentative Auseinandersetzung manchmal einfach zu
aphoristisch.).

Der besagten „ignorantia“ eingedenk, haben sich Philosophen nicht ausschließlich aufs Argumentieren verlegt, sondern gelegentlich auch in etwas ganz anderem versucht, zum Beispiel in Mystik oder auch in Dichtkunst. So errichtet die mittelalterliche Philosophie insgesamt ihre Denkgebäude im „Licht der Offenbarung“, sie vergeistigt somit eine Demutshaltung, deren „Erkenntnisvermögen“ bis heute durchaus diskutabel bleibt. Aber auch in den im weiteren Sinn poetischen Versuchen etwa Nietzsches, Heideggers oder auch der „Aphoristiker“ Schopenhauer und Wittgenstein sehe ich eine „Weisheitsnähe“ erreicht, die zu den Früchten der Bemühung um „Wissenschaftlichkeit“ eine hochwertige Nahrungsergänzung darstellt. Philosophie, möchte ich sagen, ist beides (eben infolge der besonderen Verlegenheit, in der sie sich befindet): „Arbeit des Begriffs“ und Spiel des Worts. So sehr solch ein Doppelcharakter auch die „Auseinandersetzung“ aufhalten mag.

Ich gebe zu bedenken, dass es zwar gut sein kann ,
Vorbilder zu haben, aber dass auch eine Gefahr darin steckt,
wenn man die falschen Vorbilder hat (das kann man besonders
gut in Politik und Geschichte sehen).

Man kann sich gewiss in Vorbildern täuschen, aber eben auch in „Urbildern“ (Vernunftidealen) vergreifen. Weder unser persönlicher Spürsinn noch unser rationaler Gemeinsinn ist gegen den allzumenschlichen Irrtum gefeit. Mindestens ebenso sehr wie die Verführbarkeit der Einfalt ist daher die Dialektik der Aufklärung „zu bedenken“.

Wenn man versucht, durch Normativität das Zusammenleben
der Menschen zu regeln, sehe ich darin keine Anmaßung,
solange man nicht diktatorisch damit auftritt.
Eher scheint es mir unbescheiden zu sein, die in der
gesamten Tradition vertretene Normativität der Ethik
anzugreifen und auf Faktizität zu reduzieren
(trotz Schopenhauer und Wittgenstein, denen man ja
alles nachsagen kann, bloß keine Bescheidenheit).

Vielleicht können wir uns ja bei dem alten Motto „Nichts im Übermaß“ treffen, indem wir zwischen Mythos und Logos die Balance halten, um nicht aus dem philosophischen Staunen herauszukommen. Denn diesen einzigartigen Anfang unterbietet jede Spezialisierung.

Im Übrigen ging es bei deiner ersten Frage nach dem Maß ja
gerade darum zu messen, also zu vergleichen (was auch immer).
Das Wort „Maß“ allein legt meines Erachtens schon fest, dass
es sich um ein normatives Problem handeln muss.

Einverstanden! Und dieses normative Problem einer (noch nicht etablierten) Anthropometrie würde ich anschließend gern ein Stück weit im Blick auf die Berliner Rede des Bundespräsidenten zur Gentechnik diskutieren. (Siehe den neuen Titel „Trifft die Rau-Rede das Menschenmaß?“)

Schöne Grüße

Leo